JudikaturVwGH

Ro 2023/08/0020 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
12. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision der E H in L, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Spittelwiese 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. September 2023, W255 2267296 1/6E, betreffend eine Angelegenheit nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse vertreten durch Dr. Modelhart Partner, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Museumstraße 25/Quergasse 4), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Die Revisionswerberin stellte am 26. Juli 2022 den Antrag, ihr Kinderbetreuungsgeld als Konto nach Abschnitt 2 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) zu gewähren.

2 Am 28. November 2022 beantragte die Revisionswerberin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der 14 tägigen Frist zur Änderung der Wahl der Leistungsart nach § 26a KBGG. Dazu brachte sie vor, sie habe die Absicht gehabt, anlässlich der Geburt ihres Kindes die Zuerkennung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes (Abschnitt 5 KBGG) zu beantragen. Erst durch die Mitteilung über die Höhe des beantragten Kinderbetreuungsgeldes vom 10. November 2022 habe die Revisionswerberin erkannt, dass sie entgegen ihrer Absicht im Antragsformular irrtümlich die Variante „pauschales Kinderbetreuungsgeld“ statt „einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld“ angekreuzt habe.

3 Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 13. Jänner 2023 ab .

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde mit der Maßgabe keine Folge, dass der Antrag der Revisionswerberin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig zurückgewiesen werde. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für zulässig.

5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - wie bereits die ÖGK - aus, dass es sich bei der in § 26a KBGG vorgesehenen Frist um eine materiellrechtliche Frist handle. Daraus folge, dass gegen deren Versäumung eine Wiedereinsetzung gemäß § 71 AVG unzulässig sei. Die Revision sei zulässig, weil der Verwaltungsgerichtshof die Frage, ob insoweit eine verfahrensrechtliche oder materiellrechtliche Frist vorliege, noch nicht entschieden habe.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

9 Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen (vgl. VwGH 18.4.2023, Ro 2023/08/0005, mwN).

10 Die vorliegende Revision wiederholt unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage fehle, ob es sich bei der in § 26a KBGG normierten Frist um eine materiellrechtliche oder eine verfahrensrechtliche Frist handle.

11 § 26a des Kinderbetreuungsgeldgesetzes, BGBl. I Nr. 103/2001, in der hier anwendbaren Fassung BGBl. I Nr. 53/2016 lautet:

„Wahl der Leistungsart

§ 26a. Die Wahl der Leistungsart (Abschnitt 2 oder Abschnitt 5) ist bei der erstmaligen Antragstellung zu treffen. Diese Entscheidung bindet neben dem antragstellenden Elternteil auch den anderen Elternteil. Eine spätere Änderung dieser getroffenen Entscheidung ist nicht möglich, es sei denn, der antragstellende Elternteil gibt dem zuständigen Krankenversicherungsträger die, einmal mögliche, Änderung binnen 14 Kalendertagen ab der erstmaligen Antragstellung bekannt.“

12 Nach dem ersten Satz des § 26a KBGG ist die Wahl der Leistungsart somit grundsätzlich bei der erstmaligen Antragstellung zu treffen. Mit der Novelle BGBl. I Nr. 117/2013 wurde den Leistungsempfängern im dritten Satz der Bestimmung die Möglichkeit eingeräumt, eine Änderung der Leistungsart binnen 14 Kalendertagen ab der erstmaligen Antragstellung bekannt zu geben. Nach Ablauf dieser 14-tägigen Frist tritt - wie der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt - eine Bindung an die gewählte Leistungsart ein (vgl. OGH 30.7.2015, 10 ObS 76/15x, mwN). Der Oberste Gerichtshof hat insoweit im Weiteren darauf hingewiesen, dass der Zweck des § 26a KBGG darin liegt, ein Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Varianten des Kinderbetreuungsgeldbezugs je nach Günstigkeit hintanzuhalten (vgl. OGH 18.7.2017, 10 ObS 53/17t, mwN; siehe auch zur Auseinandersetzung des OGH mit der Verfassungskonformität der Bestimmung OGH 1.6.2010, 10 ObS 38/10a; sowie nochmals OGH 10 ObS 76/15x).

13 Eine Frist hat dann verfahrensrechtlichen Charakter, wenn sie die Möglichkeit, eine Handlung zu setzen, die prozessuale Rechtswirkungen auslösen soll (Verfahrenshandlung), zeitlich beschränkt. Ist hingegen eine Rechtshandlung auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen gerichtet, so ist die dafür vorgesehene Zeitspanne als materiellrechtliche Frist zu qualifizieren. Die Wertung einer Frist als materiellrechtliche muss vom Gesetz unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht werden; im Zweifel ist von einer verfahrensrechtlichen Frist auszugehen. Für die Annahme einer materiellrechtlichen Frist ist dabei nicht erforderlich, dass in der Rechtsgrundlage ausdrücklich angeführt wird, dass der Anspruch bei verspäteter Geltendmachung untergeht (vgl. ebenfalls zum KBGG VwGH 5.9.2018, Ra 2018/03/0085, mwN).

14 Es ist nicht zweifelhaft, dass die „Wahl der Leistungsart“ nach § 26a KBGG sowohl bei der erstmaligen Antragstellung als auch bei einer Änderung binnen 14 Kalendertagen - auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen, nämlich auf die Festlegung der zur Auszahlung gelangenden Variante des Kinderbetreuungsgeldes, gerichtet ist. Es liegt somit eine materiellrechtliche Frist vor (so auch ausdrücklich zu BGBl. I Nr. 53/2016 die ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP, 12). Die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts trifft daher zu.

15 Ist die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen - wie hier - klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG vor, und zwar selbst dann, wenn zu einer dieser maßgeblichen Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen wäre (vgl. VwGH 5.11.2018, Ra 2018/08/0219, mwN; vgl. idS auch zur Beurteilung des Vorliegens einer materiellrechtlichen oder verfahrensrechtlichen Frist durch ein Verwaltungsgericht VwGH 5.9.2023, Ra 2021/12/0075).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - nach Durchführung des Vorverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die ÖGK - zurückzuweisen.

17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Dabei ist zu beachten, dass die Krankenversicherungsträger die ihnen nach dem KBGG übertragenen Aufgaben gemäß § 25 Abs. 2 KBGG im übertragenen Wirkungsbereich nach den Weisungen des Bundeskanzlers vollziehen. Die Krankenversicherungsträger werden somit bei Vollziehung des KBGG im Auftrag und auf Rechnung des Bundes tätig (vgl. Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny , KBGG 3 [2020] § 25 Rz 2). Rechtsträger im Sinn von § 47 Abs. 5 VwGG ist daher der Bund.

Wien, am 12. September 2024

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