Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des J S in S, vertreten durch Mag. Hannes Huber, Rechtsanwalt in 3390 Melk, Wiener Straße 45/103, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 30. November 2022, LVwG S 2195/001 2021, betreffend Übertretung des FSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Zwettl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Zwettl vom 16. August 2021 wurde der Revisionswerber einer Übertretung des § 1 Abs. 3 FSG schuldig erkannt. Er habe am 23. Dezember 2020 einen Pkw auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt, obwohl er keine gültige Lenkberechtigung besessen habe. Wegen dieser Übertretung wurde über den Revisionswerber gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 FSG eine Geldstrafe in der Höhe von € 600, (Ersatzfreiheitsstrafe 277 Stunden) verhängt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (Verwaltungsgericht) wurde der vom Erwachsenenvertreter des Revisionswerbers dagegen erhobenen Beschwerde insofern stattgegeben, als die Geldstrafe auf € 250, bzw. die Ersatzfreiheitsstrafe auf 120 Stunden herabgesetzt wurden. Das Verwaltungsgericht begründete dies nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen und Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Zurechnungsfähigkeit des Revisionswerbers zur Tatzeit sowie nach Würdigung der ihm vorliegenden Urkunden und Zeugenaussagen damit, dass die Fähigkeit des Revisionswerbers, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen bzw. dieser Einsicht gemäß zu handeln, zur Tatzeit gegeben, aber aufgrund einer krankhaften Störung seiner Geistestätigkeit in hohem Grad vermindert gewesen sei, was bei der Strafbemessung entsprechend zu berücksichtigen sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis vom 30. November 2022 richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Erwachsenenvertreters des Revisionswerbers.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Zur Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf „VwGH 91/0303 ff.“, gemeint wohl: VwGH 29.1.1992, 91/03/0303) ab, weil trotz Beiziehung des Amtssachverständigen und des Vorliegens eines psychiatrischen Gutachtens im parallel anhängigen Gerichtsverfahren nicht abschließend habe geklärt werden können, ob der Revisionswerber bereits zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig iSd § 3 VStG gewesen sei oder nicht. Da aber die Zurechnungsfähigkeit unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit sei, hätte das Gericht im Zweifel zugunsten des Revisionswerbers entscheiden müssen (in dubio pro reo). Das Verwaltungsgericht habe auch zu Unrecht angenommen, dass die Frage der Zurechnungsfähigkeit eine Tatfrage sei und dies daher in die Feststellungen aufgenommen.
Ferner habe das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis gegen die Beweislastregeln nach § 45 AVG iVm §§ 25, 45 Abs. 1 Z 1 VStG verstoßen, weil mangels definitiver Aussage beider Sachverständiger zum genauen Zeitpunkt des Eintritts der Zurechnungsunfähigkeit iSd § 3 VStG das Strafverfahren einzustellen gewesen sei, weil die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden könne. Der Richter befinde sich nicht auf gleicher fachlicher Ebene wie die Sachverständigen, daher sei seine Annahme entgegen den Gutachtern, dass zum Tatzeitpunkt der Revisionswerber (noch) zurechnungsfähig gewesen sei, unzulässig.
8 Gemäß § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Die Zurechnungsfähigkeit bildet demnach eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit (vgl. VwGH 13.4.2018, Ra 2018/02/0028; VwGH 13.4.2018, Ra 2017/02/0040).
9 Die Frage, ob der Täter zur Zeit der Tat zurechnungsunfähig im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG war, ist eine Rechtsfrage. Sie ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings bei Vorliegen von Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit nur auf der Grundlage eines medizinischen Sachverständigengutachtens in der Regel aus dem Fachgebiet der Psychiatrie von Amts wegen zu klären (vgl. VwGH 10.10.2014, Ro 2014/02/0104, mwH; siehe auch erneut VwGH 13.4.2018, Ra 2018/02/0028 und Ra 2017/02/0040, jeweils mwN).
10 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht zur Klärung der einzig strittigen Frage der Zurechnungsfähigkeit des Revisionswerbers zur Tatzeit eine mündliche Verhandlung im Beisein des Erwachsenenvertreters des Revisionswerbers und des von ihm beigezogenen medizinischen Amtssachverständigen Dr. H durchgeführt. Dieser erstattete daraufhin ein mit 2. September 2022 datiertes Gutachten zur Frage der Zurechnungsfähigkeit des Revisionswerbers zur Tatzeit, welches die psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. B vom 13. und 15. August 2022 zugrundelegte und in einer weiteren Verhandlung mit dem Erwachsenenvertreter und Dr. H erörtert wurde. In der Verhandlung wurden auch die damals amtshandelnden Polizisten als Zeugen einvernommen. Der Revisionswerber habe es abgelehnt, sich untersuchen zu lassen.
11 Unter Zugrundelegung der zur Beurteilung der Frage der Zurechnungsfähigkeit vorliegenden relevanten Urkunden, die in Gerichtsverfahren erstellt wurden (Niederschriften jeweils des Landesgerichts Krems an der Donau über eine Hauptverhandlung vom 30. Juni 2017, in deren Rahmen ein psychiatrisches Gutachten erstattet wurde, und über eine Einvernahme des Revisionswerbers am 13. Jänner 2021 in einem anderen Gerichtsverfahren, ein Protokollvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung betreffend eine strafgerichtliche Verurteilung des Revisionswerbers zum Tatzeitpunkt 11. Jänner 2021, ein Protokoll eines Richters des Bezirksgerichtes Zwettl vom 13. April 2021 über ein Gespräch mit dem Revisionswerber sowie zwei psychiatrische Sachverständigengutachten von Dr. B vom 13. und vom 15. August 2022) sowie des von Dr. H vorgelegten Gutachtens vom 2. September 2022 hat sich das Verwaltungsgericht umfassend mit der Frage der Zurechnungsfähigkeit des Revisionswerbers zur Tatzeit auseinandergesetzt, hat die darin getroffenen Aussagen und Erkenntnisse ausführlich gewürdigt und ist mit dem Gutachten des Amtssachverständigen zum Ergebnis gekommen, dass die Diskretions bzw. Dispositionsfähigkeit des Revisionswerbers zur Tatzeit noch gegeben, aber wegen paranoider Persönlichkeitsstörung massiv eingeschränkt gewesen sei.
12 Nach den psychiatrischen Gutachten des Dr. B sei die Diskretions bzw. Dispositionsfähigkeit am 22. Oktober 2021 und am 11. Juli 2022 aufgrund einer anhaltenden wahnhaften Störung nicht mehr gegeben gewesen; aus seinem Verweis auf den weitgehend unauffälligen Aufenthalt des Revisionswerbers in der Justizanstalt von Mitte Jänner bis Mitte März 2021 habe Dr. B abgeleitet, dass sich die Persönlichkeitsstörung im Lauf der Jahre verschlechtert und die paranoide Erlebnisverzerrung verdichtet und intensiviert habe, sodass nunmehr vom Vorliegen einer anhaltenden wahnhaften Störung auszugehen sei.
13 Dr. H sei zum Schluss gekommen, dass sich im Laufe des Jahres 2021 das Krankheitsbild stark verschlechtert habe, sodass zumindest ab Oktober 2021 davon auszugehen sei, dass die Diskretions- bzw. Dispositionsfähigkeit des Revisionswerbers in Bezug auf die Inbetriebnahme eines Kfz ohne Lenkberechtigung nicht mehr gegeben sei und nunmehr eine anhaltende wahnhafte Störung vorliege. Laut näher zitierten Strafgerichtsurteilen wurde zu den Tatzeitpunkten 22. Mai 2016 und 11. Jänner 2021 noch von einer wenn auch erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit ausgegangen. Auf Grundlage der schlüssigen Ausführungen des Amtssachverständigen ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass zwischen bewusst gesetztem rechtlichen Fehlverhalten und krankheitsbedingtem (nicht schuldhaftem) Fehlverhalten unterschieden werden müsse und auch die Zeugenaussagen der amtshandelnden Polizisten auf ein solches bewusst gesetztes Fehlverhalten hindeuten würden.
14 Das Verwaltungsgericht hielt in seiner nicht als unschlüssig zu erkennenden Beweiswürdigung weiters fest, dass zwar der psychiatrische Gutachter Dr. B auf Nachfrage des Erwachsenenvertreters in der Hauptverhandlung vom 10. November 2022 vor dem Landesgericht Krems an der Donau gesagt habe, dass er nicht ausschließen könne, dass die Diskretions und Dispositionsunfähigkeit des Revisionswerbers bereits 2020 eingetreten sei und auch der Amtssachverständige Dr. H auf Nachfrage des Erwachsenenvertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt habe, dass er grundsätzlich nichts ausschließen könne, aber der Amtssachverständige auch ausgesagt habe, dass es nicht wahrscheinlich sei, dass die Diskretions bzw. Dispositionsunfähigkeit des Revisionswerbers bereits 2020 vorgelegen sei. Eine absolute Sicherheit sei für die Annahme einer Tatsache als erwiesen (§ 45 Abs. 2 AVG) nicht erforderlich, die überragende Wahrscheinlichkeit genüge.
15 Das Verwaltungsgericht ist somit bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit iSd § 3 VStG nicht von den in der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien abgewichen, wenn es sich den Einschätzungen des Amtssachverständigen angeschlossen hat.
16 Insoweit sich die Revision in der Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wendet, ist darauf hinzuweisen, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung nur dann vorläge, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte; die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu überprüfen (vgl. VwGH 12.2.2021, Ra 2021/02/0028, mwN). Das Verwaltungsgericht ging nach Würdigung aller Beweismittel von einer überragenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Diskretions und Dispositionsfähigkeit in Bezug auf die Inbetriebnahme eines Kfz ohne Lenkberechtigung zur Tatzeit aus. Eine Unvertretbarkeit dieser Beweiswürdigung zeigt die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nicht auf.
17 Der im Verwaltungsstrafverfahren geltende Grundsatz „in dubio pro reo“ kommt in jenen Fällen zur Anwendung, in denen im Wege des Beweisverfahrens und anschließender freier Würdigung der Beweise beim entscheidenden Organ (hier: Verwaltungsgericht) nicht mit Sicherheit die Überzeugung von der Richtigkeit des Tatvorwurfes erzeugt werden konnte. Wenn nach Durchführung aller Beweise trotz eingehender Beweiswürdigung somit Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten verbleiben, hat nach dem genannten Grundsatz ein Freispruch zu erfolgen (vgl. VwGH 14.11.2018, Ra 2018/17/0165).
18 Insofern der Tatvorwurf vorliegend unstrittig war, kann auch nicht davon die Rede sein, das Verwaltungsgericht habe rechtswidrigerweise den Grundsatz in dubio pro reo nicht angewandt.
19 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. Februar 2023
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