Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der G, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 24. Jänner 2023, LVwG S 2735/001 2022, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Pölten), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 13. September 2022 wurde der Revisionswerberin zur Last gelegt, sie habe sich nach Aufforderung eines besonders geschulten Organs der Bundespolizei geweigert, ihre Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl sie im Verdacht gestanden sei, ein Fahrzeug in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben. Dadurch habe sie § 5 Abs. 2, § 5 Abs. 4 und § 99 Abs. 1 lit. b StVO verletzt, weshalb über sie gemäß § 99 Abs. 1 lit. b StVO eine Geldstrafe von € 1.600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 336 Stunden) verhängt wurde. Zusätzlich wurde der Revisionswerberin ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens auferlegt.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) als unbegründet ab. Der Revisionswerberin wurde ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens zur Zahlung vorgeschrieben. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG gegen dieses Erkenntnis nicht zulässig sei.
3 Das Verwaltungsgericht stellte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung fest, die Revisionswerberin sei im Verdacht gestanden, ein Kraftfahrzeug gelenkt zu haben. Im Zeitpunkt der Aufforderung zur Durchführung eines Alkomattests mit einem geeichten Alkomaten durch ein besonders geschultes Organ der Bundespolizei habe die Revisionswerberin deutlich nach Alkohol gerochen und ihr Gang sei schwankend gewesen. Die Revisionswerberin habe die Aufforderung dadurch verweigert, dass sie deutlich den Kopf geschüttelt und sich weggedreht habe. Diese nonverbalen Abwehrbewegungen seien unmittelbar nach der Aufforderung zum Alkotest erfolgt.
4 Das Verwaltungsgericht stützte seine Beweiswürdigung im Wesentlichen auf die Aussagen der als Zeugen befragten einschreitenden Polizeiorgane und es zeigte gravierende Bedenken gegen die Validität des von der Revisionswerberin vorgelegten psychiatrischen Privatgutachtens zu ihrem Verhalten im Tatzeitpunkt auf. Es begründete die Abweisung der von der Revisionswerberin gestellten Beweisanträge.
5 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die amtshandelnden Polizeiorgane hätten zu Recht angenommen, dass die Revisionswerberin das Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe. Die nonverbale Reaktion der Revisionswerberin habe darauf hingedeutet, dass sie gewusst habe, was von ihr verlangt worden sei, zumal sie auf die Aufforderung zur Durchführung eines Alkotests unmittelbar reagiert und zum Ausdruck gebracht habe, dass sie mit diesem Test nicht einverstanden sei. Somit lägen keine auf eine mangelnde Zurechnungsfähigkeit der Revisionswerberin hindeuteten Sachverhaltselemente, etwa im Sinne einer völligen Situationsverkennung, vor.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10Die Revisionswerberin erachtet ihre Revision primär wegen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Zurechnungsfähigkeit als zulässig. Dazu wird vorgebracht, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bilde die Zurechnungsfähigkeit eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit (Hinweis auf VwGH 29.1.1992, 91/03/0303). Die Frage, ob der Täter zur Zeit der Tat zurechnungsfähig im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG gewesen sei, sei eine Rechtsfrage. Sie sei von der Behörde mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie zu lösen (Hinweis auf VwGH 10.10.1990, 90/03/0140). Abweichend davon werde vom Verwaltungsgericht die Zurechnungsfähigkeit als Tatfrage behandelt und in die Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses aufgenommen. Aufgrund divergierender Wahrnehmungen des Sachverständigen einerseits und der amtshandelnden Polizeibeamten andererseits könne nicht abschließend geklärt werden, ob die Revisionswerberin im Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hätte in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ das Verwaltungsstrafverfahren einstellen müssen. Das Verwaltungsgericht habe darüber hinaus gegen die Beweislastregelung nach § 45 AVG verstoßen, weil dem vorgelegten Gutachten des Sachverständigen nicht ausreichend Bedeutung zugemessen worden sei. Es sei nicht zulässig, dass der erkennende Richter, der sich nicht auf gleicher fachlicher Ebene wie der Sachverständige befinde, seine Feststellungen auf Grundlage von unqualifizierten Zeugenaussagen und Verhaltensweisen der Revisionswerberin entgegen den Feststellungen des Sachverständigen getroffen habe.
11Gemäß § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Die Zurechnungsfähigkeit bildet demnach eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Die Frage, ob der Täter zur Zeit der Tat zurechnungsunfähig im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG war, ist eine Rechtsfrage (vgl. das schon in der Revision zitierte Erkenntnis VwGH 10.10.1990, 90/03/0140, mwN). Sie kann wenn Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit vorliegen nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten in der Regel aus dem Fachgebiet der Psychiatrie geklärt werden (vgl. das ebenfalls schon in der Revision zitierte Erkenntnis VwGH 29.1.1992, 91/03/0303, mwN).
12Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung nur dann vorläge, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte; die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu überprüfen (vgl. VwGH 21.2.2023, Ra 2023/02/0005, mwN).
13 Im vorliegenden Fall führte das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, in der die Revisionswerberin und die einschreitenden Polizeiorgane einvernommen wurden. In seiner Beweiswürdigung setzte sich das Verwaltungsgericht umfassend mit den Aussagen der befragten Zeugen über den Ablauf der Kontrolle sowie mit dem von der Revisionswerberin vorgelegten psychiatrischen Privatgutachten auseinander. Es stellte die Aussagen der Zeugen einander und den Annahmen im Privatgutachten gegenüber und kam nach ausführlicher Würdigung zum Ergebnis, dass die Revisionswerberin im Tatzeitpunkt die Aufforderung zum Alkomattest habe wahrnehmen können und diese durch nonverbale Abwehrbewegungen abgelehnt habe. Sie habe sich nicht in einem tranceähnlichen Zustand befunden. Das eingeholte Privatgutachten sei aufgrund unrichtiger Prämissen v.a. über den Ablauf der Alkoholkontrolle sowie über das sonstige Trinkverhalten der Revisionswerberin und wegen Unschlüssigkeit nicht geeignet, die glaubhaften Aussagen der einvernommenen Zeugen in Zweifel zu ziehen. Die Revisionswerberin legt nicht ansatzweise dar, inwiefern die vom Verwaltungsgericht geäußerten Bedenken gegen die Vollständigkeit und Richtigkeit der Prämissen des von ihr vorgelegten Privatgutachtens unzutreffend wären. Eine Unvertretbarkeit dieser Beweiswürdigung zeigt die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nicht auf.
14Ebenso wenig kann ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung erkannt werden, zumal der Grundsatz „in dubio pro reo“ nur für jene Fälle gilt, in denen im Wege des Beweisverfahrens und anschließender freier Würdigung der Beweise in dem entscheidenden Organ nicht mit Sicherheit die Überzeugung von der Richtigkeit des Tatvorwurfes erzeugt werden konnte. Verbleibt an der Richtigkeit des Tatvorwurfes kein Zweifel, fehlt es an der Anwendungsmöglichkeit des Grundsatzes „in dubio pro reo“ (vgl. zum Ganzen VwGH 13.7.2022, Ra 2022/02/0100, mwN). Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass keine Verletzung der Unschuldsvermutung bewirkt wird, wenn das Verwaltungsgericht in Wahrnehmung der freien Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangte, dass die Verwaltungsübertretung von der Revisionswerberin begangen wurde.
15 In seiner rechtlichen Begründung führte das Verwaltungsgericht schließlich im Hinblick auf das situationsbezogene Verhalten der Revisionswerberin aus, dass keine auf deren mangelnde Zurechnungsfähigkeit hindeutenden Sachverhaltselemente vorlägen oder ersichtlich seien.
16Indem das Verwaltungsgericht das Vorliegen von Anhaltspunkten in Richtung einer fehlenden Zurechnungsfähigkeit, die eine Prüfung der Zurechnungsfähigkeit auf der Grundlage eines medizinischen Sachverständigengutachtens erforderlich gemacht hätte, verneinte, wich es nicht von den in der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien zur Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit iSd § 3 VStG ab.
17 Dem Verwaltungsgericht kann auch nach dem eingangs wiedergegebenen Inhalt und nach dem Aufbau des angefochtenen Erkenntnisses nicht der Vorwurf gemacht werden, dass es die Frage der Zurechnungsfähigkeit der Revisionswerberin im Tatzeitpunkt als Tatfrage behandelt hätte.
18 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit noch geltend gemacht, dass die gegenständlichen Amtshandlungen der einschreitenden Polizeiorgane nichtig gewesen seien, weil sie auf einer als Privatstraße errichteten Forststraße mit Fahrverbotsschild ausgenommen Anrainer erfolgt seien.
19Dem ist ungeachtet der Frage, ob eine unzulässige Neuerung (§ 41 VwGG) vorliegt, zu entgegnen, dass die StVO für Straßen mit öffentlichem Verkehr gilt, das sind solche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können (§ 1 Abs. 1 StVO).
20Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine Straße dann von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden, wenn sie nach dem äußeren Anschein zur allgemeinen Benützung freisteht. Für die Widmung als Straße mit öffentlichem Verkehr ist ein Widmungsakt nicht erforderlich und es kommt auch nicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund an, d.h. also nicht darauf, ob die betreffende Landfläche ganz oder teilweise im Privateigentum steht. Auch kann aus dem Umstand, dass eine Straße nur von einer bestimmten Gruppe von Verkehrsteilnehmern benutzt wird, nicht geschlossen werden, dass es sich um eine Straße ohne öffentlichen Verkehr handelt (vgl. VwGH 15.4.2016, Ra 2014/02/0058, mwN). Es vermag auch die Anbringung von Hinweisschildern, nach denen die Benützung der betreffenden Verkehrsfläche „Anrainern und Lieferanten“ vorbehalten ist oder nach denen auf einem umzäunten Gasthausparkplatz „Parken nur für Gäste“ erlaubt sein soll, an der Qualität der Verkehrsfläche als einer Straße mit öffentlichem Verkehr nichts zu ändern (vgl. VwGH 24.5.2013, 2010/02/0120, mwN) und dem steht auch die Beschilderung als „Privatstraße“ (vgl. VwGH 29.11.2022, Ra 2022/02/0041, mwN) oder ihre Errichtung als Forststraße (vgl. OGH 29.8.1995, 1 Ob 625/94) nicht entgegen.
21 Schon deshalb hängt die Revision nicht von der zuletzt geltend gemachten Rechtsfrage ab.
22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 10. November 2025
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