JudikaturVwGH

Ra 2025/21/0002 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des S H, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 2024, W600 2302779 1/22E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der 1984 geborene Revisionswerber ist nepalesischer Staatsangehöriger. Er reiste am 26. Oktober 2024 aus der Tschechischen Republik kommend auf der Durchreise nach Frankreich illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und wurde beim Versuch des Grenzübertrittes nach Deutschland von deutschen Sicherheitsorganen aufgegriffen. Nach seiner Rückführung nach Österreich wurde er wegen seines unrechtmäßigen Aufenthaltes festgenommen.

2 Im Rahmen seiner Einvernahme noch am 26. Oktober 2024 gab der Revisionswerber an, in Polen über einen Wohnsitz zu verfügen und einen Aufenthaltstitel beantragt zu haben. Zu Österreich habe er keinen Bezug. Er wolle nicht in Schubhaft genommen werden und würde im Falle seiner Entlassung nach Polen zurückkehren, zumal er dort auf eine „Antwort“ hinsichtlich seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung warte.

3 Aufgrund der Einleitung eines Verfahrens zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit dem umgehend in Vollzug gesetzten Mandatsbescheid vom selben Tag gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung an.

4 Mit Schreiben vom 29. Oktober 2024 legte die Rechtsberaterin des Revisionswerbers dem BFA unter anderem eine auf den Namen des Revisionswerbers ausgestellte Arbeitserlaubnis in polnischer Sprache vor und teilte mit, dass der Revisionswerber eine „Temporary Residency Permit“ in Polen beantragt habe und auch über eine Arbeitserlaubnis in Polen verfüge. Eine daraufhin erfolgte Anfrage des BFA beantworteten die polnischen Behörden am 6. November 2024 dahingehend, dass der Revisionswerber in Polen am 11. Mai 2024 auf dem Postweg eine befristete Aufenthaltserlaubnis beantragt habe, jedoch am 16. Oktober 2024 beschlossen worden sei, den Antrag „unberücksichtigt zu lassen“.

5 Mit Bescheid vom 18. November 2024 sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt werde, und erließ gegen ihn gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot. Es erklärte gemäß § 52 Abs. 9 FPG seine Abschiebung nach Nepal für zulässig, gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist zur freiwilligen Ausreise und erkannte gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab. Aufgrund der angestellten Ermittlungen ging das BFA erkennbar davon aus, dass der Revisionswerber über keinen Aufenthaltstitel in Polen verfüge und daher nicht vor Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 6 FPG aufzufordern gewesen sei, sich nach Polen zu begeben.

6 Eine im Schubhaftverfahren eingebrachte Beschwerde des Revisionswerbers vom 18. November 2024, mit der er die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft seit diesem Tag begehrte, wurde soweit für das vorliegende Verfahren noch relevant nur damit begründet, dass der Revisionswerber einen Aufenthaltstitel für Polen und daher das Recht habe, nach entsprechender Aufforderung nach Polen zurückzukehren, während das BFA hingegen „fest entschlossen“ sei, ihn nach Nepal abzuschieben. Dieses Vorgehen sei „offensichtlich rechtswidrig“.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. November 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet ab und stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Es traf weiters diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG schließlich aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

8 In den Entscheidungsgründen ging das BVwG davon aus, dass der Revisionswerber nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels für einen Mitgliedstaat der Europäischen Union sei. Es begründete diese Annahme insbesondere damit, dass nach der vom BFA eingeholten Auskunft der polnischen Behörden dem Revisionswerber keine Aufenthaltsberechtigung erteilt worden sei. Deshalb sei der Revisionswerber entgegen dem Beschwerdevorbringen auch nicht vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 6 FPG zur Rückkehr nach Polen aufzufordern gewesen. Im Rahmen einer Grobprüfung sei somit nicht erkennbar, dass sich die mit Bescheid vom 18. November 2024 erlassene Rückkehrentscheidung als unzulässig erweise.

9 Gegen dieses Erkenntnis vom 22. November 2024 richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12 In dieser Hinsicht wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht geltend gemacht, weil das BVwG von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen sei, obwohl der Revisionswerber eine polnische Arbeitserlaubnis vorgelegt und substantiiert vorgebracht habe, auch über eine Aufenthaltserlaubnis zu verfügen. Demgegenüber sei das BVwG beweiswürdigend zum Ergebnis gelangt, der Revisionswerber verfüge über keine Arbeitserlaubnis und kein Aufenthaltsrecht in Polen. Da sich das BVwG mit der „Arbeitsbewilligung, welche auf einer Aufenthaltsbewilligung beruht“, nur eingeschränkt beschäftigt und das vorgelegte Schriftstück nicht ansatzweise als Beweis gewürdigt habe, sei es auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen. Das BVwG wäre verpflichtet gewesen, die Arbeitserlaubnis den polnischen Behörden vorzuhalten und nachzufragen, ob es sich bei der vorangegangenen Anfragebeantwortung um einen Fehler gehandelt habe und der Revisionswerber nicht doch über eine polnische Aufenthaltsberechtigung und eine Arbeitserlaubnis verfüge. Die Unterlassung weiterer Ermittlungsschritte durch das BVwG bedeute ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur amtswegigen Ermittlungspflicht.

13 Vorauszuschicken ist, dass das BVwG aufgrund der gegenständlich erhobenen Schubhaftbeschwerde lediglich den Zeitraum vom 18. November 2024 bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vom 22. November 2024 zu beurteilen hatte. In diesem Zeitraum diente die Schubhaft im Hinblick auf die mit Bescheid vom 18. November 2024 erlassene durchsetzbare, aber noch nicht durchführbare Rückkehrentscheidung primär noch der Verfahrenssicherung.

14 Das wiedergegebene Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass das BVwG im Schubhaftbeschwerdeverfahren verpflichtet gewesen wäre, nach umfassenden eigenen Ermittlungen im Detail zu prüfen, ob die mit dem Bescheid des BFA vom 18. November 2024 gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG mit dem Zielstaat Nepal erlassene Rückkehrentscheidung rechtskonform ergangen war oder ob der Revisionswerber hingegen zuvor gemäß § 52 Abs. 6 FPG wegen Besitzes eines Aufenthaltstitels für Polen hätte aufgefordert werden müssen, (entsprechend seiner auch ausdrücklich geäußerten Absicht) dorthin zurückzukehren, wofür es dann keiner Aufrechterhaltung der Schubhaft bedurft hätte.

15 Allerdings kann aus den nachstehend dargelegten Gründen keineswegs die Rede davon sein, dass die Beurteilung des BFA bei Erlassung der Rückkehrentscheidung evident rechtswidrig gewesen wäre, also eine Fehlbeurteilung auf der Hand gelegen wäre. Nur in einem solchen Fall hätte das BVwG dies im gegenständlichen Schubhaftbeschwerdeverfahren unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zur berücksichtigen gehabt (vgl. idZ VwGH 29.1.2025, Ra 2022/21/0160, Rn. 13 [hinsichtlich des dort zu beurteilenden ersten Verfahrensabschnittes] und Rn. 19 [hinsichtlich des letzten Verfahrensabschnittes, dort bei Vorliegen einer äußerst krassen Rechtswidrigkeit]). Insoweit war daher wie vom BVwG auch vorgenommen lediglich unter Bedachtnahme auf den diesbezüglichen Beschwerdeeinwand eine „Grobprüfung“ vorzunehmen, ohne dass dazu eigene Ermittlungen anzustellen waren oder eine mündliche Verhandlung durchzuführen war. Das wird in der Revision verkannt.

16 Eine solche evidente Fehlbeurteilung durch das BFA bei Erlassung der Rückkehrentscheidung musste schon deswegen nicht angenommen werden, weil der Revisionswerber mit dem bloßen Hinweis auf eine Arbeitserlaubnis nicht nachvollziehbar darlegte, dass er auch über einen Aufenthaltstitel in Polen verfügte, zumal er im Verfahren vor dem BFA selbst ausgesagt hatte, (bloß) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt zu haben. Dies fand wiederum in der Auskunft der polnischen Behörden, dass der Revisionswerber einen solchen Antrag gestellt habe, diesem jedoch nicht stattgegeben worden sei, seine Bestätigung.

17 Davon ausgehend erachtete das BVwG die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft im beschwerdegegenständlichen Zeitraum und deren Fortsetzung zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer durchführbaren bzw. rechtskräftigen Rückkehrentscheidung und danach zur Sicherung ihrer Effektuierung durch Abschiebung des Revisionswerbers nach Nepal das Vorliegen von Fluchtgefahr und die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft werden in der Revision nicht bestritten zu Recht für zulässig.

18 Die Revision war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 12. Juni 2025

Rückverweise