Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede und Hofrätin Mag. I. Zehetner, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision des H H in F, vertreten durch die Stögerer Preisinger Rechtsanwälte OG in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 76/2/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2022, W246 2240511 1/20E, betreffend Dienstfreistellung und Anordnung des Verbrauches von Erholungsurlaub und des Abbaus von Zeitguthaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesministerin für Justiz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber steht als Exekutivbeamter in einem öffentlich rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist einer Justizanstalt zur Dienstleistung zugewiesen.
2 Er wurde als Zugehöriger zur COVID 19 Risikogruppe mit Weisung der Leiterin der Justizanstalt ab 20. März 2020 von seiner dienstlichen Anwesenheit entbunden. In der Folge wurde die Vorplanung für den Monat März 2020 dahin geändert und jene für April und Mai 2020 dergestalt vorgenommen, dass dem Revisionswerber der Verbrauch von Erholungsurlaub bzw. der Abbau von Zeitguthaben für näher bestimmte Tage angeordnet wurde.
3 Mit Eingabe vom 2. April 2020 richtete der Revisionswerber ein als „Beschwerde“ betiteltes Schreiben an die Dienstbehörde:
„... Aufgrund meiner Vorerkrankung falle ich unter die COVID 19 Risikogruppe.
Da ich mit Rücksichtnahme auf diesen Umstand in der Anstalt nicht entsprechend eingesetzt werden konnte, wurde ich mit 18.03.2020 von der Anstaltsleiterin außer Dienst gestellt!
Nun habe ich meine Monatsvorplanung für April angesehen, in welcher mir für den ganzen Monat Urlaub vorgeplant wurde.
Ich erkläre mich nicht einverstanden mit dem Zwangsurlaubsverbrauch, welcher über zwei Wochen aus dem Resturlaub des Vorjahres hinausgeht (BDG § 68 1a), denn hierzu fehlt die Rechtsgrundlage.
Ebenso ersuche ich den Monat März laut Vorplanung abzurechnen.
...“
4 Mit Eingabe vom 29. April 2020 erstattete der Revisionswerber folgende Stellungnahme:
„...
1. Der Einschreiter wurde mit 18.03.2020 aus Gründen im Zusammenhang mit COVID19 von der Leiterin der Justizanstalt Feldkirch außer Dienst gestellt. ... Die Freistellung von Betroffenen in Bereichen der kritischen Infrastruktur, zu denen jedenfalls Justizanstalten zählen, sind von der Regelung des § 258 Abs. 3 B KUVG ausgenommen. Vielmehr sind Bedienstete der kritischen Infrastruktur mit entsprechenden Schutzmaßnahmen auszustatten. Dies entspricht der Fürsorgepflicht des Dienstgebers...
2. Mit der Anordnung des Krankenstandes wurde bis Ende April 2020 der Resturlaub von 2019 aufgebraucht und von 02.05. bis 05.05.2020 die Zeitguthaben abgetragen.
2.1. Die Dienstfreistellung erfolgte zu einem Zeitpunkt, als eine Rechtsgrundlage für eine einseitige Urlaubsanordnung durch den Dienstgeber nicht vorgesehen war.
2.2. Hinzu kommt, dass die Bestimmung des § 68 Abs. 1 a BDG für eine unbeschränkt einseitige Urlaubsanordnung jedenfalls keine Grundlage darstellt. § 68 Abs. 1 a BDG ist auch nur auf jene Fälle anzuwenden, in denen der Dienstbetrieb für einen mindestens 6 Werktage andauernden Zeitraum erheblich eingeschränkt ist.
2.3. Der Einschreiter stimmt einem Urlaubsverbrauch nicht zu und nimmt auch eine Dienstfreistellung nicht in Anspruch. Der Einschreiter ist jedenfalls dienstbereit.
3. Durch die einseitige nicht rechtmäßige Urlaubsanordnung erwachsen dem Einschreiter massive finanzielle Einbußen.
4. Der Einschreiter beantragt die Ausstellung eines Bescheides.
...“
5 Mit Bescheid vom 5. Februar 2021 sprach die belangte Behörde wie folgt aus:
„Das Bundesministerium für Justiz, Generaldirektion für den Strafvollzug und den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen, stellt auf Ihren Antrag vom 29.04.2020 (h.o. eingelangt am 04.05.2020) hin fest, dass Ihre dienstliche Abwesenheit in der Zeit ab 20.03.2020 bis einschließlich 26.05.2020 gerechtfertigt war.“
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers teilweise Folge und änderte den Bescheidspruch dahin ab, dass dieser zu lauten habe:
„Die Anordnung zum Verbrauch von Erholungsurlaub (aus dem Jahr 2019) für den Zeitraum vom 20.03. bis 26.03.2020 ist gegenüber dem Antragsteller nicht zu Recht erfolgt. Die Anordnung zum Verbrauch von Erholungsurlaub (aus dem Jahr 2019) für den Zeitraum vom 27.03. bis 05.04.2020 ist gegenüber dem Antragsteller zu Recht erfolgt.
Die Anordnung zum Abbau von Zeitguthaben (für geleistete Nachtdienste) am 30.04., 02.05., 04.05. und 05.05.2020 ist gegenüber dem Antragsteller nicht zu Recht erfolgt.
Die Dienstfreistellung des Antragstellers für die Zeiträume vom 06.04. bis 29.04.2020 und vom 06.05. bis 26.05.2020 ist zu Recht erfolgt.“
7 Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
8 Das Bundesverwaltungsgericht stellte insbesondere fest wie folgt:
„... Da der Beschwerdeführer an COPD leidet und somit zur Covid 19 Risikogruppe zählt ..., wurde er mit Weisung der Leiterin der Justizanstalt vom 18.03.2020 mit Wirksamkeit ab 20.03.2020 von seiner dienstlichen Anwesenheit entbunden. In der Folge wurde die Vorplanung für den Monat März 2020 (diesbezügliche Mitteilung an den Beschwerdeführer u.a. mit E Mail vom 26.03.2020) dahingehend geändert und wurde die Vorplanung für den Monat April 2020 (diesbezügliche Mitteilung an den Beschwerdeführer mit E Mail vom 26.03.2020) dementsprechend vorgenommen, dass dem Beschwerdeführer insgesamt zunächst der Verbrauch von Erholungsurlaub (aus dem Jahr 2019) für den Zeitraum vom 20.03. bis 29.04.2020 und der Abbau von Zeitguthaben für den 30.04.2020 angeordnet wurden. In der in weiterer Folge ergangenen Vorplanung für den Monat Mai 2020 (diesbezügliche Mitteilung an den Beschwerdeführer mit E Mail vom 27.04.2020) wurde dem Beschwerdeführer der Abbau von Zeitguthaben für die Tage 02.05., 04.05. und 05.05.2020 angeordnet.
...
In Umsetzung dieses Bescheides erfolgten Änderungen im DPSA System, wonach nunmehr ein Urlaubsverbrauch für den Zeitraum vom 20.03. bis 05.04.2020, der Abbau von Zeitguthaben für die Tage 30.04., 02.05., 04.05. und 05.05.2020 und die Dienstfreistellung des Beschwerdeführers für die restlichen Zeiträume vom 06.04. bis 29.04.2020 und vom 06.05. bis 26.05.2020 hinterlegt wurden.
...“
9 Das Bundesverwaltungsgericht führte zusammengefasst aus, nach § 68 Abs. 1 BeamtenDienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) sei die kalendermäßige Festlegung des Erholungsurlaubes unter Berücksichtigung der dienstlichen Interessen vorzunehmen, wobei auf die persönlichen Verhältnisse des Beamten angemessen Rücksicht zu nehmen sei. § 68 Abs. 1a BDG 1979 idF BGBl. I Nr. 16/2020 mit der Möglichkeit der Anordnung zum Urlaubsverbrauch im Ausmaß von maximal zwei Wochen sei, weil sich diese Bestimmung gemäß den Gesetzesmaterialien (IA 397/A 27. GP) nicht auf Schlüsselkräfte (wie Bedienstete in Justizanstalten) beziehe, vorliegend nicht anzuwenden gewesen.
10 Da die nachträgliche Beurteilung durch die Dienstbehörde einer Dienstabwesenheit als Erholungsurlaub nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur mit unmissverständlicher Zustimmung des Beamten zulässig sei (von der im vorliegenden Fall nicht auszugehen sei), sei die Beurteilung des Zeitraums vom 20. bis 26. März 2020 als Erholungsurlaub in rechtswidriger Weise erfolgt. Mit näherer Begründung bejahte das Bundesverwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der (im Vorhinein erfolgten) Anordnung von Erholungsurlaub durch die belangte Behörde für den Zeitraum vom 27. März bis 5. April 2020 aufgrund des Vorliegens eines „dienstlichen Interesses“, das das persönliche Interesse des Revisionswerbers am Nichtverbrauch von Erholungsurlaub in diesem Zeitraum überwiege.
11Die Anordnung zum Abbau von Zeitguthaben für die Tage 30. April sowie 2., 4. und 5. Mai 2020 sei zu Unrecht erfolgt, weil aufgrund des konkreten Wortlauts des § 82b GehG iVm. den dahin gehenden Erläuterungen und der dazu ergangenen Judikatur eine einseitige Anordnung des Abbaus von Zeitguthaben nicht möglich sei.
12 Die Anordnung der Dienstfreistellung für die Zeiträume von 6. bis 29. April 2020 und von 6. bis 26. Mai 2020 sei zu Recht erfolgt: Der Behörde (der Leiterin der Justizanstalt) sei nicht entgegenzutreten, wenn sie vor dem Hintergrund ihrer Fürsorgepflicht aufgrund der vorliegenden COPD Erkrankung und des zu diesem Zeitpunkt erfolgten Ausbruchs der COVID 19 Pandemie in Österreich unter Angabe der konkreten Gründe den Revisionswerber, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein subjektives Recht auf tatsächliche Erbringung der ihm an seinem Arbeitsplatz zugewiesenen Aufgaben zukomme, vom Dienst freigestellt habe.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision mit dem Antrag, die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuverweisen, in eventu der Revision Folge zu geben, die angefochtene Entscheidung zur Gänze aufzuheben, in der Sache selbst zu entscheiden und festzustellen, dass die Anordnung des Verbrauches von Erholungsurlaub (aus dem Jahr 2019) für den Zeitraum vom 20. März bis 29. April 2020 gegenüber dem Antragsteller nicht zu Recht erfolgt sei.
14 Im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
15 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision unter anderem vor, die belangte Behörde und das Bundesverwaltungsgericht hätten es verabsäumt, über den von ihm gestellten Antrag vollständig abzusprechen.
16 Bereits mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.
17 Der Revisionswerber wandte sich in seinem Schreiben vom 2. April 2020, ergänzt durch seine Stellungnahme vom 29. April 2020, erkennbar gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Verbrauches von Erholungsurlaub und des Abbaus von Zeitguthaben durch die belangte Behörde und gab an, „auch eine Dienstfreistellung nicht in Anspruch“ zu nehmen. Erkennbar zu diesen Sachverhalten begehrte er die Erlassung eines (Feststellungs )Bescheides.
18 Die belangte Behörde sprach im bekämpften Bescheid aus, dass seine „dienstliche Abwesenheit in der Zeit ab 20.03.2020 bis einschließlich 26.05.2020 gerechtfertigt“ gewesen sei (und entschied damit jedenfalls über eine andere Sache als jene, die sich erkennbar aus dem Feststellungsantrag des Revisionswerbers ergab).
19 Das Bundesverwaltungsgericht wiederum sprach über die Rechtmäßigkeit bzw. Unrechtmäßigkeit der Dienstfreistellung sowie der Anordnungen des Verbrauches von Erholungsurlaub und des Abbaus von Zeitguthaben ab.
20„Sache“ des Beschwerdeverfahrens ist grundsätzlich die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0028, mwN; vgl. auch VwGH 2.7.2018, Ro 2017/12/0011, mwN).
21Vorliegend sprach die Behörde im Bescheid vom 5. Februar 2021 nach seinem eindeutigen und insofern keiner anderen Deutung zugänglichen Spruchinhalt darüber ab, ob die dienstliche Abwesenheit des Revisionswerbers gerechtfertigt war. Das Bundesverwaltungsgericht hat aus Anlass der Beschwerde allerdings Aussprüche über die Rechtmäßigkeit bzw. Unrechtmäßigkeit der Dienstfreistellung sowie der Anordnungen des Verbrauches von Erholungsurlaub und des Abbaus von Zeitguthaben getätigt. Indem das Bundesverwaltungsgericht damit über einen Gegenstand entschieden hat, über den der vor ihm bekämpfte Bescheid nicht abgesprochen hatte, überschritt es die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens und nahm eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihm nicht zukam (vgl. etwa VwGH 10.6.2021, Ra 2021/12/0011, mwN).
22 Im fortgesetzten Verfahren wird zu beachten sein, dass der vom Revisionswerber gestellte, verfahrenseinleitende Antrag unklar ist. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich auch als mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet, weil das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der Behörde vom 5. Februar 2021 nicht aufgehoben und der Behörde nicht aufgetragen hat, den Revisionswerber zur Präzisierung seines Antrags aufzufordern (vgl. VwGH 19.2.1997, 95/21/0515; 15.5.2013, 2011/08/0012).
23Indem das Bundesverwaltungsgericht die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens überschritt, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit durch den Verwaltungsgerichtshof aus Anlass der zulässigen Revision vorrangig wahrzunehmender Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts. Das Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.
24Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 4. November 2024