Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie Hofrätin Mag. a Nussbaumer Hinterauer und Hofrat Mag. Cede als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der M K in V, vertreten durch die Holzer Kofler Mikosch Kasper Rechtsanwälte OG in 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 51/DG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2022, W111 2252256 1/3E, betreffend Feststellung unberechtigter Abwesenheit vom Dienst und Entfall der Bezüge (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.
2 Auf Antrag der Revisionswerberin vom 27. Oktober 2021 stellte der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 12. Jänner 2022 fest, die Abwesenheit der Revisionswerberin im Zeitraum 29. März bis 8. April 2021 und 19. Mai bis 27. Juni 2021 gelte gemäß § 51 Abs. 2 Beamten Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) als ungerechtfertigt, weil sie der Aufforderung zum Dienstantritt am 29. März 2021 sowie der Weisung zur amtsärztlichen Untersuchung zum Termin am 19. Mai 2021 nicht nachgekommen sei. Folglich trete für die genannten Zeiträume gemäß § 12c Abs. 1 Z 2 Gehaltsgesetz 1956 (GehG) der Entfall der Bezüge ein.
3 Begründend führte die belangte Behörde aus, der polizeiliche Amtsarzt habe am 16. März 2021 die Arbeitsfähigkeit der Revisionswerberin festgestellt, woraufhin sie mit durch Hinterlegung zugestelltem Schreiben zum Dienstantritt am 29. März 2021 aufgefordert worden sei. Dieser Aufforderung sei sie jedoch nicht nachgekommen. In der Folge seien von 29. bis 31. März 2021 insgesamt fünf „Krankenstandskontrollen“ erfolgt, in deren Zuge eine Ladung zum polizeiärztlichen Dienst zum Termin am 31. März 2021 persönlich zugestellt werden sollte; die Revisionswerberin sei jedoch nicht zu Hause angetroffen worden. Aus dem Bericht des Vorgesetzten der Revisionswerberin gehe hervor, dass ihr unmittelbarer Nachbar ihre Anwesenheit bestätigt habe. Das Vorbringen der Revisionswerberin, die im Briefkasten hinterlegte Weisung nicht vorgefunden zu haben, sei so die belangte Behörde - somit unschlüssig. Dass der Briefkasten regelmäßig von ihrer Mutter geleert werde, stelle zudem keinen Entschuldigungsgrund dar. Aufgrund der verweigerten Mitwirkung der Revisionswerberin an einer ärztlichen Untersuchung sei sie daher bis zum Vortag ihres Dienstantrittes am 9. April 2021 ungerechtfertigt abwesend gewesen. Weiters sei die Revisionswerberin vom 19. Mai bis zum Vortag ihres Dienstantrittes am 28. Juni 2021 ungerechtfertigt abwesend gewesen, weil sie eine Weisung zu einer amtsärztlichen Untersuchung zum Termin am 19. Mai 2021 nicht befolgt habe. Die betreffende Ladung sei ihr durch Hinterlegung am 11. Mai 2021 zugestellt worden. Aufgrund der genannten Abwesenheiten vom Dienst seien die Bezüge gemäß § 12c Abs. 1 Z 2 GehG einzustellen gewesen.
4 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie im Wesentlichen vorbrachte, die Ladungen seien ihr teilweise verspätet übergeben worden und teilweise habe sie von den Zustellungen überhaupt keine Kenntnis erlangt. Dass die Revisionswerberin von allfälligen „Krankenstandskontrollen“ keine Kenntnis erlangt habe, könne auch ihre Mutter bestätigen. Ungeachtet dessen habe die belangte Behörde entsprechende Einvernahmen unterlassen. Darin hätte die Revisionswerberin darlegen können, dass es in der Vergangenheit bereits öfter vorgekommen sei, dass sie Briefe nicht erhalten habe, weil sie vom Postbeamten teilweise nicht in die dafür vorgesehenen Briefkästen eingelegt, sondern in die für sämtliche Bewohner zur Verfügung gestellte Brieffachanlage abgelegt worden seien. Aus den amtsärztlichen Stellungnahmen ergebe sich nicht, dass die Revisionswerberin als dienstfähig befunden worden wäre. Die Revisionswerberin dürfe daher auf die Richtigkeit der von ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zweier Privatärzte vertrauen, zumal begründete Zweifel an deren Sachkunde nicht dargetan worden seien. Somit sei die Revisionswerberin ordnungsgemäß krankgemeldet gewesen, habe ihre Mitwirkung an ärztlichen Untersuchungen nie verweigert und daher für die gesamte Dauer ihrer Abwesenheit einen Entschuldigungsgrund gehabt. Unter einem beantragte die Revisionswerberin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig.
6 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung im Wesentlichen die bereits von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen zugrunde.
7 Beweiswürdigend führte es aus, die Feststellungen zur Zustellung der genannten Schreiben der belangten Behörde ergäben sich aus den im Akt befindlichen Zustellnachweisen bzw. den darin enthaltenen Lichtbildern, die die tatsächlich erfolgten Zustellungen zweifelsfrei dokumentierten. Vor diesem Hintergrund könnten die Ausführungen der Revisionswerberin, sie habe die Aufforderung zum Dienstantritt bzw. die Ladungen zur Untersuchung beim polizeiärztlichen Dienst nicht erhalten, nicht nachvollzogen werden. Dass die belangte Behörde fünf „Krankenstandskontrollen“ durchgeführt und die Revisionswerberin trotz Ortsanwesenheit ihre Mitwirkung verweigert habe, ergebe sich aus den im Verwaltungsakt befindlichen Schreiben des Vorgesetzten der Revisionswerberin, aus denen hervorgehe, dass ein Nachbar die Anwesenheit der Revisionswerberin bzw. ihrer Mutter bestätigt habe sowie aus den Ausführungen der Revisionswerberin selbst in ihrer Beschwerde, wonach sie im gesamten ersten Halbjahr 2021 nicht ortsabwesend gewesen sei. Dass die Revisionswerberin nichts von den „Krankenstandskontrollen“ mitbekommen habe, sei angesichts der Aussagen ihres Vorgesetzten im erwähnten Schreiben, wonach er mehrmals lange geklingelt und geklopft habe, nicht glaubhaft.
8 In rechtlicher Hinsicht hielt das Verwaltungsgericht fest, die belangte Behörde habe der Revisionswerberin nachweislich das Vorliegen ihrer Dienstfähigkeit mitgeteilt und sie zum Dienstantritt am 29. März 2021 aufgefordert. Dadurch habe sie nicht mehr auf die ärztliche Bescheinigung ihres behandelnden Arztes vertrauen dürfen, wodurch die gerechtfertigte Dienstverhinderung geendet habe und die Auszahlung der Bezüge jedenfalls im Zeitraum 29. März bis zum Dienstantritt am 9. April 2021 gemäß § 12c Abs. 1 Z 2 GehG einzustellen gewesen sei. Auch zur Ladung der Revisionswerberin zu einer Untersuchung beim polizeiärztlichen Dienst am 19. Mai 2021 sei die belangte Behörde aufgrund ihrer Zweifel an der Dienstunfähigkeit der Revisionswerberin berechtigt gewesen. Da die Revisionswerberin ihrer zumutbaren Mitwirkungspflicht an der ärztlichen Untersuchung nicht nachgekommen sei, sei der Entfall der Bezüge gemäß § 12c Abs. 1 Z 2 GehG auch für den Zeitraum 19. Mai bis 27. Juni 2021 zu Recht erfolgt.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der zur Zulässigkeit ua. vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht habe trotz eines Antrages von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen und die namhaft gemachten Zeugen nicht gehört. Insbesondere die herangezogenen Lichtbilder und Erklärungen des Vorgesetzten der Revisionswerberin, wonach dieser mehrfach lange geklingelt und geklopft habe, seien im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgekommen. Da die Aussagen der Revisionswerberin im diametralen Widerspruch dazu stünden, wäre die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen.
10 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragte, die Revision zurück bzw. abzuweisen sowie ihr die Kosten des Revisionsverfahrens zuzuerkennen.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Schon mit dem Zulässigkeitsvorbringen betreffend die Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird die Zulässigkeit der Revision aufgezeigt. Sie ist auch berechtigt.
13 Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen durchzuführen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher jedenfalls dann durchzuführen, wenn es sich um „civil rights“ oder um „strafrechtliche Anklagen“ im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 29.7.2021, Ra 2021/12/0021, mwN).
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei einem strittigen Entfall von Bezügen um „civil rights“ im Verständnis des Art. 6 EMRK (vgl. VwGH 10.12.2018, Ra 2018/12/0048, mwN).
15 Das Verwaltungsgericht begründete das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung unter Heranziehung des § 24 Abs. 4 VwGVG damit, dass sich im vorliegenden Fall der Sachverhalt aus den Akten ergebe und es sich auch um keine übermäßig komplexe Rechtsfrage handle.
16 Diese Annahme ist schon deshalb verfehlt, weil der Sachverhalt insoweit strittig war, als die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde zur Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Bescheides vorbrachte, sie habe von den Zustellungen betreffend die Weisung zum Dienstantritt und die Ladung zur polizeiärztlichen Untersuchung keine Kenntnis erlangt, und dies damit begründete, es sei in der Vergangenheit bereits öfter vorgekommen, dass sie Briefe nicht erhalten habe, weil Zustellungen vom Postbeamten nicht in die dafür vorgesehenen Briefkästen eingelegt worden seien. Im Hinblick auf die durchgeführten „Krankenstandskontrollen“ gab sie in der Beschwerde an, von diesen nichts mitbekommen zu haben. In diesem Zusammenhang bot sie auch die Aussage ihrer Mutter als Zeugin an.
17 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehört es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen. Das Verwaltungsgericht hat, wenn es eine zusätzliche, die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzende Beweiswürdigung vornimmt, eine solche ergänzende Beweiswürdigung regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung durchzuführen (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/08/0073, mwN).
18 Im vorliegenden Fall nahm das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung Bezug auf das Beschwerdevorbringen der Revisionswerberin und erachtete ihre Aussagen als nicht nachvollziehbar bzw. nicht glaubhaft, ohne sich zuvor einen persönlichen Eindruck von ihr zu verschaffen. Wenn das Verwaltungsgericht zudem Lichtbilder als Beweismittel heranzieht, die im verwaltungsbehördlichen Bescheid noch nicht erwähnt wurden, nimmt es eine nicht bloß unwesentliche ergänzende Beweiswürdigung vor, die zuvor die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfordert hätte.
19 Die Revisionswerberin beantragte in ihrer Beschwerde auch ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Die nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR zulässigen Ausnahmen von der Verhandlungspflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK für nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen oder hochtechnische Fragen greifen daher entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht Platz (vgl. auch erneut VwGH 10.12.2018, Ra 2018/12/0048, mwN).
20 Im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK (oder des Art. 47 GRC) führt ein Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die Verhandlungspflicht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits ohne nähere Prüfung einer Relevanz dieses Verfahrensmangels zur Aufhebung des Erkenntnisses (vgl. VwGH 17.11.2021, Ra 2021/12/0042, mwN).
21 Soweit in der Revision ein Abweichen bzw. das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf die behauptete Unzulässigkeit der Erlassung eines (nachträglichen) Feststellungsbescheides bei einem bereits erfolgten Entfall der Bezüge geltend gemacht wird, ist der Revisionswerberin zu entgegnen, dass der in § 12c Abs. 1 Z 2 GehG angeordnete Entfall der Bezüge kraft Gesetzes und nicht etwa infolge einer rechtsgestaltenden Wirkung eines darauf gerichteten Bescheides eintritt (siehe auch VwGH 9.4.2003, AW 2003/12/0006; 29.10.2013, AW 2013/12/0007). Dass auch über Begründungselemente spruchmäßig entschieden wurde, schadet vorliegendenfalls nicht (vgl. VwGH 4.9.2012, 2012/12/0032). Vor diesem Hintergrund vermag die Revisionswerberin nicht aufzuzeigen, inwiefern die auf ihren Antrag erfolgte Erlassung des Feststellungsbescheides der belangten Behörde im vorliegenden Fall unzulässig gewesen wäre.
22 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits mangels Vorliegen der Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
23 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. September 2023