Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Posch sowie die Hofräte Mag. Stickler und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des T D, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2024, W262 2282713 1/6E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Mistelbach), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Mit Bescheid vom 15. September 2023 sprach die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) aus, dass der Revisionswerber gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für den Zeitraum 28. August 2023 bis 8. Oktober 2023 seinen Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab. Der Revisionswerber sei aufgefordert worden, sich für eine näher genannte Beschäftigung per E Mail zu bewerben. Er habe keine Bewerbung an die „korrekte E Mail Adresse“ übermittelt.
2 Der Revisionswerber stellt einen Vorlageantrag. Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte im Beschwerdeverfahren vor, er habe wie vom AMS verlangt eine Bewerbung per E Mail abgeschickt. Bei Eingabe der E Mail Adresse des potentiellen Dienstgebers sei ihm jedoch ein Schreibfehler („Buchstabendreher“) unterlaufen. Er habe dies nicht erkannt, weil er nach Absenden des E Mails keine Fehlermeldung erhalten habe. Es sei ein bloßes Versehen vorgelegen.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei vom AMS aufgefordert worden, sich für eine näher bezeichnete Beschäftigung beim potentiellen Dienstgeber unter Verwendung einer im Stellenangebot angegebenen E Mail Adresse zu bewerben. Der Revisionswerber habe die Bewerbung an eine falsche E Mail Adresse abgeschickt, sodass diese dem Dienstgeber nicht zugegangen sei. Dies sei zumindest mitursächlich dafür geworden, dass die Beschäftigung nicht zustande gekommen sei.
5Aus den Umständen schloss das Bundesverwaltungsgericht, dass der Revisionswerber das Unterbleiben des Zugangs der Bewerbung an den Dienstgeber und damit das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zumindest billigend in Kauf genommen habe. In rechtlicher Hinsicht erachtete es daher den Tatbestand der Vereitelung des Zustandekommens einer zumutbaren Beschäftigung nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG als erfüllt an.
6 Die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung gründete das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt hinreichend geklärt gewesen sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
8Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9Die Revision macht unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei von der (näher dargestellten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es trotz des gegenteiligen Antrages des Revisionswerbers von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe. Eine Vereitelung nach § 10 Abs. 1 AlVG setze ein vorsätzliches Handeln voraus. Hinsichtlich der insoweit maßgeblichen Umstände sei der Sachverhalt strittig gewesen.
10 Die Revision ist aus dem dargelegten Grund zulässig und berechtigt.
11Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
12Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um „civil rights“ im Sinn des Art. 6 EMRK. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehört es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer - bei der Geltendmachung von „civil rights“ in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden - mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa VwGH 19.2.2025, Ra 2024/08/0041, mwN).
13Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinn des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. aus der ständigen Judikatur etwa VwGH 17.3.2023, Ra 2022/08/0071, mwN).
14 Die Beurteilung, ob im Sinn dieser Rechtsprechung dem Revisionswerber hinsichtlich des Unterbleibens der Übermittlung der Bewerbung an den potentiellen Dienstgeber bedingter Vorsatz oder bloß fahrlässiges Verhalten zur Last zu legen war, bedurfte im vorliegenden Fall einer Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Umständen, die dazu geführt haben, dass die Bewerbung nicht an die im Stellenangebot angegebene E MailAdresse des potentiellen Dienstgebers übermittelt worden ist. Dazu war eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dem Verhalten des Revisionswerbers erforderlich. Die Revision ist daher damit im Recht, dass die genannten Voraussetzungen des Entfalls der mündlichen Verhandlung nach § 24 Abs. 4 VwGVG nicht vorlagen.
15Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
16Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 7. Oktober 2025