JudikaturVwGH

2601/77 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. September 1978

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Raschauer und die Hofräte Dr. Reichel, Dr. Salcher, Dr. Närr und Dr. Herberth als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Gaismayer, über die Beschwerde des J M in N, vertreten durch Dr. Anna Jahn und Dr. Rolf Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, Mütterstraße 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom 12. Oktober 1977, Zl. 4279 1/1977, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Finanzamt Feldkirch bescheinigte auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers vom 1. August 1976 den Anspruch auf Familienbeihilfe auch für dessen Tochter Ruth M., geboren am 1. Juli 1959, für die Zeit vom 1. August 1976 bis 31. Juli 1977. Mit Bescheid vom 7. September 1977 stellte diese Behörde fest, daß der Beschwerdeführer als Anspruchsberechtigter Familienbeihilfe für das Kind Ruth für die Zeit vom 1. Juli 1977 bis 31. Juli 1977 im Betrage von S 540, zu Unrecht bezogen und diesen Betrag gemäß § 26 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, zurückzuzahlen habe, da für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und selbst Einkünfte gemäß § 2 Abs. 3 Einkommensteuergesetz in einem S 1.000, monatlich übersteigenden Betrag beziehen, kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe. Die Tochter Ruth habe mit Ablauf des 30. Juni 1977 das 18. Lebensjahr vollendet.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung und wendete ein, seine Tochter Ruth sei nicht im Monat Juni, sondern im Monat Juli geboren und habe daher ihr 18. Lebensjahr erst am 1. Juli 1977 (24.00 Uhr) vollendet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. In der Begründung ihrer Entscheidung führte sie aus, strittig sei nur, wann die Tochter des Beschwerdeführers Ruth das 18. Lebensjahr vollendet habe. Dies sei nach den Bestimmungen der §§ 902 und 903 ABGB zu ermitteln. Danach sei ein bestimmtes Lebensalter am Geburtstag mit dessen Tagesbeginn, der mit dem Ablauf des dem Geburtstag unmittelbar vorangehenden Tages zusammenfalle, zurückgelegt. Die am 1. Juli 1959 geborene Tochter Ruth habe demnach am 30. Juni 1977 das 18. Lebensjahr vollendet. Gemäß § 10 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 erlösche der Anspruch auf Familienbeihilfe mit dem Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfalle oder ein Ausschließungsgrund hinzukomme. Die Rückforderung der Familienbeihilfe für die Tochter Ruth für den Monat Juli 1977 sei daher zu Recht erfolgt.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, gemäß § 5 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 falle der Anspruch auf Bezug der Familienbeihilfe für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, bei Vorliegen weiterer im Gesetz normierter Voraussetzungen weg. Das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 enthalte keine Regelung darüber, wann ein Lebensjahr vollendet sei, weshalb die Auslegungsregeln der §§ 902 und 903 ABGB heranzuziehen seien. Die nach Lebensjahren zu berechnende Frist beginne im Beschwerdefall am 1. Juli 1959 und ende daher am 1. Juli 1977. Der Wegfall der Bezugsberechtigung für die Familienbeihilfe sei ein Rechtsverlust, dessen Folge gemäß § 903 ABGB erst mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist eintrete. Richtig sei zwar, daß ein bestimmtes Lebensalter am Tage des betreffenden Geburtstages mit Tagesbeginn zurückgelegt sei, doch sei dieser nicht mit dem Ablauf des dem Geburtstag unmittelbar vorangehenden Tages gleichzusetzen. Der Beginn eines Tages sei bereits dem neuen Tag zuzurechnen und nicht dem Vortag. Wäre die Rechtsauffassung der belangten Behörde richtig, so wäre die Bestimmung des § 903 ABGB, der regle, daß der Rechtserwerb am Beginn und der Rechtsverlust am Ende des letzten Tages der Frist eintrete, überflüssig. Die Anspruchsvoraussetzung zum Bezug der Familienbeihilfe für Ruth M. sei daher erst am 1. Juli 1977 weggefallen, weshalb der Beschwerdeführer noch zum Bezug der Familienbeihilfe für Juli 1977 berechtigt gewesen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde und über die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift erwogen:

Strittig ist die Frage, wann ein Kind das 18. Lebensjahr im Sinne des § 5 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, „vollendet“ hat. Im § 2 lit. a der Bundesabgabenordnung wird zwar angeordnet, daß die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auch auf das Verfahren der Abgabenbehörden des Bundes über Zuerkennung und Rückforderung von bundesgesetzlich geregelten Beihilfen aller Art sinngemäß anzuwenden sind, soweit die Beihilfengesetze keine andere Regelung vorsehen, doch handelt es sich bei der im Beschwerdefall zu entscheidenden Frage um eine solche des materillen Rechts, sodaß die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der Bundesabgabenordnung über die Fristenberechnung hier nicht anzuwenden sind.

Soweit nicht Sonderbestimmungen bestehen, gelten die Vorschriften des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches über die Berechnung der materiellrechtlichen Fristen auch für das öffentliche Recht (siehe Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1920, VfGHSlg. Nr. 65, sowie die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Oktober 1959, Slg. Nr. 5079/A, und vom 14. März 1962, Slg. Nr. 5746/A). Da solche Sondervorschriften zur Berechnung der Fristen des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, in der für den Beschwerdefall geltenden Fassung (FLAG), nicht bestehen, sind somit die Normen der §§ 902 und 903 ABGB heranzuziehen.

Das Ende einer nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmten Frist fällt auf denjenigen Tag der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach seiner Benennung oder Zahl dem Tag des Ereignisses entspricht, mit dem der Lauf der Frist beginnt, wenn aber dieser Tag in dem letzten Monat fehlt, auf den letzten Tag dieses Monats (§ 902 Abs. 2 ABGB). Diese Bestimmung enthält einen: im österreichischen Recht ganz allgemein für Fristen aufgestellten Grundsatz (vgl. § 32 Abs. 2 AVG 1950, § 108 Abs. 2 BAO, § 125 Abs. 2 ZPO und § 6 StPO Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Oktober 1968, Slg. Nr. 5814): Betrachtet man diese Regelungen der Fristenberechnung, gemeinsam, so erweist sich, daß der Gesetzgeber alle gesetzlichen Fristen ohne Unterschied nach gleichen Grundsätzen berechnet wissen will, weshalb auch zur Ermittlung des Endes einer materiellrechtlichen Frist des öffentlichen Rechts bezüglich des Fristendes zu unterscheiden ist, ob der Fristablauf mit dem Erwerb oder dem Verlust eines Rechtes verknüpft ist; je nachdem ist der Beginn (0.00 Uhr) oder das Ende (24.00 Uhr) des letzten Tages der Frist maßgebend. Dies ergibt sich aus den Bestimmungen des ersten und zweiten Satzes des § 903 ABGB nach herrschender Lehre und Rechtsprechung (Gschnitzer in Klang, Kommentar zum ABGB, 2. Auflage, IV/1, S. 347; Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vom 2. Dezember 1958, SSt. 29/87, und vom 29. Februar 1972, SSt. 43/7). Der Verwaltungsgerichtshof ist in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung gleichfalls der Auffassung, daß bei der Beurteilung der Frage, wann jemand ein bestimmtes Lebensalter erreicht oder ein bestimmtes Lebensjahr vollendet hat, der Geburtstag, das ist der Tag, der nach seiner Benennung jenem entspricht, an dem eine physische Person geboren wurde, als jener Tag anzusehen ist, an dem ein Lebensjahr erst vollendet wird. Hiebei kommt es für die Bestimmung des Ablaufes einer durch das Lebensälter bestimmten Frist darauf an, ob mit dem Geburtstag der Erwerb oder der Verlust eines Rechtes verknüpft ist.

Der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht, die sich auf Ehrenzweig, System des bürgerlichen Rechts, 2. Auflage, I/1, S. 294, und Gebetsroiter/Grüner, Das Pensionsgesetz, 2. Auflage, S. 1199 f, Anm. 20, stützt, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht beizutreten. Die von Ehrenzweig behauptete allgemeine Meinung, wonach jedermann einen Geburtstag als ersten Tag des neuen und nicht als letzten Tag des vorigen Lebensjahres betrachte, kann nicht als Rechtsquelle anerkannt werden. Sie ist nicht als Gewohnheitsrecht zu qualifizieren falls man die Geltung von Gewohnheitsrecht bejaht , weil sich Gewohnheitsrecht nicht im Gegensatz zur ständigen Rechtsprechung der Gerichte hier also der zitierten Judikatur des Obersten Gerichtshofeshalten kann. Daß die Regeln, die § 902 ABGB aufstellt, nicht zwingender Natur sind, bedeutet aber auch, entgegen der von Gschnitzer (a.a.O., S. 342) vertretenen Lehrmeinung, nicht daß sie einem abweichenden Ortsgebrauch weichen müßten. Der im § 902 Abs. 1 ABGB enthaltene Vorbehalt anderer Festsetzung ist nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes dahin zu verstehen, daß eine abweichende Regelung durch die Parteien in Form einer Vereinbarung festgesetzt werden kann. Dies kann sich zwar auch aus einem mit der gesetzlichen Regelung unvereinbaren Zweck des Vertrages schlüssig ergeben, nicht aber aus einem „Ortsgebrauch“, weil nach der Bestimmung des § 10 ABGB auf Gewohnheiten nur in den Fällen Rücksicht genommen werden darf, in welchen sich ein Gesetz darauf beruft. Ein Ortsgebrauch oder eine Gewohnheit kann daher nicht als eine „Festsetzung“ im Sinne des § 902 ABGB verstanden werden.

Die von Gebetsroiter/Grüner, a.a.O., S. 1200 f, zitierte deutsche Lehre und Rechtsprechung zu dieser Frage ist für den österreichischen Rechtsbereich deshalb nicht verwertbar, weil hier eine dem § 187 Abs. 2 letzter Satz BGB entsprechende Sonderreglung nicht gilt. Sofern sich Gebetsroiter/Grüner auf Gschnitzer (a.a.O., S. 346 f) berufen, ist diesen Ausführungen entgegenzuhalten, daß dort nur gesagt wird, volljährig werde jemand mit dem zurückgelegten 21. Lebensjahrer habe es „zurückgelegt nach: 902 Abs. 2 ABGB am Tage des 21. Geburtsfestes, und zwar nach § 903 erster Satz ABGB mit dem Beginn dieses Tages“. Diese Aussage bezieht sich nur auf die Erreichung der Volljährigkeit, also die Erlangung voller Rechtsfähigkeit, nicht aber auf den Verlust eines Rechtes, die mit der Erreichung eines bestimmten Lebensalters verknüpft ist, da in einem solchen Fall nicht § 903 erster Satz ABGB, sondern der zweite Satz dieser Bestimmung anzuwenden ist, der sich auf den Rechtsverlust bezieht.

Hiezu ist allerdings zu bedenken, daß jedem Rechtsverlust auf der einen Seite, auf der anderen Seite ein Rechtsgewinn gegenübersteht. Bei Beantwortung der Frage, ob in einem konkreten Fall der Rechtsverlust oder der Rechtsgewinn das Durchschlagende ist, muß man eine gegenseitige Abwägung des Wertes der beiderseitigen Rechte anstellen (siehe Entscheidung des OGH vom 2. Dezember 1958, SSt. 29/87). Werden nun nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 vom Staat zur Herbeiführung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familie Leistungen gewährt, so erscheint der Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 2 dieses Gesetzes als subjektirres öffentliches Recht des aus dem Gesetz unmittelbar Begünstigten so stark, daß demgegenüber das Recht des Staates auf Nichtleistung zurücktritt.

Ausgehend von diesen Erwägungen hat demnach die am 1. Juli 1959 geborene Ruth M. am 1. Juli 1977 das 18. Lebensjahr erst um 24.00 Uhr dieses Tages vollendet.

Dem Beschwerdeführer stand daher der Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 2 FLAG auch noch für Juli 1977 zu, da der Anspruch erst mit Ablauf des Monats erlischt, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt (§ 10 Abs. 2 FLAG). Der Anspruchsverlust wegen Vollendung des 18. Lebensjahres gemäß § 5 Abs. 1 FLAG ist nach der dargestellten Rechtslage aber erst im Juli 1977 eingetreten.

Der angefochtene Bescheid steht sohin mit der Rechtslage nicht im Einklang, weekalb4r gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Ein Kostenausspruch entfällt, da die vor dem Verwaltungsgerichtshof obsiegende Partei keinen Kostenersatzanspruch gemäß § 47 Abs. 1 VwGG 1965 geltend gemacht hat.

Wien, 29. September 1978