JudikaturVwGH

Ra 2015/21/0101 9 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz

Rechtssatz
12. November 2015

Zur Prüfung der inhaltlichen Berechtigung des Antrags des Fremden auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 ist - ebenso wie bei der amtswegigen Prüfung - eine Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 vorzunehmen. Bei einer solchen Interessenabwägung ist auch ein Vorbringen zu berücksichtigen, es werde eine durch die Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Fremden, insbesondere die deutliche Verschlimmerung psychischer Probleme, eintreten (vgl. E 11. Oktober 2005, 2002/21/0132; E 28. März 2006, 2004/21/0191; zur gebotenen Bedachtnahme auf die durch eine Trennung von Familienangehörigen bewirkten gesundheitlichen Folgen E 21. April 2011, 2011/01/0093). Bei dieser Interessenabwägung ist unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG 2014 (Bindungen zum Heimatstaat) auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr dorthin Bedacht zu nehmen (vgl. E 31. Jänner 2013, 2012/23/0006). Ungeachtet dessen hat sich das VwG überhaupt nicht mit dem ausführlichen Vorbringen zu den Lebensverhältnissen im Kosovo und dem daraus abgeleiteten Fehlen einer Existenzgrundlage für den Fremden als Angehörigen der bosnischen Minderheit bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat und zur befürchteten Retraumatisierung bei einer Abschiebung dorthin auseinandergesetzt. Demzufolge hat es auch nicht erkannt, dass es schon wegen dieses Vorbringens am Maßstab der Rechtsprechung des VwGH (vgl. E 23. Juni 2015, Ra 2014/22/0181; E 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018) der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedurft hätte, weil jedenfalls diesbezüglich nicht von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014, mit dem das VwG die Unterlassung einer Verhandlung begründete, ausgegangen hätte werden dürfen. Außerdem kann die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden und kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 MRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zu (vgl. E 23. Juni 2015, Ra 2014/22/0181). Schon deshalb kann auch die damit verbundene Rückkehrentscheidung keinen Bestand haben, wobei in diesem Verfahrensstadium nicht weiter darauf einzugehen war, ob deren Erlassung § 59 Abs. 5 FrPolG 2005 entgegenstand. Die gemäß § 52 Abs. 9 FrPolG 2005 vorgenommene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Fremden in die Republik Kosovo baut auf der Erlassung der Rückkehrentscheidung rechtlich auf und ist daher schon wegen deren Aufhebung ebenfalls wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben (vgl. E 28. Jänner 2015, Ra 2014/20/0121).

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