Spruch
W242 2238711-3/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HEUMAYR als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX StA. Iran, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2024, Zl. XXXX , zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger Irans, stellte am 21.07.2020 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er eine Verfolgung durch den Ehemann seiner Geliebten sowie wegen seiner Konversion zum Christentum befürchte.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 17.12.2020 wurde der gegenständliche Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Unter einem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Iran zulässig sei sowie eine Frist für seine freiwillige Ausreise bestimmt.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 12.04.2022 (GZ: W254 2238711-1) ab.
Der Verwaltungsgerichtshof wies die eingebrachte Revision mit Beschluss vom 24.08.2022 (GZ: Ra 2022/19/0118-12) zurück.
2. Am 13.12.2022 stellte der BF einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag). Begründend führte er zusammengefasst aus, dass er bezüglich seines Religionswechsels Postings auf Instagram und WhatsApp veröffentlicht hätte sowie seine Familie von seiner Konversion erfahren und deshalb den Kontakt zu ihm abgebrochen hätte. Auch seine Onkel würden von seiner Konversion wissen und ihn umbringen wollen. Auf Grund der jetzigen politischen Situation in Iran habe er Angst vor einer Rückkehr.
Mit Bescheid des BFA vom 13.10.2023 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entscheidender Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 10.11.2023 (GZ: W241 2238711-2) ab.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13.12.2023 (GZ: E 3670/2023-5) wurde die Behandlung der vom BF gegen das Erkenntnis erhobenen Beschwerde abgelehnt.
3. Am 26.01.2024 stellte der BF den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz (2. Folgeantrag).
Am 26.01.2024 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine niederschriftliche Erstbefragung statt. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes gab der BF an, seine Schwester, die in Iran lebe und mit der er keinen Kontakt habe, habe seiner Freundin, welche ebenfalls in Iran lebe, mitgeteilt, dass sie eine Bestätigung des iranischen Regimes erhalten habe, worin stehe, dass er vom Regime gesucht werde. Seine Freundin könne ihm diese Bestätigung per WhatsApp schicken. Aus diesem Grund sei sein Leben in Iran in Gefahr.
Am 01.08.2024 wurde der BF vor dem BFA unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Er brachte im Wesentlichen vor, am 15.01.2024 sei bei ihm zu Hause (in Iran) eine an ihn gerichtete gerichtliche Ladung zugestellt worden. Seine Schwester habe diese Ladung seiner Freundin übermittelt. Darin werde ausgeführt, dass er wegen Fremdgehens bzw. einer außerehelichen Beziehung vor Gericht erscheinen müsse. Der BF legte eine Bestätigung eines "Religionslehrers einer Kirche" vom 30.07.2024, eine Kopie einer Versandbestätigung "Air Waybill" und Chatprotokolle vor.
Mit Bescheid des BFA vom 20.08.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entscheidender Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Im Bescheid wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der BF im gegenständlichen Verfahren keine neuen Fluchtgründe vorgebracht habe. Die vorgebrachten Neuerungen würden ausschließlich auf Behauptungen beruhen. Durch das Bundesverwaltungsgericht sei bereits festgestellt worden, dass der BF im Herkunftsstaat keiner Bedrohung aufgrund einer außerehelichen Beziehung ausgesetzt sei, sowie, dass er nicht aus einer inneren Überzeugung zum Christentum konvertiert sei. Auch hinsichtlich seiner Konversion liege kein neuer Sachverhalt vor. Hinsichtlich der behaupteten Neuerung – einer Gerichtsladung wegen des Führens einer außerehelichen Beziehung – habe der BF keine Nachweise erbracht und diese auch nicht glaubhaft vorgebracht. Auch die Veränderungen im Herkunftsstaat des BF hätten keine Auswirkungen auf die persönliche Situation des BF und im Fall einer Rückkehr würde ihm weder eine Bedrohung oder Verfolgung drohen noch würde er in eine ausweglose Lage geraten.
Gegen diesen Bescheid erhob der BF im Wege seiner RV fristgerecht Beschwerde. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, die Schwester des BF habe seiner Freundin mitgeteilt, dass ihre Eltern im Jänner 2024 eine Ladung vom Gericht für den BF erhalten hätten. Dieser müsse sich vor Gericht wegen Fremdgehens bzw. einer außerehelichen Beziehung verantworten. Der BF werde sohin vom iranischen Staat gesucht und ihm drohe bei einer Rückkehr eine asylrelevante politische bzw. religiöse Verfolgung. Des Weiteren drohe ihm eine individuelle Verfolgung durch Private, konkret durch die Familie des Mannes, mit dessen Frau der BF eine außereheliche Beziehung gehabt habe. Der iranische Staat sei nicht schutzfähig bzw. schutzwillig, weil der Familienclan im iranischen Staat in einflussreichen Positionen vertreten sei, sowie, da vom iranischen Staat selbst Verfolgungshandlungen gegen den BF ausgehen würden. Der BF habe zudem seine religiösen Aktivitäten und seine Glaubensüberzeugung seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung wesentlich intensiviert. Es liege somit eine entscheidungswesentliche Sachverhaltsänderung mit einem glaubhaften Kern vor. Der neue Sachverhalt hätte inhaltlich überprüft werden müssen. Dem BF sei Asyl zu gewähren. Jedenfalls drohe dem BF im Fall einer Rückkehr nach Iran eine Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte. Weiters sei die Integration des BF seit dem letzten rechtskräftigen Erkenntnis entscheidungswesentlich fortgeschritten. Eine Rückkehrentscheidung sei demnach auf Dauer für unzulässig zu erklären und dem BF eine Aufenthaltsberechtigung plus zu erteilen. Es wurde beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen sowie einen namentlich genannten Zeugen einzuvernehmen. Beiliegend wurde ein Schreiben einer Kirche eingebracht.
Die Beschwerde wurde dem BVwG am 06.09.2024 unter Anschluss des Verwaltungsakts vorgelegt. Im Rahmen der Beschwerdevorlage gab das BFA zudem eine Stellungnahme ab, worin hinsichtlich des Beschwerdevorbringens im Wesentlichen auf die Ausführungen im Bescheid verwiesen wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF ist iranischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Araber an. Er spricht Arabisch und Farsi. Seine Identität steht fest.
Der BF wurde in der Stadt XXXX geboren und lebte auch dort. Für einen kurzen Zeitraum lebte er auch in XXXX . Der BF besuchte in Iran zwölf Jahre lang die Schule, maturierte und leistete seinen Militärdienst vollständig ab. Er studierte ein Jahr lang Mechatronik in Malaysia. Zudem absolvierte er eine Ausbildung für die Krankenpflege und arbeitete in einer Klinik. Er war nebenbei auch Besitzer einer Wechselstube.
Der BF ist ledig und hat keine Kinder. In Österreich verfügt der BF über keine Familienangehörigen.
In Iran leben neben weiteren Verwandten die Eltern und die Geschwister des BF.
Der BF leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohenden Krankheiten. Er ist gesund und arbeitsfähig. Er nimmt keine Medikamente ein.
Der BF besuchte zumindest einen Deutschkurs und absolvierte eine Prüfung auf dem Niveau A1. Außerdem verrichtete er zu Beginn seines Aufenthaltes in Österreich ehrenamtlich Hilfstätigkeiten (Reinigung, Baumschneide- sowie Mäharbeiten) für eine Gemeinde. Er besuchte außerdem den Kurs DaZ AsylwerberInnen-Grundversorgung A1 der Kärntner Volkshochschulen. Er bezog bis Anfang 2023 Leistungen aus der Grundversorgung. Danach war er einige Monate in der Gastronomie erwerbstätig.
Der BF besucht ab und zu den Gottesdienst und engagierte sich freiwillig innerhalb der Kirchengemeinde. Er besuchte auch einen Glaubenskurs der Kirche.
Er ist nicht Mitglied in einem Verein und war zuletzt auch nicht ehrenamtlich tätig. Der BF hat ein paar Bekannte bzw. Freunde.
Der BF hält sich seit Juli 2020 im Bundesgebiet auf. Er reiste illegal ein und stellte am 21.07.2020 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid vom 17.12.2020 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde. Ferner wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen. Mit Erkenntnis des BVwG vom 12.04.2022 (GZ: W254 2238711-1) wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF nicht glaubhaft gemacht habe, dass er ernstlich und aus innerem Entschluss zum Christentum konvertiert sei, und dass es sich bei der vorgebrachten Konversion um eine Scheinkonversion handle. Auch sein Vorbringen betreffend eine Liebesbeziehung zu einer verheirateten Frau sei nicht glaubhaft. Der Verwaltungsgerichtshof wies die eingebrachte Revision mit Beschluss vom 24.08.2022 (GZ: Ra 2022/19/0118-12) zurück.
Am 13.12.2022 stellte der BF einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid vom 13.10.2023 bezüglich des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten wegen entscheidender Sache zurückgewiesen wurde. Zudem wurde erneut eine Rückkehrentscheidung erlassen. Mit Erkenntnis des BVwG vom 10.11.2023 (GZ: W241 2238711-2) wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF seinen Antrag auf internationalen Schutz auf die gleichen Fluchtgründe, die er bereits im ersten Verfahren geltend gemacht habe, nämlich eine Gefährdung aufgrund seiner Konversion, gestützt habe. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13.12.2023 (GZ: E 3670/2023-5) wurde die Behandlung der vom BF gegen das Erkenntnis erhobenen Beschwerde abgelehnt.
Am 26.01.2024 stellte der BF den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz (2. Folgeantrag). Begründend führte der BF aus, am 15.01.2024 sei bei ihm zu Hause (in Iran) eine an ihn gerichtete gerichtliche Ladung zugestellt worden. Seine Schwester habe diese Ladung seiner Freundin übermittelt. Darin werde ausgeführt, dass er wegen Fremdgehens bzw. einer außerehelichen Beziehung vor Gericht erscheinen müsse. Zudem habe der BF seine religiösen Aktivitäten und seine Glaubensüberzeugung seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung wesentlich intensiviert.
Durch seine Schilderungen hat der BF kein seit Rechtskraft der Entscheidung über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten dargetan. Dem Vorbringen des BF in seinem Folgeantrag kommt bereits im Kern keine Glaubhaftigkeit zu.
Es ergab sich zwischenzeitlich weder eine entscheidungsmaßgebliche Änderung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat noch in sonstigen in der Person des BF gelegenen Umständen. In Bezug auf die individuelle Lage des BF im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat kann keine sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 26.06.2024, Version 8):
Politische Lage
Letzte Änderung: 26.06.2024
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (FAZ 24.3.2023). Sie kombiniert republikanisch-demokratische Elemente mit einem theokratischen System, wobei die theokratischen Aspekte die republikanischen Prinzipien größtenteils überschatten und untergraben (BS 19.3.2024). Das Kernkonzept der Verfassung ist die "Rechtsgelehrtenherrschaft" (velayat-e faqih). Nach schiitischem Glauben gibt es einen verborgenen Zwölften Imam, den als Erlöser am Jüngsten Gericht von Gott gesandten Muhammad al-Mahdi (BPB 10.1.2020). Gemäß diesem Prinzip soll ein schiitischer Theologe praktisch in Stellvertretung des seit dem Jahr 874 in Verborgenheit weilenden Mahdi agieren und die Geschicke des Gemeinwesens lenken (BAMF 5.2022). Darauf aufbauend schuf Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 ein auf ihn zugeschnittenes Amt, das über allen gewählten Organen steht und somit die republikanischen Verfassungselemente des Präsidenten und des Parlaments neutralisiert: das Amt des "Herrschenden Rechtsgelehrten" (vali-ye faqih), dessen Inhaber auch "Revolutionsführer" (rahbar) genannt wird. Der Revolutionsführer übt quasi stellvertretend für den Zwölften Imam bis zu dessen Rückkehr die Macht aus (BPB 10.1.2020).
Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.3.2024), ist höchste Autorität des Landes, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt den Leiter des Justizwesens sowie des staatlichen Rundfunks und die Mitglieder des Schlichtungsrats (FH 2024). Ihm unterstehen auch die Islamischen Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inkl. der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. In der Hand religiöser Stiftungen und der "Garden" liegen mächtige Wirtschaftsunternehmen, die von der infolge der US-Sanktionen wachsenden Schattenwirtschaft profitieren (ÖB Teheran 11.2021). Die ultimative Macht liegt trotz der in der Islamischen Republik Iran abgehaltenen Wahlen in den Händen des Obersten Führers und den nicht gewählten Institutionen unter seiner Kontrolle. Diese Institutionen, einschließlich der Sicherheitskräfte und der Justiz, spielen eine wichtige Rolle bei der Unterdrückung von abweichenden Meinungen und anderen Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten. Nach den Anti-Regierungs-Protesten unter dem Motto "Frau, Leben, Freiheit", die durch den Tod von Jina Mahsa Amini in Gewahrsam der Sittenpolizei im Jahr 2022 ausgelöst worden waren, haben die iranischen Behörden mit ausgedehnten Maßnahmen durchgegriffen (FH 2024). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Die Revolutionsgarden, die direkt Revolutionsführer Khamenei unterstehen, bleiben selbst ein militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor (AA 30.11.2022).
Entscheidende Gremien sind der vom Volk direkt gewählte Expertenrat sowie der Wächterrat (ÖB Teheran 11.2021). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 14.3.2024). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 11.2021). Er sollte die Arbeit des Revolutionsführers kontrollieren. In der Praxis scheint er die Entscheidungen des Revolutionsführers jedoch nicht herauszufordern (FH 2024). Der Expertenrat wird zwar direkt von der Bevölkerung gewählt, jedoch müssen die Kandidaten zunächst vom Wächterrat bestätigt werden (BS 19.3.2024). Sechs der zwölf Mitglieder des Wächterrats sind vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (ÖB Teheran 11.2021), er überwacht die Übereinstimmung der vom Parlament verabschiedeten Gesetze mit dem islamischen Recht (Scharia) (BS 19.3.2024), ist jedoch noch wesentlich mächtiger (ÖB Teheran 11.2021). Er entscheidet, wer bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen antreten darf (BS 19.3.2024). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2020).
Der Präsident ist nach dem Revolutionsführer der zweithöchste Amtsträger im Staat. Er bildet ein Regierungskabinett, das vom Parlament bestätigt werden muss (FH 2024). Das iranische Regierungssystem ist damit ein semipräsidiales und an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021), der jeweils für zwei hintereinanderfolgende Amtszeiten zur Wahl antreten darf (FH 2024). Der Präsident ist für das tagespolitische Geschäft zuständig und hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik des Landes (BBC 8.10.2022). Seine Macht ist allerdings vergleichsweise beschränkt, vor allem in Sicherheitsfragen (BBC 8.10.2022; vgl. BPB 10.1.2020). Die Befugnisse des gewählten Präsidenten werden durch den Revolutionsführer und andere nicht gewählte Behörden eingeschränkt (FH 2024), wie auch durch das Parlament (BBC 8.10.2022).
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Das Parlament ist die gesetzgebende Institution Irans. Allerdings muss bei Gesetzesvorhaben die Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtstradition beachtet werden. Gesetzesvorschläge kommen von den Ministern oder den Abgeordneten (DW 16.6.2021). Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz kann vom Wächterrat so lange an das Parlament zurückverwiesen werden, bis es seinen Vorstellungen entspricht (DW 16.6.2021; vgl. FH 2024). Der Wächterrat weist oftmals Gesetze zurück, die er als "unislamisch" ansieht (FH 2024). Die Bewerber um einen Parlamentssitz erhalten ihre Unterstützung nicht von Parteien, sondern von klerikalen und wirtschaftlichen Interessengruppen (DW 16.6.2021; vgl. FP 7.3.2024).
[…]
Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (AA 14.3.2024), die der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ebrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen gewonnen hat (Standard 19.6.2021). Der Wettbewerb um die Wählerstimmen war stark manipuliert. Der Wächterrat hatte im Vorfeld die meisten der 600 Präsidentschaftskandidaten - darunter auch 40 Frauen - abgelehnt. Drei der genehmigten Kandidaten zogen ihre Kandidatur wenige Tage vor der Wahl zurück. Die Behörden übten auf die Medien Druck aus, um kritische Berichterstattung über Raisi oder den Wahlvorgang zu verhindern (FH 2024). Nachdem Raisi am 19.5.2024 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam (Standard 20.5.2024), wurden für den 28.6.2024 Neuwahlen angesetzt (Zeit Online 20.5.2024). Der Wächterrat hat unter 80 Bewerbern sechs Kandidaten zur Wahl zugelassen (Tagesschau 9.6.2024). Ausgeschlossen wurden vor allem Bewerber, die als moderat oder reformorientiert gelten (BAMF 10.6.2024), auch wenn mit Massoud Pezeshkian ein Kandidat antreten durfte, der den Reformisten zugerechnet wird (IRINTL 12.6.2024; vgl. Guardian 11.6.2024). Laut Medienberichten hat die iranische Presseaufsichtsbehörde im Vorfeld der vorgezogenen Präsidentschaftswahlen Richtlinien für die Berichterstattung und Veröffentlichung von Medieninhalten zur Wahl erlassen. Es wurde angekündigt, dass sämtliche Inhalte, die darauf abzielen würden, die Wahlbeteiligung negativ zu beeinflussen, sowie jegliche Form der Organisation von Protestversammlungen als kriminell eingestuft würden. Die Richtlinien würden insbesondere auch für soziale Medien gelten (BAMF 10.6.2024).
Am 1.3.2024 fanden zuletzt Parlamentswahlen statt, wobei der Wettbewerb im Wesentlichen zwischen Hardlinern und unauffälligen Konservativen stattfand, die alle ihre Loyalität zu den revolutionären Idealen bekundeten, während einflussreiche Gemäßigte und Konservative der Wahl fernblieben und Reformisten die Wahl als nicht frei und unfair bezeichneten (REU 4.3.2024; vgl. FP 7.3.2024). Der dafür zuständige Wächterrat hatte im Vorfeld massenhaft Kandidaten disqualifiziert (Standard 4.3.2024; vgl. IRINTL 23.1.2024) und die Namen der schlussendlich antretenden Kandidaten wurden weniger als zwei Wochen vor der Wahl bekannt gegeben. Der Wahlkampf dauerte nur zehn Tage, sodass die Wähler wenig Zeit hatten, um die Kandidaten kennenzulernen (NYT 28.2.2024). Aktivisten wie auch Oppositionsgruppen haben im Vorfeld zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen (REU 4.3.2024; vgl. NYT 28.2.2024), was auch zu Verhaftungen geführt hat (Standard 4.3.2024). Die Wahlbeteiligung lag landesweit bei 41 %, was die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Parlamentswahl seit 1979 darstellt (2020 lag die Wahlbeteiligung bei 42,5 %, 2016 bei rund 62 %) (REU 4.3.2024). Die Wahlbeteiligung wird sowohl von Anhängern als auch Kritikern der Regierung als Gradmesser für die Legitimität des Regimes angesehen (NYT 28.2.2024).
Am 1.3.2024 wurde auch der Expertenrat neu gewählt (Standard 4.3.2024; vgl. REU 4.3.2024). Die Wahlen wurden vom Regime dafür genützt, den Expertenrat zu verjüngen (Standard 4.3.2024). Die 88 Mitglieder des auf acht Jahre gewählten Gremiums bestimmen den religiösen Führer, eine Aufgabe, von der angenommen wird, dass sie der Expertenrat in Anbetracht des gesundheitlichen Zustands des 84-jährigen Ayatollahs Khamenei in dieser Amtszeit auch wahrnehmen wird müssen. Durch die Auswahl der zur Wahl stehenden Kandidaten wurde sichergestellt, welche politische Richtung gewinnt. Es wurden nur Kandidaten im Sinne Khameneis und seines islamistischen geistlichen Erbes zugelassen, von denen erwartet wird, dass sie im Fall seines Ablebens "keine Schwierigkeiten machen" und nicht auf reformerische Ideen kommen (Standard 4.3.2024; vgl. Tagesschau 11.2.2024).
Präsident, Parlament und Expertenrat werden in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 30.11.2022; vgl. FH 2024). In kaum einem anderen Land des Nahen Ostens kam es jedoch zu derart umkämpften Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die bestehenden programmatischen Differenzen zwischen prinzipientreuem Klerus und neokonservativen Technokraten, wirtschaftsliberalen Pragmatikern und klerikalen oder gar säkularen Reformern spiegelten einen Pluralismus in Iran wider, der allerdings phasenweise aufs Schärfste bedroht war (BPB 31.1.2020b). Die Wahlen in Iran waren einst hart umkämpft, mit Kandidaten aller großen politischen Parteien auf dem Stimmzettel. Die Ergebnisse waren unvorhersehbar und die Wahlbeteiligung war hoch. In den letzten Jahren hatten die Wähler jedoch nur noch die Möglichkeit, zwischen konservativen Kandidaten zu wählen (NYT 28.2.2024). Der Tod von Mahsa Amini im September 2022, der weitverbreitete Proteste auslöste, fand bereits im Kontext einer Wende zur schärferen Durchsetzung von "islamischen Werten" statt, die nach der ebenso streng regulierten Wahl von Ebrahim Raisi zum iranischen Präsidenten im Juni 2021 eingeleitet wurde. Dies wird auch damit in Verbindung gebracht, dass das Regime beim Ableben des inzwischen 84-jährigen Khamenei mit einem Übergangsszenario konfrontiert werden wird, bei dem die Entscheidungsträger nichts dem Zufall überlassen wollen (Standard 4.3.2024). In dieser Hinsicht befindet sich die Islamische Republik Iran laut einer Expertin in einer "kritischen Übergangsphase" (Zamirirad/SWP 19.4.2023).
Frauen haben das aktive Wahlrecht, werden bei der politischen Teilhabe allerdings mit bedeutsamen rechtlichen, religiösen und kulturellen Hindernissen konfrontiert. Nach Interpretation des Wächterrats verwehrt die iranische Verfassung es Frauen, die Ämter des Revolutionsführers oder Präsidenten, Funktionen im Experten-, Wächter- und Schlichtungsrat sowie manche Richterposten anzutreten (USDOS 23.4.2024). Frauen sind in der Politik, einschließlich der Regierung, deutlich unterrepräsentiert (FH 2024). Bei den Parlamentswahlen 2024 waren 1.713 der insgesamt 15.200 Kandidaten Frauen. Gegenüber den Parlamentswahlen im Jahr 2020 hat sich ihre Anzahl damit mehr als verdoppelt (NYT 28.2.2024).
Unter 40-Jährige, die etwa drei Viertel der iranischen Bevölkerung ausmachen, waren bislang größtenteils von jeglicher politischen Partizipation ausgeschlossen. Politische Ämter werden überwiegend von Männern der ersten Generation der Elite der Islamischen Republik - den heute über 70-jährigen Gründungsvätern - und der zweiten Generation - den heute über 60-jährigen Veteranen des Iran-Irak-Kriegs sowie Vertretern der Revolutionsgarden - regiert (BPB 31.1.2020b).
Der Tod der 22-jährigen Mahsa Jîna (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022, nachdem sie zuvor von der sogenannten Sittenpolizei aufgrund eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs in Gewahrsam genommen wurde, löste Proteste aus, die in ihrem Ausmaß, ihrer Reichweite und ihrer Langlebigkeit sowie in der gewaltsamen Reaktion des Staates beispiellos waren (UNHRC 19.3.2024; vgl. BPB 16.2.2023). Die Proteste, die insbesondere von Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Ethnien - insbesondere Kurden und Belutschen - getragen wurden, zeichneten sich durch ihre Dezentralität, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam und Flashmobs als Protestform - insbesondere durch Frauen, die ihr Kopftuch ablegen - und, wie vor allem in europäischen Debatten oft bemängelt wird, durch fehlende Organisations- und Führungsstrukturen aus (BPB 16.2.2023). Die fehlenden Führungsstrukturen waren sowohl Stärke als auch Schwäche der Proteste, bei denen das Internet und soziale Medien eine große Rolle zur Mobilisierung und Verbreitung der Protestbotschaften spielten: Einerseits machen die fehlenden Führungsstrukturen staatliche Repression schwieriger, andererseits erschweren sie auch die Herausbildung einer Bewegung, welche eine politische Alternative zum derzeitigen System darstellen könnte (FR24 16.12.2022; vgl. USIP 6.9.2023b).
Bis zum Sommer 2023 sind die Straßenproteste schließlich abgeflaut (USIP 6.9.2023a) - wobei es rund um den Jahrestag von Aminis Tod im September 2023 zu Demonstrationen kam, denen die Sicherheitsbehörden in manchen Fällen gewaltsam begegneten (FH 2024). Die Islamische Republik blieb weiterhin funktionsfähig und im Zuge der Proteste konnte nicht beobachtet werden, dass eine Einheit des hochkompetitiven iranischen Sicherheitsapparats geschwächelt oder sich illoyal verhalten hätte (Posch/Chatham 5.5.2023). Abgesehen von gezielten Zugeständnissen an bestimmte Gruppen hat die Regierung nicht mit grundlegenden Reformen auf die Proteste reagiert (FES 3.2024). Die Regierung ist darauf bedacht, ihre Anhängerschaft zu halten, versucht aber auch, Menschen am Rande der Gesellschaft zu Anhängern der Islamischen Republik zu machen. So haben die staatlichen Medien jüngst beispielsweise neue Fernsehsendungen produziert und eine größere Anzahl von Gästen eingeladen, um heikle politische Themen zu diskutieren. Die Regierung möchte aufgeschlossen und sympathisch erscheinen, um ein gewisses Maß an Legitimität aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Die Regierungsvertreter sind sich allerdings darüber im Klaren, dass die Legitimität des Regimes erodiert ist, insbesondere seit der gewaltsamen Niederschlagung der landesweiten Demonstrationen, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Jahr 2022 ausgelöst worden waren (USIP 17.11.2023). Mit Stand April 2024 sind die Proteste abgeklungen, aber die dort artikulierten Missstände bleiben weiterhin bestehen (CRS 22.4.2024).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 26.06.2024
Verglichen mit Nachbarstaaten wie dem Irak, Libanon, Syrien und Afghanistan hat Iran eine sehr starke Zentralregierung mit einem komplexen Institutionengefüge. Das Gewaltmonopol liegt bei staatlichen und halbstaatlichen Institutionen, die das Regime ausmachen. Irans territoriale Integrität wird immer wieder durch angebliche Drohnenangriffe und größere Explosionen infrage gestellt. Gelegentlich flammen Grenzstreitigkeiten (z. B. mit Afghanistan im Juli 2022) und Streitigkeiten bezüglich passierender Schiffe in der Straße von Hormuz mit dem Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf (BS 19.3.2024).
Iran sieht sich mit terroristischen Bedrohungen durch verschiedene Oppositionsgruppen konfrontiert, einerseits durch separatistische Aufstandsbewegungen in seinen Grenzregionen, wo arabische, belutschische und kurdische ethnische Minderheiten leben, und andererseits durch transnationale Gruppierungen wie den Islamischen Staat (IS). Zu den separatistischen Gruppierungen zählen beispielsweise das Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA) und die Ahvaz National Resistance in Khuzestan und Jaysh al-Adl (JAA) in Sistan und Belutschistan. In den kurdischen Gebieten agieren verschiedene Gruppierungen, darunter die Partiya Jiyana Azad a Kurdistane [Partei für ein freies Leben in Kurdistan] (PJAK), die einen bewaffneten Aufstand gegen die iranischen Sicherheitskräfte führen und manchmal auch Anschläge verüben. Nach 1980 haben auch die Mujaheddin-e Khalq (MEK), die für einen Sturz des Regimes eintreten, Gewalt gegen iranische Zivilisten und Beamte ausgeübt (ISPI 26.2.2024).
Der IS hat sich seit 2017 zu vier Anschlägen in Iran bekannt. Die Anschläge richteten sich vor allem gegen sogenannte "high-profile"-Ziele, also Ziele mit hoher Symbolwirkung (BBC 5.1.2024). Unter anderem werden dem IS zwei Anschläge auf den Shah-Cheragh-Schrein in Shiraz [Provinz Fars] im Oktober 2022 und August 2023 zugeschrieben, bei denen insgesamt 14 Menschen starben, wobei sich der IS selbst nur zu ersterem der beiden Anschläge bekannte (BBC 5.1.2024; vgl. AJ 13.8.2023, Guardian 13.8.2023). Bei einem Anschlag in der Stadt Kerman [Provinz Kerman] am 3.1.2024 starben fast 100 Menschen und über 200 wurden verletzt. Der Anschlag ereignete sich während einer Gedenkfeier anlässlich des Todestags von Qassem Soleimani (IRINTL 3.1.2024; vgl. Soufan 4.1.2024), dem 2020 durch einen US-Drohnenangriff getöteten Befehlshaber der für Auslandsoperationen der Revolutionsgarden zuständigen Quds-Kräfte (BBC 4.1.2024; vgl. AP 4.1.2024), der einer der Architekten der iranischen Politik in der Region war (BBC 4.1.2024; vgl. Soufan 4.1.2024). Der IS bekannte sich zu dem Anschlag, wobei von einem US-amerikanischen Nachrichtendienst abgefangene Gespräche gemäß der Nachrichtenagentur Reuters bestätigen, dass der Ableger des IS in Afghanistan, der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP), für den Anschlag verantwortlich war (REU 5.1.2024; vgl. FAZ 12.1.2024). Der ISKP hat seine Strategie nach der Machtübernahme der Taliban 2021 teils geändert und seine Operationsgebiete sowie Rekrutierungsbestrebungen "internationalisiert" (Conversation 11.1.2024; vgl. FAZ 12.1.2024). Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem IS in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 12.6.2024; vgl. TWI 31.10.2022).
Teheran fürchtet Unruhen unter den ethnischen und religiösen Minderheiten in den Randgebieten Irans. Fast alle Kurden im Nordwesten und Belutschen im Südosten des Landes sind Sunniten, ebenso eine substanzielle Minderheit der Araber im Südwesten. Diese Volksgruppen gelten der schiitischen Islamischen Republik als Sicherheitsrisiko, unterliegen vielfältigen Diskriminierungen und stehen oft in Opposition zum Regime. Sie scheinen eine besonders große Gefahr zu sein, weil ihre Siedlungsgebiete an den Außengrenzen Irans liegen. Daher sorgt sich die iranische Führung, Nachbarn könnten im Konfliktfall versuchen, die Minderheiten gegen den Staat zu mobilisieren (SWP 9.3.2024) und bezichtigt ausländische Mächte, v. a. Israel, die USA und manche Golfstaaten, separatistische oppositionelle Gruppierungen in Iran zu unterstützen, die das Land destabilisieren sollen (ISPI 26.2.2024).
Die belutschische separatistische Gruppierung Jaysh al-Adl [JAA, auch JUA] hat ihre Anschläge im Südosten Irans seit Dezember 2023 intensiviert (Standard 4.4.2024, ISW 30.4.2024, ISW 12.2.2024), wobei insbesondere Sicherheitskräfte, aber auch andere Vertreter staatlicher Institutionen ins Visier genommen werden, darunter etwa Richter und andere Justizbeamte (Zenith 26.1.2024). Beispielsweise im April 2024 führte die Gruppierung einen Großangriff bzw. komplexen Angriff auf Stützpunkte der Revolutionsgarden in Sistan und Belutschistan durch, bei denen insgesamt mehr als 20 Personen ums Leben kamen (ISW 4.4.2024, Tagesschau 4.4.2024). Aufgrund der militanten Aktivitäten an der Südostgrenze Irans haben die iranischen Sicherheitsbehörden nun auch Drohnen zur Ausschaltung von JAA-Kämpfern eingesetzt (ISW 30.4.2024; vgl. RFE/RL 18.1.2022). Mitte Jänner 2024 führten die Revolutionsgarden außerdem einen Raketenangriff auf eine angebliche Stellung der JAA auf pakistanischem Staatsgebiet durch (IRINTL 17.1.2024; vgl. BBC 18.1.2024), woraufhin die pakistanischen Streitkräfte mehrere Ziele in der Ortschaft Saravan in der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan angriffen, bei denen es sich nach pakistanischen Angaben um "terroristische Verstecke" handelte (IRINTL 18.1.2024; vgl. BBC 18.1.2024). Die JAA operiert vor allem von Pakistan aus (IRINTL 17.1.2024; vgl. AnA 18.1.2024), und Iran war auch früher schon in bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Gruppe entlang der Grenze verwickelt (IRINTL 17.1.2024). Aufgrund der Konflikte zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen (AA 12.6.2024; vgl. MBZ 9.2023, Arabiya 17.1.2024) ist die Bewegungsfreiheit in Sistan und Belutschistan eingeschränkt, und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 12.6.2024).
In Sistan und Belutschistan, wo 2023 länger Proteste stattfanden als in anderen Landesteilen (RFE/RL 18.1.2022), wurde zuletzt auch von gezielten Tötungen durch unbekannte Täter berichtet, welche die belutschische NGO Haalvash privaten, im Auftrag des Regimes tätigen Milizen zuschrieb (Haalvash 4.6.2024). Die belutschische NGO Baloch Campaign, die laut einem Experten bezüglich der Lage in Sistan und Belutschistan eine verlässliche Quelle ist (EXBEL 13.6.2024), berichtete von 150 Tötungen von Zivilisten durch bewaffnete Männer im Jahr 2023 (BALCAM 12.6.2024). Während Sistan und Belutschistan für seine Stammesstrukturen berüchtigt ist, lässt die große Zahl von Morden durch bewaffnete Einzelpersonen und Gruppen laut dem Experten die ernsthafte Vermutung zu, dass der Staat und seine Milizen hinter diesen Angriffen stecken, um Angst in der Gesellschaft zu schüren. Die Islamische Republik hat seit 1979 Stämme in den Kurden- und Belutschengebieten bewaffnet, in dem Wissen, dass die Waffen von den Stammesangehörigen häufig auch zur Beilegung von Stammesfehden und persönlichen Streitigkeiten eingesetzt werden (EXBEL 13.6.2024).
Die Grenze [zu Afghanistan und Pakistan] ist durchlässig, größtenteils gebirgig und eine wichtige Schmuggelroute für Drogen und andere Waren, die das organisierte Verbrechen anzieht (DFAT 24.7.2023; vgl. BAMF 10.7.2023, AlMon 14.4.2024). Die Grenzzone zu Afghanistan, das östliche Kerman sowie Sistan und Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändler- und extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein (EDA 18.4.2024). Weiters sind die Beziehungen zwischen der iranischen Regierung und der Taliban-Regierung in Afghanistan teils angespannt (DFAT 24.7.2023). Seit die Taliban im August 2021 die Kontrolle übernommen haben, liefern sich iranische Soldaten und Taliban-Sicherheitskräfte entlang der gemeinsamen Grenze immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen (DFAT 24.7.2023; vgl. Caspian 1.5.2024, IRINTL 25.4.2024).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt (AA 12.6.2024). Die Sicherheitskräfte sind in den Provinzen Kurdistan, Kermanshah und West-Aserbaidschan in großer Zahl präsent (MBZ 9.2023). In dieser von Kurden bewohnten Region an der Grenze zum Irak und der Türkei (Izady/Gulf 2000 o.D.) kam es zu einigen bewaffneten Zusammenstößen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Mitgliedern kurdischer Parteien, die Stützpunkte im Nordirak haben, manchmal auch mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten (MBZ 9.2023).
Iran und regionale Konflikte
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken (EDA 18.4.2024).
Seit 2010 hat Israel angeblich mindestens zwei Dutzend Operationen - darunter Attentate, Drohnenangriffe und Cyberangriffe - gegen Iran durchgeführt (USIP 30.1.2023). Die meisten Ziele standen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Atomprogramm Teherans, das Israel als existenzielle Bedrohung betrachtet (USIP 30.1.2023; vgl. TIS 29.12.2023). Israel hat seit langem militärische und nukleare Einrichtungen im Iran ins Visier genommen und iranische Nuklearwissenschaftler und Kommandeure sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes getötet (NYT 16.2.2024). Im Dezember vermeldete der iranische Ölminister einen Cyberangriff, den er Israel und den USA zuschrieb (FR24 18.12.2023; vgl. NZZ 2.1.2024). Im Februar 2024 unterbrach ein Sabotageakt an zwei wichtigen Gaspipelines die Gasversorgung von zwei iranischen Provinzen. Zwei westliche Behördenvertreter und ein mit den Revolutionsgarden verbundener Militärstratege machten Israel für den Vorfall verantwortlich, wobei das Anvisieren von Infrastruktur in diesem Ausmaß eine Neuentwicklung darstellt (NYT 16.2.2024).
Iran hat eine lange Geschichte der Unterstützung von terroristischen [und anti-israelischen] Organisationen wie der Hisbollah, der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad (JPOST 27.2.2023). Das Regime unterstützt auch verschiedene "Widerstands"-Milizen im Irak (TWI 20.12.2023), in Syrien, im Jemen und auch Bahrain (CFR 11.12.2023). Die Hilfen umfassen umfangreiche finanzielle und logistische Unterstützung (TWI 20.12.2023). Im Zentrum des iranischen Netzwerks steht die libanesische Hisbollah. Sie half Iran auch bei der Unterstützung des Regimes von Bashar al-Assad im Bürgerkrieg in Syrien, wo sie andere Milizen zur Verteidigung des Regimes heranzog (CFR 11.12.2023). Die geografische Ausdehnung von Irans Allianznetz ist derzeit so groß wie nie zuvor seit der Islamischen Revolution 1979. Die mit Iran verbündeten Milizen agieren laut dem Experten Walter Posch selbstständig. Doch bei allen Aktionen gibt es Spuren, die zurück nach Iran führen (NZZ 2.1.2024).
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 haben die Spannungen in der Region zugenommen (IRINTL 11.1.2024; vgl. BBC 16.1.2024). Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass die sich zuspitzende Rivalität zwischen Iran und Israel die regionale Sicherheit prägen und die Politik im Nahen Osten auf absehbare Zeit bestimmen wird (FA 14.5.2024). Israel und Iran haben einen jahrelangen Schattenkrieg geführt, bei dem sie gegenseitig Einrichtungen angriffen, ohne die Verantwortung dafür zu übernehmen. Diese Angriffe haben sich während des aktuellen Krieges im Gazastreifen, der durch den Angriff der Hamas auf nahe gelegene israelische Gemeinden im vergangenen Oktober ausgelöst wurde, erheblich verschärft (BBC 19.4.2024). Während Iran seit Langem bewaffnete Gruppen beliefert, die Israel angreifen, und sie auch anderweitig unterstützt, hat es nie einen direkten Angriff der eigenen Streitkräfte von iranischem Territorium aus gegen Israel für sich beansprucht (und anscheinend auch tatsächlich nicht unternommen) (CRS 22.4.2024). Nach einem israelischen Angriff auf ein iranisches Konsulatsgebäude in Damaskus am 1.4.2024 feuerte Iran jedoch erstmals rund 300 Raketen und Drohnen direkt von iranischem Staatsgebiet auf Israel ab (BBC 19.4.2024). Da die Geschosse eine Distanz von über 1.000 Meilen [rd. 1.600 km] zurücklegen mussten, war Israel rechtzeitig vorgewarnt (CNN 14.4.2024) und konnte den Angriff mit Unterstützung von Verbündeten wie den USA, Großbritanniens, Frankreichs und auch Jordaniens abwehren (BBC 19.4.2024). Die iranische Operation wurde als "hochgradig choreografiert" bezeichnet und war laut einer Analystin "offenbar darauf ausgelegt, die Zahl der Opfer zu minimieren und gleichzeitig das Spektakel zu maximieren" (CNN 14.4.2024). Israel antwortete mit einem Raketenangriff auf eine große Luftwaffenbasis im Zentrum Irans (FA 14.5.2024), in Isfahan (BBC 19.4.2024). Dieser Schlag scheint diese Runde der gegenseitigen Angriffe beendet zu haben, bestätigte aber auch, dass die Regeln, die den Schattenkrieg zwischen Iran und Israel jahrelang bestimmten, nicht mehr gelten. Es wird angenommen, dass ein Angriff der einen Seite nun eine direkte Antwort der anderen Seite nach sich ziehen wird, was das Gespenst eines größeren Krieges beschwört (FA 14.5.2024).
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 26.06.2024
Das Recht ist in allen Rechtsbereichen umfassend kodifiziert, so etwa das Zivilrecht, das Familien- und Erbrecht oder das Strafrecht. Die iranischen Gerichte müssen auf der Grundlage dieser Gesetze Recht sprechen. Die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz ist somit formal gewahrt (LTO 26.10.2022). Der Grundsatz der Rechtmäßigkeit ist zwar durch die Verfassung geschützt, aber mit einem Vorbehalt versehen. In Artikel 167 der Verfassung, einem der umstrittensten Artikel, heißt es, dass die Richter verpflichtet sind, sich zu bemühen, jeden Fall auf der Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden (Islamic Law Blog 22.11.2015). Im Falle des Fehlens, der Unzulänglichkeit, der Kürze oder der Widersprüchlichkeit der Gesetze müssen die Richter den Fall jedoch auf der Grundlage der maßgeblichen islamischen Quellen und der authentischen Fatwas (fatāwā) entscheiden, um zu verhindern, dass ein Fall unentschieden bleibt (Islamic Law Blog 22.11.2015; vgl. USDOS 23.4.2024).
Art. 57 der Verfassung verleiht dem Revolutionsführer weitreichende Aufsichtsbefugnisse über das Justizwesen (BS 19.3.2024). Er ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative (Art. 157 Verf.) (FH 2024; vgl. AA 30.11.2022), der wiederum für die Ernennung und Entlassung der Gerichtsleiter (Soltani/Shooshinasab 8.2022) und von Richtern zuständig ist (BS 19.3.2024). Die ebenfalls in der Verfassung festgeschriebene Unabhängigkeit der Gerichte (AA 30.11.2022) und das Gebot der Gewaltenteilung sind in der Praxis somit stark eingeschränkt (AA 30.11.2022; vgl. BS 19.3.2024).
Während die Gerichte innerhalb des herrschenden Establishments ein gewisses Maß an Autonomie genießen, wird das Justizsystem regelmäßig als Instrument eingesetzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 2024). Der Sicherheitsapparat (AA 30.11.2022) - insbesondere die Revolutionsgarden und ihr Nachrichtendienst (BS 19.3.2024) - nehmen v. a. in politischen Fällen massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung (AA 30.11.2022; vgl. BS 19.3.2024). Das Justizwesen ist geprägt von Korruption (AA 30.11.2022; vgl. USIP 1.8.2015). Es wird von Fällen berichtet, in denen Richter bestochen wurden, um Gerichtsprozesse zu beeinflussen (IrWire 28.4.2021).
Die Behörden verletzen routinemäßig grundlegende Verfahrensstandards, insbesondere in politisch heiklen Fällen (FH 2024) und vor Revolutionsgerichten (HRW 11.1.2024a). Aktivisten werden ohne Haftbefehl verhaftet, auf unbestimmte Zeit ohne förmliche Anklage festgehalten und ihnen wird der Zugang zu einem Rechtsbeistand oder jeglicher Kontakt zur Außenwelt verweigert (FH 2024; vgl. AI 27.3.2023). Insbesondere in der Untersuchungsphase von Verfahren schränken die Behörden das Recht von Verhafteten auf Zugang zu einem Rechtsbeistand regelmäßig ein (HRW 11.1.2024a). Viele werden später in Prozessen, die manchmal nur ein paar Minuten dauern, aufgrund vager Sicherheitsvorwürfe verurteilt (FH 2024), wobei zu den Prozessen "Geständnisse" als Beweise zugelassen werden, die unter Folter erpresst worden sind (HRW 11.1.2024a; vgl. AI 27.3.2023).
Rechtsschutz ist nur eingeschränkt gegeben (AA 30.11.2022). Es gibt Fälle von Rechtsanwälten, welche Dissidenten vertraten und daraufhin inhaftiert und mit einem Berufsverbot belegt worden sind, oder dazu gezwungen wurden, das Land zu verlassen, um einer Strafverfolgung zu entgehen (FH 2024; vgl. AA 30.11.2022). Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert (AA 30.11.2022). Eine Rechtsanwältin, die in der Vergangenheit Angeklagte in politischen Fällen vor Revolutionsgerichten vertreten hat, berichtete unter anderem von permanenter Überwachung, sobald derartige Fälle übernommen werden. Auch drohen manchen Rechtsanwälten derzeit sehr lange Haftstrafen (MRAI 19.6.2023). Der Anwalt Amirsalar Davoudi, der u. a. politische Gefangene vertrat und öffentlich Missstände im Justizsystem anprangerte, wurde 2019 beispielsweise zu 30 Jahren Haft verurteilt (IHRNGO 1.12.2022), was auf andere Anwälte äußerst abschreckend wirkt (MRAI 19.6.2023).
In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 30.11.2022). Um eine Anwaltslizenz zu erhalten, mussten Anwärter bislang unter anderem eine Prüfung bei der IBA ablegen (MBZ 9.2023; vgl. Soltani/Shooshinasab 8.2022). Im August 2023 verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz, das die Kontrolle zur Erteilung von Anwaltslizenzen an das Ministerium für Industrie, Bergbau und Handel übertrug (MBZ 9.2023).
Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 30.11.2022).
Während es an allen iranischen Gerichten bestimmte Probleme gibt, sind die Revolutionsgerichte besonders dafür berüchtigt, selbst die grundlegendsten Rechte nicht einzuhalten (MRAI 19.6.2023). Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten finden oft hinter verschlossenen Türen unter dem Vorsitz von Geistlichen statt, ohne dass Standardgarantien eines Strafverfahrens, wie etwa die Gewährung von Zeit und Zugang zu Anwälten zur Vorbereitung einer Verteidigung, gewährleistet sind (Conversation 13.1.2023). Laut Menschenrechtsgruppen und internationalen Beobachtern werden vor Revolutionsgerichten, die im Allgemeinen die Fälle politischer Gefangener anhören, routinemäßig grob unfaire Gerichtsprozesse ohne ordnungsgemäße Verfahren abgehalten; es werden vorab festgelegte Urteile verkündet und Hinrichtungen für politische Zwecke befürwortet. Diese unlauteren Praktiken treten Berichten zufolge in allen Phasen der Strafverfahren vor den Revolutionsgerichten auf (USDOS 23.4.2024). Die Revolutionsgerichte haben sich bei der Verurteilung von Personen im Zusammenhang mit den Protesten seit September 2022 auf unter Folter oder durch andere Zwangsmittel erzwungene Geständnisse als Beweismittel gestützt, unter anderem auch bei Todesurteilen (UNHRC 7.2.2023).
Anwälte benötigen vor Revolutionsgerichten in der Regel schon alleine dafür eine Erlaubnis der Richter, um den Gerichtssaal betreten zu können. Anwälten von Personen, die in der Vergangenheit wegen mohārebeh angeklagt waren, wurde manchmal die Teilnahme am Prozess verweigert. In anderen sicherheitsrelevanten Fällen durften sie teilnehmen, aber ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung wurde eingeschränkt (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Eine Novelle der Strafprozessordnung im Jahr 2015 höhlte die ohnehin begrenzten Beschuldigtenrechte bei Prozessen wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit weiter aus. Den Beschuldigten und ihren Anwälten wurde mit der Novelle beispielsweise das Recht auf eine Kopie der Gerichtsakten verweigert (MRAI 19.6.2023) und Angeklagte dürfen zumindest im Anfangsstadium des Verfahrens (AA 30.11.2022) - dem Untersuchungsstadium (MRAI 19.6.2023) - nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen und damit mutmaßlich systemfreundlichen Anwälten auswählen (AA 30.11.2022; vgl. MRAI 19.6.2023). In dieser bedeutsamen Prozessphase werden oftmals sensible Informationen aufgedeckt, diese Einschränkung der Auswahl gibt Anlass zur Sorge über die Fairness und Transparenz der Prozesse (MRAI 19.6.2023).
Die Revolutionsgerichte sehen meist davon ab, das Urteil an die Angeklagten zu übermitteln. In der Regel laden sie den Anwalt des Angeklagten vor Gericht und verlesen das Urteil. Solche Urteile sind folglich auf der elektronischen Datenbank Adliran nicht zugänglich. Rechtsanwälte dürfen Urteile lediglich direkt bei Gericht lesen und sich dort Notizen machen (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Anmerkung: s. Kap. "Dokumente, Meldewesen und Personenstandsregister" für Informationen zur Justizdatenbank Adliran und SANA.
Gerichte
Letzte Änderung: 26.06.2024
Die iranische Justiz verwaltet ein vielschichtiges Gerichtssystem. Die Strafverfolgung geht von niedrigeren Gerichten aus und kann bei höheren Gerichten angefochten werden. Der Oberste Gerichtshof überprüft Fälle von Kapitalverbrechen und entscheidet über Todesurteile. Er hat auch die Aufgabe, für die ordnungsgemäße Anwendung der Gesetze und die Einheitlichkeit der Gerichtsverfahren zu sorgen (USIP 1.8.2015). Bestimmte Urteile können vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vgl. Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Anders als die Berufungsgerichte ist der Oberste Gerichtshof nicht befugt, ein neues Urteil zu fällen. Im Falle einer erfolgreichen Anfechtung verweist er den betroffenen Fall wieder an ein zuständiges Gericht zurück (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Die allgemeinen Gerichte Irans sind offiziell damit beauftragt, alle Arten von Fällen und Streitigkeiten zu schlichten. Diese verteilen sich auf die kleineren Landkreise, Rayons und Bezirke des Landes. In den Strafgerichten werden Fälle gemäß der iranischen Strafprozessordnung (IStPO) behandelt, in den Zivilgerichten [Anm.: auf Englisch "legal courts"] gilt die Zivilprozessordnung (IrWire 9.9.2020). Seit 2001 gibt es darüber hinaus sogenannte Streitschlichtungsräte (Shurāhā-I hal-e ikhtilāf) als alternative Konfliktlösungskörperschaften. Die Richter dieser Räte können in Abstimmung mit den Ratsmitgliedern in bestimmten Fragen in den Bereichen Finanzen, Miete, Erbschaft, Mitgift und Unterhalt sowie bestimmten Ta'zir-Vergehen [s. weiter unten f. Begriffserklärung] Fälle anhören und Urteile sprechen. Sie können aber z. B. keine Scheidungsfragen behandeln und sind auch nicht dazu befugt, Körper- oder Haftstrafen auszusprechen. Die Zuständigkeit der Streitbeilegungsräte in den Dörfern beschränkt sich auf Friedens- und Kompromissentscheidungen (Soltani/Shooshinasab 8.2022).
Die Zivilgerichte verhandeln über lokale materielle und immaterielle zivilrechtliche Streitigkeiten, die nicht in die Zuständigkeit der Streitschlichtungsräte fallen. Die Familiengerichte entscheiden hierbei unter anderem bei Ehe- und Scheidungsfragen, Obsorge [Anm.: jedoch nicht Vormundschaft, s. Kap. "Frauen"] wie auch geschlechtsangleichenden Operationen. Die Urteile werden von einem männlichen Richter gefällt, nachdem er eine beratende Richterin schriftlich konsultiert hat (Soltani/Shooshinasab 8.2022).
Die Strafgerichte unterteilen sich in verschiedene Untereinheiten (IrWire 9.9.2020). Neben den Strafgerichten 1 und 2 gibt es die Revolutionsgerichte, Jugendgerichte und Militärgerichte (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021; vgl. Soltani/Shooshinasab 8.2022). Darüber hinaus gibt es mehrere Sondergerichte (IrWire 9.9.2020), darunter beispielsweise ein Sondergericht für die Geistlichkeit (dadgah-e vīzheh-ye rouhaniyat), das als einziges Gericht nicht dem Justizchef, sondern direkt dem Revolutionsführer untersteht (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Es wird u. a. dazu genutzt, um prominente Kleriker, welche Kritik am Regime äußern, strafrechtlich zu verfolgen (IrWire 9.9.2020; vgl. USIP 1.8.2015). Das Gesetz ermöglicht die Einsetzung eines zuständigen Gerichts zur Behandlung von Verstößen gegen das Pressegesetz von 1986 - das sogenannte Pressegericht - das unter Einbeziehung von Schöffen tagen soll. Derzeit werden Journalisten allerdings eher vor Revolutionsgerichten wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit, "Propaganda gegen den Staat" und/oder das "Schüren von Angst in der öffentlichen Meinung" angeklagt - nach Ansicht eines Experten, um Prozesse unter Anwesenheit von Schöffen zu vermeiden. Das Pressegericht ist derzeit nicht im Einsatz (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Die Revolutionsgerichte haben verschiedene Zweige in der Hauptstadt, in den Provinzen und in manchen Justizdistrikten (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Die Verfassung sieht weder ihre Einrichtung noch ein Mandat für die Revolutionsgerichte vor. Sie wurden ursprünglich nach der Revolution von 1979 geschaffen, um hochrangige Beamte der abgesetzten Monarchie vor Gericht zu stellen, und wurden später institutionalisiert. Sie arbeiten weiterhin parallel zum restlichen Strafjustizsystem (USDOS 23.4.2024) und sollten eigentlich von der Justiz beaufsichtigt werden (IrWire 9.9.2020). In der Praxis werden sie allerdings von und für Sicherheitsbehörden betrieben, die außerhalb des Gesetzes stehen (IrWire 9.9.2020; vgl. MRAI 19.6.2023). Manche Quellen gehen davon aus, dass die Revolutionsgerichte in Zusammenarbeit mit den Revolutionsgarden und dem Geheimdienstministerium (MOIS) operieren (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Die Revolutionsgerichte unterscheiden sich bezüglich der Angelegenheiten, welche sie behandeln, von anderen Gerichten. Sie befassen sich in erster Linie mit Straftaten im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit, was im Grunde alle politischen und sozialen Aktivitäten von Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten einschließt (MRAI 19.6.2023). Weiters sind sie auch für bestimmte Finanzverbrechen zuständig (Soltani/Shooshinasab 8.2022). Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte umfasst laut Art. 303 der IStPO die folgenden Delikte (FIDH 9.2023):
Alle Verbrechen gegen die nationale und internationale Sicherheit, mohārebeh (Waffenaufnahme gegen Gott und Staat) oder baghei (bewaffneter Aufstand gegen die Regierung) (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vgl. IrWire 9.9.2020) und efsād fe-l-arz [Korruption auf Erden] - jeweils definiert und kriminalisiert in den Artikeln 279 bis 285 und 286 bis 288 des islamischen Strafgesetzbuchs von 2013 (Soltani/Shooshinasab 8.2022), Rebellion, geheime Absprachen und Versammlungen gegen die Islamische Republik Iran oder bewaffnete Aktionen, Brandanschläge, Zerstörung und Verschwendung von Eigentum, um sich gegen das Regime zu stellen (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vgl. JIS 8.9.2018);
Spionage gegen das Regime (JIS 8.9.2018), Spionage im Auftrag von Ausländern (Art. 502 IStGB) (FIDH 9.2023);
Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des Obersten Führers (Art. 514) (FIDH 9.2023; vgl. JIS 8.9.2018);
Alle Straftaten im Zusammenhang mit Drogen, psychotropen Stoffen und deren Vorläufersubstanzen sowie dem Schmuggel von Waffen, Munition und anderen einschlägigen Gegenständen (Soltani/Shooshinasab 8.2022; vgl. JIS 8.9.2018);
Andere Fälle, für die laut Gesetz das Revolutionsgericht zuständig ist (Soltani/Shooshinasab 8.2022): z. B. in Art. 49 der Verfassung erwähnte Delikte wie Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (JIS 8.9.2018; vgl. Soltani/Shooshinasab 8.2022).
Islamische und republikanische Elemente im Justizwesen, Strafrecht, Strafzumessungspraxis
Letzte Änderung: 26.06.2024
Die Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der Ja'afari-Rechtsschule (BAMF 5.2021). Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen (ÖB Teheran 11.2021). Von den drei Staatsgewalten haben die Geistlichen in der Judikative die stärkste Präsenz, wobei sie eine Ausbildung in islamischer Rechtswissenschaft oder Abschlüsse von religiösen Rechtsschulen haben müssen, um Richter zu werden. Der Chef der Justiz, der Generalstaatsanwalt des Landes und alle Richter des Obersten Gerichtshofs müssen hochrangige Geistliche oder Mujtahids sein (USIP 1.8.2015), also Rechtsgelehrte, die nach schiitischer Auslegung dazu qualifiziert sind, Ijtihad zu betreiben (EB o.D.a), d. h. islamische Texte in ungeklärten Rechtsfragen unabhängig auszulegen (EB o.D.b). Die iranische Justiz ist insofern ein einzigartiges System, als sie islamische Prinzipien und eine vom französischen System inspirierte Gesamtstruktur kombiniert. Nach der islamischen Revolution wurde das Justizsystem stark verändert, um die Scharia einzubeziehen. Das neue System wurde jedoch auf einer bereits bestehenden säkularen Struktur aufgebaut, wodurch ein sehr komplexes Justizwesen entstanden ist (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, das die bisherige, vom "code pénal napoléon" von 1810 beeinflusste Gesetzgebung, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt (BAMF 5.2021). Die Schwere und Art einer Straftat sowie die vorgeschriebene Strafe bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung des Falles zuständig ist. Art. 14 des Islamischen Strafgesetzbuches (IStGB) unterteilt Verbrechen in vier Strafkategorien gemäß der Scharia: hadd, qisas, diyah und ta’zīr (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Hadd-Delikte umfassen Unzucht/Ehebruch (zina), Sodomie (levat), lesbische Beziehung (mosaheqeh), Beschaffung von Prostitution (qavadī), falsche Anschuldigung der Unzucht/Sodomie (qazf), Verleumdung des Propheten (sabb-e nabī), Alkoholkonsum (shorb-e khamr), Raub/Diebstahl, Waffennahme gegen Gott (mohārebeh ba khoda), Korruption auf Erden (mofsad/efsad fe-l-arz) und Rebellion (baghei). Zu den hadd-Strafen gehören die Todesstrafe, Steinigung, Kreuzigung, Auspeitschung, Amputation (von Hand und Fuß), lebenslange Haft und Verbannung. Art und Umfang dieser Strafen werden vom islamischen Recht bestimmt und gelten als von Gott festgelegt, sie können daher von einem Richter nicht abgeändert oder begnadigt werden. Aufgrund der Schwere der Strafen und der Tatsache, dass sie unveränderlich sind, gelten strenge Beweis- und andere Anforderungen (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021), wie zum Beispiel eine bestimmte Anzahl an Zeugen. Darüber hinaus gibt es auch die Beweisregelung des "richterlichen Wissens" (‘elm-e qāzī) (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021; vgl. MRAI 19.6.2023), die in vielen hadd-Fällen angewandt wird. Sie bedeutet, dass der Richter auf Grundlage von Indizien entscheiden muss, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht. Eine Strafrechtsnovelle im Jahr 2013 hat die Anwendung dieser Regelung bei Ehebruchsfällen abgeschwächt. Bei Anklagen aufgrund der hadd-Tatbestände mohārebeh und mofsad/efsād fe-l-arz ist das "richterliche Wissen" immer noch einer der Hauptfaktoren zur Ermittlung der Schuld oder Unschuld eines Angeklagten (MRAI 19.6.2023).
Iranische Aktivisten und Dissidenten, darunter Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, werden normalerweise mit vage formulierten und weit gefassten Anklagen konfrontiert, die aus dem IStGB stammen. Die hadd-Verbrechen "Waffennahme gegen Gott" (mohārebeh) und "Korruption auf Erden" (efsād fe-l-arz) sind dabei die berüchtigtsten (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Manche Interpretationen von mohārebeh schließen selbst Messer als Waffen ein. Es kann daher passieren, dass Personen des mohārebeh beschuldigt werden, weil sie ein Messer bei sich trugen. Dieser Straftatbestand wird insbesondere gegen Minderheitengruppen wie Mitglieder der kurdischen Gemeinschaft verwendet, wenn ihnen Verbindungen zu militanten Gruppierungen vorgeworfen werden. Mofsad/efsad fe-l-arz ist dagegen eine völlig andere Kategorie. Die Definition dieses Begriffs obliegt dem jeweiligen Richter. Dies kann sexuelle Vergehen ebenso einschließen, wie Wirtschaftskriminalität, wenn die Handlung als so schwerwiegend interpretiert wird, dass sie eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft darstellt (MRAI 19.6.2023). Hadd-Strafen werden im zweiten Buch des IStGB (Art. 217–288) behandelt (BAMF 5.2021).
Qisas-Vebrechen sind sogenannte Talions- oder Vergeltungsstrafen (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021; vgl. BAMF 5.2021). Sie basieren auf einem Prinzip des islamischen Rechts, den Opfern eine analoge Vergeltung für Gewaltverbrechen wie Totschlag oder Körperverletzung zu erlauben - unter der Voraussetzung, dass die Taten vorsätzlich waren. Angehörige eines Tötungsopfers (nächste Familienangehörige) und Opfer von Körperverletzung können alternativ ihre Forderung nach Vergeltung gegen Geldentschädigung (diyah), also Blutgeld, zurücknehmen und die Freilassung des Täters veranlassen. Sie können dem Täter auch ganz vergeben und auf diyah verzichten. Das iranische Rechtssystem betrachtet diese Verbrechen als Angelegenheit zwischen Privatpersonen. Die Rolle des Staates besteht darin, die Ermittlungen und Gerichtsverfahren in diesen Fällen zu erleichtern und sicherzustellen, dass nachfolgende Bestrafungen in organisierter Form erfolgen. Doch selbst wenn die Bluträcher auf ihren Anspruch auf Vergeltung verzichten, kann der Staat eine zusätzliche Strafe verhängen, wenn er der Ansicht ist, dass das Verbrechen die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Gesellschaft stört. In Fällen von Körperverletzung ist Vergeltung selten. Auch bei Mord ist es für die Angehörigen oftmals attraktiver, diyah anzunehmen. Bei nicht vorsätzlicher Körperverletzung oder Totschlag ist diyah dagegen grundsätzlich vorgesehen (und nicht nur als Alternative zu Vergeltung, so die Opfer oder ihre Angehörigen zustimmen). Diyah wird weiters auch in manchen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung angewendet, in denen Vergeltung verboten oder undurchführbar ist (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Qisas-Strafen werden im dritten Buch (Art. 289–447) und das Blutgeld bzw. diyah im vierten Buch (Art. 448–728) behandelt (BAMF 5.2021).
Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta’zīr-Strafen (BAMF 5.2021; vgl Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021) - Ermessensstrafen - und sogenannte "Abschreckungsstrafen" (mojāzāt-e bāzdārandeh) vorgesehen. Letztere dienen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Während hadd, qisas und diyah durch islamisches Recht definiert werden, leiten sich ta'zir und Abschreckungsstrafen aus dem staatlichen Recht ab. In diese Kategorien fallen zum Beispiel Straftaten gegen die interne und externe Sicherheit des Staates (Art. 498-512 und 610-611 IStGB); Fälschung (Art. 523-542 IStGB); Vergehen gegen öffentliche Moral und Anstand (Art. 637-641 IStGB) - beispielsweise ungehörige Beziehungen zwischen Männern und Frauen, wie z. B. Berührungen und Küsse (Art. 637) oder unislamische Kleidung (Art. 638); Diebstahl (Art. 651-667 IStGB); sowie öffentliche Konsumation von Alkohol, Glücksspiel und Vagabundieren (Art. 701-713 IStGB). Ta’zīr-Strafen werden nach Art und Umfang nach Ermessen des Richters (auf der Grundlage des kodifizierten Rechts) verhängt (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Wenn sich Gesetze, die seit der Gründung der Islamischen Republik erlassen wurden, mit einer spezifischen Rechtssituation nicht befassen, rät die Regierung den Richtern, ihrer Kenntnis und Auslegung der Scharia (islamisches Gesetz) Vorrang einzuräumen. Bei dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen "göttlichen Wissens" [divine knowledge] für schuldig erklären (USDOS 23.4.2024).
Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis
Bei Delikten, die im starken Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 30.11.2022). Auf die Anwendung der Vergeltungsstrafen (qisas) der Amputation (z. B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diyah) verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diyah verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Stattdessen hat sich die islamische Führung auf die Hinrichtung als Alternative verlegt. Im Jahr 2023 wurden beispielsweise zwei Todesurteile aufgrund des Straftatbestands Ehebruch verhängt (RFE/RL 3.11.2023).
Verlässliche Aussagen zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch Willkür auszeichnet. Mitunter bewusst unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine unzureichende Kontrolle innerhalb der Justiz ermöglichen ein willkürliches Handeln von Richtern. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass Gerichte in politischen Verfahren nicht unabhängig agieren. Auch willkürliche Verhaftungen kommen häufig vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht eigentlich garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht einer Straftat unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht bewusst verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erfolgt die Anklage oft aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat oft unverhältnismäßig hoch, besonders bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (Kopftuchzwang) (AA 30.11.2022).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 30.11.2022).
Doppelbestrafung, im Ausland begangene Vergehen, Verurteilung in Abwesenheit
Letzte Änderung: 17.06.2024
Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge hält sich Iran an den Grundsatz ne bis in idem, wenn es um ta'zir-Strafen geht. Im Falle von hadd- und qisas-Strafen ist eine doppelte Strafverfolgung dagegen möglich. Auch ist es möglich, dass ein Gericht eine ta'zir-Strafe gegen eine Person verhängt, der Staatsanwalt jedoch im Nachhinein angibt, dass dies ein Fehler war und das Vergehen unter einen hadd-Tatbestand fällt. In diesem Fall kann eine Person zweimal für dieselbe Straftat verurteilt werden, in der Praxis kommt dies jedoch selten vor (MBZ 9.2023).
Iranische Staatsbürger unterliegen auch im Ausland der iranischen Gesetzgebung und können nach Artikel 7 des IStGB 2013 für Vergehen, die im Ausland begangen wurden, in Iran belangt werden (Landinfo 9.11.2022). Das Verbot der Doppelbestrafung gilt in diesem Fall nur stark eingeschränkt. Nach dem IStGB werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen [Anm.: hadd- und qisas-Strafen] haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen (AA 30.11.2022). Ein von Landinfo im Jahr 2021 befragter Rechtsanwalt zeichnete jedoch ein differenzierteres Bild und gab an, dass insbesondere im Ausland begangene Vergehen, welche die innere und äußere Sicherheit betreffen, in Iran strafrechtlich verfolgt werden. Laut dem Rechtsanwalt werden beispielsweise Alkoholkonsum oder "unzüchtiges" Verhalten iranischer Staatsbürger im Ausland in Iran nicht strafrechtlich verfolgt (Landinfo 9.11.2022). In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 30.11.2022).
Es kommt in der Praxis vor, dass Personen in Iran in Abwesenheit aufgrund von im Ausland durchgeführten Tätigkeiten verurteilt werden, beispielsweise aufgrund von Veröffentlichungen von kritischen Beiträgen in den sozialen Medien. Mehrere Quellen berichteten von derartigen Fällen von bekannten Aktivisten im Ausland (MBZ 9.2023). Der ehemalige, in Dubai wohnhafte Profifußballer Ali Karimi wurde zum Beispiel von den iranischen Behörden in absentia verurteilt, nachdem er nach Mahsa Aminis Tod kritische Texte auf Instagram gepostet hatte (MBZ 9.2023; vgl. ArTR 16.12.2022).
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 26.06.2024
In Iran gibt es eine Vielzahl verschiedener Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Das Strafverfolgungskommando (FARAJA) [farmandehiye entezamiye jomhuriye eslamiye iran], das dem Innenministerium untersteht, stellt die uniformierte Polizei des Landes und ist dem Präsidenten verantwortlich, so wie auch das Informations- oder Geheimdienstministerium [vezarat -e etela’at - VAJA, wobei auch das englischsprachige Akronym MOIS weit verbreitet ist]. Gemeinsam mit dem Korps der Islamischen Revolutionsgarden [sepah-e pasdaran-e enqhelab-e islami - englischsprachiges Akronym: IRGC], das direkt dem Obersten Führer untersteht, sind FARAJA und VAJA/MOIS für die innere Sicherheit und die Strafverfolgung im Land zuständig. Die Basij, eine aus Freiwilligen bestehende paramilitärische Gruppierung, agieren zum Teil unter den Revolutionsgarden als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug (CIA 7.5.2024).
Die Militärkräfte unterteilen sich in das Korps der Revolutionsgarden und die reguläre Armee (Artesh) (CIA 7.5.2024). Die Artesh ist ein Vermächtnis der Sicherheitsbehörden aus der Schah-Zeit. Sie existiert neben den Revolutionsgarden, die 1979 von Khomeini als regimetreue Truppe gegründet wurden (CRS 26.1.2024) und konzentriert sich in erster Linie auf die Verteidigung der iranischen Grenzen und Hoheitsgewässer gegen Bedrohungen von außen. Die Revolutionsgarden haben dem gegenüber einen umfassenderen Auftrag, nämlich die iranische Revolution gegen jegliche Bedrohung von außen oder innen zu verteidigen (CIA 7.5.2024). Die Revolutionsgarden sind im iranischen Sicherheitsapparat die mächtigste Kraft (BS 19.3.2024), aber auch vom Regime anerkannte Bürgerwehren üben Gewalt aus, wenn es z. B. um die Niederschlagung von Straßenprotesten geht (BS 19.3.2024; vgl. IrWire 25.9.2022). Der Oberste Führer - und nicht der Präsident - ist der oberste Befehlshaber über alle Streitkräfte. Er kann Krieg oder Frieden erklären und Militäroperationen genehmigen (DIA 2019). Iran hat eine starke Zentralregierung mit einem komplexen institutionellen Gefüge. Das Gewaltmonopol liegt bei den staatlichen und halbstaatlichen Einheiten, die das Regime bilden (BS 19.3.2024).
Die Informationen zur Truppenstärke der iranischen Streitkräfte variieren. Rund 400.000 Soldaten dienen in den regulären Streitkräften und rund 150.000-190.000 in den Revolutionsgarden, davon 5.000-15.000 bei den Quds-Kräften (CIA 7.5.2024; vgl. IRJ 1.2.2021). Die Basij haben mit Stand 2023 geschätzte 90.000 aktive paramilitärische Kräfte (CIA 7.5.2024), wobei Schätzungen über die Zahl der Basij-Mitglieder insgesamt weit auseinandergehen und bis zu mehreren Millionen reichen (ÖB Teheran 11.2021).
Behandlung der Zivilbevölkerung
In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS 23.2.2018). Die kurdische Region ist das am stärksten militarisierte Gebiet Irans. Die Regierung überwacht die Bevölkerung dort durch ein Netzwerk von Kontrollpunkten (DIS 7.2.2020).
Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen (USDOS 23.4.2024). Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021). Bei der brutalen Durchsetzung von Regeln wie der Kopftuchpflicht für Frauen, die im September 2022 Auslöser der Proteste war, stehen laut dem Iran-Experten Walter Posch nicht unbedingt die regulären Polizeieinheiten im Fokus, sondern "überambitionierte Freiwillige", die sich normalerweise aus den Basij-Milizen rekrutieren. Sie nennen sich die "Hezbollahis" [Anm.: nicht gleichzusetzen mit der libanesischen Hisbollah], also "Parteigänger Gottes" und vertreten dabei das islamische Prinzip des "Gebieten des Guten, Verbieten des Schlechten" (al-amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿani-l-munkar). Die Polizei hat wenig Anreiz, Frauen vor Willkür zu schützen und sich mit den politisch bestens vernetzten Hezbollahis anzulegen (Zenith 21.9.2022).
Polizei (Strafverfolgungskommando, FARAJA), Sittenpolizei
Letzte Änderung: 26.06.2024
Das Strafverfolgungskommando (FARAJA) ist die uniformierte Polizei Irans und umfasst Abteilungen für öffentliche Sicherheit, Verkehrskontrolle, Drogenbekämpfung, Spezialkräfte (Aufstandsbekämpfung, Terrorismusbekämpfung, Geiselbefreiung usw.) sowie für nachrichtendienstliche und strafrechtliche Ermittlungen. Die FARAJA ist auch für die Grenzsicherung zuständig (über das Grenzschutzkommando) (CIA 7.5.2024). Früher war die Organisation als "Strafverfolgungsbehörde der Islamischen Republik Iran" (NAJA) bekannt. Mit der Umbenennung erfolgte eine Erweiterung der Befugnisse und Einrichtungen, u. a. wurde eine neue nachrichtendienstliche Organisation der FARAJA geschaffen (IrWire 25.9.2022). Seit dem Jahr 2000 werden bestimmte Verwaltungsaufgaben in teilprivate, der NAJA angegliederte Firmen ausgelagert. Zu den Aufgaben dieser Firmen zählen beispielsweise die Ausstellung von Führerscheinen und Schutz- bzw. Wachdienste (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Sittenpolizei
Zu den Unterabteilungen der FARAJA zählt die Polizei für Öffentliche Sicherheit [polīs-e ettelā’āt va amnīyat-e‘ omūmī - PAVA], die wiederum eine Unterabteilung mit dem Namen "Polizei für Moralische Sicherheit" oder Sittenpolizei [polīs-e amnīyat-e akhlāqī] hat (AI 6.3.2024; vgl. Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Ihr Auftrag ist die Überwachung von Bekleidungsvorschriften für Frauen und Männer in der Öffentlichkeit (Vermeidung eines "unislamischen" Erscheinungsbilds) sowie die Überwachung (und Verhinderung) von Verhalten gegen die "islamische Moral" im Allgemeinen. Die Sittenstreife (gasht-e ershād [auch: "Belehrungsstreife"]) ist eine Untereinheit der Sittenpolizei. Sie besteht aus männlichen wie weiblichen Sicherheitskräften und ist üblicherweise in Polizeiautos auf öffentlichen Plätzen stationiert. Dort überwachen sie die Lage und verhaften Personen, insbesondere Frauen, die vorgeblich "unzüchtig" gekleidet sind, oder versuchen, eine Vermischung der Geschlechter zu unterbinden [Anm.: so die betroffenen Männer und Frauen nicht nah miteinander verwandt sind] (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Die Sittenpolizei wird beschuldigt, Frauen willkürlich wegen Übertretungen zu verhaften. Der Tod einer jungen Frau, die zuvor von der Sittenpolizei wegen eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs festgenommen worden war, hat monatelange Proteste ausgelöst (DW 4.12.2022). Nach dem Ausbruch der landesweiten Proteste im September 2022 verschwand die Sittenpolizei weitgehend von den Straßen (USIP 6.9.2023a). Anfang Dezember 2022 berichteten Medien, dass die Sittenpolizei aufgelöst werden soll (DW 4.12.2022; vgl. Tagesschau 11.3.2023), was als Zugeständnis an die Protestbewegung gewertet wurde (Tagesschau 11.3.2023). Tatsächlich wurde die Sittenpolizei jedoch nie aufgelöst. Die iranische Regierung hielt bezüglich der Umsetzung der Bekleidungsvorschriften an ihrer Position fest und verstärkte die Durchsetzung der Vorschriften später wieder. Im Juli 2023 setzte sie die Sittenpolizei wieder ein (USIP 6.9.2023a; vgl. RFE/RL 20.7.2023).
Revolutionsgarden und Basij
Letzte Änderung: 26.06.2024
Die Revolutionsgarden (auch Pasdaran oder Sepah) sind sowohl militärische Kampftruppe, Sicherheitsbehörde und Geheimdienstorganisation als auch eine soziale und kulturelle Macht und ein industrielles wie wirtschaftliches Konglomerat (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Für die Organisation wurden bei ihrer Gründung mehrere Ziele definiert, allen voran der Schutz der Ideologie der Revolution, die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und die Verhinderung eines Putsches. Darüber hinaus sollte die Organisation ein Gegengewicht zum stehenden Heer bilden, obwohl sie in Koordination und Kooperation mit diesem agieren sollte (Shapira/INSS 11.2023). Die Revolutionsgarden haben engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 30.11.2022).
Heute sind die Revolutionsgarden die wichtigste militärische Organisation des Landes. Sie erhalten vorrangig Ressourcen und sind für alle sensiblen Projekte zuständig (Shapira/INSS 11.2023; vgl. AA 30.11.2022). Die Revolutionsgarden verfügen über zahlreiche Zweige, darunter eine Marine, Luftwaffe und Geheimdienst sowie die Quds-Kräfte, eine Streitkraft für auswärtige Angelegenheiten (Shapira/INSS 11.2023), und auch über eigene Gefängnisse (AA 30.11.2022). Darüber hinaus ist die Organisation für die Basij verantwortlich (Shapira/INSS 11.2023; vgl. CFR 17.4.2024).
Die Revolutionsgarden wurden auch damit betraut, die iranische Revolution in die Welt zu exportieren (Shapira/INSS 11.2023; vgl. CFR 17.4.2024). Es gibt nur wenige Konflikte in der Region, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit (Tagesschau 8.6.2017; vgl. CFR 17.4.2024). Die Teilstreitkraft (niru) Quds ist dabei die international bekannteste Einheit der Revolutionsgarden. Ihr Schwerpunkt liegt auf Militärberatung, Organisation bzw. Überwachung und Durchführung des Expertisen- und Technologietransfers, worunter auch der Transfer von Raketen fällt, sowie auf nachrichtendienstlicher Tätigkeit auf allen Ebenen (Posch/LVAk 1.2.2024). Die Quds ist Irans wichtigstes Mittel zur Durchführung unkonventioneller Operationen im Ausland. Sie verfügt über mehr oder weniger enge Verbindungen zu staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in aller Welt (DIA 2019), beispielsweise zu bewaffneten Organisationen in Afghanistan, Gaza, Irak und Jemen (Shapira/INSS 11.2023). Aktive Kampfaufträge und militärische Operationen fallen dagegen in den Aufgabenbereich der Sondereinheit Saberin der Revolutionsgarden (Posch/LVAk 1.2.2024).
Neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat haben die Revolutionsgarden im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchdrungen und sich zu einem Staat im Staate entwickelt (AA 30.11.2022). Sie spielen eine dominante Rolle in der iranischen Wirtschaft (FH 2024). Ihre Aktivitäten haben sich vom Wiederaufbau von Infrastruktur in viele andere Branchen ausgedehnt, darunter das Bankwesen, die Schifffahrt, die verarbeitende Industrie und Konsumgüterimporte. Dank ihres politischen Einflusses erhalten Unternehmen, die den Revolutionsgarden angehören, vom Staat nicht ausgeschriebene Aufträge (CFR 17.4.2024). Das Baukonglomerat der Revolutionsgarden Khatam al-Anbia (auch bekannt unter dem Akronym GHORB) beschäftigt Berichten zufolge Zehntausende Mitarbeiter und hat Bauaufträge im Wert von Milliarden US-Dollar erhalten (BBC 3.1.2020). Die Revolutionsgarden kontrollieren die Flug- (WFP 1.2024) und Seehäfen Irans und entscheiden damit, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht (DW 18.2.2016; vgl. RFE/RL 5.6.2018). Wie groß der Anteil der iranischen Volkswirtschaft insgesamt ist, den die Revolutionsgarde inzwischen kontrolliert, lässt sich nicht sagen, da genaue Statistiken und Daten dazu fehlen (DW 7.3.2023). Mittlerweile sind die wirtschaftlichen Aktivitäten der Revolutionsgarden außerhalb des normalen Marktgeschehens jedoch so umfangreich, dass der Privatsektor in vielen Bereichen nicht mehr existiert (IRJ 1.2.2021).
Basij
Die Basij sind laut einem Iran-Experten die größte zivile Milizorganisation der Welt (TWI 5.1.2018) und sind ein wichtiger Teil des Sicherheitsapparats des Regimes (DIA 2019). Sie bilden ein Netzwerk aus Basij-Basen, Distrikten und Regionen. Die Basij-Basen sind aufgrund ihrer großen Sichtbarkeit (50.000 Standorte im gesamten Iran) das Rückgrat der Organisation an der Basis (TWI 5.1.2018). Die Basij haben unter anderem in Schulen und Universitäten Stützpunkte, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist (ÖB Teheran 11.2021), und sind auch in Moscheen stationiert (DW 7.3.2023).
Die Basij haben spezialisierte Abteilungen für verschiedene Segmente der iranischen Gesellschaft (DIA 2019; vgl. ABC News 13.10.2022), darunter die Schüler-Basij [basij-e danesh-amouzi], Studenten-Basij [basij-e daneshjouyi] oder die Arbeiter-Basij [basij-e karegaran], die ein Gegengewicht zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Gewerkschaften oder Studentenvereinigungen bilden sollen (USIP 6.10.2010). Der Sicherheitsapparat der Basij umfasst bewaffnete Brigaden, Aufstandsbekämpfungseinheiten und ein umfangreiches Netzwerk an Informanten (ABC News 13.10.2022), wobei der Geheimdienst der Revolutionsgarden auf Letzteres zurückgreifen kann (TWI 5.1.2018). Nicht alle Basij-Mitglieder sind an politischen Repressionen beteiligt. Dennoch verfügt die Organisation über mehrere Sicherheits- und Militäreinheiten, die sich aus aktiven oder freiwilligen Mitgliedern zusammensetzen (TWI 5.1.2018) und das Regime setzt eine ausgewählte Gruppe an Basij in Zivil für Sicherheitsagenden und zur "Kontrolle bei Massenansammlungen" ein (Kayhan 14.10.2022), d. h. zur gewaltsamen Unterdrückung von Demonstrationen, wobei diese Basij-Mitglieder bewaffnet sind. Sie spielten bei der Unterdrückung der Protestaktionen [ab September 2022] eine Schlüsselrolle (DW 7.3.2023). So wurde in Teheran während der Proteste 2022-2023 beispielsweise auf die Basij-Sondereinheit Fatehin zurückgegriffen (Posch/LVAk 1.2.2024). Sie gilt als die "eigentliche Miliz" der Basij. Mitglieder dieser Freiwilligen-Einheit wurden ab 2015 auch im syrischen Bürgerkrieg eingesetzt (Posch/LVAk 1.2.2024; vgl. DIA 2019). Jedoch war auch die Studenten-Basij (auf Englisch Student Basij Organisation, SBO) in die gewaltsame Niederschlagung der Proteste an den Universitäten ab September 2022 involviert (NLM 20.4.2023; vgl. IRINTL 22.5.2023).
Es gibt verschiedene Arten von Basij-Mitgliedern - nämlich allgemeine, reguläre, aktive und Spezialmitglieder (DIA 2019; vgl. TWI 5.1.2018) - mit zunehmendem Fähigkeits- und Ausbildungsniveau, wobei die genauen Begriffe und Beschreibungen für diese Stufen variieren. Weiters gibt es noch eine Gruppe potenzieller Basij, die zwar keine formalen Mitglieder, aber Unterstützer der Islamischen Revolution sind und sich an Basij-Aktivitäten beteiligen. Während diese Gruppe, wie auch die allgemeinen und regulären Basij ehrenamtlich tätig sind, erhalten die aktiven und Spezial-Basij-Mitglieder neben einer umfangreicheren Ausbildung auch Gehälter. Die Spezial-Basij, die am besten ausgebildeten und erfahrensten Mitglieder, sind mit Vollzeit-Soldaten der Revolutionsgarden vergleichbar (DIA 2019). Die meist jungen Basij-Freiwilligen absolvieren dagegen normalerweise eine begrenzte Ausbildung, um als Hilfskräfte für die lokale Sicherheit zu dienen und die staatliche Kontrolle über die Gesellschaft durchzusetzen (IRINTL 1.7.2022). Alle Basij-Mitglieder, die über 15 Jahre alt sind, müssen als Teil ihres Dienstes ein zweimonatiges Militärtraining bei den Revolutionsgarden absolvieren (FP 30.1.2023). In die Basij einzu¬treten eröffnet vielen jungen Menschen Perspektiven für Bildung und Beruf. Um von einer Mitgliedschaft in vollem Maße zu profitieren und dadurch in den Genuss von Krediten, kürzerem Wehr-dienst und besseren Berufsaussichten zu kommen, müssen spezielle Trainingsprogramme absolviert werden, die mindestens sechs Monate dauern (Zamirirad/SWP 19.4.2023).
Wichtigste Nachrichten- und Geheimdienste
Letzte Änderung: 26.06.2024
Iran hat insgesamt 16 nachrichtendienstliche Organisationen (DIA 2019). Die beiden wichtigsten Geheimdienste Irans sind das VAJA/MOIS und der Geheimdienst der Revolutionsgarden (englischsprachiges Akronym: IRGC-IO) [sāzmān-e ettelā’āt-e sepāh-e pāsdārān-e enqelāb-e eslāmī] (USIP 17.2.2023; vgl. DIA 2019). Weitere Nachrichtendienste sind bei der regulären Armee (Artesh) und der Strafverfolgungsbehörde angesiedelt. Die Revolutionsgarden verfügen auch über eine eigene Spionageabwehr-Organisation (IRGC-CIO) (DIA 2019).
Der Leiter des MOIS hat einen Kabinettsposten inne und ist dem Präsidenten verantwortlich. Der Geheimdienst der Revolutionsgarden fällt dagegen unter die militärische Befehlskette und untersteht direkt dem Obersten Führer (USIP 17.2.2023; vgl. DIA 2019). Laut dem Iran-Experten Walter Posch ist die Organisation nur nominell und aus historischen Gründen Teil der Revolutionsgarden, in Wirklichkeit ist sie ein eigenständiger Dienst (Posch/Chatham 5.5.2023). Die verzweigten Nachrichtendienststrukturen sollen auch dafür sorgen, dass keiner der Dienste zu mächtig wird (DIA 2019).
Der zivile Nachrichtendienst MOIS (DIA 2019) ist mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst und den technischen Aufklärungsdienst. Der Inlandsgeheimdienst beobachtet die politische Opposition und übt Druck auf diese aus (AA 30.11.2022). Eine Einheit, die dem MOIS zuarbeitet, ist die Herasat (sāzmān-e herāsat-e koll-e keshvar). Sie hat in allen Zivilorganisationen und Universitäten Zweige zur Identifizierung von Sicherheitsbedrohungen für das Regime (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021; vgl. TWI 5.1.2018). Die IRGC-IO wurde im Zuge der Proteste des Jahres 2009 gegründet (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021) und ist der wichtigste militärische Nachrichtendienst Irans (DIA 2019). Die Missionen des MOIS und der IRGC-IO überlappen sich deutlich (USIP 17.2.2023; vgl. Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021, DIA 2019), da beide Institutionen umfangreiche Aufgabenbereiche haben (USIP 17.2.2023). Die Hauptaufgabe des MOIS wie der IRGC-IO ist es, die Islamische Republik an der Macht zu halten. Die Überwachung von Dissidenten im In- und Ausland und die Unterdrückung organisierter Opposition sind wichtige Aufgabenfelder beider Dienste (USIP 17.2.2023).
Das MOIS ist z. B. laut dem Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland der Hauptakteur iranischer Nachrichtendienstaktivitäten in Deutschland. In seinem Fokus stehen insbesondere iranische Oppositionsgruppen. Darüber hinaus sind auch die geheimdienstlich agierenden Quds-Kräfte in Deutschland aktiv (BMIH/BfV 20.6.2023). Der Tradition großer Nachrichtendienste folgend, unterhält Iran an ausgewählten Botschaften „Legalresidenturen“ (nachrichtendienstliche Stützpunkte), so auch in Wien. Irans Botschaft in der Bundeshauptstadt gilt als bedeutende Einrichtung zur Tarnung von Nachrichtendienstmitarbeitern und als wichtige Steuerungszentrale iranischer Nachrichtendienstaktivitäten in Europa (BMI/DSN 17.5.2024). Bei ihren Operationen im westlichen Ausland stützen sich die iranischen Nachrichten- und Geheimdienste auch auf Dritte, wie zum Beispiel Kriminelle (WP 1.12.2022a).
Behörden zur Überwachung von Internetaktivitäten
Letzte Änderung: 26.06.2024
Zur Überwachung des Internets wurde der "Hohe Rat für den Cyberspace" gegründet. Er setzt sich aus hochrangigen Militärs und Politikern zusammen (DlF 26.9.2022; vgl. RSF o.D.a). Dem Innenministerium unterstellt ist darüber hinaus die Cyberpolizei (polīs-e fazā-ye toulīd va tabādol-e ettelā’āt - FATA), wortwörtlich die "Polizei für virtuellen Raum und Informationsaustausch" (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021), die auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste steht. Sie beschäftigt sich mit Internetkriminalität, speziell Wirtschaftskriminalität, Betrugsfälle, Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet (AA 30.11.2022). Die Ausforschung von Verkäufern von Virtual Private Network (VPN)-Zugängen zählt ebenfalls zu den Aufgaben der FATA (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Nach eigenen Angaben beschäftigt die FATA rund 42.000 Freiwillige, die Aufgaben bei der Überwachung des virtuellen Raums sowie bei der Erstellung und Bewerbung von Inhalten übernehmen (Medium 18.2.2019; vgl. Landinfo 9.11.2022). Das Aufgabenfeld der FATA überlappt sich mit jenem des Zentrums zur Überwachung Organisierter Kriminalität (markaz-e barrasī-ye jarā’em-e sāzmān-yāfteh - CIOC) und dem Cyberverteidigungskommando der Revolutionsgarden (qarārgāh-e defā’-e sāiberī). Diese beschäftigen sich jedoch in stärkerem Ausmaß mit Fragen der nationalen Sicherheit, wie zum Beispiel der Verbreitung von Onlinematerial kurdischer Parteien und politischer Bewegungen, oder der Verbreitung des christlichen Glaubens in den sozialen Medien. Die FATA beschäftigt sich demgegenüber eher mit "einfachen" Verbrechen, darunter auch Sittenverbrechen (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021). Unter anderem überwacht sie beispielsweise die Inhalte von als apolitisch wahrgenommenen Influencerinnen in den sozialen Medien bezüglich der Einhaltung der Hijab-Pflicht (Medium 18.2.2019). Darüber hinaus spielen auch die Basij eine Rolle bei der Überwachung von Internetaktivitäten (Landinfo 9.11.2022). Laut einem mit diesem Thema befassten Experten konzentrieren sich die bestehenden Überwachungskapazitäten Teherans derzeit vor allem auf die Überwachung einfacher Bürger, einschließlich politischer Aktivisten und Oppositioneller, und weniger auf die Abwehr von Cyberangriffen aus dem Ausland (Khorrami/TWI 29.3.2024).
Reguläre Armee - Artesh
Letzte Änderung: 18.06.2024
Das reguläre Militär (Artesh) wird in erster Linie entlang der iranischen Grenzen eingesetzt, um Invasionstruppen abzuwehren (CRS 26.1.2024; vgl. AA 30.11.2022) und erfüllt Aufgaben der Gebäudesicherung (AA 30.11.2022). Es verfügt (wie die Revolutionsgarden) über Land-, Luft- und Seestreitkräfte (CRS 26.1.2024; vgl. DIA 2019).
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 26.06.2024
Die iranische Verfassung verbietet die Verletzung der Würde und des Ansehens von Personen, die festgenommen, inhaftiert, eingesperrt oder verbannt werden (UNHRC 19.3.2024), und das Erzwingen von Geständnissen durch Härte oder Folter ist durch die Verfassung verboten. Diese Geständnisse gelten vor Gericht als unzulässig. Artikel 171 des islamischen Strafgesetzbuchs (IStGB) sieht jedoch vor, dass ein Geständnis allein als Grundlage für eine Verurteilung verwendet werden kann, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen (UNHRC 9.2.2024), und die Verfassung enthält kein absolutes Verbot von Folter oder Misshandlung, da sie die Definition von Folter auf Handlungen einschränkt, die "zum Zweck der Erzwingung eines Geständnisses oder der Erlangung von Informationen" erfolgen. Darüber hinaus verbietet die iranische Gesetzgebung zwar bestimmte Arten von missbräuchlichem Verhalten bei Verhören, enthält jedoch keine ausdrückliche Definition des Straftatbestands der Folter und verhindert somit eine angemessene Ahndung entsprechender Vergehen (UNHRC 19.3.2024).
Psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, sind durchaus üblich (AA 30.11.2022; vgl. USDOS 23.4.2024). Folter wurde besonders gegen Personen eingesetzt, denen Vergehen gegen die nationale Sicherheit, politische Vergehen oder Drogenvergehen vorgeworfen werden (UNHRC 9.2.2024). Folter wird in politischen Fällen nicht nur geduldet, sondern mitunter angeordnet (AA 30.11.2022). Laut Amnesty International wird Folter in Iran systematisch eingesetzt (AI 24.4.2024).
Ziel der Folter sind einerseits Geständnisse, auf die das iranische Justizsystem stark angewiesen ist (IrWire 17.2.2023; vgl. AA 30.11.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 2024). Andererseits dient die systematische und weitverbreitete Anwendung von Folter der Abschreckung. Das dritte Motiv für die Folter, das mit zuvor genanntem verbunden ist und ausschließlich für politische Gefangene gilt, ist die öffentliche Zurschaustellung von gebrochenen Persönlichkeiten. Die Folterung von politischen Gegnern mit dem Ziel, falsche Geständnisse zu erlangen und diese öffentlich zu verbreiten, ist eine Botschaft an die Gesellschaft, dass die Regierung jeden Widerstand niederschlagen kann (IrWire 17.2.2023; vgl. AA 30.11.2022). Das Staatsfernsehen ist dafür bekannt, dass es Geständnisse von politischen Gefangenen ausstrahlt, die unter Zwang bzw. Folter oder anderen Misshandlungen erpresst wurden (FH 2024; vgl. AI 18.1.2024).
Zahlreiche Berichte legen nahe, dass Mahsa Jina Amini, deren Tod weitverbreitete Proteste auslöste, vor ihrem Tod in Gewahrsam der Sittenpolizei geschlagen worden war, darunter auch auf den Kopf (UNGA 6.10.2023). Die Sicherheitskräfte unterdrückten die im September 2022 nach Aminis Tod im ganzen Land ausgebrochenen Proteste u. a. mit rechtswidriger Tötung, Folter, sexuellen Übergriffen und dem gewaltsamen Verschwindenlassen von Demonstranten, darunter auch Frauen und Kinder (HRW 11.1.2024a; vgl. AI 12.2023). Folter und Misshandlungen begannen häufig unmittelbar nach der Festnahme und setzten sich während der Verbringung in Haftanstalten sowie in Polizeistationen, Haftanstalten des Geheimdienstministeriums (MOIS) oder der Revolutionsgarden und Gefängnissen fort. Die meisten Verstöße ereigneten sich in der ersten Zeit der Inhaftierung, insbesondere während der Verhöre. Die schlimmste Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und anderer Formen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, wurde in inoffiziellen Haftanstalten der Revolutionsgarden und des MOIS verübt (UNHRC 19.3.2024).
Im Rahmen der Protestniederschlagung starben laut Menschenrechtsorganisationen mindestens 37 Protestteilnehmer an den Folgen von Folter, 23 Demonstranten starben kurz nach ihrer Entlassung (UNHRC 19.3.2024). Laut einer Untersuchung von IranWire [Anm.: regimekritische Nachrichtenorganisation] lassen sich die Todesursachen von Gefangenen oder vor Kurzem aus der Haft Entlassenen, darunter auch Protestteilnehmern, in folgende Hauptkategorien unterteilen: 1. verweigerte medizinische Behandlung; 2. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller körperlicher Verletzungen; 3. unmittelbare Zufügung extremer und qualvoller mentaler und emotionaler Schäden. Die Ursache für den Tod von Gefangenen kurz nach der Entlassung ist in den meisten Fällen Selbstmord, der auf die Haftbedingungen oder die Angst vor einer Rückkehr in diese Bedingungen zurückzuführen ist (IrWire 17.2.2023).
Folter wird sowohl seitens der Polizei, im parallelen System der Basij/Pasdaran als auch in Gefängnissen angewandt (ÖB Teheran 11.2021). Fälle von Folter wie auch Todesfälle aufgrund von Gewaltanwendung wurden überdies in verschiedenen Prozessstadien verzeichnet, beispielsweise während Voruntersuchungen und in Haftzentren (UNHRC 13.1.2022). Menschenrechtsorganisationen verwiesen regelmäßig auf mehrere Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert wurden, insbesondere auf die Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden. Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 23.4.2024).
Straflosigkeit ist nach wie vor ein weitverbreitetes Problem bei allen Sicherheitskräften (USDOS 23.4.2024).
Gerichte verhängen weiterhin körperliche Strafen, wie zum Beispiel Auspeitschungen. Blendung, Steinigung und Amputation. Diese gelten als legale Strafmaßnahmen. 2023 wurde jedoch von keinen Fällen berichtet, in denen diese Strafen verhängt wurden (USDOS 23.4.2024). Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021).
Wehrdienst
Letzte Änderung: 19.06.2024
Der Wehrdienst ist verpflichtend und gilt für alle Männer zwischen 18 und ca. 40 Jahren (DFAT 24.7.2023; vgl. CIA 26.3.2024). Die Länge wurde gemäß einer Ankündigung der Behörde für Wehrpflicht vom Oktober 2023 von vormals 18 bis 24 Monaten auf mindestens 14 und höchstens 21 Monate verkürzt (IRNA 22.10.2023; vgl. JPOST 23.10.2023). Die geänderten Dienstzeiten gelten für alle Wehrpflichtigen und werden auf der Grundlage des spezifischen Dienstortes und der Art der zugewiesenen Aufgaben festgelegt (IRNA 22.10.2023). Es gibt keinen Wehrersatzdienst aus Gewissensgründen (DFAT 24.7.2023).
Iraner, deren Väter im Irak-Iran-Krieg gekämpft haben, müssen nur einen verkürzten Wehrdienst leisten (ÖB Teheran 11.2021). Aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen können Wehrpflichtige ausgemustert werden (AA 30.11.2022). Eine gängige Ausnahmeregelung gilt für iranische Männer, die der einzige Sohn eines geschiedenen Paares sind (DFAT 24.7.2023). Transgender, homosexuelle und bisexuelle Männer können aus medizinischen Gründen freigestellt werden, wenn ihre sexuelle Orientierung oder Identität als medizinischer Zustand eingestuft wird. In den Befreiungskarten wird der Artikel und der entsprechende Abschnitt, unter dem die Befreiung laut Militärgesetz gewährt wird, aufgeführt. Der Eintrag in den Befreiungskarten setzt die betroffenen Personen damit einem erhöhten Risiko körperlicher Misshandlung und Diskriminierung im Alltag aus (MBZ 9.2023; vgl. DFAT 24.7.2023).
Eine Befreiung vom Wehrdienst konnte bis 2019 erkauft werden. Im Januar 2022 wurde eine kostenpflichtige Freistellungsregelung angekündigt, die jedoch nach einer öffentlichen Gegenreaktion schnell wieder zurückgezogen wurde. In der Vergangenheit konnte man Geldstrafen für das Fernbleiben vom Dienst zahlen, was es wohlhabenden Menschen ermöglichte, sich dem Dienst zu entziehen. Jetzt versuchen wohlhabende Iraner mitunter, sich durch Migration der Einberufung zu entziehen, oder durch ein Bestechungsgeld von etwa 10.000 USD, um dem Militärdienst zu entgehen (DFAT 24.7.2023). Laut vertraulichen Quellen des niederländischen Außenministeriums besteht für Auslandsiraner die Möglichkeit, sich vom Militärdienst freizukaufen (MBZ 9.2023). Gemäß einem Parlamentsbeschluss ist ein Freikauf für Auslandsiraner im Jahr 1403 [2024/2025] mit einer Summe von 15.000 USD möglich (Heyva o.D.). Die genauen Durchführungsbestimmungen sind allerdings noch nicht bekannt (Generalkonsulat München o.D.; vgl. Heyva o.D.). Kurzbesuche von Auslandsiranern, welche die Dauer von drei Monaten unterschreiten, sind in Iran unter bestimmten Voraussetzungen möglich, ohne sofort zum Militärdienst eingezogen zu werden (MBZ 9.2023; vgl. DFAT 24.7.2023).
Wehrpflichtige werden nicht individuell per Brief einberufen, sondern müssen sich selbst bei den Militärbehörden melden. Die Einberufung zum Dienst erfolgt mit Vollendung des 18. Lebensjahres und ist eine bekannte gesetzliche Verpflichtung. Der Einzelne ist verpflichtet, sich unaufgefordert bei seiner örtlichen Einberufungsstelle zum Dienst zu melden (SFH 17.5.2022). Wehrpflichtige erhalten nach Ableistung ihres Militärdienstes eine Bescheinigungskarte "über das Ende des Wehrdienstes" (kart-e payan-e khetmat) (FP 30.1.2023; vgl. USDOS o.D.), die alle Männer in Iran besitzen müssen (FP 30.1.2023). Dieser Ausweis ist im täglichen Leben bedeutsam, er wird beispielsweise bei der Arbeitssuche, zur Beantragung eines Reisepasses oder sogar beim Kauf eines Motorrads benötigt (WP 27.2.2021) und sorgt dafür, dass die Mehrheit der jungen Männer den Wehrdienst erfüllt (SFH 17.5.2022).
Männer, die von der Wehrpflicht ausgenommen sind, erhalten eine Befreiungskarte (kart-e mo’afiyat az khedmate doreye zaroorat). Bei Massenbefreiungen von der Wehrpflicht kann anstelle dieses Ausweises auch eine Kopie des Befreiungsbescheides und der Geburtsurkunde (Nachweis des Zustandes) vorgelegt werden. Vorübergehende Studentenbefreiungen können auch durch ein Schreiben der Wehrpflichtbehörde und einen Nachweis über die Kautionszahlung des Studenten für eine Ausreise aus Iran belegt werden (USDOS o.D.).
Wehrdienstpflichtige, d. h. männliche Staatsangehörige über 18 Jahren, die nicht etwa aufgrund eines Studiums vorübergehend von der Wehrdienstpflicht befreit sind, dürfen mit wenigen Ausnahmen vor Ableistung ihres Wehrdienstes das Land nicht verlassen (d. h. sie erhalten erst danach einen Reisepass) bzw. müssen eine größere Kaution hinterlegen. Angehörige der Streitkräfte und der Polizei dürfen das Land nur mit Zustimmung ihres Dienstgebers verlassen (ÖB Teheran 11.2021).
Die Bedingungen beim iranischen Militär können sehr hart sein, vor allem in abgelegenen Gebieten, wobei die Erfahrungen der Wehrpflichtigen variieren, je nachdem, wo sie eingesetzt werden und welche Art von Arbeit sie verrichten (DFAT 24.7.2023).
Wehrdienst bei den Revolutionsgarden
Wehrdienst kann u. a. bei den folgenden Organisationen abgeleistet werden: reguläre Streitkräfte (Artesh), Revolutionsgarden (IRGC), Polizei, Verteidigungsministerium, Sicherheitsgarde der Justizbehörden, aber auch bei Naturschutzbehörden und Stadtverwaltungen (AA 30.11.2022). Die Wehrpflichtigen können sich weder die Art des Dienstes noch den Ort aussuchen, an dem sie eingesetzt werden (DFAT 24.7.2023), oder ob sie den Wehrdienst bei der regulären Armee oder bei den Revolutionsgarden ableisten - es sei denn, sie haben zuvor schon für eine bestimmte Organisation gearbeitet (ACCORD 7.2015). Von den rund 400.000 jährlichen Rekruten leisten ca. 50.000 ihren Wehrdienst bei den Revolutionsgarden ab. Seit 2010 gibt es Bestrebungen, vornehmlich aktive Mitglieder der Basij-Freiwilligenmiliz als Wehrpflichtige in die Revolutionsgarden aufzunehmen. Eine Mehrheit der Wehrpflichtigen in den Revolutionsgarden rekrutiert sich seitdem aus Basij-Freiwilligen, die mit den Revolutionsgarden ideologisch verbunden sind (FP 30.1.2023), wobei es beispielsweise auch Basij-Angehörige gibt, die sich zu dieser Miliz gemeldet haben, um die Dauer ihres Wehrdienstes zu verkürzen oder diesen nach Möglichkeit in einem Behördenbüro statt auf einem Militärstützpunkt zu absolvieren, und die keine glühenden Verfechter des Regimes sind (Kayhan 14.10.2022). Der restliche Anteil an Wehrpflichtigen in den Revolutionsgarden setzt sich einerseits aus Universitätsabsolventen zusammen, die sich aufgrund ihrer fachlichen Spezialisierungen mittels Direktiven (Amriyeh) für Schreibtischjobs in verschiedenen Ministerien und Behörden oder in mit den Revolutionsgarden verbundenen Organisationen (kulturellen, politischen, wirtschaftlichen) bewerben können. Jeder dieser Wehrpflichtigen muss persönlich und proaktiv eine Entscheidung treffen, wo er seinen Amriyeh beantragen möchte. Andererseits teilt die Behörde für Wehrpflicht den Revolutionsgarden in jenen Gebieten, in denen es zu wenige Basij-Mitglieder für den Wehrdienst gibt, auch Wehrpflichtige zu (FP 30.1.2023).
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 19.06.2024
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15.11.1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene "Hohe Rat für Menschenrechte" untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten "Pariser Prinzipien" (AA 30.11.2022).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 2020). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamische Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, welche die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 IStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des IStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 30.11.2022).
Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung: 26.06.2024
Die Verfassung sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien, es sei denn, etwas wird als "schädlich für die Grundprinzipien des Islam oder die Rechte der Öffentlichkeit" angesehen (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 30.11.2022; vgl. HRW 11.1.2024a), sowohl online als auch offline (FH 2024). Die Gesetzgebung sieht die strafrechtliche Verfolgung von Personen vor, die der Anstiftung zu Straftaten gegen den Staat oder die nationale Sicherheit oder der "Beleidigung" des Islam beschuldigt werden. Die Regierung nutzt Gesetze, um Personen, welche die Regierung direkt kritisieren oder Menschenrechtsprobleme ansprechen, einzuschüchtern oder strafrechtlich zu verfolgen, sowie um normale Bürger zur Einhaltung des Moralkodex der Regierung zu zwingen (USDOS 23.4.2024).
Zugang zu Informationen
Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol (AA 30.11.2022; vgl. Landinfo 9.11.2022). Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet (AA 30.11.2022). Satellitenschüsseln sind verboten, und Übertragungen in persischer Sprache aus dem Ausland werden regelmäßig gestört (sogenanntes Jamming). Die Polizei führt zeitweise Razzien in Privathäusern durch und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 2024).
Mit Stand Jänner 2023 nutzten beinahe 80 % der Bevölkerung das Internet (FH 4.10.2023), wobei mehr als 60 % des Internetverkehrs über mobiles Internet läuft (RSF 5.10.2022). Seit 2009 haben die Behörden erhebliche Mittel in den Ausbau der Infrastruktur, aber auch in die Kontrolle ihrer Nutzung investiert (Landinfo 9.11.2022). Die Investitionen der Regierung in die IKT-Infrastruktur im Rahmen des National Information Network (NIN - auf Farsi: SHOMA (Medium 3.10.2019)) haben die Internetanbindung ländlicher Gebiete verbessert und die Kluft zwischen Stadt und Land etwas verringert, auch wenn die Preise weiterhin hoch sind (FH 4.10.2023). Die Telekommunikationsfirma, die den Internetverkehr nach und aus Iran kontrolliert, befindet sich in Besitz der Revolutionsgarden (Landinfo 9.11.2022). Mit dem NIN haben die iranischen Behörden eine lokalisierte Internetarchitektur aufgebaut. Damit sind die Behörden in der Lage, die Verbindungen zum globalen Internet zu kappen und gleichzeitig die inländischen Dienste online zu halten. Über das NIN soll eine "mehrschichtige" oder "abgestufte" Internetstruktur eingeführt werden, bei der bestimmte Personengruppen Zugang zum globalen Internet haben, während der Rest auf das inländische Netz angewiesen ist. Die Umsetzung würde die Zensur- und Überwachungsmöglichkeiten der Regierung erweitern, da ein Großteil der Bevölkerung gezwungen wäre, inländische Apps und Plattformen zu nutzen, die nur schwache Datenschutz- und Sicherheitsfunktionen bieten. Behördenangaben zum Entwicklungsstand des NIN waren in der Vergangenheit umstritten (FH 4.10.2023). Laut einem führenden Cloud-Service-Anbieter weltweit hat der Internetverkehr aus Iran in den vergangenen zwei Jahren merklich abgenommen, was auf eine zunehmende Isolierung des iranischen Netzwerks hindeutet (IRINTL 17.4.2024).
Die Regierung versucht auch, Internetnutzer mittels Preisanreizen zur Nutzung nationaler Plattformen zu bewegen (FH 4.10.2023; vgl. Filterwatch 27.1.2023). Beispielsweise sind die Tarife zum Abrufen der Videoplattform Aparat, die Youtube ähnelt (FH 4.10.2023), oder bei Nutzung iranischer Apps günstiger. Nutzer sind auch gezwungen, iranische Messaging-Apps wie Rubika, Bale, Gap, Eita und Soroush herunterzuladen, um Zugang zu bestimmten Diensten wie E-Government und Bankfunktionen zu erhalten (Filterwatch 27.1.2023). Diese Apps und Dienste sind anfälliger für staatliche Kontrolle, sie können den Zugriff auf Daten und die Überwachung von Nutzern und Inhalten ermöglichen (Filterwatch 27.1.2023; vgl. FH 4.10.2023).
Alle wichtigen Social-Media-Plattformen, darunter Instagram, Twitter, YouTube und Telegram, sind in Iran zusammen mit Tausenden von Websites verboten, erfreuen sich aber nach wie vor großer Beliebtheit bei Dutzenden von Millionen von Nutzern - was diese seit Jahren dazu veranlasst, auf Umgehungstools wie VPNs [Virtual Private Networks] zurückzugreifen, um sie abzurufen (AJ 24.2.2024; vgl Landinfo 9.11.2022). Im Zuge der Repressionen gegen die Proteste ab September 2022 nahm die Regierung u. a. auch VPNs ins Visier (RSF 5.10.2022). Ihr Kauf und Verkauf wurde 2022 verboten. Mit einer Direktive vom Februar 2024 soll nun auch ihre Nutzung ohne Genehmigung illegal werden (AJ 24.2.2024; vgl. IrWire 20.2.2024).
Auch wenn die iranische Presselandschaft bislang eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums widergespiegelt hat, ist mit der Amtsübernahme der ultrakonservativen Regierung eine deutlich strengere Berichterstattung auf Regimelinie feststellbar. Geprägt wird die Presse ohnehin von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter "roter Linien" des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Verbot von Zeitungen (AA 30.11.2022). Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert, wobei das staatliche Fernsehen für die iranische Bevölkerung eine wichtige Informationsquelle ist (FH 2024). Zensur und Überwachung sind umfassend. Es wurde eine Cyberpolizei eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien (Landinfo 9.11.2022).
Verfolgung von Journalisten und Künstlern, akademische Freiheit
Nach dem Gesetz wird jeder, der in irgendeiner Form "Propaganda" gegen die Islamische Republik Iran oder zur Unterstützung oppositioneller Gruppen und Vereinigungen betreibt, mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft [Anm.: Bei Verurteilungen z. B. wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" oder "Korruption auf Erden" fallen höhere Strafen an] (USDOS 23.4.2024), wobei "Propaganda" nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet. Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung (ÖB Teheran 11.2021) sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. BBC 12.1.2023; vgl. FAZ 28.11.2023). Unter anderem wurde auch von Einschüchterungsversuchen und Drohungen gegen Journalisten in Großbritannien berichtet (Guardian 18.12.2023), darunter ein Mordkomplott gegen zwei bekannte Fernsehmoderatoren eines exiliranischen Senders (Guardian 30.1.2024).
Infolge der Mitte September 2022 ausgebrochenen landesweiten Proteste hat der Druck auf Journalistinnen und Journalisten weiter zugenommen (AA 30.11.2022). Es kam zu einer Welle an Festnahmen und Verhaftungen iranischer Medienschaffender, die über den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini und die darauffolgenden Proteste berichtet hatten (AA 30.11.2022; vgl. FH 2024). Die Journalistinnen Elahe Mohammadi und Niloofar Hamedi, die dazu beigetragen hatten, die Geschichte von Aminis Tod zu verbreiten, wurden im Oktober 2023 mittels konstruierter Anschuldigungen, darunter wegen "Kollaboration mit der feindlichen Regierung der Vereinigten Staaten" zu 12 bzw. 13 Jahren Gefängnis verurteilt (FH 2024).
Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der repressivsten Länder weltweit in Hinblick auf die Pressefreiheit. Nach der umfangreichen Protestwelle ab September 2022 ist Iran eines der Länder mit den meisten eingesperrten Journalisten weltweit. 2024 belegt das Land mit einem Wert von 21,3 Rang 176 von 180 im Pressefreiheitsindex der Organisation [Anm.: je höher der Rang, desto geringer die Pressefreiheit] (RSF o.D.b).
Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als "unislamisch" oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist "regimefeindlicher Propaganda" und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021). Auch Künstler, die die Protestbewegung deutlich unterstützten, sahen sich Repressalien, Verhaftungen und Strafverfolgung ausgesetzt. Die Behörden haben Dutzende von hochrangigen Schauspielern ins Visier genommen, welche die Proteste unterstützten (HRW 11.1.2024a).
Die akademische Freiheit ist weiterhin eingeschränkt. Der Oberste Führer Khamenei hat davor gewarnt, die Universitäten in Zentren für politische Aktivitäten zu verwandeln. Universitätsprofessoren wurden in großer Zahl entlassen, weil sie die Proteste "Frau, Leben, Freiheit" unterstützten oder aus anderen politischen Gründen. Laut Berichten des Center for Human Rights in Iran (CHRI) vom September 2023 wurden mindestens 26 Professoren wegen ihrer offensichtlichen Unterstützung der Proteste "Frau, Leben, Freiheit" entlassen. Im August 2023 berichtete die Zeitung Etemad, dass seit der Machtübernahme von Präsident Raisi mindestens 110 Akademiker entlassen wurden; Berichten zufolge wurden sie durch Personen ersetzt, die dem Establishment näher stehen. Seit Raisi Präsident ist, berichten Studierende von strengeren Beschränkungen, einschließlich strengerer Vorschriften für das Tragen des Hijabs. Im Rahmen ihrer Bemühungen, die landesweiten Proteste, die 2022 begannen, zu unterdrücken, haben die Behörden Razzien auf Universitätsgeländen durchgeführt und Studenten verhaftet. Zwischen November 2022 und März 2023 kam es zu Vergiftungsfällen von über 1.200 Schülerinnen an fast 100 Schulen, von denen vermutet wird, dass die Urheber möglicherweise religiöse Extremisten oder Anhänger des Regimes waren, um Vergeltung für die Teilnahme der Schülerinnen an der Protestbewegung "Frau, Leben, Freiheit" zu üben [Anm.: s. dazu auch Kap. Kinder] (FH 2024).
Meinungsfreiheit und Zensur im Internet
Die regimekritische Debatte findet weitgehend in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch (Landinfo 9.11.2022). Die sozialen Medien waren ein wichtiger Bestandteil der Protestbewegung seit Mitte September 2022 und werden zur Mobilisierung wie auch zur Verbreitung der Protestbotschaften verwendet (DW 15.11.2022). Irans vage definierte Redebeschränkungen, harte strafrechtliche Sanktionen und die staatliche Überwachung der Online-Kommunikation gehören zu den Faktoren, welche die Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, sich an offenen und freien privaten Diskussionen zu beteiligen. Trotz der Risiken und Einschränkungen äußern viele ihre abweichende Meinung in den sozialen Medien und umgehen in einigen Fällen die offiziellen Sperren auf bestimmten Plattformen (FH 2024).
Im November 2019 verhängten die Behörden zum ersten und bislang einzigen Mal eine landesweite, fast vollständige Abschaltung des Internets für mindestens sieben Tage. Die Entscheidung, das Land vom weltweiten Internet zu trennen, wurde vom Nationalen Sicherheitsrat nach einer Protestwelle getroffen, die durch die plötzliche Ankündigung einer erheblichen Erhöhung der Treibstoffpreise ausgelöst worden war. Örtlich begrenzte Internetabschaltungen werden häufig eingesetzt, um Proteste zu unterbinden und eine genaue Berichterstattung über Demonstrationen zu verhindern, so auch mehrfach bei den Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 in den Provinzen Kurdistan, Khuzestan sowie Sistan und Belutschistan (FH 4.10.2023). Auch kam es zu Drosselungen der Internetgeschwindigkeit (USDOS 23.4.2024; vgl. NatGeo 17.10.2022). Die Behörden haben im Rahmen der Niederschlagung der Proteste auch den Zugang zu WhatsApp und Instagram blockiert und VPNs wie auch Proxy-Server gefiltert (FH 4.10.2023).
Der Internetverlauf kann "gefiltert" bzw. mitgelesen werden. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyberkrieg" gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln (AA 30.11.2022). Der Staat überwacht soziale Medien auf Aktivitäten, die er für illegal hält. Die Cyberpolizei FATA hat unter anderem die Aufgabe, soziale Medien im Rahmen der Bekämpfung der Cyberkriminalität zu überwachen und zu verfolgen. Im Mai 2020 kündigte die FATA an, dass das Nichttragen des Hijabs im Internet als Straftat gilt und Zuwiderhandlungen strafrechtlich verfolgt werden. Mehrere Frauen wurden verhaftet, weil sie Fotos oder Videos, in denen sie unverschleiert zu sehen sind, ins Internet gestellt hatten. Das Regime ergriff drakonische Maßnahmen zur Bestrafung von Online-Nutzern, und mehrere Personen wurden wegen ihrer Online-Inhalte vom Regime zum Tode verurteilt oder hingerichtet, beispielsweise im Mai 2023 zwei Männer wegen atheistischer Inhalte auf Telegram-Kanälen (FH 4.10.2023). Nach Beginn der Massenproteste im September 2022 verhafteten die Behörden Tausende von Menschen, darunter Prominente, Menschenrechtsaktivisten und andere, die ihre Unterstützung für die Bewegung durch Beiträge in den sozialen Medien oder durch die öffentliche Missachtung der Hijab-Vorschriften, die zu Aminis Verhaftung und Tod geführt hatten, zum Ausdruck gebracht hatten. Die Revolutionsgarden forderten die Justiz auf, jeden strafrechtlich zu verfolgen, der "falsche Nachrichten und Gerüchte" verbreitet (FH 2024).
Abseits von Maßnahmen, wie der Überwachung von Inhalten im Internet (AA 30.11.2022) und der Drosselung der allgemeinen Internetgeschwindigkeit (NatGeo 17.10.2022), ist wenig über die konkrete Vorgehensweise der Behörden bei der Unterdrückung der Proteste bekannt. Es wird vermutet, dass die Behörden ein Computersystem verwenden, das hinter den Kulissen der iranischen Mobilfunknetze arbeitet und den Betreibern eine breite Palette von Fernbefehlen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Nutzung der Telefone ihrer Kunden verändern, stören und überwachen können, wie zum Beispiel die Datenverbindungen verlangsamen, die Verschlüsselung von Telefongesprächen knacken, die Bewegungen von Einzelpersonen oder großen Gruppen verfolgen und detaillierte Zusammenfassungen von Metadaten darüber erstellen, wer mit wem, wann und wo gesprochen hat (Intercept 28.10.2022). Ein Überwachungssystem, das auf Pickups nahe Universitäten und Protestzentren installiert wird und über das schon 2020 berichtet wurde, fängt beispielsweise Bluetooth-Übertragungen ab, um politische Aktivisten, Dissidenten und Demonstranten zu überwachen (Intel471 8.7.2020; vgl. Khorrami/TWI 29.3.2024). Beobachterinnen der Proteste ab September 2022 berichteten, dass viele Demonstranten nicht auf den Straßen verhaftet wurden, sondern ein oder zwei Tage später zu Hause (Wired 10.1.2023). Iranische Mobiltelefonnutzer berichteten von SMS, die sie von lokalen Polizeistationen mit dem Hinweis erhalten haben, dass sie sich in einem "Unruhegebiet" aufgehalten hätten und dieses Gebiet nicht noch einmal aufsuchen oder nicht noch einmal mit "anti-revolutionären" Regierungsgegnern online in Verbindung treten sollten (Intercept 28.10.2022).
Das iranische Regime setzt auch eine "Cyber-Armee" ein (IrWire 5.6.2023), um Narrative in den sozialen Medien zu beeinflussen (NLM 5.9.2023 vgl. IrWire 5.6.2023) und Desinformation zu verbreiten. Ziel der Desinformationskampagnen ist es dabei weniger, Personen vom eigenen Narrativ zu überzeugen, als Zweifel zu säen, sodass Internetnutzer schließlich gar keinen Quellen in den sozialen Medien - auch per se glaubwürdigen Personen - mehr vertrauen. Neben dem Stiften von Verwirrung ist die Diskreditierung und Unterminierung der Opposition ein wesentlicher Bestandteil der iranischen Cyberaktivitäten. Zum Teil geschieht das auch durch Hacking-Angriffe auf Oppositionsmitglieder (Wired 21.3.2023), wobei die Menschenrechtsorganisation Miaan Group im Jahr 2023 beispielsweise über 100 Phishing-Angriffe auf Journalisten, Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger inner- und außerhalb Irans dokumentierte. Vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten wie der Kurden und Aserbaidschaner sowie Unterstützer der Proteste wurden dabei anvisiert (Filterwatch 27.11.2023). Die Diskreditierung von Oppositionellen geschieht auch durch falsche Konten in den sozialen Medien. Unterschiedliche Fraktionen der Opposition sollen so gegeneinander ausgespielt werden. Diese Bemühungen sind ebenfalls Teil einer umfassenderen Anstrengung, den Eindruck zu erwecken, dass niemand vertrauenswürdig und niemand glaubwürdig sei (Wired 21.3.2023). Im Jänner 2024 deckten "Cyber-Agenten" des Regimes laut der oppositionellen Nachrichtenseite Iran International zudem die Identitäten von Personen auf, die bislang anonym oppositionelle Social Media-Auftritte betrieben haben. Im Rahmen der Online-Kampagne wurden mehrere Personen verhaftet, was als eine breit angelegte Einschüchterungsaktion gegen Regimekritiker interpretiert wird (IRINTL 6.1.2024).
Anmerkung: Informationen zum Thema können auch der Kurzinformation - Iran "Netzaktivitäten - Netzüberwachung" des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) der Bundesrepublik Deutschland vom Juli 2023 entnommen werden.
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 20.06.2024
Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Gefangene klagen häufig über schlechte Haftbedingungen, einschließlich der Verweigerung von medizinischer Versorgung (FH 2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Auch wurde über unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann (ÖB Teheran 11.2021), körperliche Misshandlungen und unzureichende sanitäre Bedingungen (USDOS 23.4.2024; vgl. AI 24.4.2024), einschließlich schlechter Belüftung, Mäuse- und Insektenbefall sowie fehlenden oder unzureichenden Zugang zu Bettzeug, Toiletten und Waschgelegenheiten berichtet (AI 24.4.2024). Es kam zu Hungerstreiks von Gefangenen, um gegen ihre Behandlung zu protestieren, wie auch zu versuchten Selbstmorden, die auf die Haftbedingungen zurückgeführt werden. Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge verweigern die Gefängnisbehörden den Gefangenen regelmäßig den Zugang zu Besuchern, Telefonaten und anderen Korrespondenzprivilegien (USDOS 23.4.2024).
Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021). Menschenrechtsorganisationen nennen häufig mehrere Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert werden, darunter insbesondere die Abteilungen Nr. 209 und Nr. 2 des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) kontrolliert werden. Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (USDOS 23.4.2024).
Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab (AA 30.11.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse (AA 30.11.2022). Politische Gefangene sind auch einem größeren Risiko von Folter und Misshandlung in der Haft ausgesetzt und werden mit der allgemeinen Gefängnisbevölkerung zusammengelegt, was die Gefahr von Angriffen durch Mitgefangene erhöht. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass die Behörden die Verweigerung der medizinischen Versorgung als eine Form der Bestrafung politischer Gefangener und zur Einschüchterung von Gefangenen einsetzen, die Beschwerden einreichen oder die Behörden herausfordern (USDOS 23.4.2024).
Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet (AI 24.4.2024). Als eine Form der psychologischen Folter werden Aktivisten auch in Isolationshaft genommen (DW 6.10.2023). Medien und Nichtregierungsorganisationen berichten über Todesfälle in der Haft und Gewalt zwischen Gefangenen, welche die Behörden manchmal nicht unter Kontrolle haben (USDOS 23.4.2024). Zwischen 2010 und 2022 dokumentierte Amnesty International (AI) 88 Todesfälle von Gefangenen aufgrund von Folter sowie 96 Todesfälle aufgrund von verweigerter medizinischer Versorgung (FH 2024).
Die Regierung lässt keine unabhängige Überwachung der Haftbedingungen zu. Gefangene und ihre Familien schreiben häufig Briefe an die Behörden und in einigen Fällen an UN-Gremien, um auf ihre Behandlung hinzuweisen und dagegen zu protestieren (USDOS 23.4.2024).
Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in "sichere Häuser" gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021).
[…]
Todesstrafe
Letzte Änderung: 26.06.2024
Iran ist im weltweiten Vergleich nach China jenes Land, in welchem die Todesstrafe am häufigsten vollzogen wird (FH 2024). Die NGOs Iran Human Rights (IHRNGO) und Amnesty International (AI) zählten im Jahr 2023 834 (IHRNGO 5.3.2024) bzw. 853 Hinrichtungen (AI 4.4.2024). Gegenüber dem Vorjahr ist das eine Steigerung von rund 43 % (IHRNGO 5.3.2024) bzw. 48 %, gegenüber dem Jahr 2021 eine Steigerung von 172 % (AI 4.4.2024). Die genaue Anzahl der Hinrichtungen ist aufgrund der intransparenten Vorgehensweise der iranischen Behörden nicht bekannt (UNHRC 7.2.2023). 2023 wurden beispielsweise nur 15 % der von IHRNGO gezählten Hinrichtungen von den Behörden öffentlich bekannt gegeben (IHRNGO 5.3.2024). Die Anzahl der Hinrichtungen ist seit dem Amtsantritt von Präsident Raisi [im Jahr 2021] gestiegen (FH 2024).
Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, "Moharebeh" (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021); des weiteren auf terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z. B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslims mit einer Muslimin. Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland ist es jedoch in den letzten 20 Jahren zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen [Anm.: s. dazu auch Kap. Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen] (AA 30.11.2022). Vergewaltigungsopfer können neben den Tatbeständen der "Unsittlichkeit" und des "unmoralischen Verhaltens" auch wegen Ehebruchs belangt werden, für das die Todesstrafe verhängt werden kann (USDOS 23.4.2024). Die Todesstrafe wird u. a. für Straftaten verhängt, die gemäß Völkerrecht nicht zu den "schwersten Verbrechen" zählen sowie für Handlungen, die international nicht als Straftaten anerkannt sind (AI 24.4.2024; vgl. UNHRC 9.2.2024).
Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch die Erleichterung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern. Es werden z. B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt [Anm.: Blutgeld, auch diyah, kann bei sog. qisas-Verbrechen zur Anwendung kommen, s. dazu Kap. Rechtsschutz / Justizwesen] (ÖB Teheran 11.2021).
Nach den Aufzeichnungen von IHRNGO wurden die Hinrichtungen durch die iranische Justiz im Jahr 2023 anteilsmäßig aufgrund der folgenden Vergehen vollzogen:
Quelle: IHRNGO 5.3.2024
56 % der Hinrichtungen (471 in absoluten Zahlen) erfolgten demnach aufgrund von Verurteilungen wegen Drogenvergehen, 34 % (282) wegen Mordes, 5 % (39) wegen Moharebeh oder "Korruption auf Erden" [mofsad/efsad fe-l-arz] und 2 % (20) wegen Vergewaltigung. Zwei Personen wurden aufgrund von Verurteilungen wegen Blasphemie hingerichtet, eine Person nach einer Verurteilung wegen Ehebruchs (IHRNGO 5.3.2024). Gemäß der Zählung von AI wurden im Jahr 2023 mindestens 545 Personen für Handlungen hingerichtet, die gemäß internationalem Recht nicht mit der Todesstrafe geahndet werden sollten, darunter Handlungen, die durch das Recht auf Privatsphäre und Meinungs-, Religions- oder Glaubensfreiheit geschützt sind, zu weit gefasste und vage formulierte Anklagen, die nicht dem Legalitätsprinzip entsprechen, sowie Drogendelikte und andere Straftaten, die keine "vorsätzliche Tötung" beinhalten. Dies betraf 64 % aller von AI erfassten Hinrichtungen (AI 4.4.2024).
2017 trat eine Änderung des Strafgesetzes für Drogendelikte in Kraft, welche die Todesstrafen im Bereich der Drogenkriminalität auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkte. Bagatelldelikte sind damit von der Todesstrafe ausgenommen. Entsprechend sank die Zahl der Hinrichtungen für Drogenkriminalität nach dieser Gesetzesänderung zunächst stark (AA 30.11.2022; vgl. AI 4.4.2024). Seit Oktober 2021 ist, vermutlich wegen vermehrter Drogenkriminalität auch durch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und damit einhergehender fehlender Grenzkontrollen auf afghanischer Seite (AA 30.11.2022), und mit der Einsetzung von neuen Spitzenbeamten im Justizwesen durch Präsident Raisi (AI 4.4.2024), ein erneuter Anstieg bei der Zahl an Hinrichtungen wegen Drogenkriminalität zu verzeichnen (AA 30.11.2022; vgl. IHRNGO 5.3.2024, AI 4.4.2024). Es ist außerdem davon auszugehen, dass es beim Kampf gegen Drogenhandel und Schmuggel vor allem in den Grenzregionen Sistan-Belutschistan und Kurdistan regelmäßig zu außergerichtlichen Hinrichtungen kommt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRANA 8.2.2023).
Das iranische Regime setzt die Todesstrafe als Mittel der politischen Unterdrückung gegen Demonstranten, Dissidenten und ethnische Minderheiten ein (AI 24.4.2024; vgl. IHRNGO 5.3.2024). Laut den Aufzeichnungen von IHRNGO besteht eine Korrelation zwischen der Anzahl an Hinrichtungen und politischen Ereignissen (IHRNGO 5.3.2024). In direktem Zusammenhang mit den Protesten ab September 2022 wurden bis Jänner 2024 mindestens neun Demonstranten hingerichtet (BBC 23.1.2024; vgl. OHCHR 24.1.2024) und vier weitere Personen zum Tod verurteilt (BBC 23.1.2024). 15 weitere Personen laufen Gefahr, zum Tod verurteilt zu werden (UNHRC 9.2.2024; vgl. BBC 23.1.2024). Die gegen die Demonstranten erhobenen Anklagen betrafen Sicherheitsvergehen oder Mord, in einigen Fällen kam es auch zu Doppelbestrafung. Alle Anklagen - bis auf eine - standen im Zusammenhang mit dem Tod von Streitkräften. Den mit 84 % gegenüber dem Vorjahr deutlichen Anstieg an Hinrichtungen aufgrund von Drogenvergehen im Jahr 2023 bringt IHRNGO ebenfalls mit den "Frau, Leben, Freiheit"-Protesten ab September 2022 in Verbindung. Viele der wegen Drogenvergehen Hingerichteten stammen aus marginalisierten Gruppen und ethnischen Minderheiten, insbesondere jener der Belutschen (IHRNGO 5.3.2024). Obwohl sie nur rund fünf Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, waren mindestens 29 % der im Jahr 2023 wegen Drogenvergehen hingerichteten Personen Belutschen [Anm.: s. u. a. Kap. Belutschen zur Rolle der Belutschen bei den Protesten] (AI 4.4.2024; vgl. UNHRC 9.2.2024).
Iran ist eines der wenigen Länder weltweit, die noch die Todesstrafe für jugendliche Straftäter anwenden, auch wenn dies internationalen Verträgen widerspricht, welche von Iran unterzeichnet worden sind (IHRNGO 5.3.2024). Das 2013 verabschiedete iranische Strafgesetzbuch (IStGB) definiert das "Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit" für Kinder ausdrücklich als das Alter der Reife nach der Scharia, was bedeutet, dass Mädchen über neun Mondjahren und Buben über 15 Mondjahren für eine Hinrichtung infrage kommen, wenn sie wegen hadd- oder qisas-Verbrechen verurteilt werden [s. Kap. Rechtsschutz / Justizwesen für Begriffserklärungen] (IHRNGO 5.3.2024; vgl. UNHRC 9.2.2024). Gemäß Artikel 91 IStGB kann ein Richter bei hadd- oder qisas-Vergehen von unter-18-Jährigen von der Verhängung einer Todesstrafe jedoch absehen, wenn Zweifel an der geistigen Reife und Einsicht des Verurteilten bestehen. Laut IHRNGO ist diese Bestimmung vage formuliert und wird inkonsistent angewendet (IHRNGO 5.3.2024). 2023 wurden je nach Quellen mindestens eine (UNHRC 9.2.2024, AI 4.4.2024) oder mindestens zwei Personen unter 18 Jahren hingerichtet (IHRNGO 5.3.2024). Vier weitere Personen, die im Jahr 2023 hingerichtet wurden, waren zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre alt (AI 4.4.2024).
Gemäß dem vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten Sonderberichterstatter über die Menschenrechtslage in Iran wurden Todesurteile nach Verfahren gefällt, die gegen die Prinzipien eines ordnungsgemäßen oder fairen Prozesses verstoßen. Personen wurden vor ihrer Hinrichtung gefoltert und misshandelt, ihnen wurde häufig der Zugang zu einem Anwalt verweigert, und Anwälte durften ihre Mandanten nicht verteidigen (UNHRC 9.2.2024). Dies betraf laut Menschenrechtsorganisationen Urteile gegen Protestteilnehmer (HRW 11.1.2024a; vgl. BBC 18.1.2023, BBC 23.1.2024). IHRNGO dokumentierte jedoch auch, dass beinahe alle im Rahmen ihres jährlichen Berichts zur Todesstrafe erfassten, wegen Drogenvergehen verhafteten Gefangenen Folter ausgesetzt waren und ihnen der Zugang zu einem Anwalt verweigert wurde (IHRNGO 5.3.2024). Nach der Zählung von AI wurden im Jahr 2023 mindestens 520 Personen (61 %) nach Todesurteilen vor Revolutionsgerichten hingerichtet, wobei den Angeklagten vor Revolutionsgerichten, in deren Zuständigkeitsbereich Vergehen gegen die nationale Sicherheit und mit Drogenbezug fallen, systematisch das Recht auf einen fairen Prozess verweigert wird (AI 4.4.2024).
Während die iranischen Behörden Hinrichtungen zuletzt nicht mehr öffentlich durchgeführt hatten (ÖB Teheran 11.2021), fanden im Dezember 2022 wieder öffentliche Hinrichtungen von Protestteilnehmern statt (NBC 19.12.2022) und 2023 wurden insgesamt sieben Männer öffentlich hingerichtet (AI 4.4.2024).
Die Familien hingerichteter Gefangener wurden nicht immer über geplante Hinrichtungen informiert, und wenn doch, dann oft nur sehr kurzfristig. Die Behörden verweigerten den Familien häufig die Möglichkeit, Bestattungsriten durchzuführen oder rechtzeitig eine unparteiische Autopsie vornehmen zu lassen (USDOS 23.4.2024). Die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 30.11.2022).
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 26.06.2024
In Iran leben schätzungsweise rund 88,4 Millionen Menschen (CIA 22.5.2024), von denen nach offiziellen Angaben ungefähr 99 % dem Islam angehören. Etwa 90 % der Bevölkerung sind demnach Schiiten, ca. 9 % sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq (Yaresan) und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (STDOK 3.5.2018; vgl. USDOS 15.5.2023). Im Rahmen einer viel beachteten und breit diskutierten (NYMAG 21.10.2022) Onlinebefragung der Organisation Gamaan aus dem Jahr 2020, an der sich 40.000 innerhalb Irans lebende Iraner sowie rund 10.000 im Ausland lebende Iraner beteiligt haben, wurden folgende Einstellungen bzw. religiösen Ausrichtungen angegeben: nur rund 32 % der Bevölkerung bekennen sich zum Schiitentum, 5 % zum Sunnitentum und rund 8 % zum Zoroastrismus. 9 % identifizierten sich dagegen als Atheisten, 7 % als "spirituell" und 6 % als Agnostiker. Andere gaben an, dem Sufismus, Humanismus, Christentum, dem Baha'i-Glauben oder dem Judentum zu folgen (Anteile zwischen rd. 0,1 und 3 %) und rund 22 % der Befragten wollten sich mit keiner der genannten Gruppierungen identifizieren (GAMAAN 25.8.2020). Auch wenn nicht genau gesagt werden kann, inwiefern die von Gamaan vorgelegten Zahlen auf die Gesamtbevölkerung Irans umlegbar sind, zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zum nationalen Zensus. Aus der Studie lässt sich eine erosionsartige Fragmentierung des religiösen Feldes zumindest bei den befragten Iranern ablesen. Interessant ist unter anderem die Vielfalt an verschiedenen Glaubensbekenntnissen von Konfessionslosigkeit und Atheismus, beides eigentlich Tabus in einer offiziell islamischen Gesellschaft wie der iranischen, über Zoroastrismus und Trends zu spirituellen und esoterischen Sekten, bis hin zum Agnostizismus, zu sufischen Bewegungen, den Bahai und zum Christentum. Letztere stellen laut der Studie lediglich eine relativ kleine Gruppe dar (BAMF 5.2022). In einer im Jänner 2024 geleakten (Amwaj 3.4.2024), vom Informationsministerium (MOIS) in Auftrag gegebenen, unter Verschluss gehaltenen Umfrage gaben 70 % der Befragten an, sich ein säkulares Regierungssystem zu wünschen. Eine Mehrheit lehnte die gesetzlich verordnete Hijab-Pflicht für Frauen ab (Standard 1.3.2024).
Nachstehender Karte können die Hauptsiedlungsgebiete der größten Glaubensgruppen in Iran entnommen werden. Demnach leben Sunniten mehrheitlich in den Grenzregionen im äußersten Nordwesten Irans, im Norden in einem Gebiet an der Grenze zu Turkmenistan [Provinz Golistan] sowie im Süden bei Bandar-e Abbas [Provinz Hormuzgan] und an der Grenze zu Pakistan sowie zum Südwesten Afghanistans [in Iran: Provinz Sistan und Belutschistan]. Der größte Teil des Landes wird mehrheitlich von Schiiten bewohnt. Minderheitengruppen wie Zoroastrier, Bahai, Juden und Sikhs werden auf der Karte nicht dargestellt; insbesondere in urbanen Zentren ist die Bevölkerung sehr heterogen und kann auf dieser Karte nicht dargestellt werden (BMI/BMLVS 2017).
[…]
Laut Verfassung ist Iran eine islamische Republik und der schiitische Zwölfer- oder Ja'afari-Islam ist die offizielle Staatsreligion. Die Verfassung schreibt vor, dass alle Gesetze und Vorschriften auf "islamischen Kriterien" und einer offiziellen Auslegung der Scharia beruhen müssen. In der Verfassung heißt es, dass die Bürger alle menschlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte "in Übereinstimmung mit islamischen Kriterien" genießen sollen (USDOS 15.5.2023). Für Frauen bedeutet dies beispielsweise unter anderem eine allgemeine Kopftuchpflicht in der Öffentlichkeit, die [unter anderem] im Zuge der Proteste anlässlich des Todes von Mahsa Amini von vielen Protestierenden abgelehnt wurde und in den Fokus der Auseinandersetzung zwischen dem Regime und seinen Gegnern geriet (Tagesschau 6.10.2022). Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten 'Buchreligionen': Christentum, Judentum und Zoroastrismus ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben (AA 30.11.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022). Die Freiheiten bei der Glaubensausübung sind allerdings von der Auslegung religiöser Gelehrter abhängig. Darüber hinaus lassen die Mehrdeutigkeit und die Auslegungsfähigkeit von Gesetzen den Richtern oft Raum für willkürliche Entscheidungen, was die Gefährdung von Minderheitengemeinschaften erhöht (IrWire 4.3.2024).
Die Lehrpläne aller öffentlichen und privaten Schulen müssen einen Kurs über die schiitischen Lehren enthalten. Sunnitische Schüler, sowie jene, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, müssen die Kurse über den schiitischen Islam belegen und bestehen, obwohl sie auch separate Kurse über ihre eigenen religiösen Überzeugungen belegen können. Anerkannte religiöse Minderheitengruppen, mit Ausnahme der sunnitischen Muslime, dürfen Privatschulen betreiben (USDOS 15.5.2023).
Anhänger religiöser Minderheiten unterliegen Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Lediglich schiitische Muslime dürfen in vollem Umfang am politischen Leben teilnehmen (AA 30.11.2022; vgl. MRG 24.11.2022). Sunniten werden v. a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 11.2021). Die Diskriminierung am Arbeitsplatz ist durch die Praxis des gozinesh institutionalisiert, ein obligatorisches Prüfverfahren, dem sich jeder unterziehen muss, der eine Beschäftigung im öffentlichen oder halbstaatlichen Sektor sucht. Dies beinhaltet eine Bewertung der Befolgung des Islam und der Loyalität gegenüber der Islamischen Republik durch die potenziellen Arbeitnehmer (MRG 24.11.2022; vgl. UNHRC 19.3.2024). Die Bewerber müssen dabei das Prinzip der Herrschaft des Rechtsgelehrten (Velayat-e Faqih) anerkennen (UNHRC 19.3.2024), das es im sunnitischen Islam [sowie nichtislamischen Religionen] nicht gibt (USDOS 23.4.2024). Die gozinesh-Kriterien schließen nicht nur Anhänger nicht anerkannter Religionen von der Arbeitssuche aus, sondern benachteiligen auch Sunniten und alle, die Ansichten vertreten, die den offiziellen Werten der Islamischen Republik zuwiderlaufen (MRG 24.11.2022; vgl. UNHRC 19.3.2024).
Nichtmuslime sehen sich im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 30.11.2022; vgl. IrWire 4.3.2024). Verfassungsrechtlich anerkannte Minderheiten haben auch bei Mord oder Unfalltod nicht die gleichen Rechte wie Muslime. Nach dem islamischen Strafgesetzbuch (IStGB) haben die Hinterbliebenen eines Opfers das Recht, Vergeltung oder Entschädigung zu verlangen, wenn das Opfer Muslim ist. Wenn das Opfer einer anderen [anerkannten] Religion angehört, muss der Täter lediglich Lösegeld zahlen (IrWire 4.3.2024).
Anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) werden diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte (ÖB Teheran 11.2021). Im Parlament sind beispielsweise fünf der insgesamt 290 Sitze für ihre Vertreterinnen und Vertreter reserviert: zwei für armenische Christen, einer für Juden, einer für Zoroastrier und einer für assyrische Christen (Zeit Online 19.1.2023; vgl. FH 2024). Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär ernannt werden (USDOS 15.5.2023) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 2024).
Für nicht anerkannte religiöse Gruppen gibt es keine rechtlichen Schutzgarantien. Diese Gruppierungen - z. B. Baha'i, Sabäer-Mandäer, Yaresani [Anm.: auch Ahl-e Haqq] (MRG 24.11.2022; vgl. BAMF 5.2022), Anhänger fernöstlicher oder esoterischer Philosophien und Kulte (IRINTL 25.1.2022), konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. OpD 2024).
Das Ministerium für Kultur und islamische Führung und das MOIS überwachen religiöse Aktivitäten. Die Revolutionsgarden überwachen auch Kirchen (USDOS 15.5.2023) und Gottesdienste (OpD 2024). Die iranische Regierung verfolgt Angehörige religiöser Minderheiten bisweilen unter dem Vorwand, diese seien eine Gefahr für die nationale Sicherheit, und nicht, weil sie beispielsweise Christen sind (CNEN 4.2.2023). Führende Vertreter von Minderheitengruppen und Aktivisten werden oftmals unter dem allgemeinen Vorwurf der Bedrohung der "öffentlichen Moral" oder der nationalen Sicherheit zu langen Haftstrafen oder zum Tod verurteilt (MRG 24.11.2022; vgl.OpD 2024).
Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Zur Sanktionierung von Vergehen wie "Irrlehre", "Abweichung" und "Propaganda" durch Geistliche besteht ein Sondergericht, das über eine eigene Polizei, Strafprozessordnung, Gefängnisse und einen eigenen Strafkatalog verfügt, zu dessen Strafen etwa Verbote, Seminare abzuhalten oder die Kleriker-Robe in der Öffentlichkeit zu tragen ebenso gehören wie Verbannung, Haftstrafen und Todesurteile (Qantara 16.5.2023). Das Sondergericht für Geistliche untersteht direkt dem Revolutionsführer und ist, wie auch die Revolutionsgerichte, in der Verfassung nicht vorgesehen (USDOS 15.5.2023).
Ethnische und religiöse Minderheiten, die jahrzehntelang unter systemischer und systematischer Diskriminierung und Verfolgung gelitten haben, waren von der Welle der Repression seit Beginn der Proteste im September 2022 unverhältnismäßig stark betroffen [Anm.: s. u. a. Unterkap. Sunniten für weitere Informationen]. Unter anderem verwehrten die iranischen Behörden Angehörigen von getöteten Protestteilnehmern Begräbnisse nach ihren religiösen Riten zu vollziehen (UNHRC 7.2.2023). Obwohl diese Vorkommnisse nicht völlig neu waren, kam es im Zuge der Proteste auch vermehrt zu Übergriffen auf schiitische Geistliche, die aufgrund der umfassenden Politisierung von Religion mit dem iranischen Regime gleichgesetzt werden und als Vollstrecker von dessen politischen Zielen fungieren (INSS 18.5.2023; vgl. Qantara 16.5.2023).
Muslimische Geistliche rufen manchmal zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten auf (OpD 2024). Dabei ist die iranische Gesellschaft weniger fanatisch als ihre Führung (OpD 2024; vgl. NLM 23.2.2023). Dies ist zum Teil auf den weitverbreiteten Einfluss des gemäßigteren Sufi-Islams zurückzuführen sowie auf den Stolz des iranischen Volkes auf seine vorislamische persische Kultur (OpD 2024). Dennoch wird mitunter von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet (ÖB Teheran 11.2021). Religiöse Familien üben Druck auf Familienmitglieder aus, die sich vom Islam abgewandt haben und Christen geworden sind (OpD 2024).
Nach Einschätzung des australischen Außenministeriums sind nicht praktizierende iranische Muslime einem geringen Risiko behördlicher oder gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt, insbesondere in den Großstädten (DFAT 24.7.2023). Der Besuch von Moscheen ist in Iran beispielsweise nicht weit verbreitet, verglichen mit anderen muslimischen Ländern (Moaddel/FTJ 2022; vgl. MRAI 19.6.2023, Amwaj 3.4.2024), und Personen werden nicht per se als Atheisten betrachtet, weil sie keine Moscheen aufsuchen. Dies gilt auch im ländlichen Bereich. Auch halten sich viele Iraner im Privaten nicht strikt an die Fastenregeln des Ramadan. Solange die Fastenregeln nicht in der Öffentlichkeit gebrochen werden, führte dies bislang üblicherweise zu keinen Problemen (MRAI 19.6.2023). Der Konsum von Speisen und Getränken sowie Rauchen in der Öffentlichkeit während des Ramadan kann nach Art. 638 des iranischen Strafgesetzbuchs (IStGB) jedoch mit Strafen wie Peitschenhieben sowie Haft geahndet werden (IRINTL 13.3.2024a). Während des Ramadan im Frühling 2024 wurde eine Anzahl an Restaurants und Geschäften aufgrund von Fastenverstößen geschlossen (IrWire 8.4.2024). Nachdem das [vorislamische] persische Nowruz-Fest in diesem Jahr während des Fastenmonats Ramadan stattfand, wurden die Regeln für Restaurants gegenüber den Vorjahren allerdings gelockert, sodass diese ihre üblichen Öffnungszeiten beibehalten durften, wenn auch mit verhängten Fenstern (IRINTL 13.3.2024a). Der Nowruz-Freudentag "Sizdah-bedar", der üblicherweise mit Familienausflügen ins Grüne sowie Feiern mit Tanz und Musik begangen wird, fiel mit dem islamischen Trauertag anlässlich der Ermordung des ersten schiitischen Imams Ali Ibn-Abi-Talib zusammen. Regimenahe Medien verkündeten, dass Parks und Freizeitanlagen an diesem Tag geschlossen werden würden, für den Abend, nach dem Fastenbrechen dagegen Unterhaltungsprogramme vorgesehen seien. Von offiziellen Stellen wurde beides dementiert. In vielen Teilen Irans wurden an diesem Tag Sicherheitskräfte mobilisiert, um die Bürger an der Feier des "Sizdah-bedar" zu hindern. Nach Einschätzung einer Teheraner Gastautorin des Iran Journal waren sich die Verantwortlichen selbst nicht sicher, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten (IRJ 2.4.2024).
Nach dem Gesetz dürfen Nicht-Muslime nicht missionieren oder versuchen, einen Muslim zu einem anderen Glauben zu bekehren. Das Gesetz betrachtet diese Aktivitäten als Bekehrungsversuche, die mit dem Tod bestraft werden können (USDOS 15.5.2023). Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das IStGB aufnahm, wonach die "Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen" sowie "abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können (AI 29.3.2022; vgl. HRW 4.2024). Die vage formulierten Straftatbestände in den Artikeln 499 bis und 500 bis IStGB ermöglichen es den Behörden, Angehörige von nicht anerkannten Religionsgruppen, wie z. B. den Baha'i, für ihre Religionsausübung zu verurteilen, wenn sie diese als den islamischen Prinzipien widersprechend ansehen (HRW 4.2024). Das Regime betrachtet auch fernöstliche oder esoterische Philosophien und Kulte kritisch (IRINTL 25.1.2022). Unter anderem wurde auch ein Yogalehrer wegen "Propaganda gegen die Heiligtümer des Islam" vor einem Revolutionsgericht angeklagt, wobei seine Rechtsanwältin angab, die Behörden hätten seine Tätigkeit als Meditations- und Yogalehrer fälschlicherweise als islamfeindlich interpretiert (RFE/RL 7.11.2023).
Menschen, deren Eltern von den Behörden als Muslime eingestuft wurden, laufen Gefahr, willkürlich inhaftiert, gefoltert oder wegen "Apostasie" mit der Todesstrafe belegt zu werden, wenn sie andere Religionen oder atheistische Überzeugungen annehmen [Anm.: s. Unterkapitel Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen für weitergehende Informationen] (AI 24.4.2024; vgl. ÖB Teheran 11.2021).
Christen
Letzte Änderung: 20.06.2024
Nach Angaben des staatlichen iranischen Statistikzentrums aus dem Jahr 2016 gibt es 117.700 Christen in Iran. Einige Schätzungen deuten jedoch darauf hin, dass es deutlich mehr sind, als tatsächlich angegeben (USDOS 15.5.2023). Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran. Den größten Anteil [unter den anerkannten christlichen Gemeinschaften] stellen dabei armenische Christen (STDOK 3.5.2018), wobei Vertreter dieser Religionsgemeinschaft ihre Gesamtanzahl auf 40.000-50.000 schätzen. Die Anzahl der Assyrer und Chaldäer wird auf insgesamt rund 7.000 geschätzt (USDOS 15.5.2023). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021), wobei erstere auf rund 21.000 Personen geschätzt werden, während es zu letzteren keine belastbaren Daten gibt. Viele Protestanten praktizieren ihren Glauben im Geheimen (USDOS 15.5.2023). Schätzungen zufolge stellen Konvertiten aus dem Islam mit mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen [Anm.: s. Kap. Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen für Informationen zu den nicht anerkannten christlichen Gemeinden] (AA 30.11.2022). Armenische Christen leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (STDOK 3.5.2018).
Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, dies gilt allerdings nicht für evangelikale Freikirchen. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt (ÖB Teheran 11.2021). Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur diese historisch ansässigen Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als solche bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen. Mit der Registrierung sind bestimmte Rechte verbunden, darunter die Verwendung von Alkohol zu religiösen Zwecken. Die Behörden können eine Kirche schließen und ihre Leiter verhaften, wenn die Kirchenbesucher sich nicht registrieren lassen oder wenn nicht registrierte Personen an den Gottesdiensten teilnehmen (USDOS 15.5.2023).
Historisch ansässige Christen genießen Kultusfreiheit innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 11.2021) und sind in familienrechtlichen Angelegenheiten weitgehend autonom (BAMF 5.2022). Anerkannte christliche Religionsgemeinschaften haben das Recht, Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (STDOK 3.5.2018), wobei Schüler und Schülerinnen, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, auch Kurse in schiitischem Islam belegen und bestehen müssen (USDOS 15.5.2023).
Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. BBC 1.4.2024), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu (AA 30.11.2022). Die iranischen Behörden gestatten Konvertiten nicht, die Kirchen der armenischen und assyrischen Gemeinschaften zu besuchen (ARTICLE18 o.D.).
Die Aktivitäten anerkannter christlicher Gemeinschaften sind streng geregelt, um Missionstätigkeit zu verhindern. Anerkannte christliche Gruppen lehnen Missionierungsarbeit daher ab, was von den Behörden regelmäßig auch überprüft wird (DFAT 24.7.2023). Alle Christen und christlichen Kirchen müssen bei den Behörden registriert sein, und nur anerkannte Christen dürfen die Kirche besuchen. Die Sicherheitsbehörden überwachen die registrierten Kirchen genau, um sicherzustellen, dass die Gottesdienste nicht auf Farsi abgehalten werden (sie müssen in der traditionellen Sprache der Kirche und nicht in der Volkssprache abgehalten werden), und führen regelmäßige Identitätskontrollen der Gläubigen durch, um zu überprüfen, dass keine Nichtchristen oder Konvertiten an den Gottesdiensten teilnehmen. Kirchen, die sich nicht daran halten, müssen mit der Schließung rechnen (DFAT 24.7.2023; vgl. ARTICLE18 o.D.).
Obwohl armenische und assyrische christliche Gemeinden formell anerkannt und gesetzlich geschützt sind, sind ihre Gemeindemitglieder dennoch rechtlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt [u. a. als Nichtmuslime, s. Überkapitel] (OpD 2024). Selbst wenn Räumlichkeiten für religiöse Zeremonien zur Verfügung stehen, kann es für Minderheitengruppen mitunter schwierig sein, wichtige Ritualgegenstände zu beschaffen. So wurde beispielsweise von einem Fall berichtet, bei dem gegen einen Angehörigen einer religiösen Minderheit ein Bußgeld wegen Alkoholbesitzes verhängt wurde, da diesem nach Ansicht des Richters zwar die Durchführung des Messrituals und der Konsum von Messwein erlaubt sei, nicht jedoch der Transport und Besitz von Alkohol (IrWire 4.3.2024).
Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind (STDOK 3.5.2018; vgl. Qantara o.D.).
Christliche Symbole und Dekorationen
Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren (BAMF 3.2019). Weihnachtsdekoration ist in vielen Städten Irans beliebt, man kann sie ohne Probleme finden (MRAI 19.6.2023; vgl. BAMF 3.2019). Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019). Die gestiegene Beliebtheit von christlichen Weihnachtsfeiern und Christbäumen (unter Nicht-Christen) wurde von konservativer Seite allerdings auch kritisiert (IRJ 30.12.2019).
Der Staat kann zwar Bedenken äußern oder Beschränkungen für Geschäfte, die diese Dekorationen verkaufen, auferlegen, aber er erhebt normalerweise keine Anklage wegen Besitzes oder Verwendung dieser Dekorationen (MRAI 19.6.2023). Unter anderem versucht er auch, das in Iran verbreitete Feiern des Valentinstages zu unterbinden, der zeitlich mit dem Jahrestag der Islamischen Revolution zusammenfällt. Seit über zwei Jahrzehnten ist die Herstellung von Postern, Broschüren, Schachteln und Karten mit Liebesherzsymbolen und roten Rosen, wie sie zum Valentinstag verschenkt werden, offiziell verboten. Dennoch werden derartige Waren von Ladenbesitzern angeboten und von Kunden gekauft, wobei Ladenbesitzer Sanktionen wie temporäre Geschäftsschließungen riskieren (NLM 14.2.2022). Das Tragen von christlichen Symbolen [wie z. B. Kreuzanhängern] kann nach Angaben einer iranischen Rechtsanwältin für Personen allerdings je nach Interpretation der Sittenpolizei zu Problemen führen. Die Behördenvertreter können dies beispielsweise als allgemeines und zweideutiges Vergehen im Zusammenhang mit Straftaten gegen die Keuschheit und die öffentliche Moral einstufen. Letztendlich ist es Sache des Richters oder der Polizei zu entscheiden, ob die Verwendung christlicher Symbole unter diese Straftatbestände fällt. Ein weiterer möglicher Ansatz besteht darin, Personen der "Störung der öffentlichen Werte" zu beschuldigen. Es gibt Fälle, in denen die Sittenpolizei Menschen wegen des Tragens christlicher Symbole verhaftet hat (MRAI 19.6.2023). Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge kann ein Richter sichtbare christliche Tätowierungen oder im Rahmen einer Verhaftung eines Konvertiten beschlagnahmten Schmuck oder Bilder mit christlicher Symbolik in die Beweislast im Zusammenhang mit einer Konversion einbeziehen. Dies kann jedoch von Fall zu Fall variieren (MBZ 9.2023).
Ausländische christliche Gemeinden
Ausländische christliche Gemeinden, v. a. von christlichen Arbeitsmigranten und anderen Christen aus Asien (Philippinen, Südkorea) und dem Westen, darunter viele Angehörige der katholischen, lutherischen oder presbyterianischen Kirche (OpD 2024), können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben. Sie werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch könnten die Gemeinden langfristig "aussterben" (AA 30.11.2022). Ausländischen Christen ist es streng verboten, mit iranischen christlichen Konvertiten aus dem Islam in Kontakt zu treten, geschweige denn, sie in ihre Gemeinden aufzunehmen (OpD 2024).
Apostasie, Konversion, Proselytismus, Blasphemie
Letzte Änderung: 26.06.2024
Rechtliche Rahmenbedingungen
Abfall vom Islam, Apostasie (Farsi: ertedad) fällt in den Bereich der sog. Hadd-Strafen der Sharia, die allgemein mit der Todesstrafe geahndet werden (BAMF 5.2022) - so die Angeklagten Männer sind, für Frauen ist bei Apostasie eine lebenslange Haftstrafe (bis zur Reue und Rückkehr zum Islam) vorgesehen (Landinfo 20.10.2023). Die islamischen autoritativen Rechtsquellen wie der Koran und Hadithe (Aussagen des Propheten) sind allerdings nicht immer eindeutig und zuweilen auch widersprüchlich. Das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran (IStGB) ist nicht mit der Sharia identisch und Apostasie wird nicht als Straftatbestand im IStGB aufgeführt. In Fällen wie diesen erlaubt Art. 167 der Verfassung Richtern den Rückgriff auf traditionelle islamische Rechtsquellen (Koran, Hadith und Fatwas, sog. Rechtsgutachten). Damit besteht rechtlich zumindest in der Theorie die Möglichkeit bei Apostasie eine Bestrafung gemäß den islamischen Rechtsquellen und Fatwas vorzunehmen. Obwohl die iranischen Behörden zuweilen mit Apostasie-Anklagen drohen, sind solche jedoch sehr selten (BAMF 5.2022; vgl. ARTICLE19 6.7.2022). Zwischen 1990 und 2020 haben sie das - vermutlich auf internationalen Druck - nur dreimal getan. Die einzige Hinrichtung aufgrund von Apostasie fand 1990 statt (OpD 20.2.2023; vgl. IRB 9.3.2021). Ein Teilnehmer an den "Frau, Leben, Freiheit"-Protesten wurde im Dezember 2022 jedoch von einem Revolutionsgericht unter anderem wegen Apostasie zum Tod verurteilt. Ihm war die Verbrennung eines Korans vorgeworfen worden, wobei er laut Amnesty International durch Folter zu einem Geständnis gezwungen worden war. Das Urteil wurde im Mai 2023 aufgehoben, der Protestteilnehmer verstarb jedoch in Haft, bevor es zu einer Neuverhandlung kommen konnte (AI 7.9.2023; vgl. BBC 31.8.2023).
Zum Christentum Konvertierte können auch auf Grundlage anderer Straftatbestände angeklagt werden, wobei diese Anklagepunkte zu den sogenannten Taʿzir-Strafen (Ermessensstrafen) zählen, bei denen die Urteilsfindung und das Strafmaß im Ermessen des vorsitzenden Richters liegen. Mögliche Anklagepunkte, die lt. IStGB mit unterschiedlich langen Haftstrafen geahndet werden, sind z. B.: Aktionen gegen die nationale Sicherheit (IStGB 5. Buch/Art. 498-99) (BAMF 5.2022) einschließlich der Gründung und Mitgliedschaft einer illegalen Gruppe (Landinfo 20.10.2023), Propaganda gegen das System (IStGB 5. Buch/Art. 500), Beleidigung heiliger islamischer Werte und Prinzipien (IStGB 5. Buch/Art. 513), Versammlung und Verschwörung zur Unterminierung der Landessicherheit (IStGB/Art. 610) oder Alkoholgenuss [im Zuge der Heiligen Kommunion] (IStGB/Art. 701) (BAMF 5.2022), wobei der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021). Andere politisch motivierte Anklagen wie Feindschaft gegen Gott (moharebeh) und Verderbtheit auf Erden (efsad-e fi’l-arz) [Anm.: zählen beide zu den Hadd-Strafen] wurden ebenfalls verschiedentlich dokumentiert, sind im Zusammenhang mit Bekenntnissen zu religiösen Alternativen allerdings eher selten (BAMF 5.2022).
Missionarische Tätigkeit - d. h. jegliches nicht-islamisches religiöses Agieren in der Öffentlichkeit - ist verboten und wird geahndet (ÖB Teheran 11.2021; vgl. USDOS 15.5.2023). Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden, wobei es mit Stand November 2021 in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam (ÖB Teheran 11.2021). Im September 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Aktivistinnen für LGBTIQ-Rechte, denen die Behörden neben anderen Anklagepunkten auch "Missionierung für das Christentum" vorwarfen, zum Tod verurteilt worden sind (BAMF 1.1.2023; vgl. OMCT 22.9.2022).
Im November 2021 entschied der Oberste Gerichtshof, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden waren, nicht wegen "Handelns gegen die nationale Sicherheit" angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es: "Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der 'evangelikalen zionistischen Sekte', wobei beides offensichtlich die Propagierung des Christentums durch Familientreffen [Hauskirchen] bedeutet, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen" (ARTICLE18 25.11.2021; vgl. RFE/RL 5.5.2022). Anders als die Berufungsgerichte kann der Oberste Gerichtshof keine neuen Urteile erlassen, sondern entscheidet lediglich über die Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren. Der Fall wurde an eine Zweigstelle des Berufungsgerichtshofes innerhalb des Revolutionsgerichts überstellt, das nun unabhängig von den bislang ergangenen Gerichtsurteilen - aber auch unabhängig vom Obersten Gerichtshof - zu einem Urteil in der Sache gelangen konnte. Die Konvertiten wurden daraufhin im Februar 2022 freigesprochen und bis auf eine Person, die wegen ihrer christlichen Aktivitäten noch eine andere Haftstrafe verbüßt, freigelassen. Gegen zwei der Freigelassenen wurden umgehend neue Anklagen erhoben (BAMF 5.2022). In einem ähnlich gelagerten Fall wurde ein zum Christentum konvertiertes Ehepaar, das 2020 aufgrund der Teilnahme an hauskirchlichen Treffen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden war, im Mai 2023 freigesprochen und aus der Haft entlassen. Auch hier hatte ein Berufungsgericht geurteilt, dass die Organisation, Mitgliedschaft und Teilnahme an christlichen Gruppen keine Handlungen gegen die Sicherheit des Landes darstellen würden (BAMF 15.5.2023). Menschenrechtsorganisationen betonen einerseits eine mögliche Signalwirkung der Urteile (BAMF 15.5.2023; vgl. ARTICLE18 25.11.2021), andererseits wurde beispielsweise im September 2022 bekannt, dass mehrere Christen aufgrund ihrer Beteiligung an Hauskirchen unter dem Anklagepunkt "Bildung und Betrieb illegaler Organisationen, mit dem Ziel die Sicherheit des Landes zu stören", von einem Berufungsgericht teilweise zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren (ET 24.9.2022; vgl. OpD 22.9.2022).
Der Straftatbestand der Blasphemie im IStGB kann sich gegen anerkannte wie auch nicht anerkannte religiöse Minderheiten und Atheisten richten (MRG 12.12.2023). Gemäß Art. 262 und Art. 513 IStGB kann "Sab al-nabi" (Beleidigung des Propheten) und die Beleidigung der "heiligen islamischen Werte" mit dem Tod bestraft werden (USCIRF 14.9.2023), auch wenn das in der Praxis nicht üblich ist (MRG 12.12.2023). Im Mai 2023 wurde jedoch von zwei Exekutionen nach einer Verurteilung wegen Blasphemie berichtet [Anm.: s. auch Abschnitt zu Atheismus] (RFE/RL 8.5.2023; vgl. AJ 8.5.2023). Nach Art. 513 IStGB sind auch Haftstrafen möglich (USCIRF 14.9.2023). Im Mai 2024 wurde beispielsweise ein bekannter, kontroverser Rapper wegen Blasphemie zu drei Jahren Haft verurteilt, nachdem er zuvor von der Türkei nach Iran überstellt worden war (Spiegel 19.5.2024). "Gotteslästerer" werden zudem auch wegen "Korruption auf Erden" und "Feindschaft gegenüber Gott" belangt. Eine Änderung des IStGB im Jahr 2021 (Artikel 499 und 500 bis) schränkt die Rechte religiöser Minderheiten weiter ein, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit [Anm.: s. Überkapitel] (MRG 12.12.2023).
Behandlung von Konvertiten
Christen, insbesondere Evangelikale und andere Konvertiten aus dem Islam, sind nach Angaben christlicher Nichtregierungsorganisationen weiterhin unverhältnismäßig vielen Verhaftungen und Inhaftierungen sowie einem hohen Maß an Schikanen und Überwachung ausgesetzt (USDOS 15.5.2023; vgl. AA 30.11.2022). Menschenrechtsorganisationen und christliche NGOs berichten weiterhin, dass die Behörden Christen, einschließlich Mitglieder nicht anerkannter Kirchen, aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrer Aktivitäten verhaften und sie beschuldigen, illegal in Privathäusern zu operieren oder "feindliche" Länder zu unterstützen und deren Hilfe anzunehmen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen setzt die Regierung auch das Verbot der Missionierung weiter durch (USDOS 15.5.2023). 2023 wurden laut einem Bericht mehrer NGOs mindestens 166 Christen verhaftet, ein Anstieg gegenüber 2022 (134) (ARTICLE18/OpD/MEC/CSW 2.2024).
In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).
Trotz des Verbots des "Abfalls vom Islam" ist in Iran ein anhaltender Trend von Konversion zum Christentum festzustellen. Unter den Christen des Landes stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. Viele vor allem jüngere Iraner haben sich von der Religion auch gänzlich abgewendet, weil sie mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit der Islamischen Revolution nicht einverstanden sind (AA 30.11.2022). Das Regime ist bestrebt, die Werte der Islamischen Revolution von 1979 zu schützen, von denen es seine Legitimität ableitet. Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik (OpD 2024). Konversion und Bekenntnis zum Christentum sind damit Akte des Protests, der Fundamentalopposition und des Bruches mit der Islamischen Republik (BAMF 5.2022; vgl. taz 19.2.2024). Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich vom Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen "Verbrechen gegen die nationale Sicherheit" verurteilt werden (OpD 2024). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft auch Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z. B. Zionisten) (ÖB Teheran 11.2021). Freikirchliche Protestanten werden des "evangelikalen und zionistischen" Christen- bzw. Sektentums bezichtigt (BAMF 5.2022).
Hauskirchen
Da es den anerkannten christlichen Gemeinden untersagt ist, anderen Iranern zu predigen oder sie in ihre Kirchen zu lassen, können diejenigen, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, ihren Glauben nur im Geheimen, z. B. in sogenannten Hauskirchen (BBC 1.4.2024) oder alleine über christliche Satellitenkanäle und das Internet ausüben (Landinfo 20.10.2023). Einige Konvertiten haben sich den "Assemblies of God"-Kirchen angeschlossen, andere gehören verschiedenen evangelikalen Hauskirchen-Netzwerken an (RFE/RL 5.5.2022). Die Schließungen von "Assembly of God"-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS 23.2.2018). Die Größe der Hauskirchen, ihre Art und Struktur variieren. Die meisten sind klein und informell, sie bestehen aus engen Verwandten und Freunden, die sich regelmäßig zum Beten und Bibellesen oder zum Ansehen von christlichen Fernsehprogrammen auf Farsi treffen (DFAT 24.7.2023). Während Treffen in größeren Gruppen früher üblicher waren, gibt es inzwischen viele kleine Hauskirchen mit maximal zehn Mitgliedern (Landinfo 20.10.2023).
Die hauskirchlichen Vereinigungen stehen unter besonderer Beobachtung, ihre Versammlungen werden regelmäßig aufgelöst und ihre Angehörigen gelegentlich festgenommen (AA 30.11.2022; vgl. Landinfo 20.10.2023). Es ist unklar, inwieweit die iranischen Sicherheitsdienste einen Überblick über die Konvertitengemeinden in Iran haben. Ein von Landinfo befragter Interviewpartner gab an, dass es die mittlerweile kleinere Größe der Hauskirchen für die Sicherheitsbehörden schwieriger mache, den Überblick zu behalten. Ein anderer Interviewpartner war der Ansicht, dass die Sicherheitsbehörden vermutlich über die meisten Hauskirchen im Land Bescheid wüssten, allerdings nicht die Kapazitäten hätten, gegen alle vorzugehen. Die Behörden gehen nicht notwendigerweise gegen alle ihnen bekannte Konvertitengemeinschaften vor. Gemäß einem von Landinfo befragten Konvertit täten sie dies insbesondere, wenn die Gemeinschaften aktiv an der Verbreitung des Christentums beteiligt seien und die Gemeinschaft wächst. Unabhängig davon, ob Razzien gegen Hauskirchen durchgeführt werden oder nicht, können Konvertiten manchmal auch zur Befragung vorgeladen werden. Ziel ist es, das Umfeld zu erfassen, dem die Person angehört. Wenn der Konvertit bei der Befragung die Namen anderer Konvertiten angibt, können diese ebenfalls zur Befragung vorgeladen werden (Landinfo 20.10.2023). Eine Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet, wenn ein Christ das Interesse der Behörden geweckt hat (DIS 23.2.2018). Wenn die Sicherheitsdienste eine Hauskirche entdeckt haben, überwachen sie diese in der Regel eine Zeit lang und sammeln weitere Informationen. Dazu gehören die Beschattung der Konvertiten, die Analyse ihrer Bewegungen sowie Online-Aktivitäten, auch in den sozialen Medien (Landinfo 20.10.2023).
Die Sicherheitsdienste setzen Drohungen als eines von mehreren Mitteln ein, mit denen sie versuchen, das Wachstum konvertierter Gemeinschaften zu stoppen. Drohungen werden häufig im Zusammenhang mit Verhören ausgesprochen und umfassen beispielsweise eine in Aussicht gestellte Strafverfolgung, oder auch Drohungen, einem Familienmitglied eines Priesters könnte ein "Unfall" passieren. Laut einem von Landinfo befragten Interviewpartner setzen die Behörden zunehmend auf Drohungen und Schikanen anstelle von Verhaftungen (Landinfo 20.10.2023).
Einige derjenigen Christen, die die schwersten Strafen erhalten haben (2-10 Jahre Gefängnis), wurden wegen der Leitung/Organisation von Hauskirchen verurteilt (Landinfo 20.6.2022). Von Landinfo im Jahr 2023 befragte Quellen stimmten weitgehend darin überein, dass die Behörden vor allem die Ausbreitung des Christentums verhindern wollen. Dementsprechend konzentrieren sich ihre Bemühungen auf Personen, die Hauskirchen leiten und organisieren sowie Missionierung betreiben. Alle anderen Konvertiten, die keine solche Führungs- oder Einsatzfunktion haben, sind nur selten von Inhaftierung und strafrechtlicher Verfolgung bedroht, können aber anderen Reaktionen wie Verhören durch die Sicherheitsbehörden, Drohungen und Druck zur Unterzeichnung von Erklärungen, nicht an christlichen Versammlungen teilzunehmen, ausgesetzt sein. Ebenso können sie vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen sein (Landinfo 20.10.2023). Die Aussage, dass Pastoren, Missionare oder Organisatoren von Hauskirchen besonders im Fokus der Sicherheitsbehörden befinden, bedeutet allerdings nicht, dass sich das Risiko für normale, nicht in entsprechende Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder automatisch auf null reduzieren würde (BAMF 5.2022). So berichteten von Landinfo Anfang 2023 befragte Gesprächspartner, dass sie Fälle von Konvertiten kennen würden, die lediglich aufgrund der Teilnahme an Hauskirchen zu Haftstrafen verurteilt wurden. Sie hatten weder missioniert noch Leitungsfunktionen übernommen. Die meisten der zu Haftstrafen Verurteilten sind allerdings Leiter von Hauskirchen (Landinfo 20.10.2023). Die NGO Open Doors, die sich für Christen einsetzt, gibt in ihrem Länderprofil zu Iran im Jahr 2024 an, dass auch einfache Mitglieder von Hauskirchen verhaftet werden können (OpD 2024).
Neben Haftstrafen werden Konvertiten manchmal auch zur Teilnahme an islamischem Religionsunterricht verpflichtet, der sie davon überzeugen soll, zum Islam zurückzukehren. Der Unterricht wird oftmals von den Sicherheitsbehörden veranlasst, ohne dass es dazu eine richterliche Anordnung gäbe (Landinfo 20.10.2023).
Einerseits wird immer wieder von Razzien und Verhaftungen von Christinnen und Christen berichtet, was ein hartes staatliches Vorgehen signalisiert. Die Gemeinden sollen durch diese Unvorhersehbarkeit in Angst und Unsicherheit gehalten werden. Andererseits belegen Einzelbeispiele, dass es immer darauf ankommt, welche Person dem Beschuldigten gegenübersitzt. Auch persönliche Einstellungen und Charakteristika von Amtsträgern spielen eine Rolle. Dabei kann es fallweise erhebliche Unterschiede geben (BAMF 5.2022). Der Umgang der Sicherheitsdienste mit Konvertiten ist in den verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich. Einige Mitglieder der Sicherheitsdienste sind korrupt. Sie drohen oder nehmen Festnahmen vor, um Schmiergelder zu erpressen. Ihre Informanten, die in allen lokalen Gemeinschaften zu finden sind, können ebenfalls korrupt sein und von Konvertiten Bestechungsgelder verlangen, damit sie diese nicht an die Sicherheitsdienste melden (Landinfo 20.10.2023).
Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 USD liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Diejenigen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution zu verlieren (OpD 2024).
Behandlung von Konvertiten nach der Rückkehr
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z. B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021). Informanten in westlichen Ländern berichten dem iranischen Geheimdienst über Aktivitäten iranischer Christen im Ausland (OpD 2024).
Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein 'high-profile'-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber dies kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber zu Problemen führen (DIS 23.2.2018). Eine befragte Rechtsanwältin schilderte in diesem Zusammenhang auch, dass es Fälle gibt, bei denen Personen aufgrund von Beiträgen in den sozialen Netzwerken mit nur geringer Reichweite oder Beiträgen von lediglich "privat" einsehbaren Profilen inhaftiert wurden, da sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, Personen in derartigen Fällen aufgrund von "Vergehen gegen die nationale Sicherheit" oder "Vergehen gegen den Islam" zu verfolgen (MRAI 19.6.2023). Die iranischen Behörden fokussieren bei der Überwachung von Konvertiten zuletzt zunehmend auf Online-Aktivitäten (Landinfo 20.6.2022).
Taufe, christliche Schriften
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS 23.2.2018). Die NGO Open Doors gibt in seinem Weltverfolgungsindex 2024 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OpD 2024).
Christlichen NGOs zufolge werden die staatlichen Beschränkungen für die Veröffentlichung von religiösem Material fortgesetzt, obwohl staatlich genehmigte Bibelübersetzungen Berichten zufolge weiterhin erhältlich sind. Regierungsbeamte beschlagnahmen häufig Bibeln und ähnliche nicht schiitische religiöse Literatur und üben Druck auf Verlage aus, die nicht genehmigtes nicht-muslimisches religiöses Material drucken, um ihre Tätigkeit einzustellen (USDOS 15.5.2023). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OpD 2024). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der "Katholischen Jerusalem Bibel" ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den "Katechismus der Katholischen Kirche" ins Farsi. Beide Produkte waren mit Stand 2019 ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).
Atheismus
Rechtlich gesehen ist es im Iran nicht möglich, sich nicht zu einer Religion zu bekennen. Es gibt mehrere Situationen, in denen Iraner den Behörden ihre Religionszugehörigkeit mitteilen müssen (MBZ 9.2023). Personen, die sich öffentlich vom Islam lossagen, können wegen Apostasie (DFAT 24.7.2023) und Blasphemie angeklagt werden (SäkF 24.8.2020; vgl. RFE/RL 8.5.2023). Beispielsweise im Mai 2023 exekutierte das iranische Regime zwei atheistische Aktivisten, die wegen Blasphemie zum Tod verurteilt worden waren, da sie in den sozialen Medien angeblich "Atheismus und die Beleidigung von religiösen und islamischen Heiligtümern" gefördert hätten (RFE/RL 8.5.2023; vgl. AJ 8.5.2023). Atheisten sind daher üblicherweise diskret bei der Zurschaustellung ihrer Anschauung (DFAT 24.7.2023; vgl. USDOS 15.5.2023). Wenn sie diese nicht weithin bekannt machen, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Behörden auf sie aufmerksam werden (DFAT 24.7.2023). Unter anderem verbietet auch das Pressegesetz ausdrücklich eine Verbreitung von atheistischen Inhalten oder von Inhalten, die als schädlich für die islamischen Kodizes oder als Beleidigung islamischer Rechtsgelehrter angesehen werden. Die weit gefassten Definitionen erleichtern hierbei eine umfassende Zensur und verwehren den Bürgern den Zugang zu verschiedenen Informationsquellen (ARTICLE19 27.2.2018).
Atheisten aus konservativen Familien könnten mit familiärem Druck und potenzieller Ächtung konfrontiert werden, wenn ihr Atheismus bekannt würde. Atheisten aus liberaleren Familien und Teilen des Landes, wie dem Norden Teherans, sind solchem Druck dagegen nicht ausgesetzt (DFAT 24.7.2023). Gemäß einer anderen Quelle gaben Atheisten dagegen an, dass sie ihren Atheismus in den meisten gesellschaftlichen und sogar familiären Kontexten zu ihrer eigenen Sicherheit verbergen müssen (IrWire 27.2.2023).
Rückkehr zum Islam
Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 11.2021).
Wechsel vom Schiitentum zum Sunnitentum, Konversion von einer nicht-islamischen Religion
Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit 'Konversion' bzw. Wechsel vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Dieser Wechsel [zwischen den beiden Hauptzweigen des Islam] ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen (ÖB Teheran 11.2021). Er gilt nicht als Konversion, da es sich dabei um keinen Religionswechsel handelt, schließlich zählen Sunnitentum wie Schiitentum zum Islam. Eine befragte Rechtsanwältin geht nicht davon aus, dass es für einen Wechsel vom Schiitentum zum Sunnitentum bestimmte formale Anforderungen bzw. Regeln gibt. Personen, die dies wünschen, können schlicht in eine sunnitische Moschee gehen und dort beten. Aus rechtlicher Sicht besteht kein Problem bei einem Wechsel vom Schiitentum zum Sunnitentum. Es sind keine Fälle einer rechtlichen Verfolgung ähnlich wie bei einer Konversion von Muslimen zum Christentum bekannt (MRAI 19.6.2023). Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich "konvertierte" Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese ebenfalls nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021).
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 26.06.2024
Nur etwa jeder zweite Iraner hat Persisch als Muttersprache; die Bezeichnungen Iraner und Perser sind keineswegs identisch und Iran ist seit drei Jahrtausenden ein Vielvölkerstaat (BPB 13.1.2020). Angehörige ethnischer Minderheiten machen insgesamt ca. die Hälfte der iranischen Bevölkerung aus, darunter Azeris, Kurden, Gilaki und Mazandarani, Araber, Turkmenen, Luren, Belutschen, Zaza, Armenier, Assyrer und Georgier (AA 30.11.2022). Nach anderen Angaben gehören schätzungsweise 30 bis 35 von insgesamt rund 80 Millionen Iranern einer ethnischen Minderheit an. Der Staat veröffentlicht dazu keine Zahlen – aus Furcht vor Missbrauch durch außenpolitische Gegner, aber auch um bei den Minoritäten selbst keine Forderungen zu ermutigen (BPB 13.1.2020).
Berechnungen zufolge stellen Azeris etwa 20 % der Bevölkerung, Kurden 10 %, Luren 6 %, Araber und Belutschen je 2 %, Turkmenen 1 %. Ferner wohnen mehrere Millionen Afghanen dauerhaft in Iran, viele bereits in der zweiten Generation (BPB 13.1.2020). Die Minderheiten leben keineswegs nur in jenen Regionen, die ihren jeweiligen Namen tragen, wie etwa Kurdistan oder Aserbaidschan. Irans Ethnien- und Sprachenkarte ähnelt einem bunt gemusterten Teppich [Anm.: vgl. Karte unten] (BPB 13.1.2020; vgl. Izady/Gulf 2000 o.D.), wobei die meisten dieser Minderheiten in den Grenzprovinzen leben und Verbindungen zu Ethnien in Nachbarstaaten wie Irak, Aserbaidschan, Pakistan (FP 19.10.2022) und Afghanistan haben (MRG 6.2018).
Die ethnischen Minderheiten sind vorwiegend auch religiöse Minderheiten (UNHRC 19.3.2024). Zu den sunnitischen ethnischen Minderheiten des Landes zählen die Turkmenen im Nordosten, die Kurden im Westen, Araber im Südwesten und Belutschen im Südosten (DW 7.4.2024).
[…]
Die Verfassung gewährt allen ethnischen Minderheiten gleiche Rechte und erlaubt die Verwendung von Minderheitensprachen in den Medien. Das Gesetz gewährt den Bürgern das Recht, ihre eigenen Sprachen und Dialekte zu lernen, zu verwenden und zu unterrichten (USDOS 23.4.2024). Trotzdem erleben Vertreter ethnischer Minderheiten verschiedene Formen von Diskriminierung (FH 2024; vgl. USDOS 23.4.2024), einschließlich Einschränkungen bei der Verwendung ihrer Sprachen. Vertreter nicht-persischer ethnischer Minderheiten und insbesondere nicht-schiitischer religiöser Minderheiten erhalten nur selten höhere Regierungsposten, und ihre politische Vertretung ist nach wie vor schwach (FH 2024). Persisch ist die vorherrschende Sprache im Land, und das Sprechen anderer Sprachen ist in Schulen, Medien und im öffentlichen Leben verboten oder stark eingeschränkt, auch wenn es Bemühungen gab, um die sprachliche und kulturelle Diversität in Iran beispielsweise durch die Einführung einiger Kurse für Minderheitensprachen an Schulen und Universitäten zu fördern (TGP 21.2.2023). Nach dem iranischen Personenstandsgesetz können die Behörden zudem die Registrierung von Namen ablehnen, wobei die Entscheidung, ob ein Name zulässig ist oder nicht, häufig im Ermessen der örtlichen Behörden liegt. Das Gesetz wurde jedoch systematisch dazu benutzt, um ethnischen und religiösen Minderheiten die Wahl des Namens für ihre Kinder zu verweigern (Jadaliyya 1.11.2022; vgl. VOA 19.5.2022). Viele Iraner haben daher zwei Namen - einen, der in juristischen Dokumenten verwendet wird, und einen anderen für Familie und Freunde (VOA 19.5.2022).
Bei der Behandlung gibt es auch Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen: Aserbaidschaner sind beispielsweise seit Jahrhunderten eine Säule der iranischen Verwaltung und in jüngerer Vergangenheit haben Mitglieder der Gemeinde wichtige Machtpositionen ausgefüllt, indem sie beim Militär und bei den Revolutionsgarden dienten (MEI 27.2.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Jedoch berichteten auch Aserbaidschaner von Übergriffen auf Aktivisten und die Verweigerung von turksprachigen Namen für Kinder (USDOS 23.4.2024).
Von Minderheiten bevölkerte Regionen wie Khuzestan, Kurdistan und Sistan-Baluchestan bleiben wirtschaftlich unterentwickelt (MRG 24.11.2022). Sie wurden seit Jahrzehnten bei staatlichen Investitionen, der Entwicklung der Infrastruktur und bezüglich Beschäftigungsmöglichkeiten vernachlässigt (AGSIW 14.10.2022; vgl. AA 30.11.2022). Im Vergleich zum persisch dominierten Zentrum sind sie mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, darunter Armut, schlechter Zugang zu staatlichen Dienstleistungen, Umweltzerstörung und Wasserknappheit (FP 19.10.2022). Ethnische Minderheiten, insbesondere Ahwazis, Aseris und Luren, beschwerten sich regelmäßig darüber, dass die Regierung natürliche Ressourcen, vor allem Wasser, aus den von Minderheiten bewohnten Regionen abzweigt und damit Misswirtschaft betreibt, was zu Umweltzerstörung und einer weiteren Marginalisierung dieser Gruppen führt (USDOS 23.4.2024).
Die Anzahl an Inhaftierungen (FP 19.10.2022) und Hinrichtungen ist in Regionen mit hohem Bevölkerungsanteil von ethnischen Minderheiten vergleichsweise hoch (IHRNGO 5.3.2024), wobei in diesem Zusammenhang insbesondere die ethnischen Gruppen der Belutschen und Kurden genannt werden (AI 4.4.2024; vgl. IHRNGO 5.3.2024). Auch die Mehrheit der 2023 wegen ihrer politischen Zugehörigkeit Hingerichteten gehörte einer ethnischen Minderheit an, wobei Kurden hierbei die größte Gruppe darstellen, gefolgt von Belutschen und Arabern. Laut der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) könnte eine Erklärung dafür sein, dass die Behörden mehr Gewalt anwenden, um Angst zu schüren, weil der Widerstand in der Bevölkerung in diesen Regionen größer ist. Während der landesweiten Proteste nach der Ermordung von Jina (Mahsa) Amini waren die kurdischen Regionen und Belutschistan die Gebiete mit den am längsten anhaltenden Protesten (IHRNGO 5.3.2024). Die Sicherheitskräfte setzten bei der Protestniederschlagung in den Regionen mit Minderheitenbevölkerung besonders brutale und militarisierte Gewalt ein, was zu einer höheren Zahl von Todesopfern führte (UNHRC 19.3.2024). Fast die Hälfte aller auf der Straße getöteten Demonstranten stammte aus Belutschistan, Kurdistan und anderen kurdischen Städten in anderen Provinzen (IHRNGO 5.3.2024; vgl. UNHRC 7.2.2023). Die Behörden betreiben gezielte Propaganda, bei der sie ihre Kritiker in Regionen mit ethnischen Minderheiten als Separatisten bezeichnen, und die Präsenz bewaffneter Gruppen in diesen Regionen macht es den Behörden leichter, Todesurteile unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorismus und Separatismus zu rechtfertigen. IHRNGO geht außerdem davon aus, dass die lokalen Justizbehörden in Gebieten mit schwierigen sozioökonomischen Bedingungen - wie in den von ethnischen Minderheiten bewohnten Provinzen Kurdistan, West-Aserbaidschan, Ost-Aserbaidschan und Sistan und Belutschistan - gesetzloser und willkürlicher vorgehen als anderswo (IHRNGO 5.3.2024).
Ahwazi-Araber, Belutschen und Kurden waren 2023 auch überproportional von heimlichen Hinrichtungen betroffen (AI 4.4.2024). Grenzüberschreitende Schmuggler, die in Kurdistan als Kolbars und in Belutschistan als Sookhtbars bekannt sind, werden seit Jahrzehnten außergerichtlich hingerichtet, wobei in diesem Zusammenhang auf die beschränkten Verdienstmöglichkeiten bzw. Armut in den von ihnen bewohnten Gebieten verwiesen wird (NLM 8.11.2022; vgl. IRINTL 24.3.2024).
Sowohl vor als auch nach der Revolution rechtfertigten iranische Regierungen die "Politik der eisernen Faust" in den Randgebieten des Landes als Mittel zur Wahrung der territorialen Integrität Irans (Stimson 27.2.2023; vgl. BPB 13.1.2020). Das Regime verfolgt (vermeintlich und tatsächlich) militante, separatistische Gruppierungen. Jedoch werden auch Personen, die sich für den Erhalt der sprachlichen oder kulturellen Identität einsetzen, oft als Separatisten verfolgt und teils zu langen Haftstrafen verurteilt (AA 30.11.2022). Einer Minderheit angehörende Aktivisten werden regelmäßig verhaftet und aufgrund willkürlicher Anschuldigungen zur Wahrung der nationalen Sicherheit in Prozessen verfolgt, die in keiner Weise internationalen Standards entsprechen (HRW 11.1.2024a). Das Regime versuchte, die Forderungen nicht-persischer ethnischer Gruppen im Rahmen der Proteste ab September 2022 als Separatismus zu delegitimieren (BS 19.3.2024; vgl. NLM 8.11.2022), während Experten eine noch nie da gewesene Solidarität zwischen den persischen und nicht-persischen Gemeinschaften des Landes sahen (NLM 8.11.2022; vgl. Stimson 27.2.2023, BS 19.3.2024).
[...]
Araber
Letzte Änderung: 26.06.2024
Insgesamt stellen Araber zwischen zwei (USDOS 23.4.2024) und vier Millionen der iranischen Gesamtbevölkerung. Jene, die in der Provinz Khuzestan leben, werden auch "Ahwazi-Araber" genannt (MRG 12.2017a). Die an Erdölvorkommen reiche Region liegt an der Grenze zum Irak und zu Kuwait (ÖB Teheran 11.2021). Ahwazi-Araber bezeichnen die Provinz auch als Arabistan oder Ahwaz [Anm.: So heißt auch die Hauptstadt der Provinz] (AN 18.10.2022). In Khuzestan wird die Minderheitensprache Khuzestan-Arabisch gesprochen. Fast alle Sprecher sind zweisprachig in Arabisch und Persisch. In den nördlichen und östlichen Städten von Khuzestan wird auch Lori gesprochen (Bahrani/Modarresi Ghavami 23.9.2019). Während die Ahwazi-Araber in Khuzestan mehrheitlich schiitischen Glaubens sind, sind die Araber weiter südlich bei Bandar Abbas [Anm.: Provinz Hormozgan] überwiegend Sunniten (MRG 12.2017a). Es gibt rund 110 Stämme der Ahwazi-Araber (USDOS 23.4.2024).
Auf dem Papier ist Khuzestan ein Motor der iranischen Wirtschaft. Die Provinz erwirtschaftet fast 15 % des Bruttoinlandsprodukts des Landes und gilt als ein Synonym für die iranische Energiewirtschaft: Schätzungen zufolge befinden sich in der Provinz mehr als 80 % der Öl- und Gasreserven des Landes, und mehr als ein Drittel der iranischen petrochemischen Anlagen sind dort angesiedelt. Außerdem werden in der Provinz etwa 14 % der landwirtschaftlichen Erzeugnisse des Landes angebaut, vor allem Weizen, mehr als in jeder anderen Provinz, und sie verfügt über etwa 33 % des iranischen Oberflächenwassers. Mit dem Imam Khomeini-Seehafen befindet sich einer der wichtigsten Handelsknotenpunkte in der Provinz (ICG 21.8.2023). Khuzestan ist jedoch auch für seine Umweltverschmutzung berüchtigt (MEE 2.12.2022; vgl. ICG 21.8.2023). Dies hat zu einer verringerten Wasserversorgung geführt, deren Knappheit Mitte 2021 Proteste auslöste (ICG 21.8.2023), bei denen mehrere Menschen starben (UNHRC 19.3.2024). Darüber hinaus lebt rund ein Drittel der Bevölkerung in Armut. Die sozioökonomischen und ökologischen Probleme sind mit dem seit langem bestehenden politischen Groll der arabischen Minderheit in Khuzestan verknüpft, die über eine Diskriminierung und Vernachlässigung durch die zentralen und lokalen Behörden klagt (ICG 21.8.2023). Ahwazi-Rechtsaktivisten berichten auch, dass die Regierung weiterhin Ahwazi-Eigentum beschlagnahmt, um es für staatliche Entwicklungsprojekte zu verwenden, und sich weigert, Eigentumstitel aus der vorrevolutionären Zeit anzuerkennen (USDOS 23.4.2024).
Es gibt noch weitere strittige Punkte. Einer davon ist das Fehlen eines muttersprachlichen Unterrichts für Araber in Khuzestan (ICG 21.8.2023). Mangels Unterricht in der Muttersprache sind viele Araber Analphabeten (AN 18.10.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Araber ein (HRW 11.1.2024a), jedoch wurden einige lokale Clanführer in Khuzestan und anderen Gegenden, wo Ahwazi-Araber leben, in lokale Räte gewählt, wo sie auch sehr unverblümt sprechen. Ins Visier der Behörden können Ahwazi-Araber geraten, wenn sie Journalisten oder politische Aktivisten sind, die sich für Minderheitenrechte einsetzen (DIS/DRC 23.2.2018). In den meisten Regionen Irans werden zivilgesellschaftliche Organisationen unterdrückt, so auch im von Arabern bewohnten Khuzestan. Arabern wurde die Gründung eigener politischer Parteien oder Interessengruppen untersagt, und internationale Menschenrechtsgruppen haben festgestellt, dass die Regierung zivilgesellschaftliche Aktivisten in der Provinz schikaniert und sie beschuldigt, Verbindungen zum Separatismus oder Terrorismus zu unterhalten (ICG 21.8.2023). Laut Erhebungen der NGO Iran Human Rights (IHRNGO) waren 16 % (24 in absoluten Zahlen) jener Personen, die zwischen 2010 und 2023 wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen politischen Partei oder bewaffneten Organisation hingerichtet wurden, Araber (IHRNGO 5.3.2024), bei einem Bevölkerungsanteil der ethnischen Gruppe von rund 2 % an der Gesamtbevölkerung des Landes (BPB 13.1.2020).
In den letzten Jahren kam es in Khuzestan wiederholt zu gewaltsamen Unruhen, manchmal als Widerhall landesweiter Proteste, wie z. B. nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022, in anderen Fällen, wie bei der Wasserkrise 2021, lag der Auslöser auf lokaler Ebene (ICG 21.8.2023). Zu Beginn der Protestwelle ab September 2022 fanden noch keine Proteste in den von Ahwazi-Arabern bewohnten Gebieten statt. Das änderte sich, als sich die formulierten Protestziele verbreiterten (MEE 2.12.2022). Viele ölverarbeitende Unternehmen in Khuzestan wurden daraufhin bestreikt und Ölarbeiter nahmen an den Protesten teil (AN 18.10.2022). Die iranischen Sicherheitsbehörden gingen fast sofort nach Beginn der Proteste in Kurdistan hart gegen die Minderheiten in der Region Ahwaz vor und entsandten eine große Zahl von Truppen in die Region. Die Sicherheitsbehörden führten Massenverhaftungen von Aktivisten, Intellektuellen, Dichtern, Schriftstellern und anderen durch, von denen sie befürchteten, dass diese "zum Aufstand anstiften" könnten (TWI 14.10.2022). Rechtsaktivisten zufolge wurden eine Reihe prominenter Ahwazi-Aktivisten verhaftet und sind in den iranischen Gefängnissen "verschwunden" (MEE 2.12.2022) oder starben unter ungeklärten Umständen nach ihrer Verhaftung, wobei Angehörige und Aktivisten davon ausgehen, dass die Opfer zuvor gefoltert worden waren (MEE 2.12.2022; vgl. TWI 14.10.2022).
Araber sunnitischen Glaubens sind auch aufgrund ihrer Religion von Benachteiligungen betroffen (MRG 12.2017a). Beschwerden der ethnischen Minderheit in Khuzestan haben in den letzten Jahren auch zu einem gesteigerten Zuspruch zu Formen des Salafismus geführt. Während die meisten Araber in Khuzestan Schiiten sind, haben sich einige als Zeichen der Ablehnung der schiitischen politischen Elite dem Salafismus zugewandt und sind zum Sunnitentum gewechselt (ICG 21.8.2023).
Die Revolutionsgarden und das Geheimdienstministerium führen Aktivitäten in Khuzestan und anderen Orten durch, in denen Ahwazi-Araber leben (DIS/DRC 23.2.2018) und überwachen Angehörige von separatistischen Befreiungsbewegungen aus der Region Ahwaz auch in Europa (BMP 7.10.2022; vgl. Sveriges 19.9.2023).
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 26.06.2024
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen, Flüchtlinge und Gefangene (USDOS 23.4.2024).
Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Ehemänner ins Ausland reisen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024), während unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen [über 18 Jahre] keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds benötigen, um zu reisen (CEDOCA 30.3.2020). Ehefrauen können jedoch Ehevertragsklauseln mit ihrem Ehemann vereinbaren, um eine generelle Ausreisegenehmigung zu erhalten (BAMF 1.2023; vgl. IrWire 2.11.2019). Die Ausreisegenehmigung durch den Ehemann muss in Form einer beim Notariat eingetragenen Vollmacht erfolgen (Eli Gasht 14.3.2024). Ehemänner können die Genehmigung jederzeit zurückziehen (HRW 11.1.2024a; vgl. Eli Gasht 14.3.2024). Die Väter von unverheirateten Frauen sowie Ehemänner von verheirateten Frauen können ein Ausreiseverbot für Frauen beantragen, auch wenn diese einen Reisepass erhalten haben (MBZ 9.2023). Für die Ausstellung eines Reisepasses an Frauen mit einem iranischen Ehepartner oder Kindern unter 18 Jahren ist die schriftliche Zustimmung des Ehepartners oder Vaters erforderlich (IRIMFA o.D.; vgl. Eli Gasht 14.3.2024, BAMF 7.2020). Wenn der Ehemann oder Vater nicht anwesend ist, hat sich die Frau bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern keine schriftliche Erlaubnis vorliegt (BAMF 7.2020; vgl. IRIMFA o.D.). Geschiedene oder verwitwete Frauen benötigen keine Zustimmungserklärung, um einen Reisepass zu erhalten (Eli Gasht 14.3.2024).
Bestimmte Gruppen, wie Angestellte in sensiblen Bereichen, iranische Studenten im Ausland und alle Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren, die ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben, benötigen eine besondere Ausreisebewilligung (Landinfo 21.1.2021 vgl. CEDOCA 10.5.2023). Wehrpflichtige müssen eine Kaution hinterlegen, um ausreisen zu dürfen (Ekhtebar 22.4.2024). Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhielten, müssen entweder das Stipendium zurückzahlen oder erhalten eine befristete Ausreisegenehmigung. Die Regierung schränkt die Auslandsreisen einiger religiöser Führer, Angehöriger religiöser Minderheiten und Wissenschaftler in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen (USDOS 23.4.2024).
Laut einer vom niederländischen Außenministerium befragten vertraulichen Quelle kann ein vom Staatsanwalt bei Gericht eingebrachter Antrag auf ein Ausreiseverbot von der Person, gegen die das Ausreiseverbot verhängt worden ist, nicht im SANA-System eingesehen werden (MBZ 9.2023). Eine auf Rechtsfragen spezialisierte iranische Nachrichtenseite gibt an, dass Ermittler nach dem Strafprozessrecht ein Ausreiseverbot als gerichtliche Überwachungsanordnung in zwei Schritten erlassen können, einmal vor dem Kontakt zum Beschuldigten und zum anderen nach dem Kontakt zum Beschuldigten. Ausreiseverbote können laut dieser Quelle unter Umständen schon im SANA-System eingesehen werden. Ausreiseverbote (neben strafrechtlichen Gründen und o. g. Ausreiseverboten für Frauen z. B. wegen Bank- oder Steuerschulden sowie für Personen mit "schlechtem Ruf") können ggf. auf der Website der Staatlichen Organisation für die Registrierung von Urkunden und Grundstücken (SSAA), des Finanzamts, oder persönlich beim Passamt überprüft werden (Ekhtebar 22.4.2024).
Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (AA 30.11.2022). Die Reisepässe werden bei der Ein- und Ausreise am Grenzübergang gestempelt. Fehlt der Ausreisestempel bei der erneuten Einreise nach Iran, führt dies zu einer Befragung. Illegale Ausreisen werden, so weiter nichts vorliegt, üblicherweise mit Geldstrafen geahndet (MBZ 9.2023).
Iraner können innerhalb Irans grundsätzlich frei reisen (MBZ 9.2023). Zu den Gerichtsurteilen gehört jedoch manchmal die interne Verbannung nach der Haftentlassung. So werden Personen daran gehindert, in bestimmte Provinzen zu reisen. Flüchtlinge dürfen sich nur in bestimmten Provinzen bewegen oder ansiedeln [Anm.: s. Kap. Afghanen in Iran für weitere Informationen] (USDOS 23.4.2024).
Ausweichmöglichkeiten
Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Zivile und militärische Verwaltungsstrukturen arbeiten effektiv. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 30.11.2022).
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 26.06.2024
Die Wirtschaft zeichnet sich durch ihren Kohlenwasserstoff-, Landwirtschafts- und Dienstleistungssektor sowie eine bemerkenswerte staatliche Präsenz in der verarbeitenden Industrie und den Finanzdienstleistungen aus. Iran steht weltweit an zweiter Stelle, was die Größe der Erdgasreserven betrifft, und bei den nachgewiesenen Rohölreserven an vierter Stelle (WB 20.10.2022). Obwohl die iranische Wirtschaft für ein erdölexportierendes Land relativ diversifiziert ist (WB 20.10.2022; vgl. BPB 15.5.2020) und über ein Reservoir gut ausgebildeter Arbeitskräfte verfügt (BPB 15.5.2020), hängen die Wirtschaftstätigkeit und die Staatseinnahmen von den Öleinnahmen ab und sind daher volatil (WB 20.10.2022; vgl. BPB 15.5.2020).
Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, für die restlichen 20 % ist der private und kooperative Sektor verantwortlich (BS 19.3.2024). Die iranische Wirtschaft steht allerdings nicht einfach unter der Kontrolle der iranischen Regierung. Institutionen, die mit Hoheitsorganen abseits der Regierung (den Revolutionsgarden und dem Haus des Obersten Führers) verbunden sind, kontrollieren große Teile der Wirtschaft des Landes (EPC 28.3.2023; vgl. BS 19.3.2024). Eine wichtige Säule im Machtapparat des Regimes sind die Bonyads (LMD 2020), wirtschaftlich mächtige religiöse, revolutionäre und militärische Stiftungen (BS 19.3.2024), die für sich beanspruchen, eine Vielzahl von Aktivitäten im Zusammenhang mit Sozialarbeit, Beratungs-, Sozial- und Rehabilitationsdiensten durchzuführen (MEI 29.1.2009). Die Bonyads werden direkt oder indirekt vom Obersten Führer kontrolliert. Dadurch sind sie strukturell vom Wettbewerb abgeschirmt und verzerren die Grundsätze des freien Marktes. Diese Einrichtungen genießen zahlreiche Privilegien, darunter Steuerbefreiungen und exklusiven Zugang zu lukrativen staatlichen Aufträgen (BS 19.3.2024). Die Revolutionsgarden sind mit einigen der Bonyads eng verbunden (MEI 3.5.2022). Sie sind wirtschaftlich ebenso aktiv und haben ihre eigenen finanziellen, wirtschaftlichen, industriellen und landwirtschaftlichen Zweige. Das Wirtschaftskonglomerat Khatam al-Anbiya, das sich im Besitz der Revolutionsgarden befindet, hat es geschafft, ein Monopol auf große Infrastrukturprojekte in Iran aufzubauen (MEI 7.6.2022). Die Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre hat eine staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik gefördert, die mit hoher Korruption einhergeht (BPB 31.1.2020a; vgl. MEI 7.6.2022).
Mit einem Pro-Kopf-BIP von 4.669,6 USD im Jahr 2022 [letztverfügbare Daten] zählt die Weltbank die Islamische Republik Iran zu den Ländern in der Kategorie "niedriges mittleres Einkommen" (WB o.D.). Laut dem Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) befindet sich Iran mit einem Indexwert von 0,780 für das Jahr 2022 unter den Ländern mit einem hohen Entwicklungsstand. Der HDI misst den Entwicklungsstand von Staaten anhand der Faktoren "langes und gesundes Leben", "Zugang zu Bildung" und "menschenwürdige Lebensstandards für die Bevölkerung". Während die Indexwerte für Iran im Zeitraum 1990-2017 gestiegen sind, nahmen sie danach wieder ab. 2022 stieg der Indexwert erstmals wieder im Vergleich zum Vorjahr und erreichte ungefähr das Niveau von 2020 (UNDP 13.3.2024).
Das iranische Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist 2022/2023, d. h. im iranischen Kalenderjahr [1401], das im März 2023 endete, um 3 % gewachsen (Amwaj 23.2.2024) und auch 2024 wird ein reales BIP-Wachstum von 3 % erwartet (IMF 4.2024). In USD ausgedrückt ist der nominale Wert der Wirtschaft 2022/2023 jedoch gesunken (Amwaj 23.2.2024). Das BIP-Wachstum des Landes, gemessen in konstanten Dollar-Kursen, ist seit den frühen 2010er-Jahren weitgehend unverändert geblieben und das BIP pro Kopf liegt bei Kaufkraftparität etwa 10 % unter dem Niveau der späten 2000er-Jahre (FES 3.2024).
Der Rial (IRR) hat seit der Verhängung der US-Sanktionen im Jahr 2018 auf dem freien Markt von rund 42.000 zu 1 USD auf bis zu 580.000 zu 1 USD Anfang 2024 abgewertet (IRINTL 29.1.2024a; vgl. Bonbast 23.2.2024). Der niedrige IRR-Kurs verteuert vor allem Importe auf breiter Front (BAMF 13.2.2023). Aufgrund der Inflation profitieren gewöhnliche Iraner vom BIP-Wachstum in ihrem täglichen Leben nicht viel (FDD 30.11.2023). Die geschätzte Inflationsrate der durchschnittlichen Konsumentenpreise liegt 2024 bei 37,5 % (IMF 4.2024), wobei sie seit 2021 immer über 40 % ausmachte (IMF 4.2024; vgl. WB 24.8.2023). Die hohe Inflation trifft Haushalte mit geringem Einkommen unverhältnismäßig stark, da deren Ausgaben für Lebensmittel und Wohnen etwa 80 % ihres Budgets ausmachen, während ihre Reallöhne sinken (WB 24.8.2023). Gemäß dem Recherchedienst des iranischen Parlaments hat die Hälfte der iranischen Bevölkerung 2022/2023 den empfohlenen täglichen Kalorienbedarf (2.100 Kalorien) nicht erreicht, was unter anderem mit der hohen Inflation für Nahrungsmittelpreise in Verbindung gebracht wurde (IrWire 30.4.2024).
Entsprechend der von der Weltbank für Iran verwendeten Definition der Armutsgrenze (Verfügbarkeit von mindestens 6,85 USD tägl.) befanden sich im Jahr 2022 21,9 % der Iraner unter der Armutsgrenze. Die Armut hat damit seit 2020 abgenommen, als noch 29,3 % der Iraner weniger als 6,85 USD täglich zur Verfügung hatten (WB 4.2024). Nach Angaben des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt befanden sich im Jahr 2022 dagegen 35 % der iranischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze (Amwaj 8.2.2024), während ein bekannter iranischer Ökonom im Mai 2023 sogar von einem Anteil von 50 % sprach (IRINTL 20.5.2023; vgl. BNE 1.8.2023). Iran hat seit 1979 bemerkenswerte Fortschritte bei der Armutsbekämpfung gemacht, der Zeitraum zwischen 2010 und 2020 gilt jedoch als verlorenes Jahrzehnt hinsichtlich des Wirtschaftswachstums, als fast zehn Mio. Iraner in die Armut abgerutscht sind (WB 11.2023). Trotz eines allgemeinen Rückgangs der Armut zwischen 2020 und 2022 gibt es nach wie vor regionale Unterschiede, insbesondere gegenüber den ländlichen und südöstlichen Regionen. So galt 2022 mehr als ein Drittel der Bevölkerung in ländlichen Gebieten als arm. Die Ungleichheiten wurden durch anhaltende Dürre und Wasserknappheit noch verschärft. Die südöstlichen Provinzen, insbesondere Sistan und Belutschistan, sind von großer Armut betroffen, die deutlich über dem nationalen Durchschnitt liegt (WB 4.2024).
Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen ist im ganzen Land nahezu flächendeckend, mit Ausnahme des Zugangs zu modernen Abwassersystemen und zum Internet, wo es eine große Kluft zwischen ländlichen und städtischen Haushalten gibt (WB 11.2023). Die Grundversorgung ist gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch ein enger Familienzusammenhalt sowie das islamische Spendensystem beitragen (AA 30.11.2022).
Ein Grund für die schlechte wirtschaftliche Leistung Irans sind die europäischen und amerikanischen Wirtschaftssanktionen. Sie wurden Anfang der 2010er-Jahre verschärft, bis 2015 das Atomabkommen mit Iran (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) ausgehandelt wurde, das teilweise Sanktionsentlastungen enthielt. Nach dem Rückzug der Regierung von US-Präsident Donald Trump aus dem Atomabkommen im Jahr 2018 wurden die Sanktionen von den USA einseitig wieder eingeführt und in den folgenden zwei Jahren weiter verschärft. Auch die EU und andere westliche Länder verschärften ihre Sanktionen im Zuge der "Frau-Leben-Freiheit"-Proteste im Jahr 2022 (FES 3.2024) und nach dem Hamas-Angriff vom 7.10.2023 wurden weitere Sanktionen gegen mit Iran verbundene Personen und Organisationen verhängt (Soufan 14.5.2024). Iranische Banken sind seit der Wiedereinführung der Sanktionen im Jahr 2018 vom SWIFT-System ausgenommen (MEE 30.1.2023; vgl. BS 19.3.2024). Damit wurden sie vom globalen Finanzsystem effektiv ausgeschlossen (BS 19.3.2024).
Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 26.06.2024
Das sozialstaatliche System Irans besteht aus Subventionen für grundlegende Güter, Bargeldtransfers, Organisationen zur Armutsbekämpfung, die einen Teil der ärmeren Bevölkerung nach Bedürftigkeit versorgen, und Sozialversicherungsorganisationen, welche die mittleren und oberen Einkommensschichten des Landes abdecken (CERI 12.2021). Zu den Sicherungsmaßnahmen gehören Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosengeld, Krankenurlaub, Mutterschaftsgeld, Familienbeihilfen und Zuwendungen für Behinderte (WB 11.2023). Das Bildungs- und Gesundheitswesen ist für alle iranischen Staatsangehörigen, einschließlich der Rückkehrenden, über das Bildungsministerium und das Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung zugänglich (IOM 11.2023).
Sozialversicherungsleistungen
Das iranische Sozialversicherungssystem wird vom Ministerium für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt überwacht und v. a. von der "Organisation für Sozialversicherung" (Social Security Organization, SSO [Farsi: Sazman Tamin Ejtemaei]) (SSA o.D.) als größtem Sozialversicherungsträger verwaltet (Bimeh 20.12.2023). Gemäß der iranischen Arbeitsgesetzgebung müssen alle regulär Angestellten des privaten Sektors bei der SSO versichert sein (SAIS Rethinking Iran 2023; vgl. Bimeh 20.12.2023), wobei die Versicherungsprämien durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie staatliche Zuschüsse gedeckt werden. Öffentliche Bedienstete mit befristeten Verträgen sind ebenfalls bei der SSO versichert (Landinfo 12.8.2020), für [andere] Staatsbedienstete und Angehörige der Streitkräfte gibt es spezielle Versicherungssysteme (IOM 11.2023). Seit den 1990ern werden auch Angestellte in kleinen Firmen und informell tätige Selbstständige dazu ermutigt, sich bei der SSO zu versichern (Landinfo 12.8.2020). Unternehmer sind nicht dazu verpflichtet, sich zu versichern (Bimeh 20.12.2023). Es besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung bei der SSO, beispielsweise auch für Hausfrauen (IOM 11.2023). Hierbei müssen die Antragsteller bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie z. B. die Einzahlung der Versicherungsbeiträge für mindestens 30 Tage (IOM 11.2023; vgl. Bimeh 20.12.2023) und Männer müssen ihren Ausweis zur erfolgten Ableistung des Wehrdienstes vorlegen (Bimeh 20.12.2023). Personen aus den untersten Einkommensklassen fallen unter die Salamat-Versicherung, die mittels staatlicher Finanzierung eine medizinische Grundversorgung bietet (Amwaj 29.4.2024).
Offiziellen Statistiken zufolge erhält rund die Hälfte der iranischen Bevölkerung irgendeine Art von Leistung von der SSO (IRINTL 26.10.2023; vgl. Amwaj 29.4.2024), wobei dies auch unterhaltsberechtigte Angehörige von Versicherten mit einschließt (Landinfo 12.8.2020). Rund ein Drittel der Bevölkerung ist über Salamat versichert (Amwaj 29.4.2024). Zur Größe des informellen Sektors der iranischen Wirtschaft existieren unterschiedliche Daten. Demnach sind 25 bis rund 60 % der Arbeitskräfte informell beschäftigt (SAIS Rethinking Iran 2023). Rund 25 % der Beschäftigten, vor allem im informellen Sektor und unter Saisonarbeitern, sind nicht pensionsversichert (Landinfo 12.8.2020).
Die SSO bietet ihren Mitgliedern Krankenversicherungs-, Pensions- und Arbeitslosenversicherungsleistungen (IRINTL 26.10.2023; vgl. Landinfo 12.8.2020). Andere Leistungen werden möglicherweise von Arbeitgebern oder privaten Versicherungsgesellschaften angeboten (IOM 11.2023).
Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch (AA 30.11.2022; vgl. SSA o.D.). Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist, oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist (Landinfo 12.8.2020).
Arbeitnehmer, die mindestens sechs Monate hintereinander Sozialversicherungsbeiträge geleistet haben, und unfreiwillig arbeitslos werden, können mindestens sechs Monate lang Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen. Sie erhalten dabei 55 % ihres angegebenen Monatslohns. Dies gilt auch für Rückkehrer. Darüber hinaus existiert keine staatliche Arbeitslosenhilfe (IOM 11.2023). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).
Die Mittel für die Alterspension werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt (Landinfo 12.8.2020). Mit einem Gesetzesbeschluss vom Jänner 2024 wurde das gesetzliche Pensionsantrittsalter für Männer [von 60] auf 62 Jahre angehoben, während es für Frauen bei 55 Jahren verbleibt (IRINTL 14.1.2024; vgl. IRNA 13.2.2024). Um die volle Pension beziehen zu können, sind laut der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA mindestens 30 Sozialversicherungsbeitragsjahre notwendig (IRNA 13.2.2024). Andere Quellen berichten, dass die notwendigen Sozialversicherungsbeitragsjahre zum vollen Pensionsanspruch nun bei 35 (VOA 21.11.2023; vgl. Amwaj 22.11.2023) bzw. 42 Jahren für Berufseinsteiger liegen (IRINTL 14.1.2024; vgl. Amwaj 22.11.2023).
Andere Hilfsleistungen
Der Staat zahlt (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (Landinfo 12.8.2020). Diese Zahlung wurde ursprünglich 2010 eingeführt und hat über die Jahre deutlich an Wert verloren (IRINTL 5.10.2022; vgl. POMEPS 12.2017). Eine neue Zuschussleistung wird nach Einkommensklassen ausgezahlt. Personen in den niedrigsten drei Einkommensklassen erhalten demnach monatlich vier Mio. IRR (87,61 EUR), die zwei Einkommensklassen darüber erhalten drei Mio. IRR (65,71 EUR) (IOM 11.4.2024; vgl. Rade 15.1.2024).
Es gibt soziale Absicherungsmechanismen, wie z. B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z. B. Frauengruppen) (AA 30.11.2022; vgl. IOM 11.2023). Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt, um die 'sadeqe', die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße (GIZ 12.2020a).
Es gibt zwei öffentliche Organisationen für gefährdete Gruppen. Je nach den Bedürfnissen der Kunden können diese Dienste in Form von Bargeld oder Zuschüssen erbracht werden. Sie dienen als ergänzendes Unterstützungssystem für gefährdete und einkommensschwache Menschen. Die bekannteste öffentliche Organisation, die allen älteren und behinderten Bürgern offen steht, heißt Behzisti [Anm.: auch State Welfare Organization, SWO]. Sie bietet eine breite Palette von Dienstleistungen für verschiedene gefährdete Gruppen wie Drogenabhängige, alleinerziehende Mütter, arbeitende Kinder, unbegleitete Minderjährige, geistig und körperlich Behinderte, Hochbetagte und so weiter. Zu den Dienstleistungen gehören sozialpsychologische Sitzungen, Beratungsdienste, vorübergehende Unterkünfte (Garm Khaneh) und Wohnheime, geistige und körperliche Rehabilitationsdienste, Suchtbehandlung und vieles mehr (IOM 11.2023). Die International Organization for Migration (IOM) berichtete allerdings beispielsweise bezüglich der Unterstützungszahlungen für Menschen mit Behinderungen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, dass diese zwar einen gesetzlichen Anspruch auf einen monatlichen Unterhaltszuschuss von Behzisti hätten, der allerdings aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht regelmäßig ausbezahlt wird (IOM 29.5.2024). Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet auch Dienstleistungen für von Frauen geführte Haushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um deren Lebensbedingungen zu verbessern. Öffentliche Zentren sind in der Regel überlaufen und weisen lange Warteschlangen auf. Die Leistungsempfänger, die weniger überfüllte Orte oder einen engen Kontakt zu Spezialisten/Dienstleistern bevorzugen, wenden sich an private Zentren, bei denen es sich in der Regel um kleinere spezialisierte Kliniken oder Zentren handelt (IOM 11.2023). Gemäß Angaben aus dem Jahr 2021 erhalten rund zwölf Mio. Personen Unterstützung von Behzisti oder der Iman Khomeini Relief Foundation (Kayhan 25.10.2023a).
Behzisti und die Imam Khomeini Relief Foundation helfen bedürftigen Menschen auch bei der Anmietung einer Wohnung. Anspruchsberechtigte Personen erhalten unter besonderen Bedingungen eine monatliche Beihilfe für Grundbedürfnisse wie Wohnraum. Aufgrund des Anstiegs der Wohnungspreise und des Rückgangs der Einkommen können diese Beträge die Wohnkosten in Iran nicht decken (IOM 11.2023).
Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt (AA 30.11.2022; vgl. IOM 11.2023). Für Rückkehrer im Rahmen des IOM-Projekts "Assisted Voluntary Return and Reintegration" (AVRR) können jedoch auf Anfrage Hotelzimmer für ein paar Tage gebucht werden. Vorübergehende Unterkünfte, auch bekannt als Garm Khaneh, nehmen nur extrem gefährdete Obdachlose und Drogenabhängige auf (IOM 11.2023).
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 25.06.2024
Grundsätzlich entspricht die medizinische Versorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht (west-)europäischen Standards. Das Land hat in den Jahrzehnten seit der Revolution 1979 allerdings viel in das nationale Gesundheitssystem investiert (AA 30.11.2022). Seit damals hat sich das Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen (ÖB Teheran 11.2021). Auf nationaler Ebene ist das Gesundheitsministerium für die Leitung, Politikgestaltung, Planung, Finanzierung und Steuerung der Programme zuständig (IOM 11.2023).
Fast die gesamte Landbevölkerung hat Zugang zu primären Gesundheitsdiensten, die in Gesundheitshäusern und ländlichen Gesundheitszentren erbracht werden. Auf Provinzebene sind die Universitäten für medizinische Wissenschaften und die Gesundheitsdienste die wichtigsten staatlichen Einrichtungen, die die Menschen mit Gesundheitsdiensten versorgen und ihre Bedürfnisse im Bereich der individuellen, kollektiven und ökologischen Gesundheit erfüllen. Auf städtischer und ländlicher Ebene ist ein Bezirksgesundheitsnetz, bestehend aus einem Bezirksgesundheitszentrum, städtischen und ländlichen Gesundheitszentren, Gesundheitsposten und Gesundheitshäusern, mit dieser Aufgabe betraut. Neben den Universitäten für medizinische Wissenschaften und den Gesundheitsdiensten wird ein Teil der Leistungen von Versicherungsgesellschaften und den Provinz- und Bezirkseinheiten der Social Welfare Organization [Anm.: State Welfare Organization (SWO), Behzisti] erbracht (IOM 11.2023). Staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser (Landinfo 12.8.2020). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z. B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021).
Selbst in ländlichen Gebieten haben 85 % der Bevölkerung Zugang zur primären Gesundheitsversorgung, 90 % werden mit sauberem Trinkwasser versorgt, 80 % sind an entsprechende Sanitäranlagen angeschlossen. Dennoch haben bei Weitem nicht alle Zugang zu komplexen, spezialisierten und damit auch teureren Diensten (AA 30.11.2022). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 31.5.2024). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). Alle Krankenhäuser sind verpflichtet, Notfälle rund um die Uhr aufzunehmen (IOM 11.2023). Ein zuverlässig funktionierendes Rettungswesen besteht auch in den Städten nicht überall (AA 31.5.2024).
Alle iranischen Staatsbürger, einschließlich der Rückkehrenden, haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) und weitere Gesundheitsdienste. Die beiden am weitesten verbreiteten Arten von primären Krankenversicherungen sind Tamin Ejtemaei und Salamat [Anm.: auch Universal Public Health Insurance (UPHI)]. Die Erstversicherung deckt die Kosten für Medikamente, medizinische und Krankenhausleistungen, Impfungen usw. ab. Kosmetische Operationen fallen nicht unter den Versicherungsschutz und können vom Versicherer nicht unterstützt werden. Unternehmen müssen ihre Angestellten bei Tamin Ejtemaei versichern (IOM 11.2023), der "Krankenversicherung der Sozialversicherung" (bimeh-ye darmani-ye ta’min-e ejtema’i), die von der Social Security Organization (SSO) bereitgestellt wird [Anm.: s. zur Sozialversicherung Kap. Sozialbeihilfen] (Landinfo 12.8.2020). Darüber hinaus ist unter bestimmten Bedingungen auch eine freiwillige Versicherung über Tamin Ejtemaei möglich. Bei der Salamat-Versicherung wird die finanzielle Situation des Antragstellers geprüft und auf dieser Grundlage die Höhe der Versicherungsprämie berechnet. In einigen Fällen kann die Versicherungsgebühr entfallen. Salamat-Versicherte haben keinen Anspruch auf eine Versicherung bei Tamin Ejtemaei. Die Versicherung umfasst auch nur medizinische Leistungen in öffentlichen und universitären medizinischen Zentren. Es gibt eine spezielle Salamat-Versicherung für Dorf- und Kleinstadtbewohner (Orte unter 20.000 Einwohnern), die für die Versicherten kostenlos ist, da der Staat die Versicherungsgebühr übernimmt, und mit der sich die Versicherten in öffentlichen medizinischen Zentren versorgen lassen können. Weiters existiert auch ein Versicherungsschutz für seltene Krankheiten, mit der Personen, die an seltenen Krankheiten leiden, einen Teil der Behandlungskosten abdecken können (IOM 11.2023). Über Salamat, bzw. den Versicherungsträger Iran Health Insurance Organization (IHIO), sind auch öffentliche Bedienstete und Studenten versichert (Landinfo 12.8.2020). Die meisten Regierungsbehörden betreiben außerdem eigene Sozialleistungszentren, die unter anderem Gesundheitsdienste für ihre Bediensteten bereitstellen (SAIS Rethinking Iran 2023). Neben den öffentlichen Krankenversicherungen gibt es auch private mit unterschiedlichen Prämien je nach Versicherungsschutz (IOM 11.2023; vgl. Landinfo 12.8.2020). Wohltätigkeitsorganisationen, u. a. die "Imam Khomeini Stiftung", kümmern sich um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge [Anm.: s. Kap. Afghanen in Iran zur Gesundheitsversorgung für afghanische Staatsbürger in Iran] (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 12.8.2020).
Die peripheren Einheiten (Gesundheitshäuser/ländliche Gesundheitszentren) auf dem Gelände der medizinischen Universitäten bieten kostenlose Gesundheitsdienste an. In den anderen Einrichtungen nehmen die Patienten die von ihnen benötigten Leistungen in Anspruch, indem sie einen Teil des Betrags auf der Grundlage ihrer Krankenversicherung bezahlen (IOM 11.2023). Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer Selbstbehalte von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Aufgrund des Budgetdefizits vieler Sozialversicherungsträger werden durchschnittlich nur rund 30 % der Gesundheitsausgaben von öffentlicher Hand gedeckt, für den Rest müssen die Patienten selbst aufkommen (Amwaj 29.4.2024). Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann (ÖB Teheran 11.2021).
Der private Sektor ist vor allem in den größeren Städten vertreten und bietet denjenigen, die private Krankenhäuser und Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen möchten, verschiedene Preiskategorien. In den öffentlichen Krankenhäusern sind fast alle Gesundheitsleistungen zu einem niedrigeren Preis erhältlich und können von der Krankenversicherung [z.T., s.o.] übernommen werden. Aufgrund der langen Aufnahmezeiten, der überfüllten öffentlichen Zentren und der besseren Leistungen in privaten Gesundheitszentren ziehen es die Menschen jedoch möglicherweise vor, mehr zu bezahlen und sich an private Gesundheitseinrichtungen zu wenden (IOM 11.2023).
Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).
Obwohl die US-Sanktionen gegen Iran den humanitären Handel ausnehmen, gibt es faktisch Transaktionshindernisse, die die Einfuhr bestimmter Arzneimittel verhindern (BNE 13.8.2023; vgl. IRINTL 29.1.2024b). Es kommt daher zu Engpässen bei der Einfuhr einiger spezieller Medikamentengruppen (IOM 11.2023; vgl. IRINTL 29.1.2024b), Anfang 2024 konnten bestimmte Medikamente aus Devisenmangel nicht importiert werden (IrWire 12.1.2024). Dennoch besteht im öffentlichen Gesundheitswesen Irans laut IOM kein ernsthafter Mangel an Medikamenten, Fachärzten oder Ausrüstung (IOM 11.2023). Nach Angaben eines iranischen Behördenvertreters beschränken sich die Einfuhren im pharmazeutischen Sektor auf Medikamente für seltene Krankheiten, während andere Medikamente zur Gänze lokal produziert werden oder auf Rohmaterialien aus dem Ausland angewiesen sind (BNE 13.8.2023). Iranische Ärzte waren mitunter auch gezwungen, auf lokal hergestellte Nachahmungen spezialisierter ausländischer Arzneimittel zurückzugreifen, von denen viele von minderer Qualität sind und zu lebensverändernden Komplikationen und sogar zum Tod von Patienten geführt haben (Intercept 12.6.2023). Der erhebliche Anstieg der Preise für pharmazeutische Rohstoffe in den letzten Jahren hat zudem zu einem exorbitanten Anstieg der Arzneimittelpreise und der Ausgaben der Bürger geführt (BNE 13.8.2023; vgl. IOM 11.2023, IRINTL 29.1.2024b). Der Rote Halbmond wurde als Anlaufstelle für die Einfuhr bestimmter Medikamente bestimmt und stellt diese für bestimmte Patienten über ausgewiesene Apotheken bereit. Im Allgemeinen sind die meisten Medikamente in Iran erhältlich. Einige Medikamente sind jedoch aufgrund der Sanktionen sehr teuer. Medikamente werden in der Regel nur in kleinen Mengen abgegeben, um einen Weiterverkauf auf dem Schwarzmarkt zu vermeiden (IOM 11.2023).
Das iranische Gesundheitssystem sieht sich mit einer erheblichen Abwanderung von medizinischen Fachkräften ins Ausland konfrontiert (IRINTL 19.3.2024; vgl. RFE/RL 26.8.2023), was unter anderem mit wirtschaftlichen Härten, beruflichen Zwängen und einem Mangel an sozialen und politischen Freiheiten in Verbindung gebracht wird. Nach Angaben eines Mitglieds des Zentralrats der iranischen Krankenpflegeorganisation verlassen jährlich zwischen 2.500 und 3.000 Krankenpfleger Iran, was die Belastung des ohnehin schon unter Druck stehenden Systems noch weiter erhöht (IRINTL 19.3.2024).
Rückkehr
Letzte Änderung: 26.06.2024
Die iranische Regierung verfolgt seit langem die Politik, keine zwangsweisen Rückführungen zuzulassen. Freiwillige Rückführungen sind möglich und werden manchmal von den rückführenden Regierungen oder der Internationalen Organisation für Migration (IOM) unterstützt. In Fällen, in denen eine iranische diplomatische Vertretung vorübergehende Reisedokumente ausgestellt hat, werden die Behörden über die bevorstehende Rückkehr der Person informiert (DFAT 24.7.2023).
Es gibt nur wenige Informationen über die Situation von Iranern, die [dauerhaft] nach Iran zurückkehren, im Allgemeinen und von zurückgekehrten Antragstellern auf internationalen Schutz im Besonderen (CEDOCA 10.5.2023). Zum Thema Rückkehrer gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde (ÖB Teheran 11.2021; vgl. CEDOCA 10.5.2023). In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und bei Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr (ÖB Teheran 11.2021).
Nach derzeitigem Kenntnisstand können Asylantragsteller bzw. anerkannte Flüchtlinge Kontakt mit iranischen Auslandsvertretungen aufnehmen, um beispielsweise einen neuen iranischen Pass zu beantragen. Fälle von daraus folgenden Repressalien gegen die Antragsteller oder ggf. gegen deren Familien in Iran sind bislang nicht bekannt (AA 30.11.2022). Im April 2022 kündigte das Amt für Personenstandswesen an, hinkünftig "smarte" Identitätsnachweise an im Ausland lebende Iraner auszustellen. Antragsteller können sich unter anderem im iranischen Konsulat in Wien registrieren lassen, um den Identitätsnachweis zu erhalten (TEHT 10.4.2022).
Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 30.11.2022). Eine von der belgischen Herkunftstländerrechercheeinheit CEDOCA im Jänner 2023 durchgeführte Recherche zu diesbezüglichen Fällen blieb ergebnislos (CEDOCA 10.5.2023). Im Allgemeinen schenken die Behörden abgelehnten Asylwerbern bei ihrer Rückkehr nach Iran wenig Beachtung. Das australische Außenministerium geht davon aus, dass ihre Aktivitäten (einschließlich Beiträgen in sozialen Medien über Aktivitäten vor Ort) von den Behörden nicht routinemäßig untersucht werden. Die Behörden können allerdings in den sozialen Medien einsehbare Aktivitäten von in Australien (oder anderswo) bekannten Iranern überprüfen (DFAT 24.7.2023) und laut einem von CEDOCA befragten Experten wird es immer üblicher, dass die Behörden Rückkehrer anweisen, ihre Konten in sozialen Netzwerken offenzulegen (CEDOCA 10.5.2023). Einer vom niederländischen Außenministerium konsultierten Quelle zufolge befragen die Behörden fast jede Person, von der sie wissen, dass sie einen Asylantrag gestellt hat, um herauszufinden, was der Grund für den Asylantrag war und ob sich die Person nicht politisch oder religiös betätigt hat. Ob Rückkehrer im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, können die Behörden beispielsweise durch Angehörige oder Freunde der Betroffenen erfahren, durch abgehörte Kommunikation oder aufgrund einer Durchsicht von Inhalten in den sozialen Medien (MBZ 9.2023).
Es gibt leicht unterschiedliche Ansichten darüber, was das Interesse der Behörden an einem abgelehnten Asylwerber wecken könnte. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - könnten (Landinfo 21.1.2021). Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben (MBZ 31.5.2022; vgl. MBZ 9.2023).
An Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden, besteht ein Verfolgungsinteresse. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer aufgrund der Protestbewegung ab September 2022 verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich beispielsweise der Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland entzieht (AA 30.11.2022). [Anm.: s. Unterkap. Exiliraner, Behandlung von Aktivisten bei Rückkehr, Auswirkungen der Protestwelle von 2022 für Informationen zur Behandlung von Rückkehrern, die politisch aktiv waren oder als Aktivisten in Erscheinung getreten sind.]
Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA 30.11.2022). Wenn Personen mit einem Laissez-Passer anstelle eines regulären Reisedokuments ins Land zurückkehren, kann dies zu Befragungen führen, da dies bedeuten könnte, dass die betroffenen Personen illegal ausgereist sind und/oder im Ausland um internationalen Schutz angesucht haben (CEDOCA 10.5.2023; vgl. MBZ 9.2023). Ebenso kann es zu Befragungen führen, wenn bei einer erneuten Einreise kein Ausreisestempel im Reisepass vermerkt ist (MBZ 9.2023). Im Falle einer illegalen Ausreise ist die häufigste Strafe eine Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe auf Bewährung, es sei denn, die Person wird zusätzlich anderer Straftaten verdächtigt (CEDOCA 10.5.2023; vgl. MBZ 9.2023). Wenn die Person Iran illegal verlassen hat, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, oder in kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel und Menschenhandel sowie Aktivitäten militanter Gruppen an der Grenze verwickelt ist, ist die Reaktion wesentlich schärfer (CEDOCA 10.5.2023).
Einige Mitglieder der iranischen Diaspora kehren regelmäßig nach Iran zurück, zum Beispiel für einen Urlaub oder um Verwandte zu besuchen (MBZ 9.2023). Andere Auslandsiraner schrecken aus Angst, aufgrund ihrer politischen Aktivitäten oder regimekritischer Äußerungen inhaftiert oder an einer Ausreise gehindert zu werden, vor Reisen nach Iran zurück (IRINTL 9.1.2024). Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob jemand nach der Rückkehr befragt wird. Oft wird erst im Laufe der Zeit klar, ob eine echte Bedrohung vorliegt (MBZ 31.5.2022). Iranreisende - sowohl iranische als auch z. B. deutsche Staatsangehörige - müssen seit einiger Zeit verstärkt damit rechnen, in Iran willkürlich verhaftet und möglicherweise auch angeklagt zu werden. Ferner häufen sich seit 2022 gezielte nachrichtendienstliche Ansprachen zum Zweck einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit iranischen Nachrichtendiensten. Dies gilt insbesondere für Personen, die durch iranische Stellen mit einer oppositionellen Gruppierung in Verbindung gebracht werden oder bei denen Kontakte zu Personen aus der oppositionellen Szene vermutet werden (BMIH/BfV 20.6.2023; vgl. BMI/DSN 17.5.2024). Zudem besteht die Gefahr, dass Mobilfunkgeräte und Informations- und Kommunikationshardware ausgelesen oder manipuliert werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Eine Befragung von aus dem Ausland zurückkehrenden Iranern kann bei der Ankunft am Flughafen durch Geheimdienstmitarbeiter erfolgen (IRINTL 7.1.2022; vgl.MBZ 31.5.2022), oder zu einem späteren Zeitpunkt, in der Wohnung des Befragten und durch die lokalen Behörden (MBZ 31.5.2022). Ebenso kommt es vor, dass es Rückkehrern nach ihrer Ankunft am Flughafen erlaubt wird, nach Iran einzureisen, und sie dann zu einem späteren Zeitpunkt von den iranischen Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Einer Quelle zufolge nehmen die Behörden Rückkehrer in der Regel nicht gleich bei der Ankunft am Flughafen fest, weil sie dort sichtbar sind und von den vielen anwesenden Personen mit ihren Handys gefilmt werden könnten. Den Rückkehrern wird dann am Flughafen zum Beispiel gesagt, dass etwas mit ihrem Pass nicht stimmt oder dass ein Bußgeld aussteht, und dass sie sich später an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit melden sollen (MBZ 9.2023).
Iran erkennt Doppelstaatsbürgerschaften nicht an (USDOS 11.1.2024) und ist dafür bekannt, Doppelstaatsbürger als Geiseln zu nehmen, und sie in seinen Verhandlungen mit anderen Ländern, insbesondere westlichen Staaten, als Verhandlungsmasse einzusetzen (IRINTL 9.1.2024). Eine Reihe von Doppelstaatsbürgern, die nach Iran zurückkehrten, werden so im Land festgehalten (CHRI 22.1.2022; vgl. BBC 7.6.2022, IrWire 14.2.2024).
Das iranische Außenministerium hat im Dezember 2021 ein Webportal eingerichtet, auf dem Iraner, die sich im Ausland aufhalten und eine Rückkehr nach Iran erwägen, ihre Daten hochladen können, woraufhin ihnen mitgeteilt wird, ob sie sicher und ungehindert ein- und ausreisen können oder ob es offene Fälle gegen sie gibt. Allerdings ist nicht jeder in der iranischen Diaspora davon überzeugt, dass dieses System funktioniert und dass er oder sie ohne Bedenken nach Iran reisen kann. Ein Grund dafür ist, dass nicht alle iranischen Nachrichtendienste koordiniert zusammenarbeiten und daher immer die Möglichkeit besteht, dass Rückkehrer dennoch aufgegriffen werden (IRINTL 7.1.2022; vgl. MBZ 9.2023).
[...]
Exiliraner, Behandlung von Aktivisten bei Rückkehr, Auswirkungen der Protestwelle von 2022
Letzte Änderung: 26.06.2024
Der Logik folgend, dass das Überleben des iranischen Regimes dessen wichtigstes Ziel ist, bekämpfen die iranischen Behörden interne und externe Bedrohungen, wo auch immer diese identifiziert werden (UKHO 1.3.2022; vgl. BMI/DSN 17.5.2024), wobei die weit gefasste Definition des iranischen Regimes, wer eine Bedrohung für die Islamische Republik darstellt, zum Umfang und Intensität der transnationalen Repressionsbemühungen beiträgt (FH 2021). Die Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Einzelpersonen stellt im Inland wie auch Ausland den Schwerpunkt iranischer nachrichtendienstlicher Aktivitäten dar (BMIH/BfV 20.6.2023; vgl. SÄPO 30.5.2024). Regimegegner sowie Oppositionelle werden nicht nur auf iranischem Boden, sondern auch in der Diaspora im Ausland und damit auch in Österreich bedroht und eingeschüchtert (BMI/DSN 17.5.2024). Die Aktivitäten iranischer Nachrichtendienste umfassen in Europa, dem Nahen Osten und Nordamerika unter anderem Ermordungen, Entführungen, Einschüchterung im digitalen Raum, den Einsatz von Spionagesoftware (FH 2021; vgl. Landinfo 28.11.2022), Bewegungseinschränkungen und Interpol-Missbrauch [Anm.: durch das Erstellen von "Red Notices", sodass Personen in Drittstaaten festgehalten werden] sowie Nötigung durch Dritte (FH 2021). Abseits seiner Nachrichtendienste stützt sich das Regime hierbei auch auf kriminelle Netzwerke (SÄPO 30.5.2024; vgl. BMI/DSN 17.5.2024).
Bei den bekannten Opfern von Mord, versuchtem Mord und Entführung durch iranische Regimekräfte handelt es sich um Führungskräfte großer Oppositionsgruppen oder separatistischer Organisationen wie der Volksmudschahedin (MEK) und dem Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA), sowie um Anführer und Aktivisten der iranisch-kurdischen Exilparteien und Aktivisten im Ausland, die in Iran durch ihre Online-Kampagnen viel Aufmerksamkeit erregt haben (Landinfo 28.11.2022; vgl. IRINTL 7.1.2024). Es sind Fälle bekannt, in denen iranische Staatsangehörige, insbesondere, wenn diese als Journalisten oder Blogger eine große Reichweite haben und sich kritisch zu politischen Themen in Iran (Menschrechtsverletzungen, Korruption und Bereicherung von Amtsträgern, Frauenrechte, interne Machtkämpfe) geäußert haben, in Drittländern entführt wurden, um sie nach Iran zu verbringen, wo sie in (Schau-)Prozessen verurteilt worden sind (AA 30.11.2022). Unter Journalisten stehen jene besonders im Fokus der iranischen Sicherheitsbehörden, die für bekannte Medienplattformen wie die BBC, Iran International, Deutsche Welle, Radio France Internationale, Voice of America, Radio Zamaneh oder andere auf Farsi tätig sind, da sie am ehesten in der Lage sind, ein großes Publikum in Iran zu erreichen (RSF 1.4.2024).
Die iranischen Nachrichtendienste bemühen sich aktiv um die Anwerbung von Informanten innerhalb der Oppositionsgruppen (Landinfo 28.11.2022). Ein Experte merkte im Juni 2019 gegenüber ACCORD an, dass es den iranischen Behörden gelungen sei, die meisten oppositionellen Organisationen [im Exil] zu unterwandern (ACCORD 5.7.2019). Im Fokus der Behörden stehen dabei unter anderem die MEK, ethnische Gruppen (ACCORD 5.7.2019; vgl. Landinfo 28.11.2022) und sunnitische Dschihadisten (ACCORD 5.7.2019). Fälle von aufgedeckten Informanten sind zum Beispiel aus Schweden (betreffend der ASMLA) und den USA (betreffend der MEK) bekannt (Landinfo 28.11.2022). Der Experte hält weiters fest, den iranischen Behörden sei bewusst, dass sich beispielsweise iranische Auslandsstudenten - auch in der Hoffnung, Asyl oder Bleiberecht zu erhalten - Oppositionsgruppen anschließen oder zum Christentum konvertieren würden. Dadurch werden diese Personen verwundbar und, sofern sie sich politisch auffällig verhalten, von den iranischen Behörden unter Druck gesetzt. Gerade bei Studenten hat der iranische Staat mehrere Druckmittel, wie etwa beim Verlängern von Reisepässen oder bei Auslands-Aufenthaltsgenehmigungen. Dem Experten sind Fälle bekannt, in denen solche Verlängerungen nicht gewährt worden sind und den Studenten gedeutet worden ist, sich zwecks Unterredung mit den Behörden nach Iran zurückzubegeben (ACCORD 5.7.2019). Die Manipulation von "Asylwerber-Communities" kann eine Bedrohung darstellen. Ziel dieser Operationen ist die gezielte Beschaffung von Informationen, um potenzielle Regimegegner zu identifizieren, Geflohene zur Zusammenarbeit zu bewegen oder belastendes Material gegen Zielpersonen der Islamischen Republik Iran zu sammeln. Zum christlichen Glauben konvertierte Iraner können ebenfalls Opfer von Beobachtung und Verfolgung werden (BMI/DSN 17.5.2024).
Nach Auskunft eines außerhalb Irans lebenden Experten besteht für politisch aktive Personen bei einer Rückkehr ein "größeres" Risiko. Personen, die politisch sehr aktiv oder bekannt sind, können nicht nach Iran zurückkehren. "Einfache" Bürger würden bei der Rückkehr möglicherweise keine Probleme haben, dies ist allerdings sehr einzelfallabhängig (IRB 22.2.2021). Personen, die in Iran an Protesten teilgenommen haben, dann ins Ausland gegangen sind und dort nicht politisch aktiv waren, müssen nach einer Rückkehr nicht mit Konsequenzen rechnen, es sei denn, es sind Verfahren, Vorwürfe oder Strafen gegen sie anhängig (IRB 22.2.2021; vgl. DFAT 24.7.2023). In diesem Fall würden die betroffenen Personen verhaftet werden. Personen, die im Ausland zwar politisch aktiv waren, es dabei aber geschafft haben, anonym zu bleiben, können laut dem Experten zurückkehren, während es ausgeschlossen ist, dass sie, wenn sie unter ihrem Klarnamen aufgetreten sind, zurückkehren können (IRB 22.2.2021).
Teilnahme an Straßenprotesten im Ausland
Eine große Zahl von Exiliranern hat [ab September 2022] an Protesten und Solidaritätsmärschen in der ganzen Welt teilgenommen. Gemäß Landinfo liegen nur wenige Informationen darüber vor, ob Iraner, die außerhalb Irans in der Protestbewegung aktiv waren, bei der Rückkehr in ihr Heimatland mit Sanktionen belegt wurden. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Asylwerber oder um Personen mit anderem Aufenthaltsstatus handelt. Das Thema wird in der internationalen Medienberichterstattung nur selten erwähnt. Es gibt jedoch mehrere Beispiele dafür, dass Sportler nach ihrer Rückkehr in Schwierigkeiten geraten sind, weil sie bei Sportveranstaltungen im Ausland ihre Unterstützung für die Proteste zum Ausdruck gebracht haben (Landinfo 5.7.2023). Ein von CEDOCA befragter Experte geht davon aus, dass die iranischen Behörden Bildmaterial von Teilnehmern an Demonstrationen im Ausland sammeln, betont aber, dass er bislang [Stand 18.11.2022] keine Beweise gesehen hat, wonach sie dann die abgebildeten Personen tatsächlich verfolgen. Laut dieser Quelle ist es unwahrscheinlich, dass die iranischen Behörden Personen, die lediglich an Demonstrationen im Ausland teilnehmen, als hochrangige Ziele betrachten. Derselbe Experte gibt jedoch an, dass er sich hinsichtlich Personen, die an den Protesten teilgenommen haben und nach Iran zurückkehren, Sorgen machen würde, wobei dies nicht bedeutet, dass diese Personen bei der Rückkehr sofort verhaftet werden. Dies hängt vom Profil der Personen ab. Die Organisatoren der Proteste würden bei einer Rückkehr auf Probleme stoßen. Eine andere von CEDOCA befragte Expertin gibt an, dass Agenten des Regimes die iranische Diaspora seit dem Ausbruch der Proteste Mitte September 2022 deutlicher und offener überwachen. Sie führte an, dass iranische Demonstranten im Ausland Personen identifizieren, die Demonstranten filmen, und ihre Gesichter in den sozialen Medien veröffentlichen. Mehrere Personen, die 2009 im Rahmen der Grünen Bewegung vor der iranischen Botschaft in London demonstrierten, berichteten beispielsweise, dass das iranische Konsulat sie als Demonstranten identifizierte und sich weigerte, ihre Konsularangelegenheiten zu bearbeiten. Im Zusammenhang mit den Mitte September 2022 ausgebrochenen Protesten sind bislang keine derartigen Fälle bekannt. Die Bildqualität der Kameras vor Botschaften hat sich inzwischen allerdings verbessert und der iranische Staat verwendet nach Eigenangaben Gesichtserkennungstechnologie (CEDOCA 10.5.2023).
Iranische Aktivisten berichteten im Zusammenhang mit den Protesten ab September 2022 unter anderem von Einschüchterungsversuchen in Österreich und Deutschland, beispielsweise durch auffälliges Filmen und Fotografieren von Protestierenden sowie durch Drohanrufe oder -nachrichten (Standard 29.3.2023; vgl. BMP 11.3.2023, CEDOCA 10.5.2023). Sie gehen davon aus, dass die iranischen Sicherheitsbehörden hinter den Vorfällen stecken (Standard 29.3.2023; vgl. BMP 11.3.2023). Mizan, das Nachrichtenportal der iranischen Justiz, verkündete im September 2023, dass das Informationsministerium [auch Geheimdienstministerium, VAJA/MOIS] mehrere mutmaßliche Protestanführer im Ausland verhaftet habe. Hierzu ist ein Video veröffentlicht worden, das Geständnisse mehrerer Männer zeigen soll, die in den USA, Deutschland und Großbritannien als Anführer von Demonstrationen in Erscheinung getreten sein sollen (BAMF 18.9.2023; vgl. Mizan 12.9.2023). Das von Mizan veröffentlichte Video beinhaltet auch mehrere Videomitschnitte aus sozialen wie traditionellen Medien, welche Demonstrationen von Exiliranern in den genannten Ländern zeigen, wobei unter anderem die Fahnen Kurdistans, der MEK und der Monarchisten sowie Bilder von Shah Reza Pahlewi zu sehen sind (Mizan 12.9.2023). Wann und wo die Männer festgenommen wurden, ging aus dem Bericht nicht hervor. Die Authentizität und der Wahrheitsgehalt der Angaben lassen sich nicht unabhängig verifizieren (BAMF 18.9.2023).
Online-Aktivitäten
Ein maßgeblicher Teil der Überwachung durch die Sicherheitsbehörden findet online statt (CEDOCA 10.5.2023), wobei die Behörden diesbezügliche Bemühungen nach Protestbeginn Mitte September 2022 verstärkt haben (LOT 15.12.2022). Die Behörden überwachen Aktivisten im Exil, haben aber nicht die Kapazitäten, alle von ihnen zu überwachen. Das Regime setzt auf Grundlage seiner Interessen Prioritäten, und diese Prioritäten können sich auch ändern. Gemäß einer von CEDOCA befragten Quelle lag der Fokus mit Stand 13.9.2022 [Anm.: d. h. kurz vor Beginn der umfangreichen Protestwelle] auf Journalisten und Aktivisten ethnischer Minderheiten. Der Quelle zufolge ist die Menge an Kritik, die eine Person am Regime übt, kein wesentlicher Faktor, der das Risiko erhöht, als online-Dissident im Exil überwacht zu werden. Vielmehr bestimmt der Einfluss, den eine Person hat, ob diese für das Regime Priorität hat (CEDOCA 10.5.2023), wobei hierbei insbesondere zwei Faktoren ausschlaggebend sind: Zugang zu öffentlicher Aufmerksamkeit und Verbindungen zum Heimatland (Michaelsen 2020). Als einflussreich gilt beispielsweise, wer in Fernsehsendern wie Iran International oder Voice of America (VOA) zu sehen ist. In den sozialen Medien kann die Anzahl der Follower einerseits als gewisser Richtwert gesehen werden, andererseits gibt es dazu keine einfache Formel. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, ob es einer Person gelingt, mit ihren Beiträgen den Diskurs mitzuprägen. Eine von CEDOCA befragte Quelle hält es jedenfalls für sehr unwahrscheinlich, dass ein Facebook-Profil von jemandem außerhalb Irans mit rund 500 "Freunden", das die iranische Regierung kritisiert, von den Behörden überwacht wird, wobei die Plattformen twitter.com, Instagram und Telegram bedeutsamer sind, um ein iranisches Publikum zu erreichen, als Facebook oder Blogs (CEDOCA 10.5.2023).
Die Art und Weise, wie iranische Behörden Iraner im Ausland überwachen, hängt vom Ziel ab. Die iranischen Behörden zielen mit Malware auf einige bekannte ("high profile") Dissidenten in der Diaspora ab. Auch Social-Media-Profile von Personen, die nicht zu den profilierten Dissidenten gehören, können überwacht werden. So können die iranischen Behörden beispielsweise lesen, worüber jemand twittert, oder sehen, wer im Netzwerk einer Person ist. Hierfür verwenden die iranischen Behörden öffentlich zugängliche Informationen und überwachen keine privaten [d. h. nicht öffentlich einsehbaren] Konten. Dieser Quelle zufolge haben es die iranischen Behörden bei der Überwachung der iranischen Diaspora v. a. auf Führungspersönlichkeiten und Organisatoren abgesehen, d. h. auf Personen, die eine Gruppe oder Partei anführen oder auf Personen, die von einer Gruppe von Menschen gehört werden. Das Regime könnte hochrangige politische Aktivisten als Bedrohung ansehen und dann ausgeklügelte Cybersecurity-Angriffe gegen sie starten (CEDOCA 10.5.2023). Während sich das Regime bei der Überwachung üblicherweise auf bedeutsame Persönlichkeiten fokussiert, sind laut einer anderen Quelle auch Aktivisten aus der "mittleren Ebene" von Hacking-Angriffen betroffen, und auch "einfache" Iraner werden mitunter überwacht, da jede Art von Information für die Behörden nützlich ist (IRB 22.2.2021). Eine befragte iranische Rechtsanwältin merkte [im Gespräch über die Verbreitung von christlichen Inhalten in den sozialen Medien] zudem an, dass es Fälle von Personen gibt, die aufgrund von Beiträgen in den sozialen Medien mit geringer Reichweite oder mit privaten Konten Probleme mit den Behörden bekommen haben, weil sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, derartige Personen zu verfolgen (MRAI 19.6.2023).
Verfolgung von in Iran lebenden Familienmitgliedern
Zwar gibt es keine klaren Kriterien dafür, gegen wen ermittelt wird und wer bestraft wird (DIS 7.2.2020), doch laufen enge Familienmitglieder von politischen Aktivistinnen und Aktivisten (DIS 7.2.2020; vgl. FH 2021) wie auch von Mitgliedern kurdischer Oppositionsparteien mit Stützpunkt im Nordirak Gefahr, von den Behörden ins Visier genommen zu werden (Landinfo 28.11.2022), nicht jedoch die Großfamilie. Eine andere Quelle widerspricht dem und geht - allerdings ohne Beispiele zu nennen - davon aus, dass die Behörden die Familienangehörigen politischer Aktivisten gut behandeln, um der Welt zu zeigen, dass es in Iran Freiheit gibt, und dass den Rückkehrern kein Leid zugefügt werden wird (DIS 7.2.2020). Im Jänner 2023 wurde von einem Fall berichtet, bei dem eine in Frankreich lebende Iranerin, die an den Protesten nach dem Tod von Mahsa Jina Amini teilgenommen hat, von einem vorgeblichen Mitarbeiter des MOIS gedroht wurde, dass ihre in Iran lebenden Eltern und andere Familienmitglieder inhaftiert werden würden, sollte sie von weiteren Aktivitäten gegen das Regime nicht Abstand nehmen (IRINTL 7.1.2023; vgl. CNN 21.4.2023). Unter anderem wies der MOIS-Mitarbeiter die Iranerin an, auf Instagram keine Inhalte zu den Protesten mehr zu teilen, wobei sie angegeben hat, dass Beiträge ihres Profils dort nicht öffentlich eingesehen werden können [Anm.: im Rahmen einer zeitlich begrenzten Recherche konnten keine weiterführenden Informationen dazu gefunden werden, was das Interesse der Behörden an der Person konkret geweckt hat] (IRINTL 7.1.2023). Im Juni 2023 wurde von der Verhaftung des Sohns und Bruders einer in London lebenden Menschenrechtsaktivistin berichtet, wobei der Sohn kurz zuvor seine Mutter besucht hatte (IrWire 21.6.2023). In Iran lebende Familienmitglieder von Journalisten der Farsi-sprachigen Sparte der BBC, BBC Persian (BBC 12.1.2023), und der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle berichteten ebenfalls von Drohungen der iranischen Behörden (FAZ 28.11.2023), in Iran lebende Familienmitglieder von Journalisten der BBC sind auch von Ausreiseverboten betroffen (RSF 1.4.2024).
Dokumente, Meldewesen und Personenstandsregister
Letzte Änderung: 26.06.2024
Alle iranischen Staatsbürger erhalten bei der Geburtsregistrierung ein Ausweisheft (Shenasnameh) [auch: Familienbuch/Stammbuch] (Landinfo 5.1.2021; vgl. DFAT 24.7.2023). Dieses ist in zwei Versionen erhältlich: eines für Kinder bis zu 15 Jahren und eines für Personen über 15 Jahren. Das Shenasnameh wird bei Änderungen des Familienstandes und der Familienverhältnisse aktualisiert. Darüber hinaus stellen die iranischen Behörden für iranische Staatsbürger über 15 Jahren einen nationalen Personalausweis aus (Kart-e melli). Dabei handelt es sich inzwischen um eine elektronische Chipkarte, die allmählich zum wichtigsten Ausweisdokument der Iraner im täglichen Leben geworden ist (Landinfo 5.1.2021). Sie ist beispielsweise zur Beantragung von Reisepässen, Führerscheinen und für Bankgeschäfte notwendig (DFAT 24.7.2023). Sowohl das Shenasnameh als auch die Kart-e melli werden von der Nationalen Organisation für Zivilregistrierung (NOCR) ausgestellt. Die Pass- und Einwanderungspolizei stellt Reisepässe auf der Grundlage von Shenasnameh und Kart-e melli aus (Landinfo 5.1.2021).
Nach Angaben des australischen Außenministeriums haben iranische Identitätsdokumente Sicherheitsmerkmale, deren Fälschung aufwendig ist, sodass diese für die meisten Iraner unerschwinglich sind (DFAT 24.7.2023). Während die neuesten Ausgaben des Shenasnameh und der Kart-e melli über fortschrittlichere Sicherheitsstandards als die Vorgängermodelle verfügen, sind allerdings auch noch alte Versionen in Gebrauch, die weitaus leichter manipuliert werden können (Landinfo 5.1.2021). Andere Arten von Dokumenten, wie z. B. Ausweise für die Wehrdienstbefreiung, sind technisch anfälliger für Fälschungen, da sie weniger robuste Sicherheitsmerkmale haben, allerdings sind sie ebenfalls teuer. Papierdokumente, wie z. B. Gerichtsurkunden, Vorladungen und Grundstücksurkunden sind dagegen relativ leicht durch betrügerische Mittel zu erhalten (DFAT 24.7.2023).
Die österreichische Botschaft in Teheran und das deutsche Auswärtige Amt geben an, dass mit falschen Angaben erstellte Dokumente in Iran einfach erhältlich sind (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 30.11.2022). Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes sind einfach zu beschaffen. Dies betrifft laut Auswärtigem Amt insbesondere das Shenasnameh. So ist es relativ einfach, in ein echtes Shenasnameh ein anderes Geburtsdatum eintragen zu lassen. Bei Kindern, die außerehelich geboren werden, wird zumeist ein beliebiger Name als Vater eingetragen, um die Kinder vor Benachteiligungen in der Schule und im Erwachsenenleben zu schützen. Frauen lassen sich nach einer Scheidung häufig ein neues Shenasnameh ausstellen, aus der die gescheiterte Ehe nicht hervorgeht (AA 30.11.2022).
Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund von Datenschutz nicht durchgeführt werden (ÖB Teheran 11.2021). Auch für Justizunterlagen wie Urteile, Vorladungen etc. kann eine mittelbare Falschbeurkundung nicht ausgeschlossen werden. Denn einerseits ist auch das Justizsystem korruptionsanfällig, andererseits ist es in der iranischen Kultur nicht unüblich, auf der Grundlage von Beziehungsgeflechten Hilfeleistungen und Gefälligkeiten zu erbringen. Sofern die Dokumente in der Justizdatenbank [Adliran, s. unten] hinterlegt sind, kann von deren Echtheit ausgegangen werden (AA 30.11.2022).
Meldewesen und Personenstandsregister
Es gibt kein, etwa mit dem deutschen, vergleichbares Meldewesen (AA 30.11.2022).
Es gibt ein zentral angelegtes, elektronisches Personenstandsregister (Saseman-e sabt-e Ahwal keschwar), in das Geburt, Eheschließung/Scheidung und Tod eingetragen werden. Registereinträge können von dem jeweiligen Bezirksamt für Personenstandsangelegenheiten erteilt werden. Auskünfte über die bei der Ehe grundsätzlich geschlossenen Eheverträge können zudem von dem Notar erteilt werden, bei dem sie geschlossen worden sind (AA 30.11.2022).
Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf, nachdem zuvor die Identität durch Polizei- und Informationsdienste festgestellt worden ist. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 30.11.2022).
SANA-System/Justizdatenbank Adliran
Durch die sukzessive Digitalisierung des Justizsystems können seit Ende 2016 Justizdokumente über das sog. SANA-System [bzw. in der Datenbank Adliran] abgerufen werden (AA 30.11.2022). Das SANA-System ist eine elektronische Rechtsdatenbank der Justiz, die zur Registrierung und Verfolgung von Fällen dient. Über das SANA-System können ein Anwalt oder sein Mandant auf die Dokumente eines Falles zugreifen (MBZ 9.2023). Seit 2019 werden Justizdokumente in allen Provinzen in der Regel fast ausschließlich über diese Datenbank kommuniziert (vgl. Art. 175 iranische StPO in der Fassung von 2013/14) (AA 30.11.2022). Personen können relevante Rechtsdokumente jedoch auch über die traditionelle Zustellungsmethode erhalten, d. h. durch einen persönlich anwesenden Gerichtsvollzieher (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Wenn jemand vor Gericht erscheinen muss, wird er per SMS benachrichtigt, dass ein Brief im SANA-System vorhanden ist. Sollte der Betroffene kein SANA-Konto haben, wird eine Benachrichtigung in Papierform ausgestellt. Darin wird darauf hingewiesen, dass sich der Adressat über das SANA-System für die weiteren Schritte registrieren muss (MBZ 9.2023). Auch Dritte können auf die Justizdokumente einer Person zugreifen, wenn sie die zehnstellige "nationale Nummer" des Benutzers (den Benutzernamen) und das sechsstellige temporäre Passwort haben, das per SMS zugesandt wird. So kann jeder, einschließlich Familienmitgliedern und Rechtsvertretern eines Beschuldigten, auf die in der Datenbank gespeicherten Informationen zugreifen und Dokumente ausdrucken, so sie die Zugangsdaten dazu besitzen (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021; vgl. MBZ 9.2023). Rechtsanwälte können allerdings auch persönlich bei Gericht erscheinen und um Kopien von Akteninhalten ansuchen, so diese vom Gericht zur Akteneinsicht freigegeben wurden (Landinfo/CEDOCA/SEM 12.2021).
Angeklagte erhalten bei Fällen, die vor Revolutionsgerichten verhandelt werden, üblicherweise keine Dokumente aus den Strafakten. Militärgerichte, die Straftaten von Angehörigen der Streitkräfte bei der Dienstausübung verhandeln, sind gesetzlich dazu verpflichtet, Dokumente zu Urteilen im SANA-System bereitzustellen. Laut einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle hängt es jedoch vom jeweiligen Fall ab, ob ein Urteil eines Militärgerichts im SANA-System sichtbar ist. Bei sensiblen Fällen können die Gerichte die Bediensteten auffordern, persönlich zur Urteilseinsicht zu erscheinen (MBZ 9.2023).
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zur Person des BF, zum Gang des ersten und des zweiten Asylverfahrens sowie des gegenständlichen Verfahrens wurden auf Grundlage der in Rechtskraft erwachsenen, oben zitierten Erkenntnisse des BVwG vom 12.04.2022 (GZ: W254 2238711-1) und vom 10.11.2023 (GZ: W241 2238711-2) sowie des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde getroffen. Der BF bestätigte bei seiner Einvernahme vor dem BFA zudem, dass sich diesbezüglich nichts geändert habe (AS 202).
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus den genannten Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts und den Angaben des BF bei seiner Einvernahme vor dem BFA (AS 196).
Dass er bis Anfang 2023 Leistungen aus der Grundversorgung bezog, ergibt sich aus einem aktuellen GVS-Auszug. Aufgrund eines Sozialversicherungsauszuges steht fest, dass er danach er einige Monate in der Gastronomie erwerbstätig war.
Der BF gab selbst an, dass er nicht Mitglied in einem Verein sei und zuletzt auch nicht ehrenamtlich tätig gewesen sei (AS 202). Dass der BF über ein paar Bekannte bzw. Freunde im Bundesgebiet verfügt, steht aufgrund seiner Angaben fest (AS 203).
Die Feststellung, dass sich keine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit rechtskräftiger Erledigung des vorherigen Antrages ergeben hat, beruht auf folgenden Erwägungen:
Der BF brachte im ersten Asylverfahren – neben einer behaupteten Verfolgung durch den Ehemann seiner Geliebten – vor, dass er zum Christentum konvertiert sei und deshalb Verfolgung in Iran befürchte.
Im Rahmen des Verfahrens über seinen ersten Folgeantrag auf internationalen Schutz brachte der BF vor, dass er über seinen Religionswechsel etwas auf Instagram und Whatsapp gepostet hätte sowie seine Familie von seiner Konversion erfahren und deshalb den Kontakt zu ihm abgebrochen hätte. In der Beschwerde gab er zusätzlich an, dass auch seine Onkel von seiner Konversion wissen und ihn umbringen wollen würden.
2.2. Zum Vorbringen betreffend seine Konversion:
In der Entscheidung des BVwG vom 12.04.2022 (GZ: W254 2238711-1) wurde dazu festgestellt, dass der BF nicht glaubhaft gemacht habe, ernstlich und aus innerem Entschluss zum Christentum konvertiert zu sein, und es sich bei der vorgebrachten Konversion um eine Scheinkonversion handle.
In der Entscheidung des BVwG vom 10.11.2023 (GZ: W241 2238711-2) wurde festgehalten, dass das zusätzliche Vorbringen des BF nur eine Ausschmückung und Erweiterung seines früheren, im Erstverfahren erstatteten Vorbringens darstelle und daher von der Rechtskraft der Entscheidung vom 12.04.2022 umfasst sei. Der BF habe im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA nicht glaubhaft machen können, dass er sich inzwischen eingehender mit dem christlichen Glauben befasst hätte als dies vor Rechtskraft der Entscheidung im Erstverfahren der Fall gewesen sei. Vielmehr habe der BF selbst angegeben, dass er aktuell nicht mehr die Kirche besuchen würde, da er aufgrund seiner Arbeit keine Zeit dafür hätte. Sein letzter Gottesdienstbesuch wäre vor zwei bis drei Monaten gewesen. Angaben, wonach er sich weiterhin in der Kirchengemeinde freiwillig betätigen würde, habe er nicht gemacht. Ebenso habe der BF angegeben, dass ihm die Zeit fehlen würde, die Bibel zu lesen, ja sogar die ihm per Whatsapp zugesendeten und im Rahmen des Beschwerdeverfahrens als Beweismittel vorgelegten Predigten könne er sich aus zeitlichen Gründen nicht anhören. Dass es zu keiner Änderung gekommen sei, werde auch durch das in der Einvernahme gezeigte (mangelnde) Glaubenswissen untermauert. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG im Erstverfahren ergebe sich zudem, dass der BF bereits vor der damaligen Entscheidung des BVwG mit seiner Familie über das Christentum gesprochen habe und sich sein Vater ablehnend dazu geäußert habe.
Nunmehr brachte der BF hinsichtlich seiner Konversion lediglich vor, dass er ab und zu in die Kirche gehe, aber nicht regelmäßig. Das letzte Mal sei er vor eineinhalb bis zwei Monaten in der Kirche gewesen (AS 203). Der BF legte eine Bestätigung eines "Religionslehrers" vor, wonach der BF regelmäßig an den Unterrichtkursen teilgenommen habe und hinsichtlich des Bibelstudiums sehr "durstig" gewesen sei. Zudem erhalte er regelmäßig die sonntäglichen Gottesdienste per WhatsApp-Sprachnachricht. Weiters wurde ein Schreiben seiner Kirche vorgelegt, in dem dargelegt wird, dass der BF die Audiodateien der Gottesdienste übermittelt bekomme und er an einem Tauf- und Glaubenskurs des bereits erwähnten Religionslehrers teilgenommen habe sowie danach von diesem getauft worden sei. Außerdem sei der BF sehr aktiv gewesen, als er noch in der Flüchtlingsunterkunft gewohnt habe. Ich der Beschwerde wurde auch angeführt, dass der BF sein Wissen über die Religion wesentlich verbessert habe sowie seine religiösen Aktivitäten und seine Glaubensüberzeugung wesentlich intensiviert habe.
Hinsichtlich dieses Vorbringens ist den Ausführungen des BFA im angefochtenen Bescheid zu folgen. Unter Berücksichtigung der Einvernahme vor dem BFA im gegenständlichen Verfahren kann nicht erkannt werden, dass der BF sein Glaubenswissen wesentlich erweitert hätte. Der BF konnte einige der ihm gestellten Fragen nicht richtig oder lediglich in Ansätzen beantworten. So konnte der BF etwa die Unterschiede zwischen der katholischen und evangelischen Kirche bzw. diesen Glaubensrichtungen nur ansatzweise beantworten. Gemeinsamkeiten des Christentums und des Islams konnte der BF nicht nennen (siehe AS 206, 207). Das BFA gab dem BF somit die Möglichkeit seine angeblich verbesserten Kenntnisse über die Religion nachzuweisen, was dem BF jedoch nicht gelang. Die im gegenständlichen Verfahren eingebrachten Screenshots von WhatsApp-Sprachnachrichten, die zeigen würden, dass der BF regelmäßig Predigten erhalte, belegen lediglich, dass der BF diese Sprachnachrichten erhält. Sie weisen allerdings keine religiösen Aktivitäten in einem Ausmaß nach, die eine Neubeurteilung bezüglich seiner Glaubensüberzeugung erforderlich machen würden. Zudem wurden diese Sprachnachrichten schon im Vorerkenntnis des BVwG vom 10.11.2023 (GZ: W241 2238711-2) beurteilt. Wie oben bereits angeführt, gab der BF selbst an, dass er den Gottesdienst nicht regelmäßig besuche. Die eingebrachte Bestätigung eines "Religionslehrers" und das Schreiben der Kirche des BF sind keine Beweismittel, die eine Neubeurteilung erforderlich machen, denn sämtliche Ausführungen wurden bereits in den Vorverfahren berücksichtigt. Sie sind jedenfalls nicht als wesentliche neue Sachverhaltselemente anzusehen. Wenn in der Beschwerde ausgeführt wird, dass der BF seine religiösen Aktivitäten und seine Glaubensüberzeugung seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung entscheidungswesentlich intensiviert habe sowie er sein Wissen über die Religion enorm verbessert habe, so kann dem aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht gefolgt werden. Weder aus dem Akt noch aus den Ausführungen in der Beschwerde ergeben sich Anhaltspunkte für eine entscheidungswesentliche Intensivierung der religiösen Aktivitäten des BF oder seiner Glaubensüberzeugung. Insbesondere die Aktivitäten des BF in der Kirchengemeinschaft, seine Taufe und sein Glaubenswissen wurden bereits im Erstverfahren beurteilt und im gegenständlichen Verfahren wurden keinerlei Neuerungen vorgebracht, die auch nur im Kern glaubhaft sind und selbst wenn die Behauptungen zutreffen würden, kann nicht erkannt werden, dass eine Neubeurteilung erforderlich wäre. Zudem ist anzumerken, dass der BF in der Erstbefragung des gegenständlichen Verfahrens keine Neuerungen bezüglich seines Glaubens bzw. seiner Konversion erwähnte (siehe AS 11).
2.3. Zum Vorbringen des BF betreffend die Affäre mit einer verheirateten Frau:
In der Entscheidung des BVwG vom 12.04.2022 (GZ: W254 2238711-1) wurde festgestellt, dass der BF in Iran keine Liebesbeziehung zu einer verheirateten Frau unterhalten habe. Weder er noch seine Familie wären physischen oder psychischen Übergriffen seitens des Mannes bzw. der Familie der verheirateten Frau ausgesetzt gewesen. Der Vorfall, wonach Angehörige der iranischen Botschaft den Onkel mütterlicherseits des BF in der Türkei, in dessen Geschäft, aufgesucht hätten, habe nicht stattgefunden. Gegen den BF sei seitens der iranischen Behörden auch kein Akt angelegt worden. In der Beweiswürdigung wurde ausführlich dargelegt, weshalb das diesbezügliche Vorbringen des BF nicht glaubhaft sei.
Im verfahrensgegenständlichen Verfahren wurde zusätzlich vorgebracht, dass seine Schwester einer Freundin von ihm mitgeteilt habe, dass seine Eltern im Jänner 2024 per Post eine Ladung vom Gericht erhalten hätten, wonach sich der BF vor Gericht wegen Fremdgehens bzw. einer außerehelichen Beziehung verantworten müsse. Als Beweismittel legte der BF eine Kopie einer "Air Waybill"-Versandbestätigung und einen Chatverlauf mit seiner bereits genannten Freundin vor. Auch hinsichtlich dieses Vorbringens sind die Ausführungen des BFA im angefochtenen Bescheid nicht zu beanstanden. Dass BFA führte zutreffend an, dass der BF die Gerichtsladung nicht vorlegte und im hg. Entscheidungszeitpunkt wurde die Ladung ebenso noch nicht eingebracht. Somit wurden keine überzeugenden Nachweise für das Vorbringen erbracht. Aus der "Air Waybill"-Versandbestätigung geht zwar hervor, dass die vom BF bezeichnete Freundin Absenderin ist und der BF Empfänger, allerdings ergibt sich daraus nicht, was versandt wurde. Wäre die gerichtliche Ladung an den BF versandt worden, ist nicht ersichtlich, weshalb der BF diese im gegenständlichen Verfahren nicht vorlegte. Das Versanddatum liegt im hg. Entscheidungszeitpunkt viele Wochen zurück, insofern hätte die Versendung mittlerweile ankommen müssen, sofern keine Komplikationen bei der Lieferung eingetreten sind, für die allerdings keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. Der BF hat somit keinen Nachweis für die Existenz der gerichtlichen Ladung erbracht. Wie das BFA zutreffend ausführt, gab der BF bei seiner Einvernahme zudem lediglich vage und pauschal an, dass er eine Gerichtsladung wegen des Führens einer außerehelichen Beziehung erhalten habe. Nähere Details, wie die Zeit und den Ort bzw. die Bezeichnung des Gerichts habe er nicht nennen können. Dabei handelt es sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung jedoch um wichtige Informationen, denen vorrangig Beachtung zu schenken ist. Hiebei ist auch anzuführen, dass der BF selbst angab, dass er die Ladung selbst nie gelesen habe und die Informationen ausschließlich auf den Angaben der genannten Freundin beruhen würden (AS 205). Wenn in der Beschwerde ausgeführt wird, dass aus dem Gerichtsbeschluss eindeutig hervorgehe, dass der BF vom iranischen Staat wegen einer außerehelichen Beziehung gesucht werde, ist erneut festzuhalten, dass nie ein Gerichtsbeschluss bzw. eine gerichtliche Ladung vorgelegt wurde und der BF selbst angab, dass er ein derartiges gerichtliches Dokument nie selbst gesehen habe. Das Vorbringen stützt sich letztlich auf die Behauptung des BF, dass ihm eine Freundin, die in Iran lebe, mitgeteilt habe, dass ein derartiges gerichtliches Dokument existiere.
Von einem im Kern glaubhaften Vorbringen des BF war demnach nicht auszugehen.
2.4. Das Vorbringen des BF war nicht geeignet aufzuzeigen, dass seit seinen rechtskräftig entschiedenen Asylverfahren eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten wäre.
Letztlich ergab sich – entsprechend den Ausführungen des BFA im angefochtenen Bescheid - auch für das erkennende Gericht, dass keine neuen bzw. glaubhaften Umstände oder Beweismittel vorliegen, die eine neue inhaltliche Entscheidung erforderlich machen würden und kann kein neuer, entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden.
2.3. Die zur Lage in Iran getroffenen Feststellungen basieren auf aktuellen Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen, denen der BF nicht konkret und substantiiert entgegengetreten ist. Aufgrund der vorliegenden Länderfeststellungen stellt sich die aktuelle Sicherheitslage in Iran nicht derart dar, dass von einer wahrscheinlichen Gefährdung des BF bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland auszugehen ist. Es ist nicht ersichtlich, dass allenfalls eingetretene Verschlechterungen der Sicherheits- und Versorgungslage, den BF betreffen und eine andere Beurteilung erforderlich machen würden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).
"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes – nicht bloß von Nebenumständen – kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. zB VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2007, 2004/20/0100). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Stützt sich ein Asylantrag auf einen Sachverhalt, der verwirklicht worden ist, bevor das Verfahren über einen (früheren) Antrag beendet worden ist, so steht diesem (zweiten) Antrag die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266).
Gegenüber neu entstandenen Tatsachen (novae causae supervenientes; vgl. VwGH 20.02.1992, 91/09/0196) fehlt es an der Identität der Sache; neu hervorgekommene Tatsachen (oder Beweismittel) rechtfertigen dagegen allenfalls eine Wiederaufnahme iSd. § 69 Abs. 1 Z 2 AVG (wegen nova reperta; zur Abgrenzung vgl. zB VwGH 04.05.2000, 99/20/0192; 21.09.2000, 98/20/0564; 24.08.2004, 2003/01/0431; 04.11.2004, 2002/20/0391), bedeuten jedoch keine Änderung des Sachverhaltes iSd § 68 Abs. 1 AVG. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identischem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes ausgeschlossen, sondern auch dann, wenn dasselbe Begehren auf Tatsachen und Beweismittel gestützt wird, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183 mwN; 24.08.2004, 2003/01/0431).
Zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen iSd. § 18 Abs. 1 AsylG – kann die Behörde jedoch nur durch eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes berechtigt und verpflichtet werden, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die – falls sie festgestellt werden kann – zu einem anderen Ergebnis als das erste Verfahren führen kann (VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 18 Abs. 1 AsylG, nämlich § 28 AsylG 1997). Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den diese positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der (neuerliche) Asylantrag zulässig ist, mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Antragstellers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben ihre Ermittlungen, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; 24.02.2000, 99/20/0173; 19.07.2001, 99/20/0418; 21.11.2002, 2002/20/0315; vgl. auch VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 04.05.2000, 98/20/0578; 99/20/0193; 07.06.2000, 99/01/0321; 21.09.2000, 98/20/0564; 20.03.2003, 99/20/0480; 04.11.2004, 2002/20/0391; vgl. auch 19.10.2004, 2001/03/0329; 31.03.2005, 2003/20/0468; 30.06.2005, 2005/18/0197; 26.07.2005, 2005/20/0226; 29.09.2005, 2005/20/0365; 25.04.2007, 2004/20/0100).
Wird in einem neuen Asylantrag eine Änderung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen und berechtigt bzw. verpflichtet die Behörde dazu, ihn zurückzuweisen (VwGH 04.05.2000, 99/20/0192).
Auch wenn das Vorbringen des Folgeantrages in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den Behauptungen steht, die im vorangegangenen Verfahren nicht als glaubwürdig beurteilt worden sind, schließt dies allerdings nicht aus, dass es sich um ein asylrelevantes neues Vorbringen handelt, das auf seinen "glaubhaften Kern" zu beurteilen ist. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der neu behaupteten Tatsachen von Bedeutung sein, macht eine neue Beweiswürdigung aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar unzulässig, etwa in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden. "Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit" (VwGH 29.09.2005, 2005/20/0365; 22.11.2005, 2005/01/0626; 16.02.2006, 2006/19/0380; vgl. auch VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391; 26.07.2005, 2005/20/0343; 27.09.2005, 2005/01/0363; 22.12.2005, 2005/20/0556; 22.06.2006, 2006/19/0245; 21.09.2006, 2006/19/0200; 25.04.2007, 2005/20/0300; vgl. weiters VwGH 26.09.2007, 2007/19/0342).
3.1.2. Im Rahmen der vorangegangenen Asylverfahren wurde das Vorbringen des BF zu den (behaupteten) Fluchtgründen im Hinblick auf deren Wahrheits- bzw. Glaubhaftigkeitsgehalt untersucht und letztlich in dem als Vergleichserkenntnis heranzuziehenden Erkenntnis des BVwG vom 12.04.2022 als unglaubwürdig beurteilt. Es wurde auch verneint, dass der BF für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung im asylrelevanten Ausmaß ausgesetzt ist oder ein Refoulementschutz geboten ist.
Der BF brachte bereits im Erstverfahren seine Konversion und eine angebliche Liebesbeziehung zu einer verheirateten Frau als Fluchtgründe vor. Da der BF seinen gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz auf jene Gründe, die er bereits im Erstverfahren geltend machte, stützte, liegt zweifelsfrei entschiedene Sache vor. Damit bezieht sich der BF nämlich auf die im Zuge der ersten Asylantragstellung vorgebrachten Fluchtgründe und wird diesbezüglich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum "Fortbestehen und Weiterwirken", VwGH 20.03.2003, 99/20/0480 ("Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt") verwiesen. Von einer relevanten, wesentlichen Änderung des Sachverhalts seit der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Asylantrag kann daher diesbezüglich nicht gesprochen werden.
Es entspricht im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung, dass die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen hat, dem Asylrelevanz zukommt (vgl. zB VwGH vom 21.03.2006, 2006/01/0028 sowie vom 18.06.2014, Ra 2014/01/0029, mwN).
3.1.3. Ein Antrag auf internationalen Schutz richtet sich aber auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daher sind auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, von den Asylbehörden im Rahmen von Folgeanträgen einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344).
Auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK ist nicht erkennbar, dass eine Überstellung des BF nach Iran zu einem unzulässigen Eingriff führen und er bei seiner Rückkehr in eine Situation geraten würde, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihm jedwede Lebensgrundlage fehlen würde. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Entsprechend den Ausführungen im Erkenntnis vom 12.04.2022 und unter Berücksichtigung der Länderinformationen ist davon auszugehen, dass es dem BF möglich und zumutbar ist, wie bereits vor der Ausreise für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, das Sozialsystem des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen.
Aus den Länderfeststellungen zu Iran geht nicht hervor, dass Staatsangehörige nach ihrer Rückkehr der reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Es ist daher nicht von einem Rückführungshindernis im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK auszugehen. Wesentliche Änderungen im Herkunftsstaat, die im konkreten Fall relevant wären, ergeben sich aufgrund der Länderberichte im Vergleich zu den vorhergehenden Entscheidungen in den Asylverfahren des BF nicht.
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass es keine begründeten Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde. Der BF hat auch nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos dargelegt, dass gerade ihm im Falle einer Rückführungsmaßnahme eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).
Da weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des BF gelegen ist, bzw. auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist – noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte.
Der Antrag des BF auf internationalen Schutz war daher sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen.
3.2. Zur Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382c EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides war daher seitens des Bundesverwaltungsgerichtes abzuweisen.
3.3. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):
3.3.1. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Diese Bestimmung bildet in Verbindung mit § 10 Abs 1 Z 3 AsylG auch die Rechtsgrundlage für die Rückkehrentscheidung nach einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).
Der BF ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.
Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ist, dass dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; VwGH vom 25.01.2018, Ra 2017/21/0218).
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
3.3.2. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.
So fallen familiäre Beziehungen unter Erwachsenen jedoch nur dann unter den Schutz des Art. 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (VfGH vom 09.06.2006, B 1277/04; vom 26.01.2006, 2002/20/0423 und 2002/20/0235, vom 08.06.2006, 2003/01/0600; vom 29.03.2007, 2005/20/0040-0042).
Der BF verfügt im österreichischen Bundesgebiet über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte. Er verfügt somit über kein iSd Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben in Österreich.
3.3.3. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben des BF eingreifen.
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren […] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, 2014/22/0055 mwN).
Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VfGH vom 12.06.2007, B 2126/06; VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07-9; VwGH vom 24.04.2007, 2007/18/0173; VwGH vom 15.05.2007, 2006/18/0107, und 2007/18/0226).
Im gegenständlichen Fall hält sich der BF seit Juli 2020 im Bundesgebiet auf. Der bisherige – lediglich etwas mehr als vier Jahre dauernde – Aufenthalt des BF in Österreich ist ausschließlich auf seine Anträge auf internationalen Schutz gestützt, wodurch er nie über ein Aufenthaltsrecht, abgesehen des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts aufgrund seiner Asylanträge, verfügt hat.
Der BF lebte zunächst von der Grundversorgung und war anschließend einige Monate in der Gastronomie erwerbstätig. Er ist nicht Mitglied in einem Verein.
Der BF besuchte einen Deutschkurs und absolvierte eine Prüfung auf dem Niveau A1. Die entsprechenden Nachweise wurden bereits im Rahmen seines ersten Asylverfahrens vorgelegt. Die Absolvierung von weiteren Deutschkursen und -prüfungen wurde nicht belegt, insofern konnten auch keine guten Deutschkenntnisse glaubhaft gemacht werden.
Nach seinen eigenen Angaben verfügt der BF über Bekannte bzw. Freunde im Bundesgebiet. Besonders enge soziale Bindungen ergaben sich aus der Aktenlage jedoch nicht.
Es ist auch nach wie vor von einer Bindung des BF zum Herkunftsstaat auszugehen, zumal er in Iran den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat. Er wurde in Iran sozialisiert und bestritt dort seinen Lebensunterhalt. Er spricht auch die Landessprache. Hinzu kommt, dass er nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte aufweist. Aufgrund der relativ kurzen Ortsabwesenheit kann auch nicht gesagt werden, dass der BF seinem Kulturkreis völlig entrückt wäre, sodass sich der BF in Iran problemlos wieder eingliedern können wird.
Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).
Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung etwaiger privater Kontakte ist dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste: Der BF durfte sich hier bisher nur aufgrund seiner Anträge auf internationalen Schutz aufhalten, die zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).
Den privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des VwGH kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).
Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Erbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des BF am Verbleib in Österreich.
Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Es sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machen würden.
3.3.4. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA VG iVm Art. 8 EMRK dar.
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist ebenfalls nicht geboten.
Die Erlassung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides war folglich seitens des Bundesverwaltungsgerichtes abzuweisen.
3.4. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides):
Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.
Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Die Abschiebung ist nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht nicht.
Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten können keine Gründe erkannt werden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
Die Abschiebung des BF nach Iran ist daher zulässig.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt V. seitens des Bundesverwaltungsgerichtes als unbegründet abzuweisen.
3.5. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nach § 55 Abs. 1a FPG nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt VI. seitens des Bundesverwaltungsgerichtes als unbegründet abzuweisen.
Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Zudem kann die Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zurückzuweisen ist. Dies ist hier der Fall.
Es erscheint der Sachverhalt aus der Beschwerde in Verbindung mit den Verfahrensakten der vorherigen Anträge auf internationalen Schutz des BF hinreichend geklärt. Die Lebensumstände des BF in Österreich wie im Herkunftsstaat sind den genannten Quellen umfassend zu entnehmen. Auch die örtlichen Gegebenheiten im Herkunftsstaat sind dem Akt des BFA zum Folgeantrag des BF aktuell und umfassend zu entnehmen. Zum nunmehrigen Vorbringen wurde der BF durch das BFA einvernommen. Wie oben ausgeführt, wurde kein glaubhaftes neues Vorbringen erstattet. Das herangezogene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation wurde dem BF vom BFA zur Kenntnis gebracht; auch wurde ihm Gelegenheit geboten, dazu Stellung zu nehmen.
Die Beschwerde hat die Beurteilung des angefochtenen Bescheides zwar bestritten, jedoch keine Sachverhalte aufgezeigt, die zu einem für den BF allenfalls noch günstigeren Verfahrensergebnis hätten führen können. Die Einvernahme des in der Beschwerde namentlich genannten beantragten Zeugen konnte unterbleiben, da der Sachverhalt als hinreichend geklärt erscheint und unter Berücksichtigung des Vorbringens sowie des vom Zeugen verfassten und in dieser Entscheidung berücksichtigten Schreibens nicht ersichtlich ist, inwiefern eine Einvernahme des Zeugen zu einer anderen Entscheidung führen könnte.
Das BVwG konnte daher im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen; es war nach den oben dargestellten Kriterien nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.