JudikaturVfGH

E2697/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
07. Oktober 2025
Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Mit verfahrensleitender Anordnung vom 2. September 2025 übermittelte der Verwaltungsgerichtshof dem Verfassungsgerichtshof zuständigkeitshalber eine auf Art144 B VG gestützte Beschwerde der Einschreiter gegen den oben angeführten Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, die am 29. August 2025 – dem letzten Tag der Frist – im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht worden war.

2. Mit am 12. September 2025 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachtem Schriftsatz begehren die Einschreiter die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde und erheben unter einem (erneut) Beschwerde gegen den oben angeführten Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich.

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages führen sie aus, dass zunächst die Einbringung einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof beabsichtigt gewesen sei. Erst bei Erstellung dieses Schriftsatzes zwischen dem 26. und dem 27. August 2025 habe sich ergeben, dass der Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich möglicherweise verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte der Antragsteller verletze, sodass die Einbringung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof beschlossen worden sei. Ihrem Rechtsanwalt sei am 28. August 2025 – am Tag vor Ablauf der Beschwerdefrist – nur eine noch verhältnismäßig unerfahrene Mitarbeiterin zur Verfügung gestanden, weshalb er die Erstellung der Eingabe an den Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsanwalts-Software selbst durchgeführt habe, was mangels Routine zeitaufwendig und "ärgerlich" gewesen sei. Dabei habe er die bereits vorbereitete Einbringung beim Verwaltungsgerichtshof im System belassen. Weiters hätten sich auf Grund eines technischen Problems die erforderlichen Beilagen nicht speichern lassen. Die Arbeiten seien daher eingestellt worden, um die Anwesenheit einer erfahrenen Mitarbeiterin am nächsten Tag (29. August 2025) – somit am letzten Tag der Beschwerdefrist – abzuwarten.

Die erwähnte erfahrene Mitarbeiterin sei am 29. August 2025 vormittags zunächst ebenso an dem technischen Problem in Bezug auf die Beilagen gescheitert und habe diese Arbeit auf den Nachmittag verschoben. Auch der Rechtsanwalt habe auf Grund diverser Telefonate mit seiner alleine zu Hause gebliebenen, beeinträchtigten Tochter nach Hause gehen müssen, sodass die Arbeiten an der Beschwerde erst am Nachmittag fortgesetzt worden seien. Die Mitarbeiterin habe ihm dann mitgeteilt, dass sie zur Lösung des technischen Problems die Eingabemaske gelöscht und eine neue angelegt habe. Bei Fertigstellung der Eingabemaske habe sich herausgestellt, dass der Schriftsatz bereits korrigierte Schreibfehler und geänderte Formulierungen enthalten habe, weil der Rechtsanwalt offenbar sein Textverarbeitungs-Dokument mit der Beschwerde bloß geschlossen, aber nicht gesondert gespeichert hatte.

Daraufhin sei der Schriftsatz aus der ERV-Maske herausgelöscht und die Beschwerde nochmals korrigiert und geändert worden. Zwischen 17 Uhr und 18:40 Uhr habe die Tochter des Rechtsanwaltes diesen mindestens zehnmal angerufen und auf sein Nachhausekommen gedrängt. Deshalb habe er nach Fertigstellung des Schriftsatzes die Mitarbeiterin angewiesen, den Schriftsatz samt Beilagen in die Maske einzustellen, während er begonnen habe, zusammenzupacken. Der Rechtsanwalt habe noch die Mitteilung der Mitarbeiterin abgewartet, dass der Schriftsatz mit "OK" bestätigt worden sei, und dann die Kanzlei verlassen. Auch die Mitarbeiterin sei zum Zeitpunkt der Versendung (18:45 Uhr) bereits seit längerem zu Hause erwartet worden. Sie habe den Schriftsatz scheinbar irrtümlich in die erste, nicht gelöschte ERV-Maske eingestellt und dies nicht erkannt. Sie habe dem Rechtsanwalt zwar noch mitgeteilt, dass die ERV-Eingabe mit "OK" bestätigt worden sei, habe dann auf dem Protokoll aber nicht mehr nachgesehen.

Die Fristversäumnis sei dem Rechtsanwalt durch einen Anruf der Geschäftsstelle des Verfassungsgerichtshofes am 2. September 2025 zur Kenntnis gelangt. Mit dem Wiedereinsetzungsantrag wurden eidesstättige Erklärungen des Rechtsanwaltes und seiner Mitarbeiterin vorgelegt, die die Angaben im Antrag bestätigen.

3. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist zulässig, aber nicht begründet:

3.1. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 Abs1 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.

3.1.1. Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Vorauszuschicken ist, dass der Begriff des "unvorhergesehenen Ereignisses" naturgemäß nicht so zu verstehen ist, dass es bloß vom Wiedereinsetzungswerber nicht vorhergesehen wurde, denn sonst wären auch alle jene Ereignisse "unvorhergesehen", die er hätte vorhersehen können und sollen, aber nur aus grober Fahrlässigkeit nicht vorhersah. "Unvorhergesehen" ist daher iSv "unvorhersehbar" zu verstehen, wie auch der Vergleich mit den "unabwendbaren oder doch sehr erheblichen Gründen" in §128 Abs2 ZPO (Verlängerung von Fristen) und dem "unübersteiglichen oder doch sehr erheblichen Hindernis" in §134 Z1 ZPO (Verlegung von Tagsatzungen) zeigt ( Pollak , Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Allgemeine Oesterreichische Gerichts-Zeitung 1898, 345, 353, 362 [362 f.]).

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §35 Abs1 VfGG iVm §39 ZPO ergibt sich zudem, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

3.1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

3.2. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde fiel am 2. September 2025 weg. Mit dem am 12. September 2025 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.

3.3. Jedoch kann von einem minderen Grad des Versehens des Bevollmächtigten der Antragsteller nicht gesprochen werden:

Ein rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist. Es gehört zu einer den gebotenen Sorgfaltsmaßstäben entsprechenden Kanzleiorganisation, ein Postausgangsbuch anzulegen, um zu verhindern, dass ein für die Postaufgabe bestimmtes Schriftstück am Weg zur Post – aus welchem Grund auch immer – verloren geht, ohne dass dies spätestens bei der Postaufgabe bemerkt wird (VfSlg 15.539/1999).

Dies gilt im selben Maß für die Übersendung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs: Den Absender trifft die Obliegenheit zur Kontrolle, ob die Eingabe tatsächlich und richtig abgesendet wurde und ob das Einlangen beim Adressaten bestätigt wurde (vgl zur Kontrolle des Sendeberichtes bei der Übermittlung mittels Telefax VwGH 8.7.2004, 2004/07/0100; 30.3.2004, 2003/06/0043; 15.9.2005, 2005/07/0104, bzw zur Kontrolle des Postausgangsordners bei der Benützung von E-Mail-Programmen VwSlg 16.834 A/2006). Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, etwa weil sich der Absender mit den technischen Möglichkeiten nicht oder nur unzureichend vertraut gemacht hat, stellt dies jedenfalls ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (vgl VfGH 23.11.2017, E178/2017; 28.11.2023, E2314/2023 mwN).

Dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ist zu entnehmen, dass weder der einschreitende Rechtsanwalt noch seine Mitarbeiterin nach Versendung der Beschwerde überprüft haben, ob die Eingabe an den richtigen Adressaten (Verfassungsgerichtshof) versandt wurde. Insoweit die Antragsteller darauf verweisen, dass dieser Fehler durch mehrere, näher dargelegte widrige Umstände und den dadurch entstandenen Zeitdruck mitbedingt war, ist zu beachten, dass auch diese Umstände überwiegend der Kanzleiorganisation des Rechtsanwaltes zuzurechnen sind. Insbesondere wurde mit der Vorbereitung der Einbringung der Beschwerde dem Antragsvorbringen zufolge erst einen Tag vor Ende der Beschwerdefrist begonnen und die Einbringung selbst überhaupt erst wenige Stunden vor Ablauf des letzten Tages dieser Frist durchgeführt. Angesichts dieser äußerst knappen Kalkulation wäre aber umso größere Sorgfalt bei der nachträglichen Kontrolle geboten gewesen. Ein minderer Grad des Versehens liegt daher nicht vor (vgl VfSlg 10.341/1985, 12.857/1991; VfGH 8.6.2017, E532/2017; 11.9.2025, E2203/2025).

3.4. Damit liegen aber die Voraussetzungen für die Bewilligung der

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen ist.

4. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, gilt eine Beschwerde, die bei einer unzuständigen Stelle eingereicht und an den Verfassungsgerichtshof weitergeleitet wird, erst am Tag des Eingangs beim Verfassungsgerichtshof als eingebracht (vgl etwa VfSlg 17.842/2006 und VfGH 12.6.2013, B440/2013).

Die Beschwerde ist – nach Weiterleitung durch den Verwaltungsgerichtshof – erst nach Ablauf der sechswöchigen Frist (§88a Abs1 iVm §82 Abs1 VfGG) beim Verfassungsgerichtshof eingelangt und ist somit als verspätet zurückzuweisen.

5. Diese Beschlüsse konnten gemäß §149 Abs2 ZPO iVm §35 VfGG und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.