JudikaturOLG Wien

23Bs174/25v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Wirtschaftsrecht
19. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Pasching und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*und einen weiteren Angeklagten wegen des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 (Abs 5 Z 4) StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den B* betreffenden Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Juni 2025, GZ **-22, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Strafanträgen vom 17. Februar 2025 (ON 3) und 25. April 2025 (ON 15.3) legt die Staatsanwaltschaft Wien – soweit hier von Interesse - dem am ** geborenen österreichischen Staatsbürger B* als Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 (Abs 5 Z 4) StGB (ON 3 I./), des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 StGB (ON 3 II./), des Betrugs nach § 146 StGB (ON 3 III./B./; ON 15.3) sowie als Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB (ON 3 III./A./) beurteilte Verhaltensweisen zur Last.

Danach habe er in **

(ON 3) „I./ […] als tatsächlicher wirtschaftlicher Machthaber des nicht im Firmenbuch eingetragenen Einzelunternehmens ‚C*‘ im Zeitraum ab Gründung des Einzelunternehmens bis zur Insolvenzeröffnung am 18.8.2023 grob fahrlässig (§ 6 Abs 3 StGB) die Zahlungsunfähigkeit des Einzelunternehmens dadurch herbeigeführt, dass [er] entgegen den Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens Geschäftsbücher und geschäftliche Aufzeichnungen zu führen unterließ[…];

II./ […] als Dienstgeber die Beiträge der Dienstnehmer des nicht im Firmenbuch eingetragenen Einzelunternehmens ‚C*‘ zur Sozialversicherung dem berechtigten Sozialversicherungsträger, nämlich der Österreichischen Gesundheitskasse, in nachstehender Höhe vorenthalten, und zwar

A./ im Zeitraum von 1.11.2022 bis 30.11.2022 Beiträge in Höhe von gesamt EUR 1.087,45;

B./ im Zeitraum von 1.12.2022 bis 31.12.2022 Beiträge in Höhe von gesamt EUR 1.838,40;

C./ im Zeitraum von 1.1.2023 bis 31.1.2023 Beiträge in Höhe von gesamt EUR 1.518,92;

D./ im Zeitraum von 1.2.2023 bis 28.2.2023 Beiträge in Höhe von gesamt EUR 1.518,92;

E./ im Zeitraum von 1.3.2023 bis 31.3.2023 Beiträge in Höhe von gesamt EUR 1.518,92;

F./ im Zeitraum von 1.4.2023 bis 30.4.2023 Beiträge in Höhe von gesamt EUR 1.518,92;

G./ im Zeitraum von 1.5.2023 bis 31.5.2023 Beiträge in Höhe von gesamt EUR 1.732,17;

H./ im Zeitraum von 1.6.2023 bis 30.6.2023 Beiträge in Höhe von gesamt EUR 652,45;

III./[…]A./ als tatsächlicher wirtschaftlicher Machthaber des nicht im Firmenbuch eingetragenen Einzelunternehmens ‚C*‘ am 22.9.2023 einen Bestandteil des Vermögens dieses Unternehmens beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung seiner Gläubiger geschmälert, indem er für eine durch das Unternehmen erbrachte Leistung EUR 2.400,00 im Namen des Unternehmens in bar entgegennahm und in weiterer Folge für private Zwecke verwendete;

B./ im Zeitraum von 4.1.2024 bis 20.5.2024 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte des Arbeitsmarktservice durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die wahrheitswidrige Vorgabe seiner Arbeitslosigkeit und pflichtwidrig unterlassene Meldung seiner Tätigkeit als Techniker beim Unternehmen ‚D*‘, zu Handlungen, nämlich zur Auszahlung von Notstandshilfe in einem Gesamtbetrag von EUR 4.690,43, verleitet, welche die Republik Österreich in diesem Betrag am Vermögen schädigte“;

(ON 15.3) am 7. Jänner 2025 „E* mit dem Vorsatz[,] sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch Täuschung über die Tatsache, er werde als Geschäftsinhaber des Unternehmens D* Rollläden inklusive Zubehör am Wohnort des Geschädigten montieren, zu einer Handlung, nämlich zur Leistung einer Anzahlung in der Höhe von EUR 1.900,-- verleitet, jedoch nach Anzahlung den Auftrag nicht erteilt, wodurch E* am Vermögen geschädigt wurde“.

Nachdem sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 9. Mai 2025 schuldig bekannt hatte (ON 17.1 S 10 ff), unterbreitete der Erstrichter ihm (gemäß §§ 199, 201 Abs 1 StPO) „das Angebot einer diversionellen Erledigung gemeinnütziger Leistungen in der Dauer von 150 Stunden innerhalb von sechs Monaten unter Absehen der Leistung eines Pauschalkostenbeitrages“, womit er sich einverstanden erklärte; die öffentliche Anklägerin sprach sich demgegenüber gegen das in Aussicht genommene diversionelle Vorgehen aus, woraufhin die Hauptverhandlung „zur Durchführung der diversionellen Erledigung“ auf unbestimmte Zeit vertagt wurde (ON 17.1 S 18 f).

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 22) stellte das Erstgericht das Verfahren gegen B* sodann gemäß §§ 199, 201 Abs 1 StPO „unter der Auflage binnen sechs Monaten gemeinnützige Leistungen im Umfang von 150 Stunden in der Einrichtung F* […] zu erbringen, vorläufig ein[…]“, von „der Einhebung eines Beitrags zu den Pauschalkosten“ sah es in einem ab.

Gegen die vorläufige Verfahrenseinstellung richtet sich die fristgerecht ausgeführte Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 23), in der diese im Wesentlichen mit schwerer Schuld und spezial- sowie generalpräventiven Erwägungen argumentiert.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO setzt neben einem hinreichend geklärten Sachverhalt und dem Fehlen spezial- und generalpräventiver Notwendigkeit der Bestrafung (§ 198 Abs 1 StPO) – soweit hier relevant - eine als nicht schwer anzusehende Schuld voraus (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO).

Bei der Bewertung des Grades der Schuld als „schwer“ ist von jenem Schuldbegriff auszugehen, der nach den §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falls eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist. Demnach müssen sowohl Handlungs-, Erfolgs- als auch Gesinnungsunrecht insgesamt eine Unwerthöhe erreichen, die im Wege einer überprüfenden Gesamtwertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Dabei kommt auch der vom Gesetzgeber in der Strafdrohung zum Ausdruck gebrachten Vorbewertung des deliktstypischen Unrechts- und Schuldgehalts eine Indizwirkung für die Schuldabwägung zu (RIS-Justiz RS0116021 [insb T8 und T17]). Bei Delikten mit geringeren Strafobergrenzen ist angesichts des vom Gesetzgeber solcherart zum Ausdruck gebrachten geringeren sozialen Störwerts die Schwelle für die Bejahung des Vorliegens einer nicht als schwer anzusehenden Schuld im Sinne des § 198 Abs 2 Z 2 StPO niedriger anzusetzen als bei einem mit höherer Strafe bedrohten Vergehen oder Verbrechen (RIS-Justiz RS0122090).

Die in Rede stehenden Delikte sehen Strafrahmen einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe von bis zu 720 Tagessätzen (§ 153c Abs 1 StGB sowie § 159 Abs 1 StGB), einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren (§ 147 Abs 2 StGB [infolge der diesbezüglich gebotenen Zusammenrechnung der Werte und Schadensbeträge nach § 29 StGB]) bzw einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren (§ 156 Abs 1 StGB) vor. Lediglich beim Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB signalisiert somit vorliegendenfalls bereits die Tatbestandsverwirklichung grundsätzlich ein hohes Maß an krimineller Energie sowie einen erheblichen Störwert und damit einen gesteigerten Unrechtsgehalt (vgl Schroll/Kert, WK-StPO § 198 Rz 28/1), während bei den übrigen Delikten von einem durchschnittlichen bzw sogar unterdurchschnittlichen Störwert auszugehen ist (vgl Schroll/Kert aao Rz 29).

Berücksichtigt man in Bezug auf das (der Verdachtslage zufolge begangene) Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB jedoch den geringen, weit hinter der Qualifikationsgrenze des § 156 Abs 2 StGB zurückbleibenden Schaden im Rahmen einer einmaligen Tatbegehung, so liegt fallbezogen auch diesbezüglich kein überdurchschnittlicher Störwert vor.

Wenn die Staatsanwaltschaft die aus ihrer Sicht vorliegende „Faktenvielzahl, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken“, die zu II./ (nunmehr zutreffend) mit 5.212,63 Euro angenommene Schadenshöhe und die Umstände, „dass der […] Angeklagte nach Insolvenz des ersten Unternehmens sofort ein neues Unternehmen gegründet hat, welches wiederum insolvent wurde und den Erstangeklagten in dem Wissen, dass es zu Problemen kommen könnte, wenn er Geschäftsführer ist, als Strohmann einsetzte“, ins Treffen führt, ist ihr zu erwidern, dass sich all diese Umstände (nur) auf die Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 (Abs 5 Z 4) StGB und des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 StGB beziehen. Das Fahrlässigkeitsdelikt des § 159 StGB indiziert aber schon vom Unrecht her betrachtet in der Regel kein schweres Verschulden (RIS-Justiz RS0128762), auch das Delikt des § 153c Abs 1 StGB weist angesichts der geringen Strafobergrenze einen geringen Störwert auf (vgl wiederum Schroll/Kert aao Rz 29).

Es liegt daher fallbezogen insgesamt - unter Berücksichtigung sämtlicher Fakten aber auch der durch die Staatsanwaltschaft ins Treffen geführten Umstände - (noch) keine schwere Schuld vor.

Entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen trägt die vorliegendenfalls deutlich spürbare Reaktion für den Angeklagten in Form der zwischenzeitig bereits erbrachten (ON 25.3) gemeinnützigen Leistungen im Ausmaß von 150 Stunden nach Durchführung einer Hauptverhandlung auch spezialpräventiven Erwägungen ausreichend Rechnung, wird aber auch generalpräventiven Bedürfnissen gerecht, zumal dadurch der Öffentlichkeit ein ausreichendes Signal der Rechtsbewährung vermittelt wird (vgl RIS-Justiz RS0123346).

Letztlich liegen auch die weiteren Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen – wie das Erstgericht richtig erkannte - vor.

Der gegen den der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beschluss gerichteten Beschwerde war daher ein Erfolg zu versagen.