6R174/25i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Nigl, LL.M., und den Richter MMag. Klaus im Konkurs über das Vermögen der A* , geboren am **, Inhaberin des B* e.U., FN **, **, Masseverwalter Dr. C*, Rechtsanwalt in Tulln, über den Rekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 6.5.2025, **-2, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung
A* ( Schuldnerin ) ist Inhaberin des B* e.U. (FN **) mit dem Geschäftszweig „Einfache Gartenarbeiten“.
Mit einem am 20.11.2024 zunächst beim Bezirksgericht Tulln eingebrachten (**) und an das Landesgericht St. Pölten (**) überwiesenen Antrag begehrte die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen ( SVS, Antragstellerin ) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Diese schulde ihr laut einem in den Antrag integrierten Rückstandsausweis vom 18.11.2024 EUR 1.257,02 an Beiträgen für die Monate 10/2023 bis 09/2024 samt Nebengebühren und Verzugszinsen von EUR 598,72. Die Schuldnerin sei zahlungsunfähig. Auf die beim Bezirksgericht Tulln zu **, **, **, ** und ** geführten Exekutionsverfahren werde verwiesen. Ein Kostenvorschuss nach § 71a Abs 1 IO werde nicht erlegt.
Erhebungen ergaben, dass die Schuldnerin seit 2.4.2021 laufend als gewerblich selbständig Erwerbstätige gemeldet ist. Auch die Gewerbeberechtigung für die „Durchführung einfacher Gartenarbeiten (Rasen mähen, Bewässern der Grünflächen, Jäten, Mulchen, Einsammeln von Obst)“ ist aufrecht. Die Abfrage im Exekutionsregister am 26.11.2024 ergab insgesamt 18 anhängige Exekutionsverfahren gegen die Schuldnerin beim Bezirksgericht Tulln. Überdies waren vier streitige Zivilverfahren bei den Bezirksgerichten Tulln und St. Pölten gegen die Schuldnerin anhängig. Alle weiteren Abfragen (Grundbuch, offenkundige Zahlungsunfähigkeit, Strafregister, KZR) verliefen negativ.
Eine neuerliche Abfrage im Exekutionsregister am 22.1.2025, eingeschränkt auf die Jahre ab 2022 und auf nur offene Fälle, ergab sieben anhängige Exekutionsverfahren gegen die Schuldnerin.
Dem Gerichtsvollzieher beim Bezirksgericht St. Pölten (ON 7) war die Schuldnerin aus bisherigen Vollzügen bekannt, mit einem die Kosten des Insolvenzverfahrens voraussichtlich deckenden Vermögen könne nicht gerechnet werden. Die Schuldnerin habe am 31.10.2024 ein Vermögensverzeichnis abgelegt (**). Daraus ergaben sich Ansprüche der Schuldnerin aus unselbständiger Erwerbstätigkeit von EUR 1.600,- brutto, im Übrigen aber keinerlei weitere Vermögenswerte.
Nach den weiteren Erhebungen des Erstgerichts bestand ein ungeregelter Beitragsrückstand der Schuldnerin bei der Österreichischen Gesundheitskasse ( ÖGK ) von EUR 2.622,23 (ON 8). Dieser setzte sich laut Rückstandsausweis vom 29.1.2025 aus den Restbeiträgen für 07/2024 (EUR 285,96) und 09/2024 (EUR 63,78) sowie den Beiträgen für 10/2024 und 11/2024 zusammen. Derzeit seien keine Dienstnehmer angemeldet. Beim Finanzamt Österreich (ON 9) bestand ein ungeregelter, exekutiv betriebener Zahlungsrückstand von EUR 8.887,43.
Die Antragstellerin teilte am 26.2.2025 mit, der Rückstand sei zur Gänze beglichen worden (ON 10).
Mit E-Mail vom 26.2.2025 (ON 11) übermittelte die Schuldnerin die Zahlungsbestätigungen bezüglich der Rückstände bei der Antragstellerin. Sie habe mit dem Finanzamt Österreich telefoniert, um eine Ratenzahlung zu erreichen, was laut Auskunft auch möglich wäre. Der offene Rückstand bei der ÖGK werde bis spätestens 20.3.2025 beglichen werden.
Die für 27.2.2025 anberaumte Einvernahmetagsatzung entfiel (KV auf ON 11).
Am 24.3.2025 erhob das Erstgericht ungeregelte Rückstände beim Finanzamt ** von EUR 8.585,47 und bei der ÖGK von EUR 2.792,64 (ON 12).
Am 25.3.2025 übermittelte die Schuldnerin per E-Mail (ON 13) eine Information über eine Zahlung von EUR 2.792,64 an die ÖGK.
Das Erstgericht erhob am 5.5.2025 (ON 14) wiederum ungeregelte Rückstände von EUR 7.581,19 beim Finanzamt ** und bei der Antragstellerin von EUR 36,20. Die ÖGK gab bekannt, dass kein Rückstand bestehe.
Mit dem angefochtenen Beschluss eröffnete das Erstgericht das Konkursverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte Dr. C* zum Masseverwalter. Die allgemeine Prüfungstagsatzung beraumte es für den 8.7.2025 an und bestimmte das Ende der Anmeldefrist mit 24.6.2025. Die Schuldnerin sei der Gelegenheit, ihre Zahlungsfähigkeit zu bescheinigen, nicht nachgekommen, obwohl sie die Erbringung entsprechender Nachweise zugesagt habe. Die Nichtzahlung von rückständigen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sei ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit. Angesichts der Höhe und Dauer des Rückstands beim Finanzamt Österreich von EUR 7.581,19 sei davon auszugehen, dass sie zahlungsunfähig sei. Kostendeckendes Vermögen sei in Form von Anfechtungsansprüchen vorhanden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Schuldnerin, erkennbar mit dem Antrag auf Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Zahlungsunfähigkeit. Die Rückstände bei der ÖGK und der SVS habe sie bereits beglichen. Den offenen Rückstand beim Finanzamt Österreich habe sie am 8.5.2025 nach Absprache mit dem Finanzamt anweisen wollen und daher EUR 7.600,- auf das Geschäftskonto eingezahlt. Dieses sei aber bereits eingefroren worden, sodass eine Überweisung an das Finanzamt nicht mehr möglich gewesen sei. Sie sei zahlungsfähig und werde den Rückstand bei einem erfolgreichen Rekurs unverzüglich begleichen. Sie habe bereits Aufträge erhalten und erziele regelmäßige Einkünfte.
Die Antragstellerin beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt .
1. Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und der Antragsgegner zahlungsunfähig ist ( Übertsroider in Konec ny, InsG § 70 IO Rz 17; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 70 KO Rz 8).
2. Die Antragstellerin bescheinigte mit der Vorlage des vollstreckbaren Rückstandsausweises sowohl den Bestand ihrer Forderung als auch auf Grund der Dauer des Rückstands die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin. Die Nichtzahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen und Abgaben ist ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen um Betriebsführungskosten handelt. Sie werden von den zuständigen Behörden und Institutionen bekanntlich so rasch in Exekution gezogen, dass sich ein Zuwarten mit ihrer Zahlung bei vernünftigem wirtschaftlichem Vorgehen verbietet und im Allgemeinen nur aus einem Zahlungsunvermögen erklärbar ist ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 66 KO Rz 69; Mohr , IO 11 § 70 E 70, E 74).
3.1 Wird die Zahlungsunfähigkeit fürs Erste bescheinigt, liegt es an der Schuldnerin, die Gegenbescheinigung zu erbringen, dass sie zahlungsfähig ist. Diese hat die Schuldnerin von sich aus zu erbringen.
3.2 Zur Entkräftung der Vermutung der Zahlungsunfähigkeit ist der Nachweis erforderlich, dass die Forderungen sämtlicher Gläubiger – einschließlich jener der Antragstellerin - bezahlt werden konnten oder zumindest mit allen Gläubigern Zahlungsvereinbarungen getroffen wurden, die die Schuldnerin auch einzuhalten im Stande ist (vgl Mohr, IO 11 § 70 E 214, E 239, E 243, E 244, 271f mwN).
4. Im Rechtsmittelverfahren ist für die Beurteilung der Frage, ob die Insolvenzvoraussetzungen vorliegen, wegen der Neuerungserlaubnis des § 260 Abs 2 IO die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz - hier der 6.5.2025 - und die Bescheinigungslage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend (RS0065013 [T1]); grundsätzlich gilt im Insolvenzverfahren für die Rekursausführungen kein Neuerungsverbot (RS0043943; Erler in KLS 2 § 260 Rz 33). Die Neuerungserlaubnis findet ihre Grenze lediglich in § 259 Abs 2 IO, wonach Anträge, Erklärungen und Einwendungen, zu deren Anbringung eine Tagsatzung bestimmt ist, von den nicht erschienenen, gehörig geladenen Personen nachträglich nicht mehr vorgebracht werden können (RS0115313; RS0110967 [T6] = 8 Ob 36/04h). Hier wurde zwar eine Einvernahmetagsatzung anberaumt (ON 5), diese entfiel aber (KV auf ON 11). Das Eröffnungsverfahren wurde im weiteren Verlauf in zulässiger Weise ( Schumacher in KLS 2 § 70 Rz 43 mwN) auf schriftlichem Weg durchgeführt. Das bedeutet, dass der Schuldnerin im Rekursverfahren die Neuerungserlaubnis uneingeschränkt offen steht und sie die Möglichkeit hat, im Rechtsmittel neue Tatsachen, soweit sie bereits zur Zeit der Beschlussfassung in erster Instanz entstanden waren, und neue Beweismittel anzuführen.
5. Selbst mit dem zulässigen Rekursvorbringen gelingt der Schuldnerin aber die Gegenbescheinigung ihrer Zahlungsfähigkeit nicht:
5.1 Erst am 8.5.2025 - und somit nach der Beschlussfassung in erster Instanz - erfolgte eine Einzahlung von EUR 7.600,- auf das Geschäftskonto, um den Rückstand beim Finanzamt Österreich abzudecken. Für sich betrachtet reicht dieser Betrag zwar aus, die Forderung des Finanzamts Österreich abzudecken, doch hat die Schuldnerin es verabsäumt, die laufenden Kosten ihres Geschäftsbetriebs offen zu legen.
Beruft sich ein Schuldner nämlich darauf, dass er im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über ausreichende Mittel verfügte, um sämtliche Verbindlichkeiten bezahlen zu können, ist es erforderlich, dass er seine laufenden Verbindlichkeiten vollständig offenlegt und nachweist, dass trotz laufenden Geschäftsbetriebs ein ausreichender Betrag zur Zahlung der bei Insolvenzeröffnung fälligen Verbindlichkeiten herangezogen werden hätte können, ohne dass dies zu Lasten anderer Gläubiger gegangen wäre (vgl Mohr , IO 11 § 70 E 238).
5.2 Hinzu kommt, dass Erhebungen des Rekursgerichts (§ 254 Abs 5 IO; RS0065221; eingeschränkt auf die Jahre ab 2023) insgesamt 15 beim Bezirksgericht Tulln gegen die Schuldnerin aktuell anhängige Exekutionsverfahren ergaben, wovon eines erst am 30.4.2025 eingeleitet wurde. Betreibende Gläubiger sind neben der Antragstellerin bspw die D* GmbH, die E* GmbH, die F* GmbH, die G* GmbH etc. Auf diese Gläubiger geht die Schuldnerin in ihrem Rekurs nicht ein.
5.3 Im Übrigen ist auf die Ausführungen des Masseverwalters in der Bekanntgabe vom 19.5.2025 (ON 8) zu verweisen, wonach er laufend mit zahlreichen gegen die Schuldnerin gerichteten Exekutionsverfahren konfrontiert werde und sowohl eine Faktura als auch Mahnungen und Steuervorschreibungen des Finanzamts aus der Veranlagung für das Jahr 2020 (offenbar unrichtig: 2002 ) erhalten habe. Der Massestand reiche nicht aus, die – derzeit bekannten - Gläubiger zu bedienen.
5.4 Per 30.5.2025 erfolgten bereits zwölf Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren, zum Teil durch andere Gläubiger als jene, die Exekution führen.
5.5 Auch nach der im Rekursverfahren bestehenden Bescheinigungslage ist daher von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auszugehen. Die ihr obliegende Gegenbescheinigung ihrer Zahlungsfähigkeit hat sie auch mit dem Rekurs nicht erbracht.
6. Ein die zu erwartenden Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens deckendes Vermögen als weitere, von Amts wegen zu prüfende Voraussetzung für die Eröffnung des Konkurses (§ 71 Abs 1 IO) ist hier jedenfalls aufgrund anfechtbarer Zahlungen gegeben.
7. Das Erstgericht hat daher zu Recht den Konkurs über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet, weshalb der Rekurs ohne Erfolg bleibt. Die Schuldnerin ist auf die Möglichkeiten eines Sanierungsplanantrags nach den §§ 140 ff IO oder der Aufhebung des Konkurses mit Zustimmung sämtlicher Gläubiger (§ 123b Abs 1 IO) zu verweisen.
8. Der Revisionsrekurs ist gemäß § 252 IO iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig.