2R107/24f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Hofmann als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Klenk und MMag. Pichler in der Rechtssache der klagenden Partei DI A* , selbständig, **, vertreten durch Urbanek Rudolph Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wider die beklagte Partei Mag. B* , Geschäftsführer, **, vertreten durch Dr. Johannes Öhlböck LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen (zuletzt) EUR 20.000 sA, über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 15.000) gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 16.4.2024, **–87, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.827,12 (darin EUR 304,52 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig .
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist als Kommanditist zu 41,2% an der C* KG („ Gesellschaft “) beteiligt. Der Beklagte hält als selbständig vertretungsbefugter Komplementär 58,8% der Anteile an dieser Gesellschaft.
Geschäftszweig der Gesellschaft ist der Betrieb der redaktionellen Website D*.
Im Gesellschaftsvertrag ist festgehalten, dass die Gesellschafter ihre Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung oder schriftlich im Umlaufweg fassen, Beschlüsse nur bei Einstimmigkeit als angenommen gelten und bei Wunsch nach Verkauf einzelner oder aller Firmen-Assets eine Gesellschafterversammlung einberufen werden muss.
Nach Mitte November 2019 verkaufte die Gesellschaft, vertreten durch den Beklagten, die Website D* samt allen darauf verfügbaren Inhalten um EUR 20.000.
Dazu wurde weder eine Gesellschafterversammlung einberufen noch ein schriftlicher Umlaufbeschluss gefasst. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Kläger bei einem Telefonat mit dem Beklagten am 14.11.2019 dem Abschluss des Vertrags über den Verkauf „des Unternehmens“ (richtig: der unter der Domain D* betriebenen Website) zustimmte. Der Kläger hat dem Beklagten aber zu verstehen gegeben, dass er zu einem Kaufpreis von EUR 20.000 mit dem Verkauf nicht einverstanden ist.
Anlässlich des Verkaufs wurden publikumswirksame Maßnahmen, wie etwa die Erstellung eines Exposés, nicht ergriffen. Wäre ein Exposé erstellt und die Website damit publikumswirksam angepriesen worden, hätte der Kläger einem Verkauf der Website für den danach erzielbaren Verkaufspreis zugestimmt. Für die Erstellung des Exposés hätte ein externer Dienstleister beigezogen werden müssen, wofür – exklusive Layouting, das der Kläger hätte machen können – Kosten von EUR 5.000 angefallen wären.
Der Kläger begehrt mit actio pro socio vom Beklagten zuletzt die Zahlung von EUR 20.000 Schadenersatz an die Gesellschaft mit der wesentlichen Begründung, der Beklagte habe – entgegen den Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag - ohne Zustimmung oder Mitwirkung des Klägers die Website D* verkauft. Der Beklagte habe die Website um EUR 20.000 netto weit unter ihrem Wert verkauft. Es hätte ein Verkaufspreis von EUR 40.000 erzielt werden können. Die Nichterstellung eines Verkaufsexposés durch den Beklagten begründe ein grobes Verschulden, weswegen der Gesellschaft neben dem positiven Schaden auch der entgangene Gewinn zu ersetzen sei. In eventu, sofern das Gericht zur Ansicht gelangen sollte, dass dem Beklagten nur ein leichtes Verschulden vorzuwerfen sei, werde vorgebracht, dass ein positiver Schaden vorliege.
Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, der Kläger habe dem Verkauf und dem Kaufpreis zugestimmt. Der Kaufpreis sei angemessen gewesen und dem Kläger und der Gesellschaft sei kein Schaden entstanden. Weder der Kläger noch der Beklagte hätten über die für die Erstellung eines Exposés erforderlichen fachlichen Kompetenzen verfügt, weshalb ein externer Berater beigezogen werden hätte müssen. Dafür hätten im Unternehmen nicht vorhandene Mittel bereitgestellt werden müssen, weshalb sich auch unter Berücksichtigung eines Exposés kein höherer Verkaufserlös ergeben hätte.
Mit dem – im zweiten Rechtsgang ergangenen – angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren im Umfang von EUR 5.000 statt und wies das Mehrbegehren von EUR 15.000 ab. Ausgehend von den eingangs der Entscheidung stark zusammengefasst wiedergegebenen und auf den Seiten 1 bis 2 und 3 bis 7 ersichtlichen Festellungen, auf die im übrigen verwiesen wird, ging es rechtlich davon aus, dass der Verkauf der Website nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags einen Beschluss der Gesellschafter unter Einstimmigkeit in persönlicher Anwesenheit oder im schriftlichen Umlaufweg erfordert hätte. Da der Beklagte ohne Zustimmung des Klägers gehandelt habe, habe er gegen die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags verstoßen. Überdies sei der Beklagte als Komplementär zur ordnungsgemäßen und gewissenhaften Geschäftsführung verpflichtet gewesen und wäre es geboten gewesen, den Verkauf der Website entsprechend publikumswirksam anzupreisen, was der Beklagte aber pflichtwidrig unterlassen habe.
Unter Berücksichtigung der für das Exposé in Anschlag zu bringenden Ausgaben von EUR 5.000 und dem unter Einhaltung der gebotenen Sorgfalt erzielbaren Preis von EUR 30.000, der den tatsächlichen Verkaufspreis um EUR 10.000 übersteige, betrage der Schaden daher EUR 5.000. Dabei handle es sich um einen positiven Schaden, der bereits bei leichter Fahrlässigkeit zu ersetzen sei. Selbst wenn man nicht vom Vorliegen eines positiven Schadens, sondern (bloß) von entgangenem Gewinn ausginge, wäre dieser aber hier aufgrund des groben Verschuldens des Beklagten zu ersetzen.
Gegen die Abweisung des Mehrbegehrens von EUR 15.000 richtet sich die Berufung des Klägers aus den Gründen der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf gänzliche Klagsstattgebung gerichteten Abänderungsantrag; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1.1 In der Beweisrüge bekämpft der Kläger die Festellung, wonach bei publikumswirksamer Anpreisung des Verkaufsgegenstands mithilfe eines Exposés ein Kaufpreis von EUR 30.000 erzielbar gewesen wäre (US 7), und begehrt stattdessen die Ersatzfeststellung, dass diesfalls ein Kaufpreis von EUR 40.000 erzielbar gewesen wäre.
Das Erstgericht habe die bekämpfte Festellung auf das Sachverständigengutachten gestützt. Da der Sachverständige auf die Frage nach dem tatsächlich angemessenen Kaufpreis ausgeführt hat, dass – unter der Annahme der Veröffentlichung bzw Erstellung und Verteilung eines Exposés an interessierte Parteien – ein Verkaufserlös von EUR 40.000 zu erzielen gewesen wäre, sei die Beweiswürdigung des Erstgerichts nicht nachvollziehbar.
1.2 Das Erstgericht begründete die bekämpfte Feststellung wie folgt (US 9 f):
„ Die im Hinblick auf die gebotene Erstellung des Exposés und die damit verbundene Erhöhung des erzielbaren Kaufpreises getroffenen Feststellungen basieren im Wesentlichen auf dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen […], der sein fundiertes Gutachten auch im Rahmen der ausführlichen Erörterung weiter widerspruchsfrei darlegen und vertiefend erklären konnte, sodass keine Zweifel an den vom Sachverständigen gezogenen Schlüssen bestehen. Insbesondere konnte durch die Gutachtenserörterung bezüglich der vom Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten getätigten Aussagen, dass der erzielte Kaufpreis von EUR 20.000 in einem angemessenen, aber niedrig wirkenden Bereich liege und durch die – daher auch nicht lege artis erfolgte – Veräußerung ohne Erstellung eines Exposés mit nicht konkret bezifferbaren, negativen Auswirkungen zu rechnen sei, andererseits unter den Annahmen einer Veröffentlichung eines Exposés sowie eines wohlwollenden Käufers ein Verkaufserlös mit einer Steigerung bis ca. EUR 40.000 denkmöglich erscheine, dahingehend geklärt und präzisiert werden, dass es sich bei diesen Einschätzungen des Sachverständigen um eine Bandbreite handelte, wobei die Erzielbarkeit eines höheren Kaufpreises als EUR 20.000 mit hoher Wahrscheinlichkeit angegeben wurde, die Erzielbarkeit eines Kaufpreises von EUR 40.000 hingegen zwar als denkmöglich, dies jedoch bloß mit geringer Wahrscheinlichkeit, während die Erhöhung eines Kaufpreises auf EUR 30.000 durch die Erstellung des – allerdings mit den festgestellten Kosten verbundenen Exposés – vom Sachverständigen als am wahrscheinlichsten bezeichnet wurde und somit entsprechend der auf dieser Basis vom Gericht gewonnenen Überzeugung auch den Feststellungen zu Grunde zu legen war. “
1.3 Diese ausführliche und nachvollziehbar begründete Beweiswürdigung kann durch den pauschalen Verweis auf eine einzelne aus dem Zusammenhang gerissene Aussage des Sachverständigen nicht erschüttert werden. Der Kläger lässt völlig außer Acht, dass der Sachverständige die Erzielung eines Kaufpreises von EUR 30.000 für „wahrscheinlich“ und die Erzielung eines Kaufpreises von EUR 40.000 für „möglich“ hielt, jedoch „mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit davon auszugehen“ sei (ON 78.5, 23). Gründe, die Zweifel an der Würdigung des Erstgerichts, dass es aufgrund dessen zu der Überzeugung gelangt sei, dass EUR 30.000 „am wahrscheinlichsten“ zu erzielen gewesen wären, bringt der Kläger nicht vor. Er kann damit keine stichhaltigen Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts ins Treffen führen (vgl Rechberger in Fasching/Konecny ³ § 272 ZPO Rz 4 ff). Auch vor dem Hintergrund, dass für den Beweis des hypothetischen Kausalverlaufs bei einer (angeblichen) Schädigung durch Unterlassen das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausreicht (RS0110701 [T11]; RS0022700 [T5]), ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden.
1.4 Das Berufungsgericht übernimmt daher den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt und legt ihn nach § 498 Abs 1 ZPO seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde.
2.1 In der Rechtsrüge wendet sich der Kläger gegen die Beurteilung des Erstgerichts, dass die für die Erstellung des Exposés aufzuwendenden Kosten von EUR 5.000 bei der Schadensberechnung abzuziehen seien. Für diesen Abzug bestehe keine rechtliche Grundlage. Aufgrund der dem Beklagten anzulastenden groben Fahrlässigkeit hätte der erzielbare Kaufpreis ohne Abzug für die Erstellung des Exposés herangezogen werden müssen.
2.2 Ein Schadenersatzanspruch kann einerseits subjektiv-konkret, andererseits objektiv-abstrakt berechnet werden:
Bei subjektiv-konkreter Berechnung sind alle Auswirkungen und damit auch tatsächliche Entwicklungen nach Eintritt des schädigenden Ereignisses auf das Vermögen des Geschädigten zu beachten (RS0030119; RS0030138). Im Rahmen einer solchen Betrachtung hat der Schädiger den Geschädigten grundsätzlich so zu stellen, wie er „heute“ ohne das schädigende Ereignis stünde, wobei der maßgebliche Vergleichszeitpunkt – in der Regel – der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ist (RS0030153 [T35]).
Bei objektiv-abstrakter Berechnung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschädigung (RS0022715) maßgebend. Zudem ist unerheblich, ob der Geschädigte die Sache nach Eintritt des Schadens veräußert hat und welchen Erlös er dafür erzielte (RS0030369; RS0030329). Abzustellen ist auf die Differenz des gemeinen Werts der Sache (RS0030119), die nach überwiegender Rechtsprechung selbst dann zuzusprechen ist, wenn das subjektiv berechnete Interesse geringer wäre (RS0030075).
Der hier interessierende Unterschied liegt also darin, dass bei subjektiv-konkreter Berechnung auf alle Veränderungen in der gesamten Vermögenslage des Geschädigten abgestellt wird, während sich der objektiv-abstrakt berechnete Schaden aus der Differenz des gemeinen Werts des beschädigten Rechtsguts vor und nach der Beschädigung ohne Rücksicht auf die Rückwirkungen des Schadensereignisses auf das sonstige Vermögen des Geschädigten ergibt.
2.3 Die Rechtsprechung berechnet den Schaden grundsätzlich objektiv-abstrakt. Die objektiv-abstrakte Schadensberechnung beruht dogmatisch auf dem Gedanken der Rechtsfortwirkung des verletzten Rechtsguts, das in seinem Ersatzanspruch fortlebt: An die Stelle des zerstörten Rechtsguts tritt der Anspruch gegen den Schädiger auf Ersatz des objektiven Werts des Rechtsguts (vgl 6 Ob 244/12v [Erw 3.6.]). Das setzt aber voraus, dass ein gegenwärtiges Rechtsgut beeinträchtigt wird, weil ein noch nicht bestehendes Rechtsgut auch nicht fortwirken kann. Bei reinen Vermögensschäden lehnt die jüngere Rechtsprechung demgemäß eine objektiv-abstrakte Schadensberechnung als ausnahmsloses Grundprinzip ab (vgl 1 Ob 46/11p; 6 Ob 244/12v; 6 Ob 7/15w). Auch nach der Lehre scheidet in diesem Fall eine objektiv-abstrakte Schadensberechnung aus (zu all dem 10 Ob 22/24v [24] mwN).
2.4 Da der Kläger im Anlassfall einen reinen Vermögensschaden geltend macht, kann der Schaden der Gesellschaft nur subjektiv-konkret berechnet werden. Der Schaden ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln; es ist zunächst der hypothetische heutige Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögenswert abzuziehen (RS0030153).
2.5 Der Vermögensstand der Gesellschaft ohne schädigendes Ereignis wäre um die zu lukrierende Kaufpreisdifferenz von EUR 10.000 erhöht gewesen, aber gleichzeitig um das dazu notwendig von der Gesellschaft zu zahlende Honorar für die Erstellung des Exposés gemindert worden. Daher nahm das Erstgericht zu Recht den Abzug von EUR 5.000 bei der Schadensberechnung vor.
2.6 Auf die Ausführungen des Klägers zum Verschuldensgrad ist mangels Relevanz nicht mehr einzugehen. Im Übrigen ist dazu festzuhalten, dass das Erstgericht ohnehin von grober Fahrlässigkeit des Beklagten ausging.
3.1 Der Kläger rügt als sekundären Feststellungsmangel, dass festgestellt hätte werden müssen, dass bei Erstellung eines Exposés ein Verkaufserlös von EUR 40.000 erzielt hätte werden können.
Dieser „angemessene“ Kaufpreis erfülle zwar nicht die Voraussetzungen für die Ersatzfähigkeit bei einem positiven Schaden, zumal hierfür der Gewinn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten müsse, wohl aber dem Erfordernis hinsichtlich des Ersatzes des entgangenen Gewinns. Der entgangene Gewinn müsse (nur) nach dem „gewöhnlichen Lauf der Dinge“ objektiv zu erwarten gewesen sein.
3.2 Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]). Werden nämlich zu einem bestimmten Thema (positive oder negative) Feststellungen getroffen, so ist es ein Akt der Beweiswürdigung, wenn die vom Rechtsmittelwerber gewünschten (abweichenden) Feststellungen nicht getroffen werden (RS0053317 [T3]).
3.3 Hier hat das Erstgericht aber Feststellungen zum zu erzielenden Verkaufserlös getroffen, sodass kein sekundärer Feststellungsmangel vorliegt.
3.4 Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass unter entgangenem Gewinn die unterbliebene Vermögensvermehrung durch Vernichtung einer Erwerbschance verstanden wird (vgl RS0030452). Es handelt sich also um die Beeinträchtigung einer Gewinnaussicht, die der Geschädigte nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gehabt hätte. Einen solchen Schaden macht der Kläger aber gar nicht geltend, wenn er den Schaden aufgrund eines zu geringen Kaufpreises begehrt.
4. Der Berufung war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Die ordentliche Revision war mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen.