JudikaturOLG Innsbruck

4R113/25m – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
Vertragsrecht
03. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hat durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Prantl als Vorsitzende sowie die Richter des Oberlandesgerichts Mag. Schallhart und Mag.Tögel als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A* , vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wider die beklagte Partei B* SE , vertreten durch Themmer, Toth Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, wegen Feststellung (Streitwert: EUR 30.000,--), über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 30.000,--) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 2.6.2025, ** 13, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird keine Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagsvertreters binnen 14 Tagen die mit EUR 3.138,12 (darin EUR 523,02 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 5.000,--, nicht jedoch EUR 30.000,--.

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger macht Liegenschafts-Rechtsschutz geltend. Berufungsgegenständlich sind die Frage der Vor- oder Nachvertraglichkeit und ob der Kläger entgegen § 33 Abs 1 VersVG verspätet Schadensmeldung erstattet bzw seine Auskunftspflicht nach § 34 Abs 1 VersVG verletzt hat.

Der Kläger war bei der Beklagten vom 19.12.2011 bis 1.1.2022 rechtsschutzversichert. Diesem Vertrag lagen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2003) zugrunde. Diese lauten auszugsweise wie folgt (vom Berufungsgericht teilweise ergänzt aus der unstrittigen Beilage 1 – zu dieser Vorgangsweise vgl RS0121557):

„Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

(...)

2. Im Beratungs-Rechtsschutz (Artikel 19.3.) und in bestimmten Fällen des Liegenschafts-Rechtsschutzes (Artikel 25.4.) sowie des Rechtsschutzes in Familienrechtssachen (Artikel 27.4.) gelten die dort beschriebenen Sonderregelungen.

3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben. (...)

Artikel 3

Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung (Zeitlicher Geltungsbereich)

1. Die Versicherung erstreckt sich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten.

(…)

Artikel 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

(…)

7. Die Leistungspflicht des Versicherers ist begrenzt wie folgt:

7.1. Die Höchstgrenze der vom Versicherer in einem Versicherungsfall für den Versicherungsnehmer (…) zu erbringenden Leistungen bildet die im Zeitpunkt des Versicherungsfalles laut Vertrag gültige Versicherungssumme.

7.2. Bei mehreren Versicherungsfällen, die einen ursächlich zusammenhängenden, einheitlichen Vorgang darstellen, steht die Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung. Ihre Höhe bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des ersten Versicherungsfalles.

(…)

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

(…)

2. Vom Versicherungsschutz sind ferner ausgeschlossen

(…)

2.6. Versicherungsfälle, die der Versicherungsnehmer vorsätzlich und rechtswidrig herbeigeführt hat, (…)

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

(...)

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei.

(…)

Artikel 25

Liegenschafts-Rechtsschutz

(…)

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1. die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Verfahren vor Gerichten

(...)

2.1.3 aus dinglichen Rechten am versicherten Objekt

(…)

4. Was gilt als Versicherungsfall?

Bei der Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit nachbarrechtlichen Ansprüchen aufgrund allmählicher Einwirkungen gilt der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem die allmählichen Einwirkungen begonnen haben oder begonnen haben sollen, das ortsübliche Maß zu übersteigen. In allen übrigen Fällen gelten die Regelungen des Artikels 2. (...)“

Der Kläger ist Eigentümer einer Liegenschaft bestehend aus zwei Grundstücken, den herrschenden Grundstücken. Auf einem dieser Grundstücke befindet sich sein Wohnhaus. Eigentümerin des angrenzenden dienenden Grundstücks ist seit 2016 die Nachbarin des Klägers. Auf dem dienenden Grundstück ist seit dem Jahr 1981 die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens zu Gunsten der Grundstücke des Klägers grundbücherlich einverleibt.

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28.12.2018 zu C* wurde der Kläger gegenüber der Nachbarin dazu verpflichtet, das Halten und Parken von Kraftfahrzeugen und jede ähnliche derartige Störung auf dem Nachbargrundstück zu unterlassen, sowie insbesondere auf seine Ehegattin, seine Angehörigen und auf Besucher seiner Liegenschaft derart einzuwirken, dass diese das Halten und Parken von Kraftfahrzeugen und ähnliche Störungen unterlassen.

In der Woche vom 25.5. bis 1.6.2023 ließ der Kläger auf seinem Dach eine Photovoltaik-Anlage errichten. In dieser Zeit befand sich der Kläger auf Reisen. Er wies die beauftragte Firma ausdrücklich an, dass die Fahrzeuge nicht auf das Grundstück der Nachbarin hineinragen und dort nicht abgestellt werden dürfen. Die beauftragte Firma hielt sich nicht an diese Beschränkungen. Der Kläger erfuhr davon erstmals in der von seiner Nachbarin gegen ihn eingebrachten Klage.

Mit dieser am 10.7.2023 beim Landesgericht Innsbruck zu D* eingebrachten Klage (Ausgangsverfahren) begehrt die Nachbarin zwischen ihr und dem Kläger festzustellen, dass die auf ihrem Grundstück einverleibte Dienstbarkeit des Fahrens aus wichtigem Grund erloschen und der Kläger zur Einwilligung in die Löschung verpflichtet sei. Ihre Klage begründet die Nachbarin zusammengefasst damit, dass seit dem Unterlassungsurteil vom 28.12.2018 zu C* der Kläger und ihm zuzurechnende Personen unzählige Male gegen den Exekutionstitel verstoßen hätten, und diesbezüglich insbesondere in den Jahren 2019, 2020 und 2021 näher bezeichnete Exekutions- und Impugnationsverfahren sowie eine Unterlassungsklage anhängig gewesen seien. Der Kläger versuche ständig die Dienstbarkeit des Fahrens auf eine des Haltens und Parkens auszuweiten und behaupte, dass es ihm nicht möglich sei, das Urteil vom 28.12.2018 gegenüber anderen Personen durchzusetzen. Der Kläger habe seine Liegenschaft mittlerweile im unteren Teil verkehrsmäßig – samt Garage und Parkplätzen – erschlossen. Die ehemalige Doppelgarage, zu der über den Servitutsweg zugefahren worden sei, sei in einen Wohnraum umgebaut worden. Die Zweckmäßigkeit der Dienstbarkeit des Fahrens sei weggefallen. Vom 25.5. bis 1.6.2023 habe sich der aktuelle Anlassfall ereignet. Der Kläger habe eine große Photovoltaikanlage montieren lassen. Die Montagefirmen hätten das Grundstück der Nachbarin zugeparkt. Dies habe die Ignoranz des Klägers gegenüber seiner Nachbarin auf die Spitze getrieben. Der Kläger habe auch keine Bauanzeige erstattet und dadurch die Nachbarin ihrer öffentlich-rechtlichen Nachbarrechte beraubt. Am 1.6.2023 sei die Baustelle von der Baubehörde ruhend gestellt worden. Das Fahrrecht sei der Nachbarin nicht mehr zumutbar.

Mit Schreiben vom 3.8.2023 fragte der Klagsvertreter unter Beischluss der Klage und der Klagebeantwortung zu D* bei der Beklagten um Rechtsschutzdeckung an. Mit Schreiben vom 7.8. und 13.9.2023 lehnte die Beklagte die Deckung ab. Die Beklagte forderte vom Kläger keine weiteren Informationen.

Von diesem zusammengefassten, nicht wörtlich wiedergegebenen Sachverhalt ist im Berufungsverfahren auszugehen (§ 498 Abs 1 ZPO).

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten aus dem Versicherungsbaustein „Liegenschafts-Rechtsschutz“ (Art 25 ARB 2003). Die Deckungsablehnung sei unberechtigt. Vorvertraglichkeit liege nicht vor. Die Nachbarin sei erst seit 2016 Eigentümerin des dienenden Grundstücks. Dass die Zweckmäßigkeit der Dienstbarkeit des Fahrens nicht schon im Jahr 2002 weggefallen sei, ergebe sich aus dem Verfahren C*. Dort sei das Hauptbegehren auf Feststellung des Erlöschens der Dienstbarkeit abgewiesen worden. Auch Nachvertraglichkeit liege nicht vor. Die Klage zu D* beziehe sich auf Verstöße gegen das Unterlassungsurteil zu C* vom 28.12.2018, die vom Kläger vor Beendigung des Rechtsschutzversicherungsvertrags gesetzt worden seien. Die Klagserzählung stelle nicht nur auf die Montage der Photovoltaik-Anlage vom 25.5. bis 1.6.2023 ab. Es bestehe kein andauerndes Zuwiderhandeln des Klägers gegen das Urteil C* vom 28.12.2018. Der Kläger sei seiner Unterlassungsverpflichtung durch das Anbringen eines Hinweisschildes und durch die Aufklärung seiner Familienmitglieder und Bekannten ausreichend nachgekommen. Die Nachfolge-Rechtsschutzversicherung des Klägers habe die Deckung abgelehnt, da der ursächliche Verstoß vor dem 1.1.2022 gesetzt worden sei.

Die Schadensmeldung sei nicht grob schuldhaft verspätet erfolgt, auch eine grob schuldhafte Verletzung der Auskunftsobliegenheit liege nicht vor. Das Verfahren D* sei bei Verständigung der Beklagten bereits eingeleitet gewesen. Zur Fristwahrung habe der Kläger in diesem Passivprozess eine Klagebeantwortung erstatten müssen. Er habe die Beklagte mit Schadensmeldung vom 3.8.2023 unter Anschluss der Klage und der Klagebeantwortung vollumfänglich informiert. Am 1.6.2025 habe der Kläger die Beklagte noch nicht informieren müssen. Weitergehende Auskünfte habe die Beklagte nicht verlangt. Auf die Versicherungsleistung habe eine allfällige Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss gehabt. Eine Möglichkeit das Verfahren außergerichtlich zu erledigen oder sich über kostenauslösende Maßnahmen abzustimmen, habe nicht mehr bestanden. Auf Leistungsfreiheit nach § 6 Abs 3 VersVG könne sich die Beklagte nicht berufen.

Die Beklagte bestritt, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und wendete ein, dass Vorvertraglichkeit vorliege, da die Servitut des Fahrens ihre Zweckmäßigkeit bereits 2002 verloren habe, als mit dem Umbau der Doppelgarage in Wohnraum begonnen worden sei. Nachvertraglichkeit liege vor, weil für die Klagsführung zu D* der aktuelle Anlassfall vom 25.5.2023 bis 1.6.2023 ausschlaggebend gewesen sei.

Der Kläger habe gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Schadensmeldung nach § 33 VersVG verstoßen. Den nachvertraglichen Vorfall vom 25.5.2023 bis 1.6.2023 hätte er der Beklagten unverzüglich melden müssen. Der Kläger habe auch grob schuldhaft gegen die Auskunftsobliegenheit nach Art 8.1.1 ARB verstoßen. Er habe die Beklagte vor vollendete Tatsachen gestellt, indem er dieser die Klage samt Klagebeantwortung ohne weitere Angaben zur Selbstinformation zugemittelt habe. Innerhalb der vierwöchigen Klagebeantwortungsfrist hätte der Sachverhalt umfassend und vollständig gemeldet werden können.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Dabei ging es vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt aus.

In rechtlicher Hinsichtführte es aus, dass sich die Klage im Ausgangsverfahren auf das Urteil zu C* vom 28.12.2018 und auf nachfolgende Verstöße berufe. Nach Art 2.3 ARB 2003 sei der Versicherungsfall daher in der Vertragslaufzeit eingetreten. Der aktuelle – nachvertragliche – Anlassfall vom 25.5. bis 1.6.2023 habe „das Fass nur zum Überlaufen gebracht“. Von einer verspäteten Schadensmeldung und Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 33 VersVG könne nicht ausgegangen werden, da der Versicherungsfall ja bereits während aufrechter Vertragslaufzeit eingetreten sei, und nicht erst in der Zeit vom 25.5. bis 1.6.2023. Auch eine Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.1 ARB 2023 liege nicht vor. Der Kläger habe der Beklagten am 3.8.2023 mit der Deckungsanfrage die Klage zu D* samt Klagebeantwortung übermittelt. In ihren Ablehnungsschreiben habe die Beklagte keine weiteren Informationen vom Kläger gefordert. Die Deckungspflicht der Beklagten sei daher zu bejahen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf gänzliche Klagsabweisung gerichteten Abänderungsantrag.

Der Kläger beantragt in seiner Berufungsbeantwortung, in der er selbst einen sekundären Feststellungsmangel geltend macht, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Zur zeitlichen Einordnung des Versicherungsfalls

1.1 Wie bereits in erster Instanz macht die Beklagte in ihrer Rechtsrüge geltend, dass entweder Vor- oder Nachvertraglichkeit vorliege. Die Doppelgarage sei bereits 2002 zu Wohnraum umgebaut worden. Gehe man – wie vom Erstgericht angedeutet – von einem Dauerverstoß des Klägers aus, sei Vorvertraglichkeit gegeben. Hinsichtlich der Nachvertraglichkeit übersehe das Erstgericht, dass der aktuelle Anlassfall vom 25.5. bis 1.6.2023 ein selbstständiger rechtlicher Verstoß sei. Die Nachbarin habe im Ausgangsverfahren erstmals die Verletzung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen ins Treffen geführt. Dieser Verstoß sei gänzlich neu und zur Gänze nachvertraglich eingetreten. Beim Kläger habe kein Tatverwirklichungszusammenhang im Sinn eines einheitlichen Vorsatzes über viele Jahre hinweg vorgelegen.

1.2 Dazu ist festzuhalten, dass der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vorliegt, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Ein Verstoß ist das Handeln gegen eine gesetzliche oder vertragliche Rechtspflicht oder das Unterlassen eines rechtlich gebotenen Tuns, also ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann (RS0114001).

1.3 Nach Art 2.3 ARB 2003 ist bei mehreren Verstößen der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich.

1.4 Ist kein einheitliches Verstoßverhalten des Schädigers erkennbar, handelt es sich bei einzelnen schädigenden Verhalten jeweils um einen rechtlich selbständigen neuen Verstoß. Die Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalles im versicherten Zeitraum trifft in einem solchen Fall den Versicherungsnehmer. War nach der Sachlage schon beim ersten Verstoß mit weiteren gleichartigen Verstößen zu rechnen, liegen in der Regel nicht mehrere selbständige Verstöße, sondern ein einheitlicher Verstoß im Rechtssinn vor. Dies kann sowohl bei vorsätzlichen Verstößen der Fall sein, bei denen der Wille des Handelnden von vornherein den Gesamterfolg umfasst und auf dessen "stoßweise Verwirklichung" durch mehrere gleichartige Einzelhandlungen gerichtet ist, wie auch bei Fällen gleichartiger fahrlässiger Verstöße, die unter wiederholter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen werden. (RS0111811).

1.5 Für die zeitliche Festlegung des Versicherungsfalls kommt es grundsätzlich auf die Behauptungen in dem Verfahren an, für das Rechtsschutz begehrt wird („Ausgangsverfahren“), nicht hingegen auf einen davon abweichenden Deckungsprozess (7 Ob 207/24b, 7 Ob 127/16a; RS0114001 [T31]).

1.6 Dem Argument der Vorvertraglichkeitist entgegenzuhalten, dass die Nachbarin erst im Jahr 2016, also während der Vertragslaufzeit, Eigentum am Nachbargrundstück erlangte. Dazu, dass es bereits davor, nämlich ab dem Jahr 2002, Nachbarschaftsstreitigkeiten gegeben habe, liegen kein Vorbringen und keine Anhaltspunkte vor (vgl auch PV Kläger, ON 12, S 7 oben).

1.7 Ausgehend von der oben dargestellten Rechtsprechung hat das Erstgericht zur Nachvertraglichkeit zutreffend auf die Klagsbehauptungen im Verfahren D* abgestellt. Zwar ist richtig, dass in der Klage auch der Anlassfall von Mai/Juni 2023 und erstmals ein öffentlich-rechtlicher Verstoß (unterlassene Bauanzeige) geltend gemacht wurden. Aus der Klage im Ausgangsverfahren ergibt sich jedoch klar, dass vor allem die behaupteten Verstöße gegen den Exekutionstitel vom 28.12.2018 in den Jahren 2019, 2020 und 2021 ausschlaggebend waren, um das Erlöschen des Fahrrechts und dessen Unzumutbarkeit für die Nachbarin zu untermauern. Diese Verstöße samt nachfolgenden Gerichtsverfahren lagen großteils innerhalb der Laufzeit des Rechtsschutzversicherungsvertrags mit der Beklagten. Unter Anwendung des Art 2.3 ARB 2003 ist das Erstgericht zutreffend zur Rechtsansicht gelangt, dass der erste adäquate Verstoß gegen den Exekutionstitel innerhalb der Laufzeit des Versicherungsvertrags eintrat, und daher keine Nachvertraglichkeit vorliege.

1.8 Ein festgestellter einheitlicher Tatvorsatz des Klägers für diese Verstöße und Gerichtsverfahren ist keine Voraussetzung für die Anwendung des Art 2.3 ARB 2003. Art 2.3 ARB 2003 selbst verlangt keinen einheitlichen Vorsatz, die Bestimmung stellt nur auf adäquat ursächliche Verstöße ab. Nach den Klagsbehauptungen im Ausgangsverfahren hängen die monierten Verstöße alle ursächlich mit dem Unterlassungsurteil vom 28.12.2018 zusammen. Zudem würde auch nach der oben zitierten Rechtsprechung die fahrlässige wiederholte Außerachtlassung derselben Pflichtenlage genügen (RS0111811). Es liegt daher weder Vor- noch Nachvertraglichkeit vor.

2. Zur behaupteten verspäteten Schadensmeldung

2.1 Die Beklagte macht geltend, dass der Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung im Ausgangsverfahren vom 11.7.2023 stamme (Beilage 4). Der Klagsvertreter habe die Klage vier Wochen lang in Händen gehalten, ohne die Beklagte zu informieren. Nach Vertragsende dürfe nach höchstgerichtlicher Judikatur nicht vier Wochen lang mit der Schadensmeldung zugewartet werden. Zudem hätte der Kläger die Beklagte bereits am 1.6.2023 über den Baustopp informieren müssen. Die Schadensmeldung vom 3.8.2023 sei grob schuldhaft verspätet.

2.2 Mit dieser Argumentation bezieht sich die Beklagte auf § 33 Abs 1 VersVG. Nach dieser Bestimmung hat der Versicherungsnehmer den Eintritt des Versicherungsfalls, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat, unverzüglich dem Versicherer anzuzeigen. Wird dagegen verstoßen, normiert Art 8.1.1 ARB iVm Art 8.2 ARB 2003 unter Hinweis auf § 6 VersVG Leistungsfreiheit des Versicherers.

2.3 Nach Ende eines Rechtsschutzversicherungsvertrags gilt die in § 33 Abs 1 VersVG iVm Art 8.1.1 ARB 2003 normierte Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige uneingeschränkt. Der Versicherungsnehmer hat nach ständiger Rechtsprechung alle Versicherungsfälle von denen er erfährt dem Versicherer unverzüglich zur Kenntnis zu bringen, und nicht mit der Anspruchsverfolgung zu zögern oder zuzuwarten bis sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen (vgl 7 Ob 31/20i, 7 Ob 206/19y; vgl RS0105784 [T8]). Der Oberste Gerichtshof erachtete eine Schadenmeldung innerhalb weniger Tage für unverzüglich (vgl 7 Ob 250/01t), bei einem Zeitraum von rund zwei Wochen hat er dies bereits verneint (7 Ob 59/24p unter Hinweis auf 7 Ob 48/80, 7 Ob 2/21a, 7 Ob 25/22k).

2.4 Bei der Obliegenheit nach § 33 Abs 1 VersVG iVm Art 8.1.1 ARB 2003 handelt es sich um eine Obliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls im Sinn des § 6 Abs 3 VersVG. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RS0116978).

2.5 § 6 Abs 3 VersVG sieht folgendes Regelungsregime vor: Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RS0081313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RS0043728 [insb T4], RS0081313 [T21]). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RS0116979). Dass – bei grob fahrlässiger Begehung der Obliegenheitsverletzung – diese weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat, ist vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RS0081313, RS0043728). Der Versicherungsnehmer hat den Beweis der fehlenden Kausalität seiner Obliegenheitsverletzung strikt zu führen; es ist nicht etwa nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun (RS0079993, RS0081313). Nur der Versicherungsnehmer, der eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), verwirkt den Anspruch, und ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen (RS0081253 , RS0109766).

2.6 Zunächst geht das Argument der Berufungswerberin, dass der Kläger den Schaden bereits am 1.6.2023 melden hätte müssen, ins Leere. Es steht unbekämpft fest, dass der Kläger von den Verstößen der Baufirma erst durch die Klage im Verfahren D* erfuhr. Dass die Baupolizei den Bau ruhend stellte, musste der Kläger der Beklagten ebenfalls noch nicht am 1.6.2023 melden. Zum einen steht nicht fest, wann der Kläger tatsächlich von dem Baustopp erfuhr. Zum anderen gibt es auch keine Feststellungen dazu, ob der Kläger die Einstellung des Baus überhaupt mit den nachbarschaftsrechtlichen Streitigkeiten in Verbindung bringen musste.

2.7 Aus dem Akt D* kann ohne Beweisergänzung durch das Berufungsgericht nachgetragen werden (vgl RS0121557), dass dem Kläger die Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung am 17.7.2023 durch Hinterlegung zugestellt wurde, und dieser die Schriftstücke am 22.7.2023 übernahm (Zustellnachweise zu ON 2 im Verfahren D*). Legt man den 17.7.2023 als Tag der Klagszustellung zugrunde, dann wurde die Beklagte mit 3.8.2023 erst nach 17 Tagen vom Verfahren verständigt. Dies indiziert - im hier vorliegenden Fall eines bereits abgelaufenen Rechtsschutzversicherungsvertrags - eine objektive Verletzung der Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung des Versicherungsfalls.

2.8 In diesem Zusammenhang ist aber festzuhalten, dass die oben zitierte Judikatur zur Schadenmeldungspflicht binnen weniger Tage zu Aktivprozessen erging. Der hier vorliegende Fall betrifft einen Passivprozess , dem bereits zahlreiche gerichtliche Verfahren vorausgegangen waren. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in diesem Fall die rechtzeitige Erstattung der Klagebeantwortung gegenüber einer möglicherweise zeitintensiven Abstimmung mit der Rechtsschutzversicherung vorrangig erschien, um allfällige Säumnisfolgen hintanzuhalten. Wenn der Klagsvertreter im vorliegenden Fall zunächst eine (ausführliche) Klagebeantwortung verfasste und diese dann in schicklicher Frist mit der Klage der Beklagten zur Verfügung stellte, handelte er nach Ansicht des erkennenden Senats nur leicht fahrlässig.

2.9 Selbst wenn diese Vorgangsweise als grob fahrlässig bewertet würde, wäre dem Kläger der Kausalitätsgegenbeweis gelungen. An der Feststellung des Versicherungsfalls hätte sich bei früherer Schadensmeldung nichts geändert, da dieser auf der Klagserzählung im Ausgangsverfahren beruht. Auch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich am Umfang der Leistungspflicht oder der weiteren Vorgangsweise der Beklagten irgendetwas geändert hätte, wenn die Schadensmeldung einige Tage früher erstattet worden wäre. Das Vorbringen des Klägers, dass keine Möglichkeit mehr bestanden habe, das Verfahren außergerichtlich zu erledigen oder sich über kostenauslösende Maßnahmen abzustimmen, blieb von der Beklagten unwidersprochen.

3. Zur behaupteten Verletzung der Auskunftspflicht

3.1 Die Beklagte macht als weitere Obliegenheitsverletzung geltend, dass ihr der Kläger die Klage und die Klagebeantwortung ohne weiteren Kommentar zur „Selbstinformation“ übermittelt habe. Insbesondere habe er nicht mitgeteilt, dass er keine Baubewilligung eingeholt habe und der Bau am 1.6.2023 eingestellt worden sei. Auch hätte er, wie bei seiner Parteieneinvernahme in ON 12, mitteilen müssen, dass seine Kinder und Handwerker nicht auf den Stellplätzen unterhalb des Hauses parken wollten, sondern weiterhin direkt vor das Gebäude vorfahren und dort parken würden. Dass er dies nicht mitgeteilt habe, zeige, dass der Kläger mit dolus coloratus gehandelt habe. Hätte er den Sachverhalt wahrheitsgemäß gemeldet, hätte sich ergeben, dass der Ausschlussgrund des Art 7.2.6 ARB (vorsätzliche und rechtswidrige Herbeiführung des Versicherungsfalls) vorliege.

3.2 Bei Art 8.1.1 ARB 2003 handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine auf die Bedürfnisse des Rechtsschutzversicherers zugeschnittene Ausformung der allgemeinen Auskunftsobliegenheit des § 34 Abs 1 VersVG, wobei der Versicherungsschutz begehrende Versicherungsnehmer diese Auskünfte von sich aus, spontan und ohne konkretes Verlangen des Versicherers zu geben hat (RS0105784 [T2]). Erteilt der Versicherungsnehmer Auskünfte, die dem Versicherer aber nicht genau genug sind, so hat der Versicherer konkret zu sagen, worauf es ihm ankommt (RS0105784 [T3]).

3.3 Aus der unstrittigen Beilage 4 kann ohne weiteres nachgetragen werden (vgl RS0121557), dass die Klagebeantwortung umfassendes, mit zahlreichen Informationen versehenes Bestreitungsvorbringen gegen die Klage im Ausgangsverfahren enthält. Dass keine Bauanzeige erstattet und die Baustelle von der Baubehörde ruhend gestellt worden sei, war ohnehin bereits von der Nachbarin in der Klage vorgebracht worden. Wenn überhaupt, waren diese zusätzlichen Informationen nur leicht fahrlässig unterblieben, sodass dieses Versäumnis nach § 6 Abs 3 VersVG für den Kläger sanktionslos bleibt. Hätte die Beklagte weitere Informationen gewünscht, wäre es an ihr gelegen gewesen, eine konkrete weitere Auskunft zu verlangen. Dies war nicht der Fall.

3.4 Die Beklagte macht erstmals in ihrer Berufung geltend, dass der Kläger mit dolus coloratus gehandelt habe. Dies stellt insofern keine unzulässige Neuerung dar, weil auch für das Vorliegen des „dolus coloratus“, nicht den Versicherer, sondern den Versicherungsnehmer die Behauptungs- und Beweislast trifft, dass die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung nicht in der Absicht erfolgte, den Versicherer zu täuschen, um sich die Versicherungsleistung zu erschwindeln oder die Abwicklung zu erleichtern (RS0081253 [T9]; RS0116979 [T1, T2]; 7 Ob 119/15y mwN).

3.5 Der Vorhalt der Beklagten aus der Parteieneinvernahme des Klägers ist allerdings unrichtig. Dieser führte nur aus, dass die Servitutsfläche noch benutzt werde, wenn Einkäufe ins Haus gebracht würden oder wenn seine Kinder zu Besuch kämen. Die Beklagte übersieht, dass von den unteren Stellplätzen zum Hauseingang des Klägers ein Gehweg mit Höhenunterschied überwunden werden muss, sodass das Zufahren vor das Haus in gewissen Fällen notwendig ist (PV Kläger ON 12). Aus den Lichtbildern im Urteil zu C* ergibt sich zudem, dass ein Parken direkt vor dem Haus des Klägers mit kleinen Autos bzw in Längsrichtung sehr wohl möglich ist (Beilage 7). Auch wurde in der Klagebeantwortung dargestellt, dass der Kläger auf Dritte durch Aufklärung und ein Hinweisschild einwirke, um Störungen der Nachbarin zu vermeiden (Beilage 4). Dolus coloratus liegt nicht vor.

3.6 Auf den Ausschlussgrund des Art 7.2.6 ARB (vorsätzliche und rechtswidrige Herbeiführung des Versicherungsfalls) hat sich die Beklagte in erster Instanz nicht berufen. Es liegt eine unzulässige Neuerung nach § 482 ZPO vor, auf die nicht weiter einzugehen ist.

3.7 Der Berufung war keine Folge zu geben und das angefochtene Urteil zu bestätigen. Damit erübrigt es sich auf den in der Berufungsbeantwortung geltend gemachten sekundären Feststellungsmangel einzugehen, wonach aus Beilage 6 nachzutragen gewesen wäre, dass die Beklagte die Deckungspflicht ausschließlich wegen Vorvertraglichkeit abgelehnt habe.

4. Zur Kostenentscheidung und Revisionszulässigkeit

4.1 Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren stützt sich auf §§ 50, 41 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten der Berufungsbeantwortung richtig verzeichnet.

4.2 Bei der nach § 500 Abs 2 ZPO auszusprechenden Bewertung des Feststellungsbegehrens bestand kein Anlass, von der durch den Kläger vorgenommenen Bewertung abzugehen. Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 5.000,--, nicht jedoch EUR 30.000,--.

4.3 Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO waren nicht zu lösen. Das Berufungsgericht konnte sich an der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur orientieren. Zudem war eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen. Die Voraussetzungen für die Zulassung der (ordentlichen) Revision liegen nicht vor.