7R61/24f – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. in Kraschowetz-Kandolf als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Reautschnig und Mag. Russegger als weitere Senatsmitglieder in der Rechtssache des Antragstellers Dr. A* , Pensionist, pA **, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter B*, dieser vertreten durch Dr. Costantino De Nicolò, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, wegen Verfahrenshilfe , infolge Rekurses der Republik Österreich, vertreten durch den Revisor beim Oberlandesgericht Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 7. Oktober 2024, **-3, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen :
Spruch
Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird teils bestätigt , teils abgeändert , sodass er insgesamt lautet:
„ Dem Antragsteller wird die Verfahrenshilfe zur Gänze im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a, b, c und f sowie Z 3 und Z 5 ZPO
bewilligt .
Der darüber hinausgehende Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auch im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit d und e sowie Z 2 ZPO wird
abgewiesen . “
Die antragstellende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .
Text
BEGRÜNDUNG:
Der Antragsteller begehrte - vertreten durch seinen gesetzlichen Erwachsenenvertreter - die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der einstweiligen Befreiung von
- den Gerichtsgebühren und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren,
- den Kosten von Amtshandlungen außerhalb des Gerichts,
- den Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer und Beisitzer,
- den Kosten notwendiger Verlautbarungen,
- den Kosten eines Kurators (§ 10 ZPO),
- den notwendigen Barauslagen, die von dem vom Gericht bestellten gesetzlichen Vertreter oder von dem der Partei beigegebenen Rechtsanwalt oder Vertreter gemacht worden sind;
- der Sicherheitsleistung für Prozesskosten;
- den Reisekosten (Anreise zur mündlichen Verhandlung) sowie - erkennbar -
im Umfang der vorläufig unentgeltlichen Beigebung eines Rechtsanwalts.
Dazu brachte die antragstellende Partei vor, der Antragsteller sei seit einem Verkehrsunfall am 3.6.2023, bei welchem er als Fußgänger von einem PKW erfasst worden sei, ein Pflegefall und befinde sich im Wachkoma. Da mit der Haftpflichtversicherung des Unfallfahrzeugs keine Einigung habe erzielt werden können, beabsichtige er, einen Schmerzengeldbetrag von EUR 54.190,00 (287 Tage starke Schmerzen à EUR 360,00 = EUR 103.320,00, unter Anrechnung eines Mitverschuldens von ¼ = EUR 77.490,00, abzüglich bereits bezahlter EUR 23.300,00) klagsweise geltend zu machen. Die antragstellende Partei begründete die Notwendigkeit der vorläufig unentgeltlichen Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts mit der bestehenden Anwaltspflicht und wies auch darauf hin, dass der nunmehrige anwaltliche Vertreter ebenfalls bereit sei, als Verfahrenshelfer einzuschreiten.
Aus dem angeschlossenen Vermögensbekenntnis ergibt sich, dass der Antragsteller Pensionist ist, ein Pflegezimmer in einem Pflegeheim bewohnt, für welches er (unmittelbar) nichts zu zahlen hat, und als Einkommen lediglich über Pflegegeld der Stufe 7 iHv EUR 1.879,50 [für 2024 wohl EUR 2.061,80] monatlich verfügt, wovon ihm (nur) ein Taschengeld von EUR 208,05 verbleibt. Als (einziges) Vermögen wird ein Bankkonto mit einem Einlagestand von EUR 15.529,24 genannt. Schulden, Unterhaltsansprüche oder –pflichten bestehen nicht.
Mit dem angefochtenen Beschluss bewilligt das Erstgericht dem Antragsteller die Verfahrenshilfe zur Gänze im beantragten Umfang. Der Beschluss enthält keine Begründung.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Republik Österreich, vertreten durch den Revisor beim Oberlandesgericht Graz, aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung
- aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung (Ermittlung der Pensionseinkünfte des Antragstellers) aufzutragen, in eventu
- dahingehend abzuändern, dass der Verfahrenshilfeantrag im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a, b, d, e und f, Z 2 und (richtig:) Z 5 ZPO (zur Gänze) abgewiesen und die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit c ZPO (nur) insoweit bewilligt werde, als diese Kosten einen Gesamtbetrag von EUR 7.000,00 überstiegen.
Die antragstellende Partei tritt dem Rechtsmittel in einer Rekursbeantwortung entgegen und beantragt, diesem keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist teilweise berechtigt .
Vorab ist klarzustellen, dass gemäß § 428 Abs 1 ZPO Beschlüsse nur dann zu begründen sind, wenn über widerstreitende Anträge entschieden oder ein Antrag abgewiesen wird. Dies gilt grundsätzlich auch in Verfahrenshilfesachen (Klauser/Kodek, JN–ZPO18 § 72 ZPO [Stand 1.9.2018, rdb.at], Rz 7; RI0000001) . Dass hier mangels Anhörung einer Gegenpartei oder des Revisors vor der Beschlussfassung gar keine widerstreitenden Anträge vorliegen konnten, führt zu keiner anderen Beurteilung, weil zumindest im Fall der Beantragung der Verfahrenshilfe vor der Erhebung einer Klage - wie hier - die Prozessgegner gemäß § 65 Abs 2 Satz 2 ZPO nicht in dieses Verfahren einzubeziehen sind und ebenso § 72 Abs 2 sowie Abs 2a ZPO die Einbindung der Gegner und des Revisors (explizit) erst ab der Beschlussfassung vorsehen. In diesem Sinn weist auch Fucik (in Rechberger/Klicka ZPO 5 zu § 72 ZPO, Rz 5) darauf hin, dass das Spektrum eines Rekurses des Revisors gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe durch das - im Rekursverfahren geltende - Neuerungsverbot „reichlich beschränkt“ sei. Soweit ein Teil der Rechtsprechung die Notwendigkeit einer Anhörung der Gegenpartei vor der Beschlussfassung über die Verfahrenshilfe bejaht, bezieht sich dies nur auf Verfahrenshilfeanträge in einem bereits streitanhängigen Verfahren (RW0000895; RL0000045) .
Die Rekurswerberin macht als Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend, der Antragsteller sei laut dem Vermögensbekenntnis Pensionist, habe aber keine Angaben zu seinem Pensionseinkommen gemacht, was zur Einleitung eines Verbesserungsverfahrens durch das Erstgericht hätte führen müssen.
Dem ist zu erwidern:
Nach § 66 Abs 2 ZPO ist über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auf der Grundlage des Vermögensbekenntnisses zu entscheiden. Weitergehende Erhebungen über die Vermögenslage des Verfahrenshilfewerbers - zB im Rahmen eines Verbesserungsverfahrens - sind nur dann vorgesehen, wenn (objektive) Bedenken gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit des Vermögensbekenntnisses bestehen. Ein (wesentlicher) Verfahrensmangel liegt dementsprechend (nur) dann vor, wenn das Erstgericht trotz offensichtlicher Bedenken gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit des Vermögensbekenntnisses dessen amtswegige Prüfung unterlässt und auch keinen Verbesserungsauftrag erteilt (EFSlg 101.859; EFSlg 169.214; MietSlg 59.575 ua) .
Im konkreten Fall liegen aber keine Anhaltspunkte für eine relevante Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Vermögensbekenntnisses vor. Die antragstellende Partei gab das monatliche Nettoeinkommen des Antragstellers (ausschließlich) mit einem Pflegegeld der Stufe 7 (iHv EUR 1.879,50 im Jahr 2023) an und hielt ergänzend fest, dass diesem davon lediglich Taschengeld von EUR 208,05 verbleibe. Die Fragen nach weiterem Einkommen „beantwortete“ sie jeweils mit „-“. Wenn das Erstgericht davon ausgehend keine „offensichtlichen Bedenken“ gegen den Inhalt des Vermögensbekenntnisses hatte, ist dies nicht zu beanstanden. Aus dem Umstand, dass der Antragsteller darin als „Pensionist“ bezeichnet wird und aus dessen Alter folgt unter Berücksichtigung seiner Versorgung in einem Pflegeheim nicht zwingend, dass er aktuell über ein höheres Einkommen als das angegebene Taschengeld verfügt.
Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.
Im Rahmen der Rechtsrüge führt die Rekurswerberin zunächst aus, unter Zugrundelegung eines Sparguthabens von EUR 15.529,24, der Versorgung im Pflegeheim, deren Kosten augenscheinlich das Land Kärnten trage, sowie fehlender Sorgepflichten und Verbindlichkeiten sei der Antragsteller in der Lage, die für die beabsichtigte Prozessführung zu erwartende Pauschalgebühr (je nach Anzahl der beklagten Parteien von EUR 1.556,00 bis (richtig:) EUR 1.789, 40 ), allfällige Kosten für die Zureise zum Gericht und Barauslagen eines Verfahrenshilfevertreters ohne Gefährdung seines notwendigen Lebensunterhalts zu zahlen. Mögliche Sachverständigengebühren bzw (generell) Kosten nach § 64 Abs 1 Z 1 lit c ZPO könne er zumindest insoweit tragen, als diese einen Gesamtbetrag von EUR 7.000,00 nicht überschritten, weil eine verbleibende Rücklage von EUR 8.500,00 nach dem derzeit bekannten Sachverhalt (Vollversorgung im Pflegeheim) ausreichend sein sollte. Die in § 64 Abs 1 Z 1 lit b, d und e angeführten Kosten seien aufgrund der geschilderten beabsichtigten Klagsführung nicht zu erwarten, weshalb der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe insoweit (jedenfalls) abzuweisen sei.
Dazu ist auszuführen:
Gemäß § 63 Abs 1 ZPO ist einer Partei Verfahrenshilfe soweit zu bewilligen, als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Es trifft zu, dass eine Partei zur Finanzierung eines Prozesses auch ihre Vermögenssubstanz anzugreifen hat, sofern dies im Einzelfall nicht unzumutbar ist, wobei geringfügige bzw angemessene Rücklagen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht entgegenstehen. Richtig ist auch, dass von der Rechtsprechung Ersparnisse von etwa EUR 3.000,00 noch als angemessene Rücklage angesehen wurden, solche von EUR 6.500,00 oder von nahezu EUR 9.000,00 hingegen nicht mehr. (Teilw. abw. EFSlg 120.946 , wo eine Ansparsumme aus einem Bausparvertrag von EUR 7.000,00 noch als angemessene Rücklage qualifiziert wurde.) (Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 63 ZPO Rz 5 [Stand 9.10.2023, rdb.at] mwN).
Es werden jedenfalls umso höhere Rücklagen toleriert, je niedriger das Einkommen des Verfahrenshilfewerbers und je höher sein Bedarf zB im Zusammenhang mit einer Erkrankung ist (Kodek/Oberhammer aaO; EFSlg 132.151) .
Berücksichtigt man, dass der Antragsteller (unter Zugrundelegung der Angaben im Verfahrenshilfeantrag und im Vermögensbekenntnis) als Wachkomapatient zweifellos erhöhte Bedürfnisse hat - wofür bereits der Umstand spricht, dass trotz eines erhaltenen Schmerzengeldbetrags von EUR 23.300,00 nur (mehr) ein (Bar-)Vermögen von rund EUR 15.500,00 vorhanden ist - und gleichzeitig mit einem monatlichen Taschengeld von rund EUR 208,00 lediglich über ein deutlich unter dem Existenzminimum liegendes Einkommen verfügt, erscheint es im speziellen Fall vertretbar, die Ersparnisse als (noch) angemessene Rücklage bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe außer Acht zu lassen, weil dem Antragsteller ein Rückgriff darauf zur Finanzierung des Prozesses nicht zumutbar ist.
Dafür lassen sich auch die Überlegungen Danzls in ZVR 2021/98 (Glosse zu 1 R 4/20b, OLG Innsbruck) ins Treffen führen, der ausgehend von der hA, wonach erhaltene Schmerzengeldbeträge grundsätzlich bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Verfahrenshilfewerbers zu veranschlagen sind, mit guten Gründen dafür plädiert, davon eine Ausnahme zu machen, wenn Schmerzengeldzahlungen über die Ausgleichsfunktion hinaus etwa aufgrund von eingetretenen Dauerfolgen auch „Versorgungscharakter“ haben. Im konkreten Fall lässt sich aus der im Verfahrenshilfeantrag aufgestellten Behauptung, der Antragsteller habe bereits Schmerzengeld von EUR 23.300,00 erhalten und verfüge aktuell (noch) über ein Sparguthaben von rund EUR 15.500,00, zwanglos ableiten, dass Letzteres zumindest überwiegend aus der Schmerzengeldzahlung stammt. Aufgrund des vorliegenden Wachkomas sind auch Dauerfolgen für den Antragsteller anzunehmen.
Soweit die Rekurswerberin auf dem Standpunkt steht, der Antragsteller könne unter Berücksichtigung des angesparten Betrags die zu erwartenden Gerichtsgebühren, die Reisekosten sowie die Barauslagen des Verfahrenshilfevertreters zur Gänze und die Gebühren von Zeugen, Sachverständigen oder Dolmetschern jedenfalls bis zu einem Betrag von EUR 7.000,00 finanzieren, ist ihr somit nicht zu folgen. Gleiches gilt für die - im Zusammenhang mit einem Ortsaugenschein möglichen - Kosten einer auswärtigen Amtshandlung.
Zutreffend ist hingegen die Argumentation, Kosten gemäß § 64 Abs 1 Z 1 lit d und e (für notwendige Verlautbarungen und für einen Kurator nach § 10 ZPO) seien aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, weshalb der Verfahrenshilfeantrag insoweit jedenfalls abzuweisen sei. Gleiches gilt für die Befreiung von der Sicherheitsleistung für Prozesskosten gemäß § 64 Abs 1 Z 2 ZPO, was im Rahmen einer allseitigen Prüfung der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts aufgrund der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge (RS0043352) auch ohne expliziten Einwand aufzugreifen war. Nach den Angaben der antragstellenden Partei im Verfahrenshilfeantrag ist der Antragsteller österreichischer Staatsbürger. Dementsprechend kann von ihm auch keine Sicherheitsleistung für Prozesskosten gemäß § 57 ZPO gefordert werden.
Der Verfahrenshilfeantrag war daher in teilweiser Stattgebung des Rekurses abzuweisen, soweit die antragstellende Partei die einstweilige Befreiung von der Entrichtung
- der Kosten notwendiger Verlautbarungen und
- der Kosten eines Kurators sowie
- die Befreiung von der Sicherheitsleistung für die Prozesskosten beantragt, da selbst für einen Aufwand, dessen Entstehen in der Zukunft möglich, aber noch ganz ungewiss ist, die Verfahrenshilfe nicht im Vorhinein gleichsam pauschal bewilligt werden kann (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 II/1 § 63 ZPO, Rz 3; EFSlg 66.949).
Im Übrigen, also betreffend die Begünstigungen gemäß § 64 Abs 1 Z 1 lit a, b, c und f sowie Z 3 und Z 5 ZPO war die angefochtene Entscheidung hingegen zu bestätigen. Auch wenn die Rekurswerberin erklärte, diese (nur) teilweise anzufechten, war von keiner Teilrechtskraft auszugehen, weil sie primär die - gänzliche - Aufhebung des bekämpften Beschlusses zur neuerlichen Entscheidung nach Ermittlung der Pensionseinkünfte des Antragstellers anstrebt.
Gemäß § 72 Abs 3 letzter Satz ZPO ist in Verfahrenshilfeangelegenheiten ein Kostenersatz im Rekursverfahren jedenfalls ausgeschlossen (Schindler in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 72 ZPO Rz 12 [Stand 9.10.2023, rdb.at]) .
Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses folgt aus § 528 Abs 2 Z 4 ZPO.