JudikaturOGH

10ObS75/25i – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden und den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Mai 2025, GZ 7 Rs 35/25f 16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die begehrte Feststellung von Schwerarbeitszeiten für die Tätigkeit des Klägers im Zeitraum von 1. 6. 2023 bis 31. 7. 2024.

[2] Der * 1964 geborene Kläger ist seit 1992 als Maurer und Fliesenleger beschäftigt. Mit rechtskräftigen Bescheiden vom 16. 5. 2022 und vom 19. 6. 2023 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten in den Zeiträumen vom 1. 9. 2004 bis 30. 4. 2022 und vom 1. 5. 2022 bis 31. 5. 2023 mangels Vorliegens von Schwerarbeit ab.

[3] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. 8. 2024 stellte die Beklagte aufgrund des Antrags des Klägers vom 22. 5. 2024 den Erwerb von insgesamt 540 Versicherungsmonaten zum Feststellungszeitpunkt 1. 9. 2024 fest, davon 433 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund Erwerbstätigkeit und sieben Ersatzmonate. Die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten für die Tätigkeit des Klägers vom 1. 6. 2023 bis 31. 7. 2024 lehnte sie ab.

[4] Die Vorinstanzenwiesen die auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1. 6. 2023 bis 31. 7. 2024 gerichtete Klage ab. Sie verneinten das nach § 247 Abs 2 ASVG erforderliche Feststellungsinteresse, weil die erforderlichen 120 Schwerarbeitsmonate vor Erreichung des Regelpensionsalters selbst unter der Annahme, dass sämtliche im Zeitraum ab 1. 6. 2023 erworbenen Versicherungsmonate Schwerarbeitsmonate darstellten, nicht erreicht werden könnten. Der Argumentation des Klägers, dass sich das Feststellungsinteresse daraus ergebe, dass im Fall der begehrten Feststellung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1. 6. 2023 bis 31. 7. 2024 ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt im Sinn des § 247a ASVG in Bezug auf den Zeitraum von 1. 9. 2004 bis 31. 5. 2023 vorläge, der zur rückwirkenden Herstellung des gesetzlichen Zustands (der Feststellung von Schwerarbeitszeiten im letztgenannten Zeitraum ungeachtet der dies ablehnenden rechtskräftigen Bescheide) führen müsste, könne nicht gefolgt werden. Das Verfahren habe nicht den Zweck, dem Kläger ein Beweismittel für ein aktuell rein hypothetisches gemäß § 247a ASVG anzustrengendes Verfahren zu verschaffen. Außerdem liege kein Anwendungsfall des § 247a ASVG vor.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die dagegen erhobene außerordentliche Revisiondes Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6] 1.Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist das nach § 247 Abs 2 ASVG für die Feststellung von Schwerarbeitszeiten erforderliche Feststellungsinteresse im Gerichtsverfahren auch dann zu prüfen, wenn der bekämpfte Bescheid die Feststellung aus anderen Gründen ablehn te; ist es zu verneinen, ist das Klagebegehren abzuweisen ( RS0134145 ). Soweit sich der Kläger darauf stützt, dass die Beklagte im bekämpften Bescheid „inhaltlich“ entschieden habe und den Vorinstanzen eine Prüfung des Feststellungsinteresses verwehrt gewesen sei, ist er auf diese Rechtsprechung zu verweisen.

[7] 2.Das nach § 247 Abs 2 ASVG erforderliche besondere Feststellungsinteresse ist zu verneinen, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die Schwerarbeitspension vor der Erreichung des Regelpensionsalters nicht erfüllbar sind, etwa weil die erforderlichen Versicherungsmonate (oder Schwerarbeitsmonate) bis dahin (auch unter günstigen Bedingungen) nicht mehr erworben werden können ( RS0134145 ).

[8] 2.1. Unstrittig ist, dass der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen für die Schwerarbeitspension nicht erfüllen kann, wenn nur die dem Feststellungsbegehren des Klägers zugrunde liegenden Zeiträume von 1. 6. 2023 bis 31. 7. 2024 und die danach liegenden Zeiträume (bis zum Erreichen des Regelpensionsalters) Schwerarbeitszeiten darstellen.

[9] 2.2.Das besondere Feststellungsinteresse im Sinn des § 247 Abs 2 ASVG könnte daher nur bejaht werden, wenn der Kläger im Zeitraum vor dem 1. 6. 2023 weitere Schwerarbeitsmonate (in ausreichender Anzahl) erworben hätte. Davon ist aufgrund der rechtskräftigen Bescheide vom 16. 5. 2022 und vom 19. 6. 2023, mit denen die Beklagte die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten in diesem Zeitraum ablehnte, nicht auszugehen. Zivilgerichte sind an rechtskräftige Entscheidungen einer Verwaltungsbehörde gebunden, wenn diese über eine im Zivilverfahren zu prüfende Vorfrage als Hauptfrage entschieden hat ( RS0036880 ).

[10]Dem kann der Kläger die Bestimmung des § 247a ASVG nicht entgegen halten. Diese Bestimmung ermöglicht dem Versicherungsträger zwar unter bestimmten Voraussetzungen einen unrichtigen, zum Nachteil des Versicherten ergangenen Feststellungsbescheid nachträglich richtig zu stellen ( 10 ObS 103/17wErwGr 2.5.4). Die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen für die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustands nach § 247a ASVG vorliegen, ist allerdings keine Leistungssache im Sinn des § 354 ASVG und daher auch keine Sozialrechtssache im Sinn des § 65 ASGG, sondern eine Verwaltungssache im Sinn des § 355 ASVG ( RS0084076zu § 101 ASVG und § 69 AVG). So wie die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 101 ASVG ( RS0084076[T1]) oder des § 69 AVG ( RS0084076[T3]) im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltentrennung den Gerichten zwingend entzogen ist, gilt dies auch für die Bestimmung des § 247a ASVG (die mit jener des – nur auf Geldleistungen anwendbaren – § 101 ASVG im Wesentlichen übereinstimmt).

[11] Der Kläger kann daher die rechtskräftigen Bescheide der Beklagten, mit denen die Feststellung von weiteren Schwerarbeitszeiten abgelehnt wurde, nicht vor dem Sozialgericht überprüfen lassen (vgl 10 ObS 172/04yErwGr 8.). Solange keine die Rechtskraft der genannten Bescheide durchbrechende Entscheidung nach § 247a ASVG erging, ist daher ihre Rechtskraft zu beachten. Auf die von den Vorinstanzen und in der Revision thematisierte Frage, ob ein Anwendungsfall des § 247a ASVG vorliegt, und auf die in der Revision angeführte, dazu ergangene Rechtsprechung ist daher nicht einzugehen.

[12] Soweit sich der Kläger auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshof s ( 10 ObS 103/17w) beruft, unterliegt er einem Missverständnis, weil die Klage dort aufgrund der Einmaligkeitswirkung eine s rechtskräftigen Vorbescheids zurückgewiesen wurde. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen allerdings weder über die den rechtskräftigen Vorbescheiden zugrunde liegenden Zeiträume (neuerlich) entschieden, noch die Klage zurückgewiesen.

[13] 2.3.Dem (erstmals) in der Revision vom Kläger vertretenen Standpunkt, dass das Verfahren zur Einleitung und Durchführung eines Verwaltungsverfahrens nach § 247a ASVG zu unterbrechen gewesen wäre, ist zu entgegnen, dass § 74 ASGG eine Unterbrechung nur bei Auftreten der dort bezeichneten Vorfragen vorsieht ( RS0037262). Die taxative Aufzählung des § 74 ASGG ist zwar analogiefähig ( RS0037262[T2, T3]), die Revision lässt aber jegliche Begründung für eine solche Analogie vermissen. Eine Unterbrechung nach § 190 ZPO würde ein bereits zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz anhängiges Verwaltungsverfahren voraussetzen ( RS0036769 [T2, T3]).

[14] 3. Soweit der Kläger meint, der angefochtene Bescheid sei mangelhaft, weil ihm kein erhobener Sachverhalt und auch keine Feststellungen zu der Tätigkeit des Klägers zu entnehmen sei, ist dies für das vorliegende Verfahren nicht von Bedeutung. Den Arbeits- und Sozialgerichten kommt nicht die Aufgabe zu, die von den Trägern der Sozialversicherung erlassenen und von den Versicherten bekämpften Bescheide zu überprüfen, vielmehr haben sie über die mit einer Klage vom Versicherten geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche in einem eigenen selbständigen Verfahren zu entscheiden ( RS0106394 ).