8Ob87/25i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Mag. Malesich als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. T* OG, *, und 2. „*“ * GmbH, *, beide vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Univ. Prof. Dr. B*, und 2. Dr. J*, beide vertreten durch Mag. Karlheinz Amann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29. April 2025, GZ 38 R 270/24y 44.2, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen .
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. D ie Prüfung der tatsächlichen Verwendung eines Bestandobjekts und desFehlens einer regelmäßigen geschäftlichen Tätigkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0070410 [T5]) und kann daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des§ 502 Abs 1 ZPO aufwerfen, wenn dem Berufungsgericht eine grobe Fehlbeurte ilung unterlaufen wäre ( 4 Ob 62/21b Rz 4 mwN). Dasselbe gilt für die Fragen, ob eine im Bestandobjekt ausgeübte betriebliche Tätigkeit mit der ursprünglich im Mietvertrag bedungenen gleichwertig ist (vgl RS0070332 [T5]) und ob die Wiederaufnahme einer geschäftlichen Tätigkeit im Bestandobjekt in naher Zukunft mit Sicherheit erwartet werden kann ( RS0070332 [T4]; RS0070315 [T5]).
[2] Bei der Beurteilung der Frage, ob ein schlüssiger Verzicht auf ein Recht vorliegt, ist besondere Zurückhaltung und Vorsicht geboten (vgl RS0014190 [T3]); ein stillschweigender Verzicht darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist ( RS0014229 [insb T3]). Im Zweifel ist ein konkludenter Verzicht des Vermieters auf das Kündigungsrecht nicht anzunehmen ( RS0102001). Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, ist im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ( RS0107199 ).
[3] 2.1. Das Berufungsgericht hat die erst nach dem Tod des ursprünglichen (Mit )Mieters nur durch dessen zweitbeklagte Erbin (seine Tochter, eine Spitalsärztin ohne wissenschaftliche Ambitionen oder Aktivitäten) aufgenommene, bloß „gelegentliche“ Nutzung des Bestandobjekts zur Vorbereitung von Vorträgen inhouse oder solchen bei kleineren ärztlichen Kongressen als nicht gleichwertig gegenüber dem Betrieb einer – vertraglich vereinbarten, hier jedoch unstrittig nie eröffneten – Arztordination angesehen. Die Gleichwertigkeit der Nutzung durch die Zweitbeklagte sei an dieser vertraglichen Vereinbarung zu messen, mangels einvernehmlicher Änderung des Verwendungszwecks jedoch nicht an der tatsächlichen Nutzung durch den ursprünglichen Mieter, einen Universitätslehrer, als Studio zur Vorbereitung medizinwissenschaftlicher Publikationen und Veranstaltungen. Das Berufungsgericht verneinte einen schlüssigen Verzicht der Vermieter auf den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 7 MRG, weil der ursprüngliche Mieter etwa ein Jahr vor seinem unerwarteten Ableben zwar gesprächsweise erkennen lassen habe, dass er das Bestandobjekt nicht als Ordination benütze, er die tatsächlich abweichende Nutzung aber nur noch etwa ein Jahr ausüben werde und dann über eine Rückstellung des Bestandobjekts zu diskutieren sei. Mangels konkreter Pläne oder Vorbereitungshandlungen zur zeitnahen Eröffnung einer Ordination liege auch kein schutzwürdiges Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags vor.
[4] 2.2. Diese Einschätzung hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.
[5] 3.1. Soweit die Revision darauf verweist, dass die Zweitbeklagte die ebenfalls „medizinische Tätigkeit“ ihres Rechtsvorgängers bloß fortsetze, welche wiederum der vertraglich vereinbarten Tätigkeit als gleichwertig anzusehen sei, verkennt sie, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines Kündigungsgrundes der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an den Kündigungsgegner ist ( RS0070282 ). Warum vor diesem Hintergrund die Ansicht des Berufungsgerichts, die festgestellte bloß „gelegentliche“ Nutzung durch die Zweitbeklagte sei dem vertraglich vereinbarten Zweck nicht gleichwertig, unrichtig sein sollte, legt die Revision insbesondere mit dem bloßen Hinweis, es gebe auch Ordinationen, die nur an einem Tag der Woche geöffnet seien, nicht dar. Überlegungen, warum die Tätigkeit des Rechtsvorgängers der Zweitbeklagten dem vereinbarten Zweck gleichwertig gewesen sein sollte, gehen daher ins Leere, zumal auch die Behauptung der Revision, die Tätigkeit der Zweitbeklagten sei eine bloße Fortsetzung der ihres Vaters, keine Grundlage in den Feststellungen hat.
[6] 3.2. Dass bereits zu Lebzeiten des Rechtsvorgängers der Zweitbeklagten einvernehmlich vom vereinbarten Verwendungszweck abgegangen worden wäre, behauptet die Revision nicht.
[7] 3.3. Warum die Verneinung eines Kündigungsverzichts unvertretbar sein sollte, zeigt die Revision insbesondere vor dem Hintergrund nicht auf, dass bei Dauertatbeständen ein stillschweigender Kündigungsverzicht zwar in Frage kommt, allerdings ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist und es nicht auf den bloßen Umstand des Zuwartens mit der Kündigung allein ankommt (vgl RS0014427 [T4]; RS0014423 [T7, T14, T17]). Insbesondere vermag die Revision schon im Hinblick auf das Inaussichtstellen einer Beendigung in absehbarer Zeit durch den seinerzeitigen Mieter nicht darzulegen, aus welchem Grund diesem das Zuwarten der Vermieter mit der Kündigung oder einer Räumungsklage ausschließlich mit einem Verzicht auf das Auflösungs bzw Kündigungsrecht erklärlich hätte sein sollen ( RS0014423 ), wofür den Mieter aber die Beweislast träfe (vgl RS0102001 ).
[8] 3.4. Vom Mieter zu beweisende Gründe, aus denen eine Wiederaufnahme regelmäßiger geschäftlicher Betätigung in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten ist ( RS0070300 ; RS0070315 [T1]), hätten in dem für die Kündigung maßgeblichen Zeitpunkt der Aufkündigung bereits konkret fassbar sein müssen ( RS0070315 [T2]; RS0070449 ), was hier nicht festgestellt wurde; die Überlegungen der Revision, die Zweitbeklagte wolle nunmehr erst den Ausgang des Verfahrens abwarten, gehen daher ins Leere.
[9] 4.Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).