7Ob106/25a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Mag. Robert Reich Rohrwig, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Dr. Claudia Stoizner, MBA, Rechtsanwältin in Wien, wegen Räumung und Zahlung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 8. Mai 2025, GZ 53 R 62/25m 15, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Die Vorinstanzenhaben dem Räumungsbegehren des Klägers gegen die Beklagte gemäß § 1118 erster Fall ABGB stattgegeben.
Rechtliche Beurteilung
[2]Die Beklagte zeigt mit ihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
[3]1. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten in ihrer Berufung im Zusammenhang mit der Streitanhängigkeit eines Aufkündigungsverfahrens betreffend dasselbe Bestandobjekt relevierte Nichtigkeit des Ersturteils verneint, was jedenfalls nicht weiter anfechtbar ist (RS0043405).
[4]2. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch des Mietgegenstands iSd § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG und des gleichlautenden Vertragsaufhebungsgrundes nach § 1118 erster Fall ABGB liegt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen wichtige Interessen des Vermieters verletzt werden oder eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgte oder auch nur droht (RS0067832; RS0068076; RS0102020 [T14]). Ein erheblich nachteiliger Gebrauch vom Mietgegenstand liegt auch vor, wenn durch das nachteilige Verhalten des Mieters wichtige wirtschaftliche oder persönliche Interessen des Vermieters oder der anderen Mieter gefährdet werden (RS0020940 [T11]; RS0070348). § 1118 erster Fall ABGB soll die Möglichkeit für die Auflösung des Bestandverhältnisses bieten, weil das für sein Weiterbestehen erforderliche Vertrauen weggefallen ist. Grundlage für einen Auflösungsanspruch ist ein vertragswidriges Verhalten. Der Mieter muss sich also so verhalten haben, dass er nicht mehr vertrauenswürdig ist. Sein Verhalten muss zwar nicht schuldhaft sein, es musste ihm aber doch bewusst werden können, wobei von den Möglichkeiten eines durchschnittlichen Mieters auszugehen ist (vgl RS0020867; RS0067957 [T4]; RS0070243 [T1]).
[5]3. Ob ein erheblich nachteiliger Gebrauch anzunehmen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, deren rechtliche Würdigung vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen ist, außer es läge eine auffallende und im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Bestandverhältnisses vor (RS0021018; RS0113693). Das ist gegenständlich nicht der Fall:
[6]3.1. Die Vorinstanzen haben die Verlegung des Hauptwohnsitzes der Beklagten ohne Information an den Kläger, die nicht bloß kurzzeitige – vertragswidrige Nutzung der Wohnung zur Ausübung ihrer selbständigen Tätigkeit und die nicht vom Kläger genehmigten baulichen Veränderungen sowie unterlassene Informationen an den Kläger über eingetretene Schäden am Mietobjekt, das Verbringen von Fahrnissen des Klägers, insbesondere die Entfernung eines verankerten Wandsafes samt darin gelagerten wichtigen Dokumenten des Klägers in das öffentliche Stiegenhaus, als vertragswidriges Verhalten beurteilt, das einen Vertrauensbruch nach sich gezogen hat. Das hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung und ist damit nicht korrekturbedürftig. Die Argumentation der Beklagten übersieht, dass auch das hier festgestellte nachteilige Verhalten der Mieterin, das wichtige wirtschaftliche oder persönliche Interessen des Vermieters gefährdet, den Tatbestand des § 1118 erster Fall ABGB erfüllen kann. Dafür ist weder eine Gefährdung der Substanz des Mietgegenstands noch ein unleidliches Verhalten gegenüber anderen Mietern zwingend erforderlich.
[7] 3.2. Insoweit die Beklagte sich auf die Unwirksamkeit des vereinbarten – eingeschränkten – Mitbenützungsrechts des Klägers beruft, verstößt sie damit gegen das Neuerungsverbot. Im Übrigen würde auch die Annahme der Unwirksamkeit dieser Vereinbarung oder ein – stillschweigendes – Abgehen davon, worauf die Beklagte sich in ihrer Revision ebenfalls beruft, an den weiteren von der Beklagten gesetzten Auflösungsgründen nichts ändern.
[8] 3.3. Der Grundsatz, dass Auflösungs (und Kündigungs)gründe ohne unnötigen Aufschub geltend zu machen sind (RS0014427), muss unter dem Blickwinkel eines nachträglichen schlüssigen Verzichts auf einen Auflösungsgrund geprüft werden (RS0014427 [T5]). Ein stillschweigender Verzicht des Vermieters auf einen Auflösungsgrund kann nach § 863 ABGB nur dann angenommen werden, wenn das Zuwarten des Vermieters mit der Räumungsklage unter Umständen erfolgt, aus denen mit Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln übrig bleibt, dass der Vermieter den ihm bekannten Sachverhalt nicht mehr als Auflösungsgrund geltend machen will. Es ist daher erforderlich, dass der Mieter weiß oder aus dem Verhalten des Vermieters doch mit Recht ableiten kann, dass dieser den vollen Sachverhalt, der die Auflösung rechtfertigt, kennt und dem Mieter keine Umstände bekannt sind, die ein Zuwarten des Vermieters mit einer Räumungsklage aus einem anderen Grund als dem eines Verzichts auf das Auflösungsrecht erklärlich erscheinen lassen (RS0014423). Soweit man diesen Einwand in der Revision der Beklagten überhaupt als vom erstinstanzlichen Vorbingen umfasst ansehen möchte, sind diese Voraussetzungen nach dem hier festgestellten Sachverhalt keinesfalls erfüllt, hat doch die Beklagte den Kläger von den meisten der ihr vorgeworfenen Vertragsverletzungen gar nicht informiert.
[9] 4. Die Revision war daher spruchgemäß zurückzuweisen.
[10]5. Der Oberste Gerichtshof hat dem Kläger die Beantwortung der Revision nicht freigestellt. Die dennoch eingebrachte Revisionsbeantwortung war nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, weshalb für sie ein Kostenersatz nicht zusteht (6 Ob 210/24m; RS0043690 [T6]).