3Ob99/25t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. Y* und 2. F*, beide geboren * 2018, *, Mutter: Y*, vertreten durch Mag. Caroline Weiskopf, Rechtsanwältin in Innsbruck, Vater: T*, vertreten durch Mag. Hubertus Weben, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Obsorge und Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 14. Mai 2025, GZ 55 R 15/25x 190, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die 2018 in Deutschland geborenen Zwillinge und die Mutter sind deutsche Staatsangehörige. Der Vater ist kroatischer Staatsangehöriger. Die Obsorge für die Kinder kommt beiden mittlerweile getrennt lebenden Eltern gemeinsam zu. Bis 2020 wohnte die Familie gemeinsam in Deutschland. S eit 31. Oktober 2022 haben die Kinder ihren Hauptwohnsitz im Sprengel des Erstgerichts.
[2] Mit rechtskräftigem Beschluss vom 29. November 2023 traf das Erstgericht eine vorläufige Betreuungsregelung, wobei es in den Entscheidungsgründen die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte gemäß Art 7 Abs 1 Brüssel IIb VO bejahte.
[3] Mit Beschluss vom 7. Jänner 2025 wies das Erstgericht mehrere Anträge der Mutter, unter anderem das Kontaktrecht des Vaters vorläufig zu beschränken, sie vorläufig allein mit der Obsorge für die Kinder zu betrauen und deren Hauptaufenthaltsort in Deutschland festzulegen, ab.
[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrek urs für nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[5] In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs macht die Mutter allein geltend, dass die beiden Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt immer in Deutschland gehabt hätten, das Erstgericht daher nie international zuständig gewesen und das gesamte bisher geführte Verfahren nichtig sei.
[6] 1. Im Hinblick auf § 66 Abs 1 Z 1, § 56 Abs 1 A ußStrG kann der von der Mutter relevierte Verfahrens mangel trotz des Umstands im Revisionsrekurs geltend gemacht werden, dass das Rekursgericht die internationale Zuständigkeit überprüft und diese in der Begründung seines Beschlusses bejaht und den Verfahrensmangel damit verneint hat (vglRS0121265 [insb T7, T11]; RS0007232 [T15]; 5 Ob 178/23x Rz 55).Da die in § 56 Abs 1 AußStrG aufgezählten Mängel amtswegig wahrzunehmen sind (§ 55 Abs 3 iVm § 71 Abs 4 AußStrG), schadet es auch nicht, dass die Mutter die fehlende internationale Zuständigkeit in ihrem Rekurs nicht releviert hat.
[7]2. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zeigt der Revisionsrekurs aber nicht auf.
[8]2.1 Das (hier nicht mehr zu überprüfende) Fehlen der internationalen Zuständigkeit nach § 42 Abs 1 Satz 1 JN ist zwar in jeder Lage des Verfahrens – selbst ohne darauf gerichteten Antrag – wahrzunehmen. Dies gilt aber dann nicht mehr, wenn bereits eine bindende Entscheidung nach § 42 Abs 3 JN vorliegt ( RS0035572 [insb T31]; vgl RS0046234 ). Das ist hier der Fall.
[9] 2.2Nach ständiger Rechtsprechung ist für eine bindende Entscheidung über eine Prozessvoraussetzung im Sinn des § 42 Abs 3 JN auch nicht erforderlich, dass das Gericht über ihr Vorliegen ausdrücklich und spruchmäßig entschieden hat (RS0114196 [insb T2, T5]). Sofern der Wille des Gerichts, über die Prozessvoraussetzung zu entscheiden, deutlich erkennbar ist (6 Ob 20/23v Rz 14; 9 Ob 19/18m Pkt 1.1.), wird eine bindende Entscheidung auch dann angenommen , wenn sich das Gericht mit ihrem Vorliegen inden Entscheidungsgründen auseinandergesetzt hat (RS0039774[insb T15, T22]; RS0114196 [T5, T9a, T14]). Nicht ausreichend ist dagegen, wenn die Prozessvor aussetzung bloß implizit durch meritorische Behandlung eines Begehrens bejaht wird(RS0114196 [T4, T8]; RS0039857 [T1]).
[10] 2.3 Hier hat das Erstgericht in seinem Beschluss vom 29. November 2023 zwar nicht im Spruch über die internationale Zuständigkeit abgesprochen, weil die Mutter im Rahmen der Tagsatzung vom 13. November 2023 erklärte, einen die Sache verzögernden Zuständigkeitsstreit vermeiden zu wollen und daher einen dahingehenden Einwand bewusst nicht zu erheben. Wie im Rahmen der weiteren Erörterung angekündigt, hat es die internationale Zuständigkeit entsprechend den Vorgaben des Art 18 Brüssel IIb VO aber amtswegig g eprüft und in der Begründung seines Beschlusses vom 29. November 2023 ausdrücklich bejaht . Der begehrten neuerlichen Prüfung dieses Prozesshindernisses steht daher die Bindungswirkung dieser Entscheidung entgegen ( 3 Ob 199/23w Rz 11; RS0114196 [T6]; RS0039226 [T12]).
[11] 3. Der außerordentliche Revisionsrekurs sprichtdamit keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung an, weshalb dieser zurückzuweisen ist. Daran könnte auch nichts ändern, wenn die Zuständigkeitsentscheidung aufgrund der Bindungswirkung nach § 42 Abs 3 JN gegen Unionsrecht verstoßen würde (vgl RS0039774 [T14];RS0114196 [T10]; RS0121588; zuletzt etwa EuGH, C 213/13, Impresa Pizzarotti , Rn 58, 59 mwN), was ebenfalls nicht zu überprüfen ist.