12Os18/25a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Juli 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Setz Hummel LL.M., Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Eißler in der Strafsache gegen Ing. * G* wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall, 12 dritter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 4. September 2024, GZ 39 Hv 63/23v 134, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.
Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ing. * G* des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall, 12 dritter Fall StGB (I./) sowie des Vergehens der Veruntreuung nach §§ 133 Abs 1 und 2 erster Fall, 12 dritter Fall StGB (II./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in V* und an anderen Orten des Bundesgebiets im Zeitraum „von etwa 14. Februar 2014 bis zu seiner Entlassung am 10. Juni 2022“ in seiner Funktion als Leiter der Medizintechnik mit dem abgesondert verfolgten DI * B* teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter, teils als Beitragstäter
I./ mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Betrugshandlungen eine längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, Verfügungsberechtigte der Buchhaltungsabteilung durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, wodurch die O* GmbH (O*) insgesamt in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt wurde, und zwar
1./ unter der Vorspiegelung, neu bestellte Geräte und Ersatzteile würden im S* Klinikum V* benötigt und/oder eingesetzt, zur Bezahlung von Rechnungen für medizinisch technische Neugeräte und Ersatzteile, die auf Rechnung der O* bestellt und angekauft worden waren, wobei sie diese Geräte/Ersatzteile im Wert von 40.911,30 Euro in der Folge privat verkauften;
2./ unter der Vorspiegelung, von ihnen bestellte Festplatten und sonstige Elektronikwaren würden im S* Klinikum V* benötigt und eingesetzt, zur Bezahlung von Rechnungen für eine große Anzahl an Festplatten und Elektronikware im Wert von insgesamt 99.873,05 Euro, die auf Rechnung der O* angekauft/bestellt, jedoch in der Folge privat verkauft wurden;
3./ unter der Vorspiegelung, die K* sei damit beauftragt worden, für die O* Arbeiten zu verrichten, zur wiederholten Bezahlung von Arbeitszeit und Anfahrtspauschale, „wobei stattdessen seitens der Firma K* vorwiegend Festplatten im Wert von 80.272,86 Euro (inklusive USt) geliefert worden waren, welche in der Folge privat verkauft wurden (Nettoschaden 66.894,05 €)“;
4./ unter der Vorspiegelung, bestellte Waren und medizinische Produkte würden im S* Klinikum V* benötigt und eingesetzt, zur Bezahlung von Rechnungen für Artikel und medizinische Produkte im Wert von 8.258,70 Euro, die tatsächlich in der Ordination der * B* verwendet wurden;
II./ ein Gut, das ihnen anvertraut worden ist, nämlich nicht mehr verwendete, aber noch verwend und verwertbare Waren, vorwiegend Medizinprodukte, aus dem ihrer Zuständigkeit obliegenden Lager im S* Klinikum V* sich oder einem Dritten mit dem Vorsatz zugeeignet, sich oder den Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem sie sie aus dem Lager entfernten, an sich nahmen und in weiterer Folge teils reparierten, säuberten und dann verkauften, wobei der Wert der veruntreuten Gegenstände 5.000 Euro überstieg.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Schuldspruch (I./ und II./) nicht geltend gemachte, zum Nachteil des Beschwerdeführers wirkende, daher amtswegig wahrzunehmende materielle Nichtigkeit anhaftet:
[5] Nach den Urteilskonstatierungen zu I./ (US 3 f) tätigten der Angeklagte und DI B* sämtliche dem Schuldspruch zugrunde liegenden Bestellungen im Namen und auf Rechnung der O*. Die dabei bestellten Waren wurden nicht im S* Klinikum V* benötigt bzw eingesetzt.
[6] Die aus den Bestellvorgängen resultierenden Rechnungen gab der Angeklagte gegenüber Verfügungsberechtigten der Buchhaltungsabteilung durch Weiterleitung samt den für die Bezahlung notwendigen Vermerken „zur Bezahlung frei“. Damit täuschte er ihnen gegenüber vor, die bestellten „Geräte“ würden im S* Klinikum V* benötigt und eingesetzt „bzw die in Rechnung gestellten Reparaturen der Firma K* hätten tatsächlich stattgefunden“. Die Mitarbeiter der Buchhaltungsabteilung ließen sich dadurch täuschen und veranlassten die Bezahlung der Rechnungen.
[7] Der Angeklagte und DI B* verkauften – mit Ausnahme ebenso bestellter (medizinischer) Produkte im Wert von 8.258,70 Euro, die der Lebensgefährtin des Letztgenannten für den Betrieb ihrer Ordination geschenkt wurden – sämtliche der gelieferten Waren. Die (nicht feststellbaren) Erlöse aus allen Verkäufen teilten sie sich auf.
[8] Der Angeklagte „wusste und wollte“, dass Mitarbeiter der Buchhaltungsabteilung getäuscht, diese solcherart zur Bezahlung der Rechnungen bewegt werden und die O* als Rechtsträgerin des S* Klinikums V* dadurch am Vermögen geschädigt wird. Von Beginn weg hielt er einen 5.000 Euro übersteigenden Schaden ernstlich für möglich und fand sich damit ab. Ihm kam es überdies darauf an, sich durch die wiederkehrende Begehung gleichgelagerter Betrugshandlungen eine längere Zeit – nämlich mehrere Jahre – hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen, das bei jährlicher Durchschnittsbetrachtung monatlich 400 Euro übersteigt, zu verschaffen (US 4 f).
[9] Betrug setzt (unter anderem) voraus, dass zwischen dem Vermögensschaden und der vom Täter angestrebten Bereicherung ein funktionaler Zusammenhang in der Weise besteht, dass der Vorteil auf der Vermögensverfügung des Getäuschten beruht, die den Schaden herbeiführt. Die vom Tätervorsatz umfasste Bereicherung stellt solcherart die (wenn auch betragsmäßig nicht unbedingt entsprechende) Kehrseite des zugefügten Schadens dar (zur sogenannten „Stoffgleichheit“ von Schaden und Nutzen siehe RIS Justiz RS0094215, RS0094598, RS0094140; Kirchbacher/Sadoghi in WK 2 StGB § 146 Rz 6, 114).
[10] Vorliegend hat das Schöffengericht eine selbstschädigende Vermögensverfügung der Getäuschten (bloß) in Ansehung der Bezahlung von Rechnungen der Lieferanten konstatiert, wobei diesem (eingetretenen) Vermögensschaden keine (tatsächliche oder angestrebte) Vermehrung des Vermögens (im Sinn einer unrechtmäßigen Bereicherung) des Angeklagten (bzw eines Dritten) gegenübersteht. Denn eine Lieferung der bestellten Waren direkt an den Angeklagten oder DI B* (und nicht an die O*) und eine von Ersterem angestrebte (faktische) Vermögensvermehrung (für sich selbst bzw zu Gunsten eines Dritten) in Form eines ersparten Aufwands (vgl RIS Justiz RS0094107 [T2]; Kienapfel/Schmoller , BT II² § 146 Rz 220; Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 146 Rz 120; Flora in Leukauf/Steininger, StGB 4 § 146 Rz 57; Michel-Kwapinski/Oshidari , StGB 15 § 146 Rz 23) aufgrund (täuschungsbedingter) Bezahlung der Rechnungen durch die O* lässt sich den Entscheidungsgründen nicht entnehmen. Demnach bleibt die Konstatierung, wonach der Angeklagte „bei all diesen Taten“ wusste, dass dadurch sein Vermögen oder das eines anderen vermehrt wird und darauf kein Anspruch besteht (US 4), ohne Sachverhaltsbezug (vgl RIS Justiz RS0119090). Der aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs I./.
[11] Dem Schuldspruch II./ haftet ebenso ein Rechtsfehler mangels Feststellungen an (Z 9 lit b).
[12] Strafbarkeitsvoraussetzungen wie (hier:) das Nichtvorliegen der Verjährung sind bei Tatmehrheit für jede Tat gesondert zu prüfen, woran auch die Anwendung des Zusammenrechnungsgrundsatzes nach § 29 StGB nichts ändert (RIS Justiz RS0132829).
[13] Nach den Urteilskonstatierungen zu II./ (US 4) suchten der Angeklagte und DI B* „im Zeitraum etwa 14. Februar 2014 bis zum 10. Juni 2022 in einer Vielzahl von Angriffen“ werthaltige (ihnen anvertraute) Altgeräte „aus dem Altgerätelager“ aus und säuberten bzw reparierten sie teilweise am Arbeitsplatz mit Betriebsmitteln der O*. Sie nahmen diese Geräte sodann mit nach Hause und verkauften sie; die Erlöse wurden geteilt. Der Wert der „von den Angeklagten so mitgenommenen und verkauften Altgeräte“ belief sich auf einen nicht mehr feststellbaren, insgesamt jedoch 5.000 Euro jedenfalls übersteigenden Betrag.
[14] Die Frage der Verjährung ist demnach in Ansehung einer ungewissen Zahl von nach § 133 Abs 1 StGB subsumierbaren Taten mit (seit Beginn des Tatzeitraums unveränderter) Strafdrohung von Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen (Verjährungsfrist nach § 57 Abs 3 StGB: ein Jahr) zu prüfen.
[15] Das Fehlen von Feststellungen zu den konkreten Zeitpunkten der Veruntreuungshandlungen sowie von – deshalb erforderlichen – Konstatierungen zu die Verjährung im Ablauf (§ 58 Abs 2 StGB) oder im Fortlauf (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB) hemmenden Umständen ( Marek in WK² StGB § 58 Rz 1 f) macht die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung dieses Ausnahmesatzes unschlüssig (Z 9 lit b; vgl RIS Justiz RS0122332 [T1, T6, T11]).
[16] Die aufgezeigten Rechtsfehler (mangels Feststellungen) erfordern – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Schuldspruchs I./ und II./, demzufolge auch des Strafausspruchs bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) und die Rückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht. Davon umfasst ist auch die Kassation des Adhäsionserkenntnisses (zur Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg vgl RIS Justiz RS0101303 [T3], RS0100493 [T1]).
[17] Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung war der Beschwerdeführer auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen. Eine Kostenersatzpflicht entfällt ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12).
[18] Zufolge der von der Staatsanwaltschaft unbekämpft gebliebenen Abweisung des Antrags „auf Konfiskation und Verfall“ (US 3) wird im zweiten Rechtsgang (auch in diesem Umfang) das Verschlechterungsverbot zu beachten sein (vgl zur Konfiskation AZ 15 Os 98/22h [Rz 39] und zum Verfall RIS Justiz RS0100700 [T12]).