1Ob70/25p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei R*, vertreten durch die Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die Gegnerin der gefährdeten Partei E*, vertreten durch Ing. Mag. Peter Huber, Rechtsanwalt in Hallein, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382 Z 8 lit b EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gegnerin der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 21. Jänner 2025, GZ 21 R 502/24f 15, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 28. November 2024, GZ 3 C 29/24k 8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Antrag der gefährdeten Partei, ihr das Alleinbenützungsrecht an der Liegenschaft *, zuzuweisen, abgewiesen wird.
Die gefährdete Partei hat der Gegnerin der gefährdeten Partei die mit 1.425,60 EUR (darin 218,60 EUR USt und 114 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Parteien sind miteinander verheiratet. Zwischen ihnen ist ein Scheidungsverfahren anhängig. Die eheliche Lebensgemeinschaft ist seit 2017 aufgehoben. Die Parteien sind jeweils Hälfteeigentümer einer Liegenschaft mit einem Einfamilienhaus. Die Gegnerin der gefährdeten Partei (Antragsgegnerin) zog 2018 aus der darin gelegenen Ehewohnung aus.
[2] Die gefährdete Partei (der Antragsteller ) begehrt gestützt auf § 382 Z 8 lit b EO, ihm das Alleinbenutzungsrecht an dem im gemeinsamen Eigentum stehenden Haus mit der Ehewohnung zuzuweisen. Der Antragsgegnerin sei aufgrund ihres (durch eine psychische Erkrankung bedingten) provokativen und agressiven Verhaltens, das auch für das gemeinsame, beim allein obsorgeberechtigten Antragsteller wohnende Kind belastend gewesen sei, bereits 2019 der Aufenthalt im Bereich der gemeinsamen Liegenschaft (mit der Ehewohnung) gerichtlich verboten worden. Zwar hätten seitdem keine persönlichen Kontakte der Antragsgegnerin zum Antragsteller mehr stattgefunden. Die Antragsgegnerin schicke ihm aber nach wie vor Kurznachrichten mit „verstörendem und beängstigendem“ Inhalt und übe auch telefonischen „Psychoterror“ aus. Im September 2024 habe sie eine Klage gegen den Antragsteller eingebracht, mit der sie den Zutritt zur Liegenschaft mit der Ehewohnung erzwingen wolle. Ihre Rückkehr in diese wäre aber sowohl für ihn als auch für das gemeinsame Kind unzumutbar.
[3] Die Gegnerin der gefährdeten Partei ( Antragsgegnerin ) entgegnete, dass die Wohn- und Lebensbereiche der Parteien seit langem getrennt seien und sie kein Wohnbedürfnis an der Ehewohnung habe, weil sie über eine eigene Wohnung verfüge. Sie wolle nicht in das gemeinsame Haus zurückkehren, um darin zu wohnen oder dieses (sonst) mitzubenützen, sondern beabsichtige nur, ihre in der Ehewohnung verbliebenen Fahrnisse (insbesondere ihre persönlichen Gebrauchsgegenstände und Dokumente) – nach vorhergehender Ankündigung – abzuholen. Bloß zu diesem Zweck habe sie im September 2024 die vom Antragsteller genannte Klage eingebracht. Es bestehe daher kein dringendes Regelungsbedürfnis an einer einstweiligen Regelung der Benützung der Ehewohnung. Das Verhalten, auf das sich der Antragsteller zur Begründung der Unzumutbarkeit ihres Aufenthalts in der Ehewohnung berufe, liege außerdem Jahre zurück, mache die „Benützung“ der Ehewohnung zu dem von ihr angestrebten Zweck nicht unzumutbar und könnte die beantragte einstweilige Verfügung – die in ihr (Mit )Eigentumsrecht eingreife – nicht rechtfertigen.
[4] Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung.
[5] Die Antragsgegnerin weise seit Jahren Anzeichen einer psychischen Erkrankung auf, die auch der Grund dafür gewesen sei, dass ihr Mitte 2019 ein Aufenthalt auf der Liegenschaft mit der Ehewohnung verboten worden sei. Im September 2024 habe sie eine Klage gegen den Antragsteller erhoben, mit der sie einen „ungehinderten Zutritt“ zur Ehewohnung sowie „den darin befindlichen – in ihrem Eigentum stehenden – Gegenständen“ anstrebe; außerdem habe es der Antragsteller zu unterlassen, ihr diesen Zutritt zu verwehren. „Es kann nicht festgestellt werden, dass die Antragsgegnerin seit Auflösung der häuslichen Gemeinschaft nicht mehr auf die Liegenschaft […] sowie das darauf befindliche Haus zurückkehren will.“
[6] Da dem Antragsteller und dem bei ihm wohnenden gemeinsamen Kind ein dringendes Wohnbedürfnis an der Ehewohnung zukomme und ihnen aufgrund des vergangenen (bis 2019 gesetzten) aggressiven Verhaltens der Antragsgegnerin – sowie aufgrund des seither fehlenden persönlichen Kontakts – ein künftiges Zusammenleben mit dieser unzumutbar sei, bestehe das für die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung erforderliche Regelungsbedürfnis. Dieses ergebe sich auch daraus, dass „nicht erkennbar sei, ob die Antragsgegnerin eine dauerhafte oder lediglich kurzzeitige Rückkehr in die Ehewohnung“ beabsichtige. Das erforderliche Regelungsbedürfnis sei jedenfalls dadurch „indiziert“, dass die Antragsgegnerin in dem von ihr im September 2024 gegen den Antragsteller angestrengten Zivilprozess den ungehinderten Zutritt zur Liegenschaft mit der Ehewohnung anstrebe.
[7] Das Rekursgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
[8] Da nicht feststehe, „dass die Antragsgegnerin seit der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft nicht mehr auf die Liegenschaft […] sowie das darauf befindliche Haus zurückkehren wolle“, bestehe ein dringendes Bedürfnis an einer einstweiligen Regelung der Benützung der Ehewohnung, zumal die Antragsgegnerin „letztlich sogar mit gerichtlicher Hilfe eine Rückkehr durchsetzen wolle“. Dass sie dies – nach Klageeinschränkung in dem von ihr im September 2024 eingeleiteten Zivilprozess – nur zu dem Zweck begehrt habe, um nach vorangehender Ankündigung ihre persönlichen Gegenstände abzuholen, sei eine unzulässige Neuerung. Da das Interesse des Antragstellers an der Benützung der Ehewohnung jenes der Antragsgegnerin, die über eine eigene Wohnung verfüge, übersteige und dem Antragsteller und dem gemeinsamen Kind eine Benützung der Ehewohnung mit der Antragsgegnerin aufgrund ihres vergangenen Verhaltens nicht zumutbar sei, habe das Erstgericht die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen.
[9] Der ordentliche Revisionsrekurs sei aufgrund der Einzelfallbezogenheit des konkreten Falls nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[10] Das dagegen von der Antragsgegnerin erhobene und als Zulassungsvorstellung und ordentlicher Revisionsrekurs bezeichnete Rechtsmittel ist richtigerweise als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandeln (RS0123405 [T1]). Dieser ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 iVm § 521a Abs 2 ZPO und § 78, § 402 Abs 4 EO) – Ausspruch des Rekursgerichts zulässig und berechtigt .
[11] 1. § 382 Z 8 lit b EO (§ 382 Abs 1 Z 8 lit c EO vor der Gesamtreform des Exekutionsrechts durch BGBl I 2021/86) enthält zwei Tatbestände, nämlich einerseits die einstweilige Regelung der Benützung des ehelichen Gebrauchsvermögens (erster Fall) und andererseits (zweiter Fall) die Sicherung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse (RS0006039). Die vom Antragsteller angestrebte einstweilige Regelung der (Allein )Benützung des ehelichen Gebrauchsvermögens (hier: der Ehewohnung) bedarf zwar keiner besonderen Gefahrenbescheinigung im Sinne des § 381 EO (RS0006039 [T8]), setzt aber ein Regelungsbedürfnis voraus (RS0006043). Der Zweck einer solchen einstweiligen Regelung besteht im Hintanhalten eines mit der Auflösung der bisher verbundenen Lebensbereiche der Ehegatten im partnerschaftlichen Sinn offenbar unvereinbaren Zustands. Sicherungsgegenstand ist der Anspruch der Ehegatten auf wechselseitige Wahrung persönlichkeitsbezogener Interessen bei Trennung ihrer einst verbundenen Lebensbereiche (1 Ob 305/03i [Pkt 1. mwN]; RS0006053). Eine einstweilige Verfügung nach § 382 Z 8 lit b erster Fall EO darf nur erlassen werden, wenn das Ergebnis einer Abwägung der einander widerstreitenden Interessen der Ehegatten den Standpunkt der gefährdeten Partei stützt (RS0006053 [T3]).
[12] 2. Ein für die einstweilige Regelung der Benützung des ehelichen Gebrauchsvermögens erforderliches Regelungsbedürfnis besteht etwa dann, wenn ein Ehepartner dem anderen das Zusammenleben in der ehelichen Wohnung unzumutbar oder unerträglich macht (RS0111240; RS0006043 [T5]). Ein Regelungsbedürfnis an der Benützung der Ehewohnung wird jedoch verneint, wenn der aus dieser ausgezogene Ehegatte gar nicht beabsichtigt, diese in Zukunft wieder dauernd mitzubenutzen (1 Ob 305/03i [Pkt 2.]: dort strebte der aus der Ehewohnung ausgezogene Ehegatte den Zutritt zu dieser nur zu dem Zweck an, „um eine gewisse Kontrolle ausüben zu können bzw um sich auch noch die dort befindlichen persönlichen Gegenstände abzuholen“; 1 Ob 128/20k [insb Pkt 5.], wo der ausgezogene Ehegatte nicht beabsichtigte, in die Ehewohnung zurückzukehren, sondern diese nur nach Absprache mit dem anderen Ehegatten betreten wollte; vgl auch 6 Ob 57/97v, wo ein Regelungsbedürfnis bejaht wurde, weil der aus der Ehewohnung ausgezogene Ehegatte nach drei Jahren wieder in diese einziehen wollte).
[13] 3. Im vorliegenden Fall argumentiert die Revisionsrekurswerberin (wie schon in erster Instanz), dass sie nicht beabsichtige, wieder in die Ehewohnung zurückzukehren, um dort zu wohnen. Vielmehr strebe sie den Zutritt zu dieser nur an, um sich ihre dort verbliebenen – in ihrem Eigentum stehenden – persönlichen Gegenstände (etwa Kleidung und Dokumente) abzuholen. Nur darauf habe auch ihre im September 2024 eingebrachte Klage abgezielt. Das Erstgericht habe dazu jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
[14] 4. Tatsächlich stellte das Erstgericht fest , „dass nicht festgestellt werden [kann], dass die Antragsgegnerin seit der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft nicht mehr auf die Liegenschaft […] sowie das darauf befindliche Haus zurückkehren will“. Nach dem Verständnis der Vorinstanzen traf es damit zur Frage, ob die Antragsgegnerin in die Ehewohnung zurückkehren oder diese (wie sie in erster Instanz behauptete) nur zu dem Zweck und nach vorheriger Ankündigung betreten wolle, sich ihre persönlichen Gegenstände abzuholen, eine Negativfeststellung (vgl die Beurteilung des Erstgerichts und des Rekursgerichts, wonach nicht feststehe, ob sie eine dauerhafte oder lediglich kurzzeitige Rückkehr beabsichtige).
[15] 5. Das für eine einstweilige Regelung der Benützung des ehelichen Gebrauchsvermögens erforderliche Regelungsbedürfnis ist aber vom Antragsteller zu behaupten und zu bescheinigen (RS0006043 [T3]; 7 Ob 192/05v „dartun und bescheinigen“; vgl allgemein auch RS0005452 [T6]). Die genannte Negativfeststellung zur Frage, ob die Frau beabsichtige, (dauerhaft) in die Wohnung zurückzukehren, oder ob sie lediglich eine kurzfristige „Rückkehr“ in diese zu dem Zweck, dort ihre persönlichen Gegenstände abzuholen, anstrebt, geht somit zu Lasten des Antragstellers, dem die Bescheinigung des – nach der dargelegten Judikatur (Pkt 2.) – erforderlichen Regelungsbedürfnisses damit nicht gelungen ist.
[16] 6. Somit ist dem Revisionsrekurs schon aus diesem Grund Folge zu geben und der Sicherungsantrag abzuweisen .
[17] 7. Auf die Frage, ob das mehrere Jahre zurückliegende (Fehl )Verhalten der Antragsgegnerin dem Antragsteller und dem bei ihm wohnenden Kind die gemeinsame Benützung der Ehewohnung unzumutbar machen würde, kommt es ebensowenig an, wie darauf, ob die Antragsgegnerin – wozu entgegen den Behauptungen des Antragstellers keine Feststellungen getroffen wurden – auch nach 2019 ein solches Verhalten (per SMS oder am Telefon) setzte.
[18] 8. Der Kostenzuspruch an die in allen drei Instanzen obsiegende Antragsgegnerin beruht – da ihr die Abwehr des Sicherungsantrags gelungen ist – auf § 393 Abs 1 dritter Satz EO iVm § 78 Abs 2 erster Satz AußStrG (vgl 1 Ob 132/14i [Pkt I.8. mwN]; 1 Ob 233/18i [Pkt 3]). Bemessungsgrundlage ist der Wert des zu sichernden bzw zu regelnden Anspruchs (§§ 3, 13 RATG), der vom Antragsteller mit 1.000 EUR bewertet wurde. Gemäß Anm 1a zu TP 3 GGG ermäßigt sich die Pauschalgebühr für das Verfahren dritter Instanz auf die Hälfte.