10Ob32/25s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Stefula, Dr. Annerl sowie Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch die PHH Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, Deutschland, vertreten durch die Wess Kux Kispert Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Lieferung (Streitwert 929.455,63 EUR) und 7.641,16 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 2. April 2025, GZ 1 R 24/25v 17, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin hat ihren Sitz in Österreich, die Beklagte in Deutschland.
[2] Zwischen den Parteien bestand seit Mai 2021 eine Geschäftsbeziehung über den An- und Verkauf von Altgold. Zu Beginn der Geschäftsbeziehung unterbreitete die Klägerin der Beklagten „zu unseren bekannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ ein Angebot. Diesem Angebot waren keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen angeschlossen, es enthielt auch keinen Hinweis auf die Abrufbarkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Klägerin im Internet und es wurde auch nicht von für die Beklagte vertretungsbefugten Personen unterfertigt.
[3] Punkt 4.3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin lautete (zumindest in der Fassung Oktober 2021) auszugsweise wie folgt: „ Für sämtliche Streitigkeiten […] wird die ausschließliche Zuständigkeit des für Handelssachen sachlich zuständigen Gerichts in Wien, Innere Stadt, vereinbart, soweit nicht schriftlich abweichendes vereinbart wurde. “
[4] In der beim Handelsgericht Wien eingebrachten Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Lieferung von Gold einer bestimmten Menge, näher bezeichnete Zinsen aus dem Gegenwert dieses Goldes und die Zahlung von Scheidekosten samt näher bezeichneter Zinsen daraus. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts stützte die Klägerin auf Punkt 4.3 ihrer AGB, auf die die Klägerin zu Beginn der Geschäftsbeziehung im Angebot vom April 2021 hingewiesen hätte, die der Beklagten bekannt gewesen wären und die die Parteien einvernehmlich der gemeinsamen Geschäftsbeziehung zugrunde gelegt hätten. In der Sache brachte sie vor, dass die Parteien seit 2021 in einer laufenden Geschäftsbeziehung stünden. Die Kunden der Klägerin und somit auch die Beklagte böten der Klägerin Edelmetalle zum Kauf an. Zur Prüfung des Feinheitsgehalts und somit für die Bemessung des Kaufpreises würden die Edelmetalle von der Klägerin an eine Scheideanstalt weitergeliefert werden. Diese Scheideanstalt analysiere das entsprechende Edelmetall, woraufhin ein Analyseergebnis mit einer entsprechenden Wertfeststellung dem Kunden und daher auch der Beklagten mitgeteilt werde. Der Kunde und folglich auch die Beklagte habe hiernach die Entscheidungsgewalt darüber, ob er/sie die Edelmetalle zu diesem Wert an die Klägerin veräußere. Verweigere er/sie dies, so gehe das Edelmetall wieder zurück an den Kunden bzw die Beklagte. Entscheide sich der Kunde bzw die Beklagte für eine Veräußerung an die Klägerin oder melde der Kunde bzw die Beklagte sich nicht innerhalb von drei Werktagen bei der Klägerin nach Übermittlung der Ergebnisse der Wertfeststellung, so werde der Verkauf wirksam. Die Gewichte der betreffenden Edelmetalle würden diesfalls auf den entsprechenden Edelmetallkonten des Kunden bzw der Beklagten gutgeschrieben, die von der Klägerin geführt würden, und das Edelmetall gehe in das Eigentum der Klägerin über. Die Beklagte habe den von ihr anerkannten Negativsaldo des Edelmetallkontos durch Lieferung von Gold auszugleichen und die für die Aufbereitung des Altgoldes angefallenen Scheidekosten zu übernehmen.
[5] Die Beklagte wendete die internationale Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein und bestritt die Klagebegehren.
[6] Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück.
[7] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs zeigt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO auf.
[9] 1. Zwischen den Streitteilen ist nicht strittig, dass sich die Frage der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 EuGVVO 2012 richtet. Danach können die Parteien unabhängig von ihrem (Wohn-)Sitz und unter Beachtung der Voraussetzungen des Art 25 Abs 1 lit a bis c EuGVVO 2012 die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats vereinbaren. Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung, der autonom auszulegen ist, bedeutet nach gesicherter Rechtsprechung eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien über die Zuständigkeitsbegründung (RS0117156). Voraussetzung für das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung ist, dass die zuständigkeitsbegründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist (RS0113571 [T1]); es soll gewährleistet sein, dass Zuständigkeitsvereinbarungen nicht unbemerkt Inhalt des Vertrags werden (RS0113570 [T11]; RS0114604 [T10]).
[10] Das Vorliegen einer solchen übereinstimmenden Willenserklärung ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Nur im Fall einer im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilung der zweiten Instanz liegt eine erhebliche Rechtsfrage nach § 528 Abs 1 ZPO vor (RS0117156 [T5]; RS0114604 [T8]). Das ist hier nicht der Fall.
[11] 1.1. Nach Art 25 Abs 1 lit a bis c EuGVVO 2012 muss die Gerichtsstandsvereinbarung in einer bestimmten Form geschlossen werden, und zwar entweder (lit a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung oder (lit b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder (lit c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.
[12] 1.1.1. Das Erfordernis der Schriftlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 EuGVVO 2012 ist nach der Rechtsprechung zwar entsprochen, wenn der Vertragstext ausdrücklich auf die eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden AGB Bezug nimmt (RS0111715; RS0109865 [T1]). Soweit sich die Klägerin auf die von ihr vorgelegten Angebote aus April und August 2021 stützt, enthalten diese zwar einen Hinweis auf ihre AGB. Es handelt sich dabei aber um einseitige Erklärungen der Klägerin. Dass diese Angebote von der Beklagten in einer dem Art 25 Abs 1 lit a (oder Abs 2) EuGVVO 2012 entsprechenden Form angenommen wurden (oder damit eine mündlich getroffene Vereinbarung schriftlich bestätigt worden wäre), behauptet sie nicht, sodass sie in diesem Punkt schon deswegen keine Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO aufzeigt.
[13] 1.1.2. Unter „Gepflogenheiten“ im Sinn des Art 25 Abs 1 lit b EuGVVO 2012 wird eine zwischen den konkreten Parteien regelmäßig beachtete Praxis verstanden (RS0115073; RS0114604 [T7, T11]). Ob eine in einem konkreten Fall geübte Praxis, die Dauer der Geschäftsbeziehung und deren Intensität ausreichen, damit eine der Parteien auf eine bestimmte Form als „die Übliche“ vertrauen darf, richtet sich nach den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls und hat regelmäßig keine über diesen hinausgehende Bedeutung (RS0114604 [T8]).
[14] In erster Instanz leitete die Klägerin das Bestehen einer Gerichtsstandsvereinbarung aus der Übersendung eines (einzigen) Angebots aus April 2021 ab, in dem (ohne weiteren Hinweis auf eine Abrufbarkeit auf einer Webseite) auf die AGB verwiesen wird, die der Beklagten nach den getroffenen Feststellungen aber nicht zugegangen waren (bei dem im Revisionsrekurs genannten Angebot aus August 2021 handelt es sich offenbar um das aktualisierte Angebot, wozu sie in erster Instanz aber kein zuständigkeitsbegründendes Vorbringen erstattete). Die Behauptung im Revisionsrekurs, dass der Beklagten die AGB der Klägerin bekannt gewesen seien, geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Wenn das Rekursgericht in der Übersendung des Angebots aus April 2021 und in der in erster Instanz vorgetragenen Abwicklung der Geschäftsbeziehung durch die Klägerin (Führung eines Edelmetallkontos, Abrechnung bzw Saldierung des Kontos, Übermittlung von Auszügen an die Beklagte) keine Gepflogenheit im Sinn des Art 25 Abs 1 lit b EuGVVO 2012 erblickte, bedarf das keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung. Dies unter anderem deshalb, nicht, weil die Klägerin das Zustandekommen weiterer Geschäftsfälle nicht konkret darstellte. Es ist jedenfalls vertretbar, aus einem einzigen Angebot unter Hinweis auf die (dem Vertragspartner nicht zugegangenen) AGB keine regelmäßig beachtete Praxis zwischen den Parteien abzuleiten, dass die in den AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel generell ihrer Geschäftsbeziehung zugrunde zu legen wäre. Insbesondere legt die Klägerin auch im Revisionsrekurs nicht offen, ob und wann welche für die Beklagte vertretungsbefugten Personen die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der – ihr nach den getroffenen Feststellungen zu Beginn der Geschäftsbeziehung nicht zugegangenen – AGB gehabt haben sollen (RS0014506; vgl auch RS0111716; RS0115079 [T2]) und aufgrund welchen konkreten Verhaltens solcher Personen die Klägerin von einer tatsächlichen Zustimmung der Beklagten zu der in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel ausgehen hätte dürfen.
[15] 1.2. Das von der Klägerin für ihren Standpunkt ins Treffen geführte Verhalten der Beklagten in einem anderen (deutschen) Prozess bestand nach der von der Klägerin vorgelegten Klagebeantwortung der Beklagten in jenem Verfahren lediglich darin, dass die Beklagte zur Geltung der AGB nicht ausdrücklich Stellung bezog, aber vortrug, dass eine dortige Behauptung der Klägerin „selbst nach den Regelungen in den eigenen AGB“ nicht zutreffe. Wenn die Vorinstanzen auch insofern nicht auf das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung über die im nun vorliegenden Verfahren geltend gemachten Ansprüche schlossen, ist diese Beurteilung nicht korrekturbedürftig.
[16] 1.3. Da die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die eine nach Art 25 Abs 1 lit a und lit b EuGVVO 2012 wirksame Gerichtsstandsvereinbarung verneinten, auch unter Berücksichtigung der im Revisionsrekurs behaupteten tatsächlichen Umstände (soweit er vom festgestellten Sachverhalt ausgeht) keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung darstellt, kommt es nicht darauf an, ob die Behauptung dieser Umstände im Rekurs gegen das Neuerungsverbot verstieß oder ob dazu Feststellungen (nicht) getroffen wurden.
[17] 1.4. Soweit die Klägerin überdies das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 geltend macht, hielt dem bereits das Rekursgericht entgegen, dass dazu in erster Instanz kein entsprechendes Vorbringen erstattet worden sei. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RS0042828). Mit dem bloßen Hinweis auf die in erster Instanz behauptete „internationale Geschäftsbeziehung“ und eine „gängige Praxis“ der Vereinbarung von Gerichtsstandsklauseln zeigt die Klägerin eine Überschreitung des dem Rekursgericht hier zukommenden Beurteilungsspielraums nicht auf.
[18] 2. Auch die Auslegung des Rekursgerichts, dass das erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin keinen Anhaltspunkt zum Erfüllungsort im Sinne des Art 7 EuGVVO 2012 enthalten habe, wirft keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf (RS0042828).
[19] 2.1. Der Hinweis der Klägerin im Revisionsrekurs auf ihr erstinstanzliches Vorbringen zum gewöhnlichen Ablauf des Ankaufsprozesses, wonach die Kunden die angebotenen Edelmetalle „an die Klägerin bzw an eine Filiale“ des Konzerns der Klägerin senden müssten, übergeht ihr weiteres erstinstanzliches Vorbringen, wonach diese die Edelmetalle an eine Scheideanstalt weiterliefere und der Kaufvertrag (erst) nach Bekanntgabe der Wertfeststellung durch die Scheideanstalt zustande komme, in welchem Fall das Edelmetall in das Eigentum der Klägerin übergehe. Ausgehend von der Behauptung einer Aushändigung des Edelmetalls an die Klägerin als Käuferin bei der Scheideanstalt (nach Zustandekommen des Kaufvertrags), bedarf die Beurteilung des Rekursgerichts, dass das erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin keinen Anhaltspunkt für einen Erfüllungsort am Sitz der Klägerin biete, keiner Korrektur im Einzelfall.
[20] 2.2. Der Hinweis der Klägerin auf eine von ihr erbrachte Dienstleistung im Sinn des Art 7 Abs 1 lit b 2. TS EuGVVO 2012 in Form der Analyse des Altgoldes übersieht, dass auch eine solche Dienstleistung nach dem erstinstanzlichen Vorbringen der Klägerin tatsächlich nicht an ihrem Sitz, sondern – wenn auch im Auftrag der Klägerin – bei einer Scheideanstalt erbracht wurde, sodass auch insofern keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts aufgezeigt wird.
[21] 3. Soweit die Klägerin im Revisionsrekurs geltend macht, dass ihr Gelegenheit zu geben gewesen wäre, weiteres zuständigkeitsbegründendes Tatsachenvorbringen zu erstatten, rügt sie einen Verfahrensmangel erster Instanz, der vom Rekursgericht verneint wurde und daher in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden kann (RS0042963 [T4]; RS0106371 [T1]). Bei der im Revisionsrekurs kritisierten Aussage des Rekursgerichts, worauf sich die Klägerin in erster Instanz gestützt habe, handelt es sich nicht um eine Wiedergabe des Akteninhalts, sondern eine Schlussfolgerung und somit nicht um eine Aktenwidrigkeit (RS0043256).