9Ob107/24m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vorsitzenden Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Alexander Amann LL.M., Rechtsanwalt in Gamprin Bendern/Fürstentum Liechtenstein, gegen die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 7.250 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 27. August 2024, GZ 21 R 286/24s 26, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 31. Mai 2024, GZ 16 C 406/23w 22, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Der Antrag, ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art 267 AEUV einzuleiten, wird zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 992,41 EUR (darin 158,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb im Jahr 2015 einen (unstrittig: von der Beklagten hergestellten) gebrauchten VW Sharan Comfortline BMT TDI mit einem Kilometerstand von 15.000 km um 29.000 EUR bei einem Autohaus. In diesem Fahrzeug ist ein 2.0 l Dieselmotor des Typs EA189, mit 103 KW/140 PS verbaut und gemäß Euro 5 akkreditiert. Im Klagsfahrzeug sind auch nach Durchführung eines Software Updates diverse unzulässige Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, verbaut.
[2] Bei Abschluss des Kaufvertrags war dem Kläger der sogenannte „Dieselskandal“ noch nicht bekannt. Hätte der Kläger beim Kauf davon gewusst, dass das klagsgegenständliche Fahrzeug vom „Abgasskandal“ betroffen ist, hätte er es nicht erworben.
[3] Der Kläger begehrte mit Klage vom 17. April 2023, der Beklagten zugestellt am 24. April 2023, 7.250 EUR aus dem Titel des Schadenersatzes – er habe ein um mindestens 25 % überteuertes Fahrzeug erworben – sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass aufgrund des nicht typengenehmigungsfähigen Zustands dem Fahrzeug die Zulassung entzogen werde. Zinsen begehrte er ab dem Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeuges.
[4] Die Beklagte bestritt und wandte ein, der Kläger habe das Fahrzeug nicht direkt bei ihr erworben. Nach Durchführung eines Software Updates entspreche das Fahrzeug dem vertraglich Geschuldeten und sei weder mangel- noch schadhaft. Das Thermofenster sei zulässig. Es bestehe weder ein Wertverlust noch ein Schaden. Es stehen auch kein bereicherungsrechtlicher Vergütungszins, sondern nur Verzugszinsen zu. Zudem fehle es an einem Feststellungsinteresse.
[5] Das Erstgericht gab der Klage im Umfang von 1.450 EUR samt 4 % Zinsen ab Klagszustellung statt.Es setzte dabei den dem Kläger zustehenden Schadenersatz nach § 273 ZPO mit 5 % des Kaufpreises fest. Das Mehrbegehren von weiteren 5.800 EUR sA, das Zinsenmehrbegehren und das Feststellungsbegehren wurden abgewiesen.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ nachträglich die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof zur Frage, ob Zinsen ab dem Tag der Zahlung des Kaufpreises zustünden, zu.
[7] Gegen den klagsabweisenden Teil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die gänzliche Stattgebung der Klage anstrebt, und in der er als erhebliche Rechtsfrage den Beginn des Zinslaufs sowie ein Abweichen der Vorinstanzen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs einerseits zur Schadenshöhe und andererseits hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens geltend macht.
[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9]Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig. Der Kläger ist in der Ausführung seiner Rechtsmittelgründe zwar nicht auf die vom Berufungsgericht formulierte Rechtsfrage beschränkt, sodass diese in die Prüfung der Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO miteinzubeziehen sind ( RS0042392). Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zeigt der Kläger in der Revision jedoch nicht auf.
[10]Die Behandlung der Revision beschränkt sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
1. Zum Zinsanspruch
[11]Nach der gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird (auch) ein Schadenersatzanspruch wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art 5 VO 715/2007/EG erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch den Zugang einer Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig, sodass Verzugszinsen erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (vgl 10 Ob 2/23a vom 25. April 2023 [Rz 44]; RS0023392 [T6]). Dieser Rechtsprechung entsprechen die Entscheidungen der Vorinstanzen hinsichtlich des Beginns des Zinslaufs.
[12] Insoweit der Kläger meint, dass er den behaupteten überhöhten Kaufpreis nicht anders habe nutzen können, macht er keinen konkreten Schaden geltend (vgl bereits 4 Ob 66/24w[Rz 43]). Inwiefern die Judikatur deutscher Gerichte zum Kartellschadenersatz gestützt auf Art 101 f AEUV eine andere rechtliche Beurteilung bewirken soll, führt die Revision nicht nachvollziehbar aus (vgl auch 4 Ob 38/24b [Rz 18]).
2. Zur Schadenshöhe
[13]Zur Schadenshöhe ist auszuführen, dass die Möglichkeit, die Wertminderung nach freier Überzeugung festzusetzen (§ 273 Abs 1 ZPO), zwar nach der Rechtsprechung nicht ausschließt, die Wertminderung exakt festzustellen und dem Käufer den Ersatz derselben zu gewähren (8 Ob 109/23x [Rz 22] uva).
[14] Eine tatsächliche bzw exakte Wertminderung wurde hier aber nicht festgestellt. Damit besteht aber auch der vom Kläger behauptete Widerspruch zum unionsrechtlichen Effektivitätsgebot bei einem festgestellten höheren Schaden nicht. Dass die vorliegende Konstellation von den bisherigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zur Bandbreite von 5 % bis 15 % ( RS0134498 ) abweichen würde, behauptet die Revision nicht.
3. Zum Feststellungsbegehren
[15] Auch das vom Kläger behauptete Abweichen der Vorinstanzen hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens ist zu verneinen:
[16]Nach der Rechtsprechung wird der Käufer durch den Ersatz des – festgestellten oder nach § 273 Abs 1 ZPO festgesetzten – Minderwerts des Fahrzeugs so gestellt, als wäre ihm die unzulässige Abschalteinrichtung bereits beim Vertragsabschluss bekannt gewesen. Entschließt er sich daher dazu, keine Rückabwicklung des Vertrags anzustreben, sondern das Fahrzeug gegen Ersatz des Minderwerts weiter zu behalten, so nimmt er das Risiko allfälliger zukünftiger Schäden bewusst in Kauf und kann fortan keine weiteren Schadenersatzansprüche mehr stellen (siehe 4 Ob 38/24b [Rz 19] mwN ua).
[17]Es wurde in der Rechtsprechung bereits klargestellt, dass ein Feststellungsinteresse nicht auf einen (allfälligen zukünftigen) Entzug der Zulassung gestützt werden kann, weil dieses Risiko bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt (4 Ob 90/24z [Rz 14] mwN).
[18]Weiters hat der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 17/23g (Rz 26 ff) bereits ausgesprochen, dass die von einem Käufer im Rahmen des Feststellungsbegehrens geltend gemachten Spät und Dauerfolgen (zB Schäden wegen vermehrter Abgasrückführung) nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den (auch dort gegenständlichen) unionsrechtlichen Schutzgesetzen, die nicht die Vermeidung solcher Schäden (auch nur mit)bezwecken, stehen. Auch zu 3 Ob 203/23h (Rz 23) führte der Oberste Gerichtshof aus, dass die relevanten unionsrechtlichen Abgasnormen nicht bezwecken, dass bestimmte technische Bauteile geschont oder weniger oft gewartet werden müssen.
[19]Schließlich hielt der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 17/23g (Rz 34) auch fest, dass sich aus § 874, § 1295 Abs 2 ABGB kein Begehren auf Feststellung der Haftung für Reparatur oder Wartungskosten ableiten lässt.
[20] Auf allfällige Fehler der Beklagten bei einer weiteren Nachrüstung bzw weiteren SoftwareUpdates kann das Feststellungsbegehren schließlich auch nicht gestützt werden. Dabei wird nämlich nicht an ein bereits eingetretenes Schadensereignis angeknüpft, sondern an eine erst zukünftig vorzunehmende Handlung der Beklagten. Diese Schädigung liegt in der Zukunft und bedarf überdies der Mitwirkung des Klägers, sodass sie noch nicht zur Grundlage eines Feststellungsanspruchs gemacht werden kann (10 Ob 17/24h [Rz 17]; 6 Ob 158/22m [Rz 74]).
[21] Aus dem Umstand, dass der Oberste Gerichtshof zu 9 Ob 18/24ywegen der dort behaupteten zukünftigen Schäden im Bereich des Abgasrückführungssystems ein Feststellungsinteresse bejahte, ist für den Kläger ebenso nichts abzuleiten: Das zu 9 Ob 18/24y erhobene Feststellungsbegehren weicht vom vorliegenden ab. Darüber hinaus machte der dortige Kläger einen Schadenersatzanspruch gegen den Motorhersteller geltend, der nicht auf eine unionsrechtliche Schutzgesetzverletzung gestützt werden konnte. Demgegenüber nimmt der Kläger im gegenständlichen Verfahren den beklagten Fahrzeughersteller gerade wegen Verletzung der VO 715/2007/EG als Schutzgesetz in Anspruch.
[22] Die Entscheidungen der Vorinstanzen weichen von dieser Rechtsprechung nicht ab.
[23] 4. Die Revision ist daher mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
[24]5. Der im Rahmen der Revision gestellte Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Union war schon mangels eines Antragsrechts der Prozessparteien zurückzuweisen (RS0058452). Die von der Revision aufgezeigten Fragen stellen sich im vorliegenden Fall schon mangels einer festgestellten tatsächlichen Wertminderung nicht.
[25]6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.