4Ob66/24w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Alexander Amann LL.M., Rechtsanwalt in Gamprin Bendern, Fürstentum Liechtenstein, gegen die beklagte Partei * AG, *, Deutschland, vertreten durch die CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH, wegen 30.000 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse 11.250 EUR sA) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse 18.750 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2024, GZ 4 R 137/23d 27.1, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 28. Juli 2023, GZ 6 Cg 80/22d 22, abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
II. Der Revision der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil abgeändert wie folgt:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 25.800 EUR samt 4 % Zinsen seit 26. 1. 2023 Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs Mercedes Benz ML 250 Bluetec 4Matic, Fahrzeugidentifizierungsnummer *, binnen 14 Tagen zu zahlen.
2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei Zug um Zug gegen Herausgabe des unter Punkt 1. bezeichneten Fahrzeugs weitere 4.200 EUR samt 4 % Zinsen seit 26. 1. 2023 und 4 % Zinsen aus 30.000 EUR von 3. 3. 2020 bis 25. 1. 2023 binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.“
III. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 11.976,14 EUR (darin 4.843,47 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung und Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 3. 3. 2020 bei einer KFZ Händlerin einen von der Beklagten hergestellten Mercedes Benz ML 250 Bluetec 4Matic mit einem Kilometerstand von 120.000 km um 30.000 EUR. Das Fahrzeug war am 2. 1. 2013 erstzugelassen worden und verfügt über einen Diesel Motor Typ OM 651 der Abgasklasse EU 6b. Die innermotorische Abgasrückführung (AGR) erfolgt über ein AGR Ventil, einen AGR Kühler und ein AGR Rohr, die Abgasnachbehandlung über einen Dieselpartikelfilter, einen Oxidationskatalysator und einen NSK oder SCR Katalysator.
[2] Das streitgegenständliche Fahrzeug fand sich auf der Liste der vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge des deutschen Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) und unterlag einem verpflichtenden Rückruf. Das KBA begründete dies in seinen Bescheiden vom 23. 5. 2018 und 3. 8. 2018 damit, dass eine Steuerungsstrategie verwendet werde, mit der die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems bei normalen Betriebsbedingungen in unzulässiger Weise reduziert werde („Aktives Bit 13“ bzw „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“). Das Fahrzeug arbeite – ausgehend von den Einlassungen der Beklagten – für die Abgasnachbehandlung per SCR Katalysator mit zwei unterschiedlichen Regelstrategien (Modi) bei der Eindüsung von AdBlue, welches die Stickoxide (NOx) reduziere. Dies sei zwar grundsätzlich zulässig, üblich und keine verbotene Prüfstandserkennung, weil die Funktion auch im Straßenverkehr aktiv sei. Bei der „Strategie A“ werde aber unter Bedingungen, wie sie auch für die Typprüfung vorgegeben seien, nach Motorstart ein vergleichsweise effektiver Modus genutzt, während nach dem Erreichen einer bestimmten NOx Masse nach Ablauf des Prüfzyklus dauerhaft ein weniger effektiver Modus genutzt werde, und zwar bis der Motor neu gestartet werde.
[3] Die Beklagte bekämpfte diesen Bescheid, entwickelte jedoch auch ein Software Update, das vom KBA freigegeben und am 6. 8. 2021 am Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde. Das Software Update bewirkte eine Reduktion des NOx Ausstoßes im realen Fahrbetrieb (beim NEFZ Prüfstandstest wurde der NOx Grenzwert von 80 mg/km ohnedies eingehalten). „Im realen Fahrbetrieb stößt das gegenständliche Modell in der Regel bzw in den meisten Betriebszuständen aber noch immer mehr als 80 mg/km NOx aus.“ Auch nach dem Software Update werden noch zwei unterschiedliche Strategien bei der AdBlue Dosierung genutzt, und zwar der „Speichermodus“, der bei der Inbetriebnahme des Fahrzeugs aktiviert wird, und der „Onlinemodus“, der einen Ammoniakschlupf bei einem zu hohen Speicherfüllstand verhindern soll. „Mit dem Software Update wurde zudem ein sogenanntes ‚Thermofenster‘, also eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung, zwischen - 10 °C und + 40 °C verbaut bzw bedatet.“
[4] Der Kläger begehrt von der Beklagten, gestützt auf Schadenersatz und List wegen des Einbaus mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen, den Ersatz des Kaufpreises (ohne Anrechnung eines Benützungsentgelts) samt 4 % Zinsen seit Kaufvertragsabschluss gegen Herausgabe des Kfz; hilfsweise den Ersatz des Minderwerts, nämlich 25 % des Kaufpreises, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten.
[5] Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, weil die vom KBA ursprünglich (wenn auch zu Unrecht) beanstandete Steuerung der Abgasnachbehandlung entsprechend dessen Vorgaben geändert worden sei und seit dem Software-Update keinesfalls mehr Abschalteinrichtungen vorlägen. Auch sonst gebe es keinen Schaden, keine Nutzungsbeeinträchtigung und keine Wertminderung. Die noch vorhandenen Funktionsweisen, insbesondere das „Thermofenster“, seien allesamt zum Motorschutz notwendig, üblich und dem KBA offengelegt worden. Ihre dahingehende Rechtsansicht sei zumindest vertretbar gewesen, sodass ihr kein Verschulden, geschweige denn Arglist vorgeworfen werden könne. In jedem Fall müsse sich der Kläger ein Benützungsentgelt von 12.000 EUR anrechnen lassen und könne Zinsen erst ab Klagszustellung verlangen.
[6] Das Erstgericht wies die Klage ab, weil ein allfälliger Schaden aufgrund der „Strategie A“ durch das Software Update behoben worden sei. Hinsichtlich der temperaturabhängigen Abgasrückführung, die dem KBA stets offengelegt worden sei, könne der Beklagten kein Verschulden angelastet werden. Im Übrigen sei das konkrete „Thermofenster“ aufgrund seines weiten Temperaturbereichs keine Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 der VO 715/2007/EG, in eventu zum Motorschutz notwendig iSd Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG.
[7] Das Berufungsgericht gab einer Berufung des Klägers teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger 18.750 EUR samt 4 % Zinsen seit 26. 1. 2023 Zug um Zug gegen Herausgabe des Kfz zu zahlen; das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren 11.250 EUR und das Zinsenmehrbegehren wies es ab.
[8] Es legte die Feststellungen dahin aus, dass die Abgasrückführung beim klägerischen Fahrzeug unter - 10 °C und über + 40 °C reduziert werde. Dabei handle es sich aber um Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien, sodass damit eine Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 der VO 715/2007/EG verwirklicht sei. Zwar sei diese nicht den überwiegenden Teil des Jahres aktiv, aber ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen auch nicht notwendig iSd Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG und der dazu ergangenen Rechtsprechung, weil sie primär dem Schutz der AGR Bauteile vor Versottung und Verlackung diene. Die Beklagte könne sich schließlich auch nicht auf ein fehlendes Verschulden berufen: nach der Rechtsprechung bleibe es nämlich bei der Haftung des Schädigers, wenn ein Versuch der Schadensbeseitigung – selbst unverschuldet – fehlschlage.
[9] Der Kläger müsse sich allerdings auch gegenüber dem Hersteller ein Benützungsentgelt im Rahmen des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen, das sich bei Gebrauchtfahrzeugen anhand der Formel „tatsächlicher Kaufpreis x gefahrene Kilometer: erwartbare Restlaufleistung“ ermitteln lasse und daher 11.250 EUR betrage. Beim hier geltend gemachten Schadenersatzanspruch stünden zudem keine Vergütungszinsen seit Kaufvertragsabschluss, sondern nur Verzugszinsen seit Fälligstellung zu, die in concreto erst mit der Klagszustellung erfolgt sei.
[10] Die Revision sei wegen fehlender Rechtsprechung zur „Motorschutzausnahme“ nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG zulässig.
[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich einerseits die Revision des Klägers , der eine vollständige Klagsstattgebung durch Entfall des Benützungsentgelts und Zuspruch von Zinsen seit Kaufvertragsabschluss erreichen will, und andererseits die Revision der Beklagten , die eine gänzliche Klagsabweisung anstrebt; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
[12] In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Streitteile jeweils, die Revision der Gegenseite als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig und daher zurückzuweisen .
[14] Die Revision des Klägers ist wegen eines Abweichens der Berufungsentscheidung von jüngerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Ermittlung des Benützungsentgelts zulässig und insofern teilweise berechtigt .
I. Zur Revision der Beklagten:
[15] I.1. Das Vorliegen einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769, RS0112921). Eine bei Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO verliert daher ihre Erheblichkeit, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zwischenzeitig geklärt wurde (RS0112769 [T12], RS0112921 [T5]).
[16] Das ist hier der Fall, die Begründung kann sich daher auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[17] I.2.1 Die Beklagte wendet sich in ihrer Revision gegen das Vorliegen eines Schadens und die Qualifikation ihrer temperaturabhängigen Abgasrückführung als (unzulässige) Abschalteinrichtung. Insoweit gelingt es ihr jedoch nicht, eine erhebliche, vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortete Rechtsfrage, oder eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht aufzuzeigen.
[18] I.2.2 Nach Art 3 Z 10 der VO 715/2007/EG ist eine Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, das ua die Temperatur ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
[19] Die Beklagte bestreitet das Klagsvorbringen, laut dem sich die auch hier vorliegende temperaturabhängige Reduktion der Abgasrückführung auf die Emissionen im Fahrbetrieb negativ auswirke, nur insofern, als sie auf den gegenüber anderen Motoren deutlich weiteren Temperaturbereich verweist, der sowohl die üblichen Betriebsbedingungen im Unionsgebiet, als auch die neueren RDE-Prüfmaßstäbe abdecke.
[20] Der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ der VO 715/2007/EG verweist nach jüngerer Rechtsprechung auf die Verwendung des Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (10 Ob 34/24h [Rz 14, 23] mwN; EuGH C 128/20, GSMB Invest [Rn 40]; C 134/20, Volkswagen [Rn 47]). Für diese Betrachtung kommt es entgegen den Revisionsausführungen nicht auf einen Durchschnittswert an (vgl 6 Ob 175/23p [Rz 60]; 6 Ob 177/23g [Rz 34]).
[21] Davon ausgehend qualifizierte der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 177/23g und 7 Ob 40/24v (beim selben Motortyp) eine temperaturabhängige Reduktion der Abgasrückführung unter - 10 °C und über + 40 °C bereits als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 der VO 715/2007/EG. Eine erhebliche Rechtsfrage wird von der Revision insoweit nicht aufgezeigt.
[22] I.2.3 Dies gilt ebenso hinsichtlich einer Rechtfertigung mit der „Motorschutzausnahme“ nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG.
[23] Angesichts des grundsätzlichen Verbots in Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist fürs Erste von der Unzulässigkeit der festgestellten Abschalteinrichtung auszugehen. Daher liegt es an der Beklagten (als Herstellerin), die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und nachzuweisen (vgl 6 Ob 177/23g [Rz 26] mwN).
[24] In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, könnte eine Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ iSd Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG, wenn zum Zeitpunkt der EG Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (10 Ob 31/23s [Rz 27]).
[25] Zu 6 Ob 175/23p und 7 Ob 40/24v verneinte der Oberste Gerichtshof (ebenfalls zum selben Motortyp) bereits das Vorliegen der „Motorschutzausnahme“ nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG unter Verweis auf C 128/20 – GSMB Invest (Rn 40, 51, 54; s zudem C 693/18 – CLCV , Rn 110), wenn das konkrete „Thermofenster“ „in erster Linie“ dem Schutz des AGR Ventils und des AGR Kühlers vor Versottung dienen und die Dauerhaltbarkeit der AGR Bauteile garantieren soll, und das Fahrzeug bei einem blockierenden AGR Ventil in den Notlauf wechselt, der Motorschäden gerade verhindern soll.
[26] Auch hier steht nicht fest, dass der konkrete Temperaturbereich von - 10 °C bis + 40 °C im Zeitpunkt des Software-Updates die einzige technische Lösung und dessen Einrichtung ausschließlich notwendig gewesen wäre, um unmittelbare Risiken für den Motor abzuwenden, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb darstellen. Die von der Beklagten in der Revision gerügten Feststellungsmängel: „Das Thermofenster im Fahrzeug ist technisch notwendig, um die durch eine Fehlfunktion von Bauteilen verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, wobei diese Risiken so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen.“ sind inhaltich eine rechtliche Beurteilung, für die es jedoch an entsprechendem Tatsachensubstrat fehlt. Es begegnet daher keinen Bedenken, wenn das Berufungsgericht auch hier davon ausging, dass der Beklagten der Nachweis der ausnahmsweisen Zulässigkeit nicht gelungen ist.
[27] I.2.4 Die Revisionsausführungen, wonach kein ersatzfähiger Schaden vorliege, gehen damit ins Leere. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Frage, ob aufgrund der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung des Fahrzeugs droht (und daher ein Schaden vorliegt), an der objektiven Rechtslage zu messen (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023, 10 Ob 27/23b uvm). Die Haftung des beklagten Herstellers entfällt nicht schon deswegen, weil die EG-Typengenehmigung aufrecht ist und das KBA (oder eine andere Behörde) keine unzulässige Abschalteinrichtung bei diesem Motortyp (hier: nach dem Software Update) festgestellt hat (10 Ob 52/23d [Rz 18] mwN).
[28] Richtig ist zwar, dass ein Fahrzeugkäufer auch gegenüber dem Hersteller primär einen Anspruch auf Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung hat. Eine Entfernung oder Änderung der temperaturabhängigen Abgasrückführung wurde von der Beklagten jedoch nie angeboten, sodass der Kläger auch ihr gegenüber Ersatz in Form einer Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs verlangen kann (6 Ob 175/23p [Rz 78] mwN).
[29] Das von der Beklagten angeregte Vorabentscheidungsersuchen zum Begriff und insbesondere dem Temperaturbereich des „normalen Fahrzeugbetriebs“ und dem Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens ist sohin nicht erforderlich, weil diese Fragen bereits unter Rückgriff auf aktuelle und einschlägige Judikatur des EuGH beantwortet werden konnten.
[30] I.3. Eine schadenersatzrechtliche Haftung der Beklagten setzt schließlich Verschulden voraus, wofür angesichts des Schutzgesetzcharakters der unionsrechtlichen Normen Fahrlässigkeit genügt und eine Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagten greift (vgl 10 Ob 27/23b mwN).
[31] Das Berufungsgericht verwies insofern auf jene Rechtsprechung, wonach die Haftung für den schuldhaften Einbau einer Abschalteinrichtung nicht dadurch entfällt, dass der Versuch der Schadensbeseitigung unverschuldet fehlgeschlagen ist (vgl RS0134560).
[32] Die (Behauptungs und) Beweislast für die Beseitigung der Unzulässigkeit einer zuvor vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtung und Herstellung eines den Zulassungsvorschriften entsprechenden Zustands durch ein Software Update trifft den Fahrzeughersteller; verbleibende Unklarheiten gehen auch insoweit zu seinen Lasten (6 Ob 127/24f [Rz 8]). Gelingt der Beklagten dieser Beweis nicht, kann sie sich nicht auf eine Klaglosstellung des Klägers durch das Software-Update berufen, selbst wenn sie damals noch von der Zulässigkeit eines „Thermofensters“ ausgegangen sein sollte (5 Ob 33/24z [Rz 19 f]).
[33] Die Revision der Beklagten setzt sich insofern umfassend mit einem (behaupteten) Rechtsirrtum hinsichtlich temperaturabhängiger Abschalteinrichtungen bei der Abgasrückführung auseinander. Für das Verschulden kommt es jedoch auf den Gesamtzustand des Fahrzeugs bei Auslieferung an, sohin auch auf die vom KBA beanstandete „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“ (6 Ob 175/23p [Rz 71 ff]). Zur Qualifikation dieser Steuerung der Abgasnachbehandlung als unzulässige Abschalteinrichtung durch das KBA und ihr Verschulden daran verweist die Beklagte in ihrer Revision nur pauschal darauf, dass „beides nicht der Fall sei“, ohne näheres Rechtsvorbringen dazu zu erstatten oder sekundäre Feststellungsmängel geltend zu machen. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht wird daher auch insofern nicht aufgezeigt.
[34] I.4. Die Revision der Beklagten ist sohin als unzulässig zurückzuweisen.
II. Zur Revision des Klägers:
[35] II.1.1 Der Kläger vertritt auch noch im Revisionsverfahren die Ansicht, dass er überhaupt kein Benützungsentgelt schulde.
[36] Zum einen findet seine Prämisse, dass die Beklagte den Schaden arglistig herbeigeführt habe, keine Deckung im festgestellten Sachverhalt, und zum anderen entspricht es der mittlerweile ständigen Rechtsprechung, dass ein geschädigter Fahrzeugkäufer auch dem Hersteller im Rahmen eines schadenersatzrechtlichen Vorteilsausgleichs Benutzungsentgelt schuldet (grundlegend 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023).
[37] Der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, ist grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen (RS0134263).
[38] II.1.2 Hilfsweise stützt sich der Kläger darauf, dass das vom Berufungsgericht mit 11.250 EUR ermittelte Benützungsentgelt überhöht sei, weil der Berechnung wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung ein um 30 % verminderter Kaufpreis zugrunde gelegt werden müsse.
[39] Dieses Argument wurde jedoch erst jüngst vom Obersten Gerichtshof zu 1 Ob 34/24t verworfen: War – wie hier – der Gebrauchsnutzen des Fahrzeugs nicht beeinträchtigt, so ist grundsätzlich vom vereinbarten Kaufpreis auszugehen (dem folgend: 4 Ob 163/23h).
[40] II.1.3 Auch in solchen Fällen kann jedoch eine Angemessenheitskorrektur gemäß § 273 ZPO erfolgen (4 Ob 163/23h mwN). Der Kläger verweist insofern zu Recht auf die Entscheidung 3 Ob 121/23z, in der bereits festgehalten wurde, dass eine Verpflichtung des Klägers, zusätzlich zur Herausgabe des Fahrzeugs Benützungsentgelt zu leisten, im Einzelfall den unionsrechtlichen Vorgaben und dem Effektivitätsgrundsatz widersprechen könne, nämlich wenn der Geschädigte im Ergebnis nur einen Betrag erhielte, der den aktuellen Zeitwert des zurückzugebenden Fahrzeugs deutlich unterschreitet. Der Senat schloss sich dieser Ansicht zu 4 Ob 163/23h an und reduzierte dort das Benützungsentgelt auf eine Höhe, mit der der Geschädigte für seinen Pkw zumindest noch den Händlerverkaufspreis erhielt, weil die beklagte Schädigerin nicht in den Genuss der Gewinnspanne zwischen Händlereinkaufs- und Händlerverkaufspreis kommen solle.
[41] Diese Grundsätze sind auch hier anzuwenden. Die Revisionsbeantwortung der Beklagten beschränkt sich im Zusammenhang mit der vom Kläger und 3 Ob 121/23z geforderten Angemessenheitskorrektur auf die Behauptung, dass eine solche nur zu erfolgen habe, wenn der zugesprochene Betrag (hier: 18.750 EUR) deutlich unter dem Händlereinkaufspreis liege, was hier nicht der Fall sei. Dies entspricht aber nicht den – unbekämpft gebliebenen – erstgerichtlichen Feststellungen, wonach der „aktuelle“ Händlereinkaufspreis 20.700 EUR und der Händlerverkaufspreis 25.800 EUR beträgt. Der Vorteilsausgleich ist sohin im Sinne der Entscheidung 4 Ob 163/23h im Rahmen von § 273 ZPO mit diesem Wiederverkaufswert zu beschränken, um im Einzelfall eine Bereicherung der schuldhaft handelnden Schädigerin im Verhältnis zum Kläger, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, zu vermeiden.
[42] II.2. Keine Berechtigung kommt der Revision des Klägers zu, soweit sie sich gegen die Abweisung des Zinsenmehrbegehrens für den Zeitraum zwischen Kaufvertragsabschluss und Klagszustellung wendet.
[43] Nach gefestigter Rechtsprechung wird (auch) ein Schadenersatzanspruch wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art 5 VO 715/2007/EG erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch den Zugang einer Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig, sodass Verzugszinsen erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023; jüngst 3 Ob 184/24s). Der Senat hielt bereits zu 4 Ob 38/24b und 4 Ob 90/24z fest, dass auch aus der vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidung des EuGH, C 295–298/04 – Manfredi , keine gegenteiligen Schlüsse für einen Anspruch auf Verzugszinsen nach österreichischem Recht gezogen werden können. Im Übrigen behauptet der Kläger zwar, dass er einen nach dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot zwingend zu ersetzenden Schaden erlitten habe, indem er den (behauptetermaßen) überhöhten Kaufpreisteil nicht anderweitig habe veranlagen können, macht insoweit aber gerade keinen konkreten Schaden geltend.
[44] II.3. Im Ergebnis stehen dem Kläger daher aufgrund der Angemessenheitskorrektur beim Vorteilsausgleich nach § 273 ZPO nicht 18.750 EUR, sondern 25.800 EUR samt 4 % Zinsen seit 26. 1. 2023 zu, dies Zug um Zug gegen Herausgabe des Kfz; das weitere Mehrbegehren von 4.200 EUR sowie das Zinsenmehrbegehren war in teilweiser Abänderung der Berufungsentscheidung abzuweisen.
[45] Der Kläger wandte sich auch nicht gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sein Eventualbegehren nur für den Fall der gänzlichen Abweisung des Hauptbegehrens schlagend werden soll, sodass darüber nicht abzusprechen ist.
III. Zur Kostenentscheidung:
[46] Die Abänderung in der Hauptsache verlangt auch eine neue Entscheidung über die Verfahrenskosten.
[47] Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens war dem Berufungsgericht zu folgen, dass § 43 Abs 2 ZPO nicht zur Anwendung kommt, weil der Kläger beim Benützungsentgelt nicht nur der Höhe, sondern schon dem Grunde nach unterlegen ist (vgl RS0035998). Daher stehen dem Kläger gemäß § 43 Abs 1 ZPO 72 % seiner Vertretungskosten und 86 % seiner Barauslagen zu. Auch sonst kann auf die Begründung des Berufungsgerichts verwiesen werden, sodass dem Kläger insgesamt 6.605,25 EUR zuzusprechen sind (darin 2.833,75 EUR an anteiligen Barauslagen; USt wurde vom Kläger nicht verzeichnet). Bei der Beklagten fielen in erster Instanz keine Barauslagen an.
[48] Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens über die Berufung des Klägers beruht ebenfalls auf § 43 Abs 1 (iVm § 50) ZPO, die Erfolgsquote bleibt insofern unverändert. Der ERV Zuschlag beträgt aber lediglich 2,60 EUR (vgl RS0126594). Der Kläger hat daher insoweit einen Kostenersatzanspruch von 2.931,21 EUR (darin 1.048,34 EUR an Pauschalgebühr).
[49] Die Kostenentscheidung im Verfahren über die Revision der Beklagten , die mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen wurde, beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. Bemessungsgrundlage waren 18.750 EUR, dem Kläger sind sohin 1.254,50 EUR zu ersetzen. Für die Anzeige des Vollmachtswechsels stehen schon deswegen keine Kosten zu, weil diese allein in die Sphäre der Beklagten fallen.
[50] Das Verfahren über die Revision des Klägers hat einen Streitwert von 11.250 EUR; davon ist der Kläger mit 7.050 EUR oder 63 % erfolgreich, sodass er seine Pauschalgebühr in diesem Ausmaß und 26 % seiner Vertretungskosten erhält, gesamt sohin 1.185,18 EUR (darin 961,38 EUR an Barauslagen).
[51] Im Ergebnis hat der Kläger daher einen Kostenersatzanspruch von 11.976,14 EUR (darin 4.843,47 EUR an anteiligen Barauslagen).