JudikaturOGH

9Ob32/25h – OGH Entscheidung

Entscheidung
Kindschaftsrecht
29. April 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. S*, geboren am * 2015, 2. L*, geboren am * 2014, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter T*, geboren am * 1990, *, vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf, Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, wegen Obsorge und Kontaktrecht, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 11. Dezember 2024, GZ 21 R 283/24b 122, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz keinen Revisionsrekursgrund bilden ( RS0030748 ). Dieser Grundsatz wäre nur dann unanwendbar, wenn das Rekursgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn das Rekursgericht einen primären Verfahrensmangel nach ausdrücklicher Prüfung verneint hat, unterläge doch andernfalls jede Entscheidung des Rekursgerichts über eine Mängelrüge der Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (vgl RS0042963 [T52, T55]).

[2]Im Pflegschaftsverfahren ist eine Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Kindeswohls möglich (RS0042963 [T51]). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

[3] 2. Das Rekursgericht hat sich entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs ausführlich mit den Einwendungen der Mutter gegen die Stellungnahme der Kinder- und Jugendgerichtshilfe auseinandergesetzt. Dabei wurde auch dargelegt, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht als erforderlich angesehen wird, da es sich bei den den Fall betreuenden Mitarbeiterinnen um eine klinische und Gesundheitspsychologin sowie eine Psychologin handelt. Die von der Mutter georteten Anhaltspunkte für „mangelnde Objektivität und das Fehlen ausreichender Beurteilungskompetenz“ sind nicht nachvollziehbar.

[4] 3. Die Mutter rügt weiters, dass das Rekursgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die im Rekurs geltend gemachten Stoffsammlungsmängel nicht gesetzeskonform ausgeführt worden seien.

[5] Im Rekurs wurde allerdings nur darauf verwiesen, dass die Einvernahme der Zeugen „geeignet gewesen wäre, die fachliche Stellungnahme in Zweifel zu ziehen“. Zu welchem konkreten Sachverhalt die Zeugen welche Wahrnehmungen hätten schildern können, wurde dagegen nicht dargelegt. Die „Erziehungsfähigkeit“ ist nicht von Zeugen zu beurteilen.

[6] 4. Eine Unterlassung der Einvernahme der Kinder durch das Gericht hat die Mutter in ihrem Rekurs gegen die erstgerichtliche Entscheidung nicht geltend gemacht, nur die Unterlassung der Einvernahme durch einen Sachverständigen. Schon deshalb wird mit diesen Ausführungen keine Mangelhaftigkeit der rekursgerichtlichen Entscheidung aufgezeigt.

[7]5. Im Verfahren außer Streitsachen gilt der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht (RS0006319). Dem Pflegschaftsrichter kommt vielmehr ein Beweisaufnahmeermessen zu (RS0006319 [T2]). Der Grundsatz des Parteiengehörs im Außerstreitverfahren erfordert nur, dass der Partei ein Weg eröffnet wird, auf dem sie ihre Argumente für ihren Standpunkt sowie überhaupt alles vorbringen kann, was der Abwehr eines gegen sie erhobenen Anspruchs dienlich ist (RS0006048 [T9]). Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung wird im Revisionsrekurs nicht aufgezeigt.

[8]6. Die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Obsorgeübertragung (gemäß § 181 ABGB) erfüllt sind und eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RS0115719 [T16]).

[9]Richtig ist, dass eine Verfügung, mit der die Obsorge entzogen wird, nur als ultima ratio in Betracht kommt (RS0132193). Sie setzt eine offenkundige Gefährdung des Kindeswohls und die Notwendigkeit der Änderung des bestehenden Zustands voraus (RS0085168).

[10] Im konkreten Fall wurde sowohl eine Gefährdung des Kindeswohls als auch eine eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Mutter sowie ihre mangelnde Kooperationsfähigkeit und bereitschaft festgestellt.

[11] Die Entscheidung der Vorinstanzen, dem Vater die alleinige Obsorge zu übertragen, ist vor diesem Hintergrund nicht korrekturbedürftig.

[12] 7. Welche gelinderen Mittel nach § 107 ABGB geeignet gewesen wären, eine Besserung der Situation zu erreichen, lässt auch der Revisionsrekurs offen. Nach den Feststellungen hatten beide Elternteile bereits mehrfach Elternberatung in Anspruch genommen und war auch bereits die Kinder und Jugendhilfe durch eine Unterstützung der Erziehung bei beiden Elternteilen involviert.

[13]8. Die Forderung nach Kontinuität entspringt dem Gedanken des Kindeswohls, weil nach der Lebenserfahrung die Stetigkeit und Dauer Grundbedingungen für eine erfolgreiche und damit dem Wohl des Kindes dienende Erziehung sind. Er ist nicht das entscheidende, sondern nur ein zusätzliches Argument für die Zuteilung der Obsorge (RS0047928 [T7]). Ausschlaggebend ist jedoch stets das Kindeswohl allein (RS0047928 [T5]). Eine Änderung des hauptsächlichen Aufenthaltsorts des Kindes muss daher, um eine Neuregelung zu begründen, bei Beurteilung des Kindeswohls in einer Gesamtschau und unter Berücksichtigung einer Zukunftsprognose so gewichtig sein, dass das Postulat der Erziehungskontinuität in den Hintergrund tritt (RS0047928 [T16]).

[14] Im konkreten Fall haben die Vorinstanzen die Kontinuität in ihre Beurteilung miteinbezogen, im Hinblick auf die Gesamtsituation jedoch als nicht ausschlaggebend angesehen.

[15]9. Richtig ist, dass nach § 180 Abs 3 ABGB die Obsorge neu geregelt werden kann, wenn sich seit der gerichtlichen Festlegung die Verhältnisse maßgeblich geändert haben. Dies gilt sowohl für Fälle, in denen die Obsorge durch Gerichtsbeschluss als auch für solche, in denen sie mit einer Vereinbarung vor Gericht geregelt wurde (vgl RS0128809 [T3]).

[16]Die nachträgliche Änderung einer bestehenden Obsorgeregelung setzt keine Gefährdung des Kindeswohls voraus. Die Änderung der Verhältnisse muss aber derart gewichtig sein, dass das zu berücksichtigende Postulat der Erziehungskontinuität in den Hintergrund tritt (RS0132056).

[17] Aufgrund der Feststellungen des Erstgerichts wäre auch eine solche Änderung der Verhältnisse zu bejahen gewesen. Inwieweit die Prüfung der strengeren Voraussetzungen einer Kindeswohlgefährdung durch die Vorinstanzen für die Mutter nachteilig ist, lässt sich dem Revisionsrekurs nicht entnehmen.

[18]10. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs der Mutter zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.