5Ob212/24y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun Mohr, Dr. Steger und Dr. Purtscheller als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers Ing. C*, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin E*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Winkler Reich Rohrwig Illedits Wieger RechtsanwältePartnerschaft in Wien, sowie der sonstigen Mieter und Nutzungsberechtigten des Hauses *, wegen § 22 Abs 1 Z 1 und 3 WGG iVm § 14a WGG und § 8 Abs 2 und 3 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Oktober 2024, GZ 38 R 161/24v 137, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 17. Mai 2024, GZ 5 MSch 9/22b 130, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird an das Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
[1]Die Antragsgegnerin ist eine Gemeinnützige Bauvereinigung im Sinn des WGG und Eigentümerin einer Wohnhausanlage. Der Antragsteller ist Mieter einer Wohnung in diesem Objekt. Mit seinem Hauptantrag begehrt er, die Antragsgegnerin habe die Erhaltungsarbeiten des Abrisses des Daches, der Abnahme der sich auf dem Dach befindlichen Mineralwolle sowie des WärmedämmVerbundsystems, wie sich diese Arbeiten aus einem näher bezeichneten Sanierungsprojekt ergeben, zu unterlassen und er sei nicht verpflichtet, diese Erhaltungsarbeiten zu dulden, insbesondere nicht das Betreten seines Mietgegenstands. Hilfsweise beantragt er, die Antragsgegnerin dürfe mit den genannten Erhaltungsarbeiten erst beginnen, wenn dem Antragsteller eine gleichwertige Wohnung auf Kosten der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellt worden sei, wobei ihm eine angemessene Entschädigung in einer Höhe zu bezahlen sei, die das Gericht nach billigem Ermessen festsetze. Außerdem stellte der Antragsteller eine Vielzahl von Zwischenfeststellungsanträgen, in denen er im Wesentlichen die rechtliche Zulässigkeit der angedachten Arbeiten im Hinblick auf § 14a Abs 2 Z 5 WGG, deren Finanzierung, die Frage nach deren Legitimation durch ein Gericht im Sinn des § 14 Abs 2 WGG, die Einhaltung der Bestimmungen des § 14a Abs 3 iVm § 14 Abs 2 WGG im Sinne eines EVBVerfahrens für hohe Investitionen und verfahrensrechtliche Fragen insbesondere nach der Notwendigkeit der Zustimmung sämtlicher Hauptmieter, eines Verfahrens gemäß § 14a Abs 3 iVm § 14 Abs 2 WGG bzw einer vorhergehenden zustimmenden gerichtlichen Entscheidung anspricht.
[2] Das Erstgericht wies den Haupt und Eventualantrag ebenso ab wie sämtliche Zwischenfeststellungsanträge.
[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers dagegen nicht Folge, bewertete „den Entscheidungsgegenstand“ mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers, über den der Oberste Gerichtshof noch nicht entscheiden kann.
1. Bewertungsausspruch
[5] 1.1. Das Rekursgericht hat den Wert des Entscheidungsgegenstands mit 10.000 EUR übersteigend bewertet und ging dabei erkennbar von einer Gesamtbewertung sämtlicher noch Gegenstand des Rekursverfahrens bildender Begehren aus, was im konkreten Fall nicht zu beanstanden ist.
[6]1.2. Grundsätzlich hat das Rekursgericht bei der Bewertung gemäß § 59 Abs 3 AußStrG die gesetzlichen Bewertungsregeln der §§ 54 Abs 2, 55 Abs 1–3, 56 Abs 3, 57, 58 und 60 JN sinngemäß anzuwenden. Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Rekursgerichts, hat auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren eine Zusammenrechnung nur zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (5 Ob 13/17y; RS0042741; RS0053096; RS0118275). Mehrere in einer Klage (bzw in einem Sachantrag) geltend gemachte Ansprüche sind zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus dem selben Vertrag oder der selben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RS0037648; 5 Ob 13/17y). Bei Beurteilung dieser Frage ist vom Vorbringen des Klägers – hier Antragstellers – auszugehen (RS0042741). Die Streitwerte einer Klage und des vom Kläger oder Beklagten gestellten Zwischenantrags auf Feststellung sind im Regelfall zusammenzurechnen (RS0039661). Stehen mehrere Begehren im tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 JN ist ein einheitlicher Bewertungsausspruch vorzunehmen (RS0118275 [T17]).
[7] 1.3. Hier liegt sämtlichen Begehren des Antragstellers nach dessen Behauptungen das Projekt „thermische Sanierung“ der Antragsgegnerin im Sinn des Sanierungsprospekts Beilage ./C zugrunde, den er auch in seinem Haupt und Eventualbegehren konkret anführte. Wenn auch die rechtliche Qualifikation einzelner von ihm genannter Arbeiten als Erhaltungsoder Verbesserungsarbeiten strittig sein mag und demgemäß auch ein unterschiedliches rechtliches Ergebnis denkbar wäre, liegt jedenfalls durch die Bezugnahme auf das Gesamtkonzept der Antragsgegnerin ein tatsächlicher Zusammenhang vor. Eine Zusammenrechnung im Sinn des § 55 Abs 1 JN und die daraus folgende einheitliche Gesamtbewertung ist daher nicht zu beanstanden.
2. Parteistellung
[8]2.1. Nach § 22 Abs 14 Z 1 WGG ist in einem Verfahren, das von einem oder mehreren Mietern oder sonstigen Nutzungsberechtigten einer Baulichkeit gegen die Bauvereinigung eingeleitet wird, der verfahrenseinleitende Antrag auch jenen anderen Mietern oder sonstigen Nutzungsberechtigten zuzustellen, deren Interessen durch eine stattgebende Entscheidung darüber unmittelbar berührt werden könnten; diesen Mietern oder sonstigen Nutzungsberechtigten ist Gelegenheit zur Teilnahme am Verfahren zu geben, wofür es genügt, wenn sie zu einem Zeitpunkt, zu dem dies auch zulässig ist, Sachvorbringen erstatten können. Diese Bestimmung entspricht § 37 Abs 3 Z 2 MRG, sodass die dazu ergangene Rechtsprechung zur Beurteilung der Parteistellung der übrigen Hauptmieter herangezogen werden kann (5 Ob 161/20t).
[9]2.2. Eine unmittelbare Interessenbeeinträchtigung der übrigen Hauptmieter besteht in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 2 MRG deshalb, weil der Vermieter die zur ordnungsgemäßen Erhaltung oder nützlichen Verbesserung des Hauses aufgewendeten Beträge als Ausgaben in dieHauptmietzinsrechnung einstellen darf und sich zur Rechtfertigung dieses Vorgehens auch den übrigen Hauptmietern gegenüber auf die im Verfahren erteilten Aufträge berufen kann. Im Verfahren, das der Durchsetzung von Erhaltungsarbeiten dient, geht die ständige Rechtsprechung (RS0070366 [T9, T10]; RS0070534 [T2]; 5 Ob 130/23p) in Übereinstimmung mit der Lehre ( Würth/Zingher/Kovanyi , Miet und Wohnrecht I 23§ 37 MRG Rz 68 mwN; T. Klicka in Hausmann/Vonkilch Österreichisches Wohnrecht 4§ 37 MRG Rz 86) daher von einer Teilnahmeberechtigung aller Hauptmieter des Hauses aus.
[10]2.3. Diese Grundsätze sind nach 5 Ob 161/20t auch in Verfahren anzuwenden, in denen die Qualifikation der begehrten Arbeiten als Erhaltungsarbeit im Sinn des § 14a Abs 2 Z 2b WGG strittig ist, zumal die gemeinnützige Bauvereinigung die Kosten für Erhaltungsarbeiten im Rahmen der Abrechnung des Erhaltungsund Verbesserungsbeitrags im Sinn des § 14d WGG zu berücksichtigen hat und nicht durch verbrauchte Erhaltungs und Verbesserungsbeiträge und künftig im gesetzlichen Ausmaß einzuhebende Erhaltungs-und Verbesserungsbeiträge gedeckte Erhaltungsarbeiten zu einer Erhöhung dieser Beiträge nach § 14 Abs 2 WGG führen könnten. Durch eine stattgebende Entscheidung über den Antrag auf Erhaltungsarbeiten können nach dieser Entscheidung die Interessen anderer Hauptmieter unmittelbar berührt werden, weshalb ihnen rechtliches Gehör einzuräumen ist.
[11]2.4. Hier beantragt der Antragsteller zwar nicht die Durchführung von Erhaltungsarbeiten, sondern will primär auf die Unterlassung der Arbeiten laut dem thermischen Sanierungskonzept der Antragsgegnerin und seine mangelnde Duldungspflicht nach § 8 Abs 2 und 3 MRG insbesondere was das Betreten seiner Wohnung betrifft hinaus; sein Eventualbegehren und eine Reihe seiner Zwischenfeststellungsanträge zielen aber auf die Finanzierung dieser Arbeiten und das nach Auffassung des Antragstellers hiebei einzuhaltende Prozedere ab. Unbeschadet der derzeit noch nicht zu erörternden Frage, inwieweit dem Antragsteller derartige Ansprüche tatsächlich zustehen, liegt es auf der Hand, dass durch eine den Sachanträgen des Antragstellers stattgebende Entscheidung (insbesondere was die primär begehrte Unterlassung einzelner Arbeiten betrifft) die Interessen anderer Hauptmieter oder Nutzungsberechtigten unmittelbar berühren würden, hätte dies doch – unter Umständen – die Auswirkung, dass selbst die vom Erstgericht festgestellten Baumängel und Schäden, die bereits zu Wassereintritten und Schimmelbefall in mehreren Wohnungen geführt haben, nicht wie geplant behoben werden könnten. Daraus folgt, dass den übrigen Hauptmietern und Nutzungsberechtigten rechtliches Gehör einzuräumen gewesen wäre (vgl RS0006036).
[12]2.5. Die weiteren Mieter bzw Nutzungsberechtigten des Hauses wurden dem bisherigen Verfahren allerdings nach der Aktenlage nicht beigezogen. Ihnen ist daher Gelegenheit zu geben, sich am Revisionsrekursverfahren zu beteiligen und ihre materiellen und/oder prozessualen Rechte geltend zu machen oder auch nicht (RS0123128; 5 Ob 130/23p). Die allfällige Verletzung des Parteiengehörs weiterer Hauptmieter wäre dann als saniert anzusehen, wenn diese nach Zustellung der Sachentscheidung kein zulässiges Rechtsmittel erheben oder den Stand des Verfahrens genehmigen (5 Ob 130/23p; 5 Ob 237/09p).
[13] 2.6. Das Erstgericht wird daher zunächst die Zustellung dieses Beschlusses und der Rekursentscheidung samt Rechtsmittelbelehrung an die übrigen Hauptmieter und Nutzungsberechtigten durch Hausanschlag zu veranlassen haben. Der Akt ist erst nach dem Einbringen allfälliger weiterer Rechtsmittel oder nach ungenütztem Ablauf der hiefür offenstehenden Fristen wieder vorzulegen.