9Ob120/24y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. B*, vertreten durch Hosp, Hegen Partner Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei J*, vertreten durch Dr. Thomas Bründl und Dr. Claudia Franzelin, Rechtsanwälte in Straßwalchen, wegen 1.) Vertragsaufhebung und 2.) 9.272,50 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 29. August 2024, GZ 53 R 49/24y 26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Seekirchen am Wallersee vom 15. November 2023, GZ 2 C 621/23h 19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Am 27. 12. 2022 erwarb der Kläger vom Beklagten einen Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von rund 160.000 zu einem Kaufpreis von 9.100 EUR. Im schriftlichen Kaufvertrag wurde die Gewährleistung ausgeschlossen. Unter der Position „Zusicherungen des Verkäufers“ wurde unter anderem der vorformulierte Satz angekreuzt: „Das Fahrzeug ist verkehrs- und betriebssicher“. Im Zuge der Kaufvertragsgespräche hatte der Beklagte dem Kläger mitgeteilt und durch eine Bestätigung einer Fachwerkstätte nachgewiesen, dass bei einem Kilometerstand von 80.000 die Steuerkette des Fahrzeugs getauscht wurde.
[2] Bereits wenige Tage nach dem Kauf fiel dem Kläger auf, dass der Motor Geräusche machte und „wackelte“. Etwa eine Woche nach dem Kauf und einer zurückgelegten Wegstrecke von maximal 100 bis 150 km leuchtete am Fahrzeug die Motorkontrollleuchte auf. Der Kläger fuhr daraufhin zu einer Werkstätte. Dort wurde ihm erklärt, dass der Kurbelwellensensor und der Nockenwellensensor kaputt und zu tauschen seien, und dass das Aufleuchten der Sensoren ein Hinweis auf eine gelockerte Steuerkette sein könnte. Dass ein weiteres Fahren mit dem Fahrzeug gefährlich sein könnte, wurde dem Kläger nicht gesagt. Da die Motorkontrollleuchte nach dem Tausch der Sensoren weiter aufleuchtete, fuhr der Kläger zu einem Automobilclub. Auch dort wurde ihm erklärt, dass die Sensoren kaputt seien. Als er darauf verwies, dass diese bereits getauscht worden seien, wurde ihm dort ebenfalls gesagt, dass dies ein Hinweis für eine defekte Steuerkette sein könnte.
[3] Die richtige Diagnose nach dem kurbelwellen- und nockenwellensensorbedingten Aufleuchten der Motorkontrollleuchte hätte sein müssen, dass ein Austausch der Steuerkette erforderlich wäre. Dafür hätten die Reparaturkosten 1.400 EUR betragen. Durch den Weiterbetrieb des Fahrzeuges nach dem Aufleuchten der Motorkontrollleuchte trotz der kaputten Steuerkette trat am Fahrzeug ein Totalschaden ein. Der Marktwert des Fahrzeugs mit dem Mangel (bloß) in Form der austauschbedürftigen Steuerkette wäre bei 6.800 EUR gelegen.
[4] Der Kläger begehrte ua gestützt auf Gewährleistung die Aufhebung des Kaufvertrags und Zahlung von 9.100 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, Anmeldekosten von 172,50 EUR sA sowie in eventu Preisminderung 9.100 EUR sA.
[5] Der Beklagte bestritt und beantragte – im Wesentlichen gestützt auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss – Klagsabweisung. Der Kläger habe sich nach dem erstmaligen Aufleuchten der Motorkontrollleuchte in eine KFZ-Werkstätte begeben. Dort hätte die Steuerkette ausgetauscht werden müssen. Sollte der Kläger von der Werkstätte darauf nicht aufmerksam gemacht worden sein, sei dies dem Kläger zuzurechnen. Da das Aufleuchten einer Motorkontrollleuchte auf eine erhebliche Beschädigung des Fahrzeugs hinweise, hätte sich der Kläger bei einer qualifizierten Motorwerkstätte erkundigen müssen, welcher Mangel hinter diesem Aufleuchten stehe. Ein Betrag von 70 EUR an Benützungsentgelt werde compensando gegen die allenfalls zu Recht bestehende Klagsforderung eingewendet.
[6] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag auf und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 3.630 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Das Mehrbegehren von 5.470 EUR sA wies es ab. Über den Leistungsanspruch in Höhe von 172,50 EUR sA entschied das Erstgericht nicht. In rechtlicher Hinsicht führte es zusammengefasst aus, dass das Fahrzeug bei Übergabe an den Kläger an einem wesentlichen Mangel gelitten habe, welcher die zugesagte Eigenschaft der Verkehrs- und Betriebssicherheit ausgeschlossen habe. Ungeachtet des zwischen den Parteien rechtswirksam vereinbarten Gewährleistungsausschlusses habe der Beklagte daher für den Mangel einzustehen. Das Wandlungsbegehren sei berechtigt. Da der Motorschaden vom Kläger jedoch grob fahrlässig herbeigeführt worden sei, habe er für die Wertreduktion des Fahrzeugs von 5.400 EUR einzustehen. Weiters habe sich der Kläger ein Nutzungsentgelt von 70 EUR anzurechnen, sodass sein Zahlungsanspruch lediglich in Höhe von 3.630 EUR sA zu Recht bestehe.
[7] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil insgesamt dahin ab, dass es den Kaufvertrag aufhob, die Klageforderung als mit 9.100 EUR zu Recht und die aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung mit 70 EUR zu Recht bestehend erkannte, den Beklagten Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs zur Zahlung von 9.030 EUR sA verpflichtete und das Mehrbegehren abwies. Die Frage, ob im verschuldensunabhängigen Gewährleistungsrecht eine analoge Anwendung des § 1304 ABGB stattzufinden habe, könne unbeantwortet bleiben, weil der Kläger im konkreten Fall eine Obliegenheit zur Schadensminderung nicht schuldhaft verletzt habe. Nach dem Aufleuchten der Kontrollleuchte sei dem Kläger weder in der KFZ-Werkstätte noch beim Automobilclub gesagt worden, dass die Weiterfahrt mit dem Fahrzeug zu einem Motorschaden führen könnte. Da selbst in den Fachwerkstätten keine korrekte Diagnose gestellt worden sei – der bloße Hinweis, dass allenfalls auch die Steuerkette gelockert sein könnte, sei dafür nicht hinreichend – würde es die Schadensminderungspflicht des Klägers überspannen, von ihm zu verlangen, dass er – ohne explizite Warnung – erkennen müsste, dass ein Weiterfahren zu einem Motorschaden führen könnte. Zudem habe der Beklagte dem Kläger im Zuge der Kaufvertragsgespräche auch mitgeteilt, dass die Steuerkette des Fahrzeugs ausgetauscht worden sei.
[8] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich zugelassen, weil nicht ausgeschlossen sei, dass es einen Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit des Klägers zu Unrecht verneint habe. Überdies fehle eine einhellige Rechtsprechung zu der über den Einzelfall hinaus bedeutenden (von der herrschenden Lehre bejahten) Rechtsfrage, ob ein Mitverschuldenseinwand möglich sei, wenn für den Mangel aufgrund einer verschuldensunabhängigen Gewährleistungsverpflichtung einzustehen ist.
[9] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung, in eventu die Wiederherstellung des Ersturteils mit dem Ausspruch über das Zurechtbestehen der Gegenforderung von 70 EUR; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung , die Revision des Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):
[12] 1. Nach der Rechtsprechung ist – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 9 KSchG – ein vertraglicher Verzicht auf Gewährleistungsansprüche nach § 929 ABGB auch wegen verborgener Mängel zulässig (RS0018564). Wie der Revisionswerber selbst erkennt, gilt dies aber nur dann, wenn der Verkäufer dem Käufer die Fahrbereitschaft des Gebrauchtwagens – und damit seine Verkehrs- und Betriebssicherheit – nicht (ausdrücklich oder schlüssig) zugesichert hat (4 Ob 96/24g Rz 12 f mwN). Dies ist hier nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen aber der Fall.
[13] 2. Nach der Entscheidung 1 Ob 186/09y kommt eine Schadensminderungspflicht des Käufers nach § 1304 ABGB bei einem verschuldensunabhängigen Gewährleistungsanspruch nicht in Betracht. Die in der Revision zitierte Entscheidung 2 Ob 170/22y ist insofern nicht einschlägig, weil sie keinen verschuldensunabhängigen Gewährleistungsanspruch, sondern einen verschuldensabhängigen Schadenersatzanspruch betraf. Ob die in der Entscheidung 1 Ob 186/09y vertretene Rechtsauffassung aufrecht zu erhalten ist, zumal in Teilen des Schrifttums für den Bereich der Gewährleistung eine analoge Anwendung des § 1304 ABGB gefordert wird (ua Bydlinski in Bydlinski/Perner/Spitzer 7 § 932 ABGB Rz 22a; Reischauer in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 933a Rz 272; Ring , Mitverschulden bei Gewährleistung [2018], 189), muss hier nicht näher untersucht werden, weil die Frage, ob im konkreten Einzelfall (vgl RS0027787) die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Kläger habe eine (allfällige) Schadensminderungspflicht nicht schuldhaft verletzt, jedenfalls vertretbar ist.
[14] 3.1. Nach der Rechtsprechung liegt eine Verletzung der Schadensminderungspflicht unter anderem dann vor, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, obwohl sie – objektiv betrachtet – von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten (RS0023573).
[15] 3.2. Nach den Feststellungen hat der Kläger nach Auftreten des Motorengeräusches und „Wackeln“ des Motors sowie Aufleuchten der Motorkontrollleuchte umgehend grundsätzlich taugliche Versuche zur Behebung des Mangels unternommen. Das Revisionsargument, der Kläger hätte sich an eine „Fachwerkstätte“ wenden müssen, ist nicht recht verständlich, brachte der Beklagte doch in erster Instanz selbst vor, dass der Kläger nach Aufleuchten der Motorkontrollleuchte eine KFZ-Werkstätte aufgesucht hat, was nach den den Obersten Gerichtshof bindenden und in der Berufungsbeantwortung auch nicht bekämpften Feststellungen auch geschah.
[16] 3.3. Die von der Revision geforderte Zurechnung der „Fehldiagnosen“ der KFZ-Werkstätte und des Automobilclubs an den Kläger kommt nicht in Betracht, weil hier den Kläger als Werkbesteller keine qualifizierten Mitwirkungspflichten im Sinne der Rechtsprechung (vgl RS0021766 [T7] getroffen haben.
[17] Die Revision des Beklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[18] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).