JudikaturJustiz9ObA40/18z

9ObA40/18z – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** S*****, vertreten durch Denkmair Hutterer Hüttner Waldl Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 53.880 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2018, GZ 11 Ra 60/17y 15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. Mai 2017, GZ 9 Cga 207/17m 11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war für die Beklagte ab Juli 2008 als selbständiger Handelsvertreter tätig. Die vereinbarte monatliche Fixprovision betrug 13.470 EUR inkl 20 % USt.

Am 3. 6. 2016 fand zwischen dem Kläger und einem Geschäftsführer der Beklagten ein Gespräch über eine mögliche Beendigung der Tätigkeit des Klägers statt. Diskutiert wurden auch die Zuordnung der Kunden des Klägers und wann die Übergabe dieser Kunden an den Nachfolger des Klägers erfolgen sollte. Dazu stellte das Erstgericht – von der Beklagten in der Berufungsbeantwortung gerügt, vom Berufungsgericht aber ungeprüft geblieben – fest, dass sich die Parteien letztlich auf keinen konkreten Beendigungszeitpunkt einigen konnten und eine Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses weder durch den Kläger noch durch den Geschäftsführer der Beklagten erfolgte. Auch im E-Mail vom 19. 9. 2016 kündigte der Geschäftsführer der Beklagten das Handelsvertreterverhältnis nicht auf.

Anfang Oktober 2016 wies der Kläger die Beklagte darauf hin, dass noch keine Auflösung des Handelsvertretervertrags erfolgt sei. Daraufhin erklärte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11. 10. 2016, dass an der vom Kläger am 3. 6. 2016 ausgesprochenen Kündigung zum 31. 12. 2016 festgehalten werde. Für den Fall, dass die Kündigung des Klägers keine Wirksamkeit entfalte, erklärte die Beklagte ihrerseits die Kündigung des Handelsvertretervertrags zum nächstmöglichen Termin ab Zugang des Schreibens. Dies ist der 30. 4. 2017.

Im Zuge seiner Handelsvertretertätigkeiten hatte der Kläger Kontakt mit der Ärztin Dr. B.. Diese hatte die Ordination von ihrem Vorgänger übernommen, der Kunde der Beklagten gewesen war. Über Anfrage des Klägers erteilte die Beklagte dem Kläger am 17. 11. 2016 die Freigabe, Dr. B. einen Durchschnittsprozentnachlass von 7 bis 8 % sowie ein Startdarlehen von ca 35.000 EUR unter der Voraussetzung zu gewähren, dass die Beklagte ihr Alleinlieferant werde. Dennoch gelang es dem Kläger trotz mehrfacher Versuche nicht, Dr. B. als Kundin zu gewinnen. Der Kläger hatte den Eindruck, dass diese bei einem Konkurrenten der Beklagten kaufen wollte. Aufgrund dieser Situation bot der Kläger Dr. B. am 9. 12. 2016 einen Nachlass von 13 % auf das gesamte Sortiment an, was er bisher in seinem Gebiet keinem anderen Kunden angeboten hatte. Überschießend (siehe dazu unten Punkt 2.) stellte das Erstgericht in diesem Zusammenhang fest, dass der Kläger dies nicht mit der Beklagten abgesprochen und zuvor auch keine weitere Rücksprache über die Gewährung besserer Konditionen gehalten hatte. In den Gesprächen mit Dr. B. äußerte der Kläger, dass er die Situation nicht fair finde, weil die Beklagte ihrem Vorgänger für die Ordination Möbel zur Verfügung gestellt habe. Daraufhin erklärte Dr. B. ungehalten, sie habe das Haus samt Inventar gekauft und die Beklagte müsse sich dies mit dem Sachwalter des Vorgängers ausmachen. Der Kläger bezeichnete (das Verhalten von) Dr. B. in diesem Gespräch nicht als „schmutzig“. Er bat Dr. B., sich die Sache noch zu überlegen und wartete in der Folge rund zwei Wochen, ob sie sich nicht doch melden und einen Auftrag erteilen würde.

Der Kläger hielt die Beklagte über die Gespräche mit Dr. B. nicht am Laufenden. Erst am 22. 12. 2016 informierte er die Beklagte darüber, dass ein Vertrag mit Dr. B. nicht zustande gekommen sei.

Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits ein anderer Handelsvertreter der Beklagten von Dr. B. erfahren, dass diese dem Kläger bereits vor zwei bis drei Wochen eine Absage erteilt hätte, weil sie von der Konkurrenz bessere Konditionen erhalten hätte. Gegenüber diesem Mitarbeiter hatte Dr. B. auch jegliche zukünftige Geschäftsbeziehungen mit der Beklagten ausgeschlossen, weil sie nicht mit dem Kläger zusammenarbeiten wolle, da dieser aufdringlich sei und gesagt hätte, es sei schmutzig, wie sie mit dem Kläger umgehe. Von diesen Vorgängen hat die Beklagte am 9. 12. 2016 erfahren.

Mit Schreiben vom 28. 12. 2016 kündigte die Beklagte den mit dem Kläger abgeschlossenen Handelsvertretervertrag aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung auf. Da sie der Kläger nicht davon in Kenntnis gesetzt habe, dass sich Dr. B. gegen eine Zusammenarbeit mit der Beklagten entschieden habe und deren Entscheidung infolge Falschinformationen und unwahrer Behauptungen durch den Kläger erfolgt sei, sei es für die Beklagte unzumutbar, noch weiter an das Vertragsverhältnis gebunden zu sein.

Der Kläger begehrt nun von der Beklagten 53.880 EUR sA an Fixprovision für die Monate Jänner bis April 2017. Der Handelsvertretervertrag habe durch Kündigung der Beklagten am 11. 10. 2016 erst zum 30. 4. 2017 geendet.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Der Vertrag habe durch Kündigung des Klägers vom 3. 6. 2016 bereits am 31. 12. 2016 geendet. Sie habe ihre Kündigung nur vorsichtsweise ausgesprochen. Sollte der Vertrag am 3. 6. 2016 nicht schon durch den Kläger aufgelöst worden sein, so sei dies anlässlich dieses Gesprächs durch den Geschäftsführer erfolgt bzw sei eine einvernehmliche Beendigung vereinbart worden. Letztlich habe sie das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund am 28. 12. 2016 aufgelöst. Dazu sei sie berechtigt gewesen, weil sie der Kläger erst am 22. 12. 2016 davon informiert habe, dass Dr. B. keine Geschäftsbeziehung mit der Beklagten aufnehmen wollte. Der Kläger habe insofern seine Informationspflichten gröblich verletzt. Er habe sich bei der Beklagen auch nicht um bessere Konditionen für Dr. B. bemüht. Durch sein Auftreten habe er den Ruf der Beklagten nachhaltig geschädigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die ordentliche Kündigung iSd § 21 HVertrG 1993 sei nicht durch den Kläger erfolgt, sondern durch die Beklagte mit Schreiben vom 11. 10. 2016 zum 30. 4. 2017. Allerdings habe die Beklagte das Handelsvertreterverhältnis gemäß § 22 Abs 2 Z 3 HVertrG 1993 berechtigt vorzeitig beendet, weil der Kläger mit seinem Angebot eines 13%igen Rabatts gegenüber Dr. B. eigenmächtig die für diese freigegebenen Konditionen überschritten habe. Dies begründe eine Vertrauensunwürdigkeit gegenüber der Beklagten, der eine weitere Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses mit dem Kläger nicht zugemutet werden habe können, weil sie darauf vertrauen können müsse, dass ihre Handelsvertreter die vorgegebenen Konditionen einhalten.

Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung des Klägers Folge und in Abänderung des Ersturteils dem Klagebegehren statt. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen betreffend die Überschreitung des Verhandlungspouvoirs durch den Kläger seien überschießend und daher nicht zu berücksichtigen, weil diesen kein Vorbringen der Beklagten zugrunde gelegen habe. Ein wichtiger Grund, der die Beklagte zur vorzeitigen Vertragsauflösung berechtigt hätte, liege nicht vor. Da der Handelsvertretervertrag somit erst durch ordentliche Kündigung der Beklagten zum 30. 4. 2017 geendet habe, habe der Kläger Anspruch auf die von ihm geltend gemachte Fixprovision für die Zeit von 1. 1. 2017 bis 30. 4. 2017. Die ordentliche Revision sei mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit seiner – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil sich die Berufungsentscheidung als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Gemäß § 22 Abs 1 HVertrG 1993 kann der Vertretungsvertrag jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist von jedem Teil aus wichtigem Grund gelöst werden. Wichtige Gründe, die den Unternehmer zur vorzeitigen Lösung des Vertragsverhältnisses berechtigen, sind in § 22 Abs 2 Z 1 bis 5 HVertrG 1993 beispielsweise aufgezählt. Die vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund ist immer dann möglich, wenn wegen des Vorliegens eines wichtigen Grundes für einen der beiden Vertragsteile die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist bzw bis zum Ablauf einer vereinbarten Befristung unzumutbar ist ( Nocker , HVertrG² § 22 Rz 10 mwN).

Im vorliegenden Fall hat die für das Vorliegen eines wichtigen Grundes behauptungs- und beweispflichtige Beklagte (vgl RIS Justiz RS0111006 [T1]) als wichtige Auflösungsgründe geltend gemacht, dass der Kläger im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen mit Dr. B. seine Informationspflichten gegenüber der Beklagten gröblich verletzt, sich bei der Beklagen auch nicht um bessere Konditionen für Dr. B. bemüht und durch sein Auftreten den Ruf der Beklagten nachhaltig geschädigt habe.

Diese Vorwürfe treffen nach den bindenden Feststellungen des Erstgerichts aber nicht zu. Worin das in der Revision behauptete „höchst unprofessionelle und für die Beklagte unstrittig geschäftsschädigende Verhalten des Klägers im Markt und gegenüber potentiellen Kunden“ gelegen sein soll, das wegen der Schwere der Vertragsverletzung zur sofortigen Vertragsauflösung berechtigte, ist nicht erkennbar und wird von der Beklagten auch nicht näher begründet.

2. Das Gericht darf grundsätzlich die bei einer Beweisaufnahme hervorgekommenen Umstände nur soweit berücksichtigen, als sie im Parteivorbringen Deckung finden. „Überschießende“ Feststellungen dürfen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (RIS Justiz RS0040318; 9 ObA 139/16f).

Im vorliegenden Fall sind die Feststellungen des Erstgerichts zur unzulässigen Rabattgewährung des Klägers nicht vom Vorbringen der Beklagten umfasst. Sie finden auch nicht Deckung in den konkret von der Beklagten geltend gemachten Auflösungsgründen. Diese „überschießenden“ Feststellungen, die für das Erstgericht Grundlage seiner klagsabweisenden Entscheidung waren, sind daher nicht zu berücksichtigen (RIS Justiz RS0037972 [T14]).

Zusammengefasst liegt daher kein wichtiger Grund iSd § 22 Abs 1 und 2 HVertrG 1993 vor, der die Beklagte zur vorzeitigen Auflösung des Handelsvertretervertrags berechtigt hätte. Ausgehend davon, dass der Kläger von seinem Wahlrecht auf Schadenersatz (Kündigungsentschädigung) (§ 23 Abs 1 Satz 2 HVertrG 1993) Gebrauch gemacht hat und das Vertragsverhältnis durch die eventualiter erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten vom 11. 10. 2016 zum 30. 4. 2017 geendet hat (§ 21 Abs 1 HVertrG 1993), wäre der Klagsanspruch berechtigt.

3. Dennoch ist die Rechtssache nicht spruchreif. Zu Recht rügt nämlich die Revisionswerberin als Verfahrensmangel iSd § 503 Z 2 ZPO, dass sich das Berufungsgericht nicht mit der von ihr in der Berufungsbeantwortung erhobenen Beweisrüge auseinander gesetzt hat (vgl RIS Justiz RS0041806).

In der Beweisrüge hat die Beklagte die Feststellungen bekämpft, dass zwischen den Parteien im Gespräch am 3. 6. 2016 kein konkreter Beendigungszeitpunkt vereinbart wurde und eine Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses weder durch den Kläger noch durch den Geschäftsführer der Beklagten erfolgte. Begehrt wurde von der Beklagten die Feststellung, dass der Kläger in diesem Gespräch erklärt habe, seine Tätigkeit und damit den Vertrag zum 31. 12. 2016 zu beenden.

Hätte die Beweisrüge der Beklagten Erfolg, wäre das Klagebegehren nicht berechtigt, weil der Handelsvertretervertrag durch Kündigung des Klägers vom 3. 6. 2016 bereits am 31. 12. 2016 geendet hätte und die eventualiter ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 11. 10. 2016 nicht zum Tragen käme. In Wahrnehmung dieses Umstands war daher das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und ihm die neuerliche Entscheidung unter Behandlung der Tatsachen- und Beweisrüge der Beklagten in der Berufungsbeantwortung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.