JudikaturJustiz9ObA132/07p

9ObA132/07p – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. November 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Markus B*****, vertreten durch Dr. Andreas Löw, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Kurt M*****, vertreten durch Dr. Georg Hahmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 9.084,04 brutto sA, über den Rekurs (Rekursinteresse EUR 8.406,23 brutto sA) der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23. Mai 2007, GZ 10 Ra 13/07s-78, mit dem aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7. Dezember 2005, GZ 10 Cga 199/01h-69, als nichtig aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

In dem vorliegenden Verfahren macht der Kläger im Wesentlichen Ansprüche aus der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 27. 7. 2001 geltend. Es geht dabei zusammengefasst um die Frage der Berechtigung des vorzeitigen Austrittes des Klägers und der daraus ableitbaren Beendigungsansprüche. Das Erstgericht hat auch im dritten Rechtsgang die Klage in dem hier maßgeblichen Umfang abgewiesen und dies darauf gestützt, dass der Austritt des Klägers wegen seiner Gesundheitsgefährdung schikanös erfolgt sei.

Das Berufungsgericht hat in dem diesem Rechtsgang vorangegangenen Rechtsgang zwar die Berufung wegen Nichtigkeit verworfen, im Übrigen der Berufung aber Folge gegeben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung „nach allfälliger Verfahrensergänzung" an das Erstgericht zurückverwiesen (ON 67). Es hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Ausführungen des Erstgerichtes zur Beweiswürdigung mangelhaft gewesen seien, weil sie teilweise nur „formelhafter" Natur seien. Im Übrigen sei maßgeblich, was als Inhalt des mit dem späteren Arbeitgeber vereinbarten Arbeitsvertrages anzusehen und zu welchem Zeitpunkt diese Vereinbarung getroffen worden sei. Insoweit fehle es überhaupt an ausreichenden präzisen Feststellungen. Weiters habe sich das Erstgericht teilweise mit gegenteiligen Beweisergebnissen nicht ausreichend auseinandergesetzt. Im fortgesetzten Verfahren fällte das Erstgericht ohne weitere Verhandlung oder Beratung allein durch den Vorsitzenden (Berufsrichter) auch hinsichtlich der noch offenen Ansprüche ein klagsabweisendes Urteil, in dem es erneut den Standpunkt vertrat, dass der vorzeitige Austritt rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Berufungsgericht aus Anlass der vom Kläger dagegen erhobenen Berufung dieses Urteil als nichtig auf. Es folgerte dabei rechtlich, dass abgesehen von den in §§ 11a und 11b ASGG vorgesehenen Ausnahmen zufolge § 10 ASGG die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit in Senaten ausgeübt werde. Das Urteil könne nur von denjenigen Richtern gefällt werden, die auch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Im Senatsprozess richte sich die Beratung und Abstimmung über das Urteil nach den § 413 ZPO, §§ 9 bis 14 JN und §§ 117 bis 122 Geo. Danach habe zwar die Urteilsfällung gemeinsam zu erfolgen, jedoch die schriftliche Abfassung des Urteiles durch den Vorsitzenden. Es mangle hier jedoch an einer der Aufhebung des Ersturteiles folgenden neuerlichen Beratung und Entscheidung des Senates. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass bloß eine neuerliche „Ausfertigung" des ursprünglichen Urteiles vorliege. Der Vorsitzende sei nicht befugt gewesen, die neue Entscheidung allein zu fällen, weshalb unrichtige Senatsbesetzung im Sinne des § 477 Abs 1 Z 2 ZPO vorliege. Dieser Nichtigkeitsgrund sei in den Rechtsmittelschriften zwar nicht gerügt worden, jedoch von Amts wegen aufzugreifen, weil eine Heilung gemäß § 37 Abs 1 ASGG bzw § 260 Abs 4 ZPO nicht erfolgt sei. Eine solche Heilung könne nur dann Platz greifen, wenn die Parteien die Möglichkeit gehabt hätten, die unrichtige Besetzung vor Einlassung in die Verhandlung geltend zu machen. Eine Verhandlung habe hier aber nicht stattgefunden. Allein die mangelnde Geltendmachung in der Berufung führe zu keiner Heilung. Auch der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 3 Ob 246/98t könne nichts Gegenteiliges entnommen werden, weil diese Entscheidung ausdrücklich Verfahren nach dem ASGG ausnehme. Zufolge der Entscheidung 8 ObA 345/99i sei aber eine allein durch den Vorsitzenden gefällte Entscheidung nichtig und auch keiner Heilung zugänglich, wenn sie außerhalb einer mündlichen Streitverhandlung gefällt werde. Die unrichtige Besetzung sei den Parteien hier auch nicht bekannt gewesen, sodass sie diese auch nicht haben rügen können.

Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, da die Frage der Nichtigkeit auch anders beurteilt werden könnte, wenn man die zu 3 Ob 246/98t eingeschlagene Judikaturlinie auch im ASGG zur Anwendung bringe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grunde zulässig, aber nicht berechtigt.

1.) Da das Berufungsgericht das Ersturteil aufgehoben hat, ist dieses beseitigt worden. Damit oblag dem Erstgericht im weiteren Rechtsgang aber nicht nur, wie die Beklagte meint, die neuerliche „Ausfertigung", sondern vielmehr die Fällung eines neuen Urteils. Mangels Vorliegens einer Ausnahme iSd § 11a Abs 1 ASGG hätte diese neue Urteilsfindung daher erneut in der nach § 11 Abs 1 ASGG vorgeschriebenen Senats-Zusammensetzung erfolgen müssen (vgl in diesem Zusammenhang § 11b ASGG, der unter bestimmten Voraussetzungen zwar eine Verhandlung ohne fachkundige Laienrichter ermöglicht, dies in seinem Absatz 2 aber für die Urteilsfällung ausdrücklich ausschließt!).

Eine unrichtige Senatsbesetzung (hier: die Urteilsfällung ohne Beiziehung von Laienrichtern) ist Nichtigkeitsgrund gemäß § 477 Abs 1 Z 2 ZPO (RIS-Justiz RS0036611; RS0085500; Kuderna ASGG2 206 f).

2.) Zutreffend ist das Rekursgericht davon ausgegangen, dass allein durch den Umstand, dass die mangelhafte Besetzung des Erstgerichtes nicht in der Berufung gerügt wurde, keine „Heilung" eingetreten ist. Allgemein ist voranzustellen, dass es gerade das Charakteristikum der Nichtigkeitsgründe des § 477 ZPO ist, dass sie regelmäßig von Amts wegen, also auch ohne entsprechende Rüge in einem Rechtsmittel aufzugreifen sind (vgl Pimmer in Fasching/Konecny2 IV/1 § 477 Rz 1 ebenso Kodek in Rechberger ZPO3 § 477 Rz 2; RIS-Justiz RS0041901 mwN zuletzt 3 Ob 264/02y; RIS-Justiz RS0041940 mwN zuletzt etwa 16 Ok 3/03 uva). Dies wird hinsichtlich des Nichtigkeitsgrundes des § 477 Abs 1 Z 2 ZPO betreffend die nicht vorschriftsgemäße Besetzung des erkennenden Gerichtes insoweit relativiert, als hier unter bestimmten Voraussetzungen durch Einlassung „Heilung" eintreten kann (vgl dazu allgemein Pimmer aaO Rz 26, zum Verfahren nach dem ASGG Rz 34; ebenso Kodek in Rechberger aaO Rz 2; zu den spezifischen Voraussetzungen der Heilung nach dem ASGG, Kuderna, Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, 207 f; RIS-Justiz RS0113739 uva). Dabei handelt es sich im Ergebnis nicht um eine Frage der „amtswegigen" Wahrnehmung von Nichtigkeitsgründen, sondern inwieweit überhaupt noch das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes anzunehmen ist, ob also dieser nicht bereits „geheilt" wurde.

Hinsichtlich der Ausführungen im Rekurs des Beklagten, dass nur ein „Mangel der Beratungsprotokolle" vorliege, kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden, war hier doch eine neuerliche Entscheidung zu fällen, bei der es im Übrigen nicht nur um die Frage der besseren Begründung der Beweiswürdigung, sondern auch allenfalls ergänzender Feststellungen ging. Damit verbleibt hier die Frage, ob eine „Heilung" im Sinne des § 37 ASGG eintreten konnte. Dazu kann aber auf die ständige Rechtsprechung und die dargestellte Rechtsansicht von Kuderna verwiesen werden, die darauf hinausläuft, dass die Partei nicht nur durch eine qualifizierte Person vertreten, sondern der entsprechende Mangel auch vor der Entscheidung erkennbar gewesen sein muss (vgl etwa RIS-Justiz RS0040259 mwN zuletzt 10 ObS 389/01f). Im hier zu beurteilenden Fall war der „Besetzungsmangel" für die Parteien aber nicht ersichtlich, weil das Urteil im Kopf auch die beiden fachkundigen Laienrichter auswies.

Es war daher dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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