JudikaturJustiz9Ob53/23v

9Ob53/23v – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, MMag. Sloboda und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. G* GmbH, *, und 2. V* AG, *, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und 29.551,03 EUR sA, über die Rekurse der klagenden Partei und der beklagten Parteien (Rekursinteresse jeweils 29.551,03 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 6. Juli 2023, GZ 1 R 71/23a 38, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom 19. März 2023, GZ 2 Cg 12/20x 33, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 415,01 EUR (darin 69,17 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 14. 2. 2017 den von der Zweitbeklagten hergestellten PKW VW Touran Highline TDI SCR DSG, Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) *, um 34.000 EUR von der erstbeklagten Händlerin. Das Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor des Typs EA288 mit einer Leistung von 85 kW/115 PS und einem Hubraumvolumen von 1,6 Litern. Der Motor unterliegt der Schadstoffklasse Euro 6.

[2] Mit seiner am 31. 1. 2020 eingebrachten Klage begehrt der Kläger gegenüber der Erstbeklagten die Aufhebung des Kaufvertrags und gegenüber beiden Beklagten die Zahlung von 29.551,03 EUR sA (Kaufpreis abzüglich Benützungsentgelt) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, in eventu gegenüber beiden Beklagten die Zahlung von 8.000 EUR sA aus dem Titel der Preisminderung sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige, aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung entstehenden Schäden. Das Fahrzeug sei mangelhaft, weil es über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen, und zwar über ein „Thermofenster“ sowie über eine Prüfstandserkennung, die die Funktionsweise des SCR-Systems („selektive katalytische Reaktion“) beeinflusse, verfüge. Das Thermofenster habe zur Folge, dass nur innerhalb des Temperaturbereichs von 15 Grad bis 33 Grad Celsius die Abgasrückführung in vollem Umfang stattfinde. Hätte der Kläger von den Manipulationen gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Da die EU-Typgenehmigung – auch mit Gültigkeit in Österreich – ex lege erloschen sei, liege auch ein (unbehebbarer) Rechtsmangel vor. Gegenüber der Erstbeklagten stütze der Kläger seine Ansprüche auf einen von ihr veranlassten wesentlichen Geschäftsirrtum (in eventu auf einen gemeinsamen Irrtum), List, Wandlung und vertraglichen Schadenersatz. Die Erstbeklagte müsse sich auch das arglistige Verhalten der Zweitbeklagten zurechnen lassen. Die Zweitbeklagte hafte ihm deliktisch für den durch ihre vorsätzliche, zumindest aber fahrlässige Irreführung verursachten Schaden. Weiters hafte sie aufgrund ihrer Garantieerklärung durch Übergabe der Über-einstimmungsbescheinigung. Schließlich hafte die Zweitbeklagte auch gemäß § 37c KartG, weil sie (in Bezug auf die AdBlue-Dosierung) illegale Absprachen mit ihren Mitbewerbern getroffen habe.

[3] Die Beklagten bestritten die Klagebegehren und beantragten Klagsabweisung. Im Fahrzeug des Klägers sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Das eingebaute Thermofenster sei notwendig, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Daher habe das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) für dieses Fahrzeug auch keinen Rückruf angeordnet. Die Typengenehmigung für das vom Kläger gekaufte Fahrzeug sei aufrecht. Allfällige Gewährleistungsansprüche seien verjährt. Da das Fahrzeug dem vertraglich Vereinbarten entspreche, sei ein Irrtum schon aus diesem Grund ausgeschlossen. Dem Kläger sei kein Schaden entstanden. Die Beklagten treffe auch kein Verschulden an einem allfälligen Schaden des Klägers. Die Abgasrückführung sei zwischen -24 und +70 Grad Celsius aktiv. Es liege daher weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel vor. Das Feststellungsbegehren sei unzulässig, weil nicht hinreichend bestimmt.

[4] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. D as Fahrzeug entspreche den geltenden Vorschriften. Das KBA als für die Typengenehmigung zuständige Behörde gehe davon aus, dass die Emissionsstrategie des Motors zulässig sei und keine illegale Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Damit liege weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel und folglich auch kein Schaden des Klägers vor.

[5] Das Berufungsgericht hob das vom Kläger angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Eine unzulässige Abschalteinrichtung stelle einen Rechtsmangel dar, weshalb die Gewährleistungsansprüche gegenüber der Erstbeklagten nicht verjährt seien. Grundsätzlich könne dem Kläger gegen die Zweitbeklagte auch aus der Schutzgesetzverletzung (VO 715/2007/EG) ein Schadenersatzanspruch zustehen. Eine abschließende Beurteilung der klagsgegenständlichen Ansprüche sei aber mangels ausreichender Feststellungen noch nicht möglich. Zum einen fehlten aussagekräftige Feststellungen zum Temperaturbereich des Thermofensters. Für die ausnahmsweise Zulässigkeit des Thermofensters und die Behauptung, dass das Fahrzeug aufgrund des SCR Katalysators die vorgegebenen Grenzwerte einhalte, sei die Beklagte beweispflichtig.

[6] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss mit der Begründung zu, es bedürfe einer Klarstellung des Obersten Gerichtshofs zur Beweislastverteilung im Hinblick auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.

Rechtliche Beurteilung

[7] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Zulassungsausspruch sind die Rekurse beider Parteien nicht zulässig. Die darin aufgeworfenen erheblichen Rechtsfragen wurden vom Obersten Gerichtshof in der Zwischenzeit in anderen Verfahren bereits beantwortet (vgl RS0112921 [T5]). Die Zurückweisung der Rekurse kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; RS0043691).

[8] 1. Die Parteien ziehen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass auf den gegenständlichen Motor die Verordnung (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (VO 715/2007/EG) anwendbar ist, nicht in Zweifel.

[9] 2.1. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 33).

[10] 2.2. Nach der Rechtsprechung des EuGH läuft eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EG vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (EuGH 17. 12. 2020, C 693/18, CLCV , Rn 98; ÖJZ 2021/38, 299 [ Kumin/Maderbacher ]). Daher kann eine Abschalteinrichtung, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EG festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fallen (EuGH 17. 12. 2020, C-693/18, CLCV , Rn 115; 6 Ob 155/22w Rz 36; 3 Ob 146/22z Rz 13).

[11] 2.3. Ein „Thermofenster“, aufgrund dessen die volle Abgasrückführung nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs erfolgt, wohingegen sie bei Temperaturen darüber oder darunter sukzessive reduziert wird, ist eine Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 56; 6 Ob 155/22w Rz 37).

[12] 2.4. Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Die Beklagte nimmt für sich die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG in Anspruch. Danach muss die Abschalteinrichtung, um zulässig zu sein, notwendig sein, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

[13] 3. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der im Fahrzeug des Klägers verbaute Dieselmotor EA288 über ein „Thermofenster“ verfügt. Um beurteilen zu können, ob es sich dabei um eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung handelt, fehlen aber – so zutreffend das Berufungsgericht – ausreichend konkrete Feststellungen. Beide Parteien haben dazu unterschiedliches Vorbringen erstattet. Die Feststellung des Erstgerichts, es ist durchaus möglich, dass das Thermofenster bei den Motoren des Typs EA288 zwischen -24 und +70 Grad Celsius liegt (was allerdings die Messungen der DUh [Deutsche Umwelthilfe] so nicht bestätigen), ist weder eine für die rechtliche Beurteilung geeignet positive noch negative Feststellung.

[14] 4.1. Zur Frage der Beweislastverteilung hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst Stellung genommen (6 Ob 155/22w vom 30. 8. 2023 Rz 65 f). Danach hat grundsätzlich jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; RS0037797). Die Beweislast für eine mangelhafte Erfüllung nach Übergabe der Sache trifft grundsätzlich den Erwerber (RS0018687 [T2]; 1 Ob 149/22a Rz 27). Der Kläger, der einen Mangel am Kaufgegenstand und einen ihm dadurch entstandenen Schaden behauptet, hat daher zunächst zu beweisen, dass eine Abschalteinrichtung vorliegt. Dieser Beweis ist dem Kläger im vorliegenden Verfahren gelungen. Nach der Grundregel des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG sind Abschalteinrichtungen verboten.

[15] 4.2. Soweit sich die Beklagte auf die Zulässigkeit des „Thermofensters“ und überdies eine Ausnahme von der Grundregel stützt, liegt es an ihr, die erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (1 Ob 149/22a Rz 43; 6 Ob 155/22w Rz 66).

[16] 5. Die im Rekurs des Klägers im Zusammenhang mit der Entscheidung 10 Ob 16/23k als erheblich bezeichnete Frage, wen die Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich der Kausalität des rechtswidrigen Verhaltens für den Schadenseintritt trifft, stellt sich nicht, weil die Beklagten nicht behauptet haben, dass dem Kläger deshalb kein Schaden entstanden ist, weil das (allenfalls) objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Klägers entsprach.

[17] 6. Zeitlich nach der Entscheidung des Berufungsgerichts hat der Oberste Gerichtshof auch zur Frage, ob die (allenfalls) mangelnde Rechtsbeständigkeit der Typengenehmigung einen Rechtsmangel darstellt, Stellung genommen und diese unter Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 5/07t verneint (3 Ob 40/23p vom 6. 9. 2023 Rz 22 ff). Der (allfällige) Rechtsmangel besteht im Fehlen der behördlichen Zulassung, sodass das Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr nicht in Betrieb genommen werden darf. Maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen dieses Rechtsmangels ist jener der Übergabe. Die zu diesem Zeitpunkt bloß befürchtete mangelnde Rechtsbeständigkeit der EG Typengenehmigung bzw die bloß befürchtete, also nicht konkret drohende Aufhebung der Zulassung ist demnach kein Rechtsmangel. Soweit aus dem Unterbrechungsbeschluss zu 8 Ob 113/21g etwas anderes ableitbar sein sollte, wird dieser Entscheidung nicht gefolgt. Sind – wie auch im vorliegenden Fall – die EG Typengenehmigung und die Zulassung für das Klagsfahrzeug nach wie vor aufrecht und sind keine behördlichen Nutzungsverbote oder Nutzungsbeschränkungen gegeben, besteht kein Rechtsmangel. Dieser Rechtsauffassung schließt sich auch der erkennende Senat an.

[18] 7. Der Kläger hat vorgebracht, dass die Zweitbeklagte ein Verschulden an seinem durch Irreführung verursachten Schaden treffe. Die Organe oder Organmitglieder der Zweitbeklagten hätten vorsätzlich, zumindest aber fahrlässig die EG Betriebsgenehmigung erschlichen und dadurch auch ihn getäuscht. Die Zweitbeklagte stützt sich auf einen Rechtsirrtum. Auch dazu fehlen derzeit Feststellungen, die gegebenenfalls im neu durchzuführenden Verfahren zu treffen sein werden. Auf die erst jüngst am 28. 9. 2023 ergangene Entscheidung 10 Ob 27/23b wird hingewiesen.

[19] Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zum Zeitpunkt dieser Entscheidung sind die Rekurse des Klägers und der Beklagten zurückzuweisen.

[20] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Sowohl der Kläger als auch die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Gegenpartei/en in ihren Rekursbeantwortungen hingewiesen. Sodass ihre Schriftsätze jeweils der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung dienten (RS0123222). Über den vom Kläger gewählten niedrigen Ansatz (TP 3B statt TP 3C) kann zufolge § 405 ZPO nicht hinausgegangen werden (8 Ob 151/08a; 10 ObS 87/11h; Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.54 mwN), weshalb sich trotz gleichen Rekursinteresses ein Kostenzuspruch zugunsten der Beklagten ergibt.