JudikaturJustiz8ObA19/23m

8ObA19/23m – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. April 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. M* D*, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei 4* GmbH, *, wegen 33.333,33 EUR brutto sA, über den „ordentlichen Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs) der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Februar 2023, GZ 8 Ra 55/22z 17, mit dem dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 23. Mai 2022, GZ 28 Cga 137/21b 14, nicht Folge gegeben und aus Anlass dieses Rekurses das Verfahren für nichtig erklärt sowie die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt mit seiner bei Gericht am 23. 12. 2021 eingebrachten Mahnklage mit dem Vorbringen, er sei Arbeitnehmer der Beklagten gewesen, von dieser an offenen Gehaltsansprüchen 33.333,33 EUR brutto sA. Nachdem der antragsgemäß erlassene Zahlungsbefehl an der in der Klage sowie als Anschrift der Beklagten im Firmenbuch ausgewiesenen Adresse nicht zugestellt werden konnte (der Vermerk der Post am Rückschein lautete „verzogen“), beantragte der Kläger am 27. 1. 2022 die Zustellung des Zahlungsbefehls an derselben Adresse im Wege des Gerichtsvollziehers, ferner

- die Zustellung an der unter einem bekannt gegebenen Adresse des ehemaligen Geschäftsführers D* M* (dessen Geschäftsführerfunktion im November 2021 im Firmenbuch unter gleichzeitiger Eintragung von S* T* als Geschäftsführer gelöscht worden war), dies unter Hinweis darauf, dass er nach wie vor Gesellschafter sei;

- die Zustellung an der unter einem bekannt gegebenen Adresse des neuen Geschäftsführers;

- die Zustellung an der unter einem bekannt gegebenen Adresse eines weiteren Gesellschafters (Mag. S* T*);

- zu all dem in eventu die Bestellung des zuletzt Genannten zum Zustellkurator.

[2] Der vom Gericht antragsgemäß um Vollzug ersuchte Gerichtsvollzieher konnte die Zustellung nicht vollziehen, weil es sich bei der angegebenen Anschrift um eine Steuerberatungskanzlei handelt, bei welcher die Beklagte nur Kunde war.

[3] Am 28. 4. 2022 wurde die Beklagte im Firmenbuch amtswegig wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG gelöscht, worüber das Erstgericht den Kläger am 29. 4. 2022 mit dem Bemerken, bis zu einer allfälligen weiteren Antragstellung würden keine weiteren Zustellversuche gesetzt werden, in Kenntnis setzte.

[4] Der Kläger beantragte am 5. 5. 2022 unter Hinweis auf seine am 27. 1. 2022 gestellten Anträge die Fortsetzung der Zustellung. Dabei brachte er vor, die amtswegige Löschung sei zu Unrecht erfolgt, weil die Beklagte einen von ihr entwickelten Börsenindex und eine Software erfolgreich verkauft habe. Das Geld sei dann aber offensichtlich beiseitegeschafft worden. Beweismittel für dieses Vorbringen wurden vom Kläger dem Gericht nicht angeboten.

[5] Das Erstgericht wies hierauf den Antrag auf Fortsetzung der Zustellung ab. Es sei aufgrund der Löschung im Firmenbuch gemäß § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit davon auszugehen, dass die Beklagte nicht mehr parteifähig sei.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers gegen diese Entscheidung nicht Folge (Spruchpunkt I), erklärte aus Anlass des Rekurses das Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück (Spruchpunkt II) und sprach aus, dass der Kläger die Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz selbst zu tragen habe (Spruchpunkt III). Das Erstgericht habe die Zustellanträge zu Recht abgewiesen, weil Gesellschaftern sowie ehemaligen Geschäftsführern keine Vertretungsbefugnis zukomme und auch die Vertretungsbefugnis des aktuellen Geschäftsführers durch die Löschung der Beklagten im Firmenbuch weggefallen sei. Das Vorbringen des Klägers in seinem „Antrag auf Fortsetzung der Zustellung“ sei nicht geeignet, die Vermutung der Vermögenslosigkeit der Beklagten zu widerlegen. Dass die Beklagte allenfalls aus der Veräußerung eines Börsenindex und einer Software einen Veräußerungserlös erzielte, lasse nicht den Schluss zu, dass sie über damit verbundene Zahlungseingänge noch verfüge. Ausgehend vom Vorbringen des Klägers, „dass das Geld dann aber offensichtlich beiseitegeschafft wurde“, könnte ein Aktivvermögen allenfalls in Form einer Forderung gegen diejenige(n) Person(en) bestehen, die das Geld „beiseitegeschafft“ hat (haben). Wer dies sein soll und ob eine solche Forderung einbringlich wäre, bleibe nach dem Vorbringen des Klägers im Dunkeln. Das Vorbringen enthalte nur äußerst vage gehaltene Spekulationen und zudem keinerlei Beweisanbot, welches eine Überprüfung, ob die Beklagte über Aktivvermögen verfügt, zuließe. Die Beklagte sei sowohl vermögenslos als auch gelöscht und damit nicht mehr parteifähig, was zur Nichtigerklärung des Verfahrens samt Zurückweisung der Klage führe. Die Entscheidung des verstärkten Senats 8 ObA 2344/96f, wonach bei Verlust der Parteifähigkeit einer Kapitalgesellschaft während eines Prozesses der Prozessgegner dennoch das Verfahren fortsetzen dürfe, sei nicht anwendbar, da dies die Streitanhängigkeit voraussetze, der vorliegende Prozess aber nur gerichtsanhängig geworden sei.

[7] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zu, es liege keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vor, ob der Kläger im Sinn der Entscheidung 8 ObA 2344/96f das Verfahren gegen die gemäß § 40 FBG gelöschte GmbH auch dann ohne Nachweis, dass diese noch über Vermögen verfügt, fortsetzen könne, wenn die beklagte GmbH zwar nach Einbringung der Mahnklage aber noch vor wirksamer Zustellung des Zahlungsbefehls an sie gemäß § 40 Abs 1 FBG im Firmenbuch gelöscht wurde. Bejahendenfalls bedürfte es auch einer Klarstellung, wie der aufgrund der Löschung im Firmenbuch eingetretene Mangel der gesetzlichen Vertretung zu beheben sei.

[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich das als „Revisionsrekurs“ bezeichnete und wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhobene Rechtsmittel des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Fortsetzung des Verfahrens anzuordnen. In seiner Rechtsrüge bestreitet der Kläger, dass ihm ein Wahlrecht im Sinne der Entscheidung des verstärkten Senats 8 ObA 2344/96f an der Weiterführung des Prozesses gegen die beklagte Kapitalgesellschaft trotz deren Vermögenslosigkeit deshalb nicht zukomme, weil das Prozessverhältnis über die Gerichtsanhängigkeit nicht hinausgekommen sei. In seiner Verfahrensrüge beanstandet der Kläger, dass das Rekursgericht sich mit seinem Vorbringen zum Vorhandensein von Vermögen nicht befasst und Beweise nicht aufgenommen habe. Es hätte Bucheinsicht genommen und die Staatsanwaltschaft kontaktiert werden müssen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Das Rechtsmittel stellt richtigerweise – in Analogie zu § 519 Abs 1 Z 1 ZPO – einen Rekurs dar, weil das Rekursgericht erstmals einen Nichtigkeitsgrund aufgegriffen und die Klage unter Nichtigerklärung des Verfahrens zurückgewiesen hat (RIS Justiz RS0116348 [T5]). Ein solcher Rekurs ist, ohne dass es auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ankommt, zulässig („Vollrekurs“).

[10] Der Rekurs ist jedoch nicht berechtigt .

[11] Dass das Rekursgericht gleichzeitig mit der – unter Nichtigerklärung des Verfahrens erfolgten – Zurückweisung der Klage die Abweisung der Zustellanträge des Klägers bestätigte, indem es dem „Rekurs nicht Folge“ gab, ist im vorliegenden Einzelfall nicht widersprüchlich iSd § 477 Abs 1 Z 9 (iVm § 514 Abs 2) ZPO, weil die Verweigerung der Zustellungen ebenso wie die Zurückweisung der Klage eine Verweigerung der Verfahrensdurchführung bedeutet.

[12] Wird die beklagte Kapitalgesellschaft während eines anhängigen Prozesses gelöscht, so hat der Kläger ein Wahlrecht. Auf sein Begehren ist das Verfahren fortzusetzen. Strebt der Kläger nicht die Fortsetzung des Verfahrens gegen die gelöschte Gesellschaft an, ist die Klage zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären (8 ObA 2344/96f [verst Senat]; RS0110979).

[13] Voraussetzung für das Bestehen dieses Wahlrechts des Klägers ist nach Rechtsprechung und Lehre, dass die Klage bereits an den Beklagten zugestellt wurde und damit Streitanhängigkeit eintrat. Trat die Vollbeendigung der Beklagten bereits vor diesem Zeitpunkt ein, ist die Klage wegen Fehlens der Parteifähigkeit zurückzuweisen. Gegen eine vollbeendete und damit nicht parteifähige Gesellschaft kann nämlich kein Prozessrechtsverhältnis mehr begründet werden (RS0109397; Fink in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 II/3 § 155 ZPO Rz 37 [in FN 119 mwN]). Die angefochtene Entscheidung steht hiermit – entgegen der Ansicht des Klägers, der insofern irrig das Fehlen höchstgerichtlicher Judikatur annimmt – im Einklang.

[14] Das Berufungsgericht hat sich mit dem Vorbringen des Klägers zu angeblich noch vorhandenem Vermögen der Beklagten befasst. Seine Beurteilung, dass dieses Vorbringen unzureichend war, um trotz erfolgter Löschung der Beklagten im Firmenbuch gemäß § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit von Vermögen auszugehen, ist nicht korrekturbedürftig. Auch in seinem an den Obersten Gerichtshof gerichteten Rechtsmittel beschränkt sich der Kläger auf Vermutungen, so wenn er etwa meint, das aus dem (angeblichen) Verkauf des im Fortsetzungsantrag genannten Index erzielte Vermögen (Kaufpreis) könne sich „nicht in Luft aufgelöst“ haben. Der Kläger ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass Vermögen auch zur Tilgung von Schulden verwendet worden und aus diesem Grund nicht mehr vorhanden sein kann.