JudikaturJustiz8Ob583/93

8Ob583/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Jelinek, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Irmgard B*****, vertreten durch Dr.Edelbert Giesinger und Dr.Lothar Giesinger, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei Josef B*****, wegen Wiederherstellung des vorigen Zustandes infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 11.Mai 1993, GZ 1 c R 99/93-10, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Bezirksgerichtes Montafon vom 19.April 1993, GZ 1 C 294/93f-7, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Alleineigentümerin des Grundstückes 91/2 EZ 905 GB 90101 B*****. Der Beklagte ist zu 188/340 Anteilen Miteigentümer der EZ 754 dieses Grundbuchs. Das Grundstück 3.416/3 (Weg) in EZ 659 dieses Grundbuchs ist öffentliches Gut.

Die Klägerin behauptet, ihre Liegenschaft sei durch einen öffentlichen Weg (Karrenweg in der Breite von mindestens 1,80 m) erschlossen. Dieser Weg sei im Gemeingebrauch gestanden. Der Beklagte habe über den öffentlichen Karrenweg eine Stützmauer für einen Vorplatz zu seinem Haus errichtet und begonnen, einen weiteren Anbau zu seinem Haus zu errichten, so daß dieser Weg seither nicht mehr begeh- und befahrbar sei. Das Grundstück der Klägerin habe dadurch die Zufahrt verloren. Der Beklagte maße sich an dem dem Gemeingebrauch offenstehenden Weg ein Sonderrecht an, wodurch der Gebrauch dieser Grundfläche durch andere dauernd ausgeschlossen werde. Die Klägerin begehrt die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes durch Beseitigung der Bauten und stützt sich dabei auf ihr aus dem Gemeingebrauch abgeleitetes Recht, den öffentlichen Karrenweg unbehindert zu benützen. Weiters stützt sie - ohne allerdings hiefür irgendwelche Tatsachenbehauptungen vorzubringen - ihren Anspruch auch auf § 523 ABGB, weil dieser auch zur Abwehr jedes Angriffes auf dingliche Rechte, insbesondere auch mittelbarer Angriffe von Nachbargrund her diene, sowie auf "Nachbarrecht" und auf die Straßenverkehrsordnung.

Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück, weil über die Grenzen des Gemeingebrauches sowie Störungen und Eingriffe allein die Verwaltungsbehörde entscheide.

Das Rekursgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung unter Hinweis auf die weit überwiegende Judikatur des Obersten Gerichtshofes; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,- übersteige und ließ den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil auch gegenteilige oberstgerichtliche Judikatur zu dieser Frage vorliege.

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß "die Klage zugelassen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen" werde; hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 528 Abs 1 iVm Abs 2 Z 2 letzter Halbsatz ZPO aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zwar zulässig aber nicht berechtigt.

Die Klägerin bringt vor, zu diesem in der oberstgerichtlichen Judikatur nicht (ganz) einheitlich beantworteten Problem liege seit längerem keine Rechtsprechung vor, die Rechtsentwicklung der letzten zwei Jahrzehnte "dürfte" aber zu einer Stärkung der privatrechtlichen Ansprüche des einzelnen insbesondere im öffentlichen Recht und im Nachbarrecht geführt haben, sodaß eine neuerliche Überprüfung angezeigt erscheine: Inbesondere sei im öffentlichen Recht die Parteienstellung ausgebaut und seien im privaten Recht die Ausgleichsansprüche fortentwickelt worden. Man müsse bedenken, daß bei Beibehaltung der von den Vorinstanzen vertretenen Ansicht der Einzelne im Fall der Untätigkeit der Verwaltungsbehörden diesen "ohnmächtig" gegenüberstünde, und daß dies einer Rechtsverweigerung gleichkomme. Der Nachbar könne mitunter auch, wenn er mit seinem Anspruch vor den Verwaltungsbehörden nicht durchgedrungen sei, einen nachbarrechtlichen Anspruch vor Gericht geltend machen.

Diese Ausführungen sind wohl teilweise zutreffend, aber nicht geeignet, zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis zu führen. Ob der Rechtsweg zulässig ist, ob der Anspruch also vor den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden zu verfolgen ist, hat der Richter sofort bei Einlangen der Klage von Amts wegen zu prüfen; er hat hiebei vom Vorbringen der Klägerin auszugehen und ist nicht an die von der Partei gewählte Bezeichnung des Verfahrens gebunden, sondern der Inhalt des von ihr gestellten Begehrens und des Vorbringens ist maßgebend (§ 40a JN; für alle Fasching, Lehrbuch2 Rz 101).

Unstrittig ist, daß über Bestand und Umfang des Gemeingebrauches, wozu auch die sogenannten Anliegerrechte zählen, ds die Nutzungen, die die an die Straße angrenzenden Grundbesitzer von der Straße und dem darüber befindlichen Luftraum beziehen (vgl dazu SZ 51/100), die zuständigen Verwaltungsbehörden absprechen; diese haben auch für seine ungehinderte Ausübung zu sorgen (VfGHSlg 836/1927; EvBl 1966/396; 1975/76; MietSlg 33.051; zuletzt 1 Ob 24/91); dies gilt selbst dann, wenn der Weg über Privatgrund führt (SZ 37/4). Hingegen entscheiden über das Eigentum und den Bestand von Dienstbarkeiten sowie die daraus abgeleiteten Ansprüche und über Besitzstreitigkeiten die Gerichte, gleichgültig was immer der Beklagte einwendet (für alle Spielbüchler in Rummel ABGB I2 Rz 6 zu § 287).

Lediglich die vereinzelt gebliebene, von Krzizek (JBl 1968, 138 f) kritisierte E JBl 1967, 150 = EvBl 1967/216, der ein ähnlicher Sachverhalt zugrundelag, meinte - unter Berufung auf SZ 34/49, der aber ein anderer Sachverhalt zugrundelag - durch das Einzäunen eines Teiles der Gasse durch die Beklagten sei auf jeden Fall das aus dem Nachbarrecht oder dem Gemeingebrauch abgeleitete Recht der Kläger, diese Gasse ungehindert zu benützen, verletzt worden, welchem Vorgehen die Kläger mit der Klage entgegengetreten seien. Ihr Begehren, die Beklagten zur Entfernung der widerrechtlich errichteten Anlagen zu verhalten, finde seine Deckung in § 523 ABGB, welche Vorschrift nicht nur der Abwehr der Anmaßung einer Servitut, sondern auch der Abwehr jedes Angriffes auf dingliche Rechte, insbesondere auch mittelbarer Angriffe vom Nachbargrund her diene; eine nähere Begründung, wie derartige Eingriffe in den Gemeingebrauch in § 523 ABGB Deckung finden sollten, enthält diese Entscheidung nicht. Der erkennende Senat vermag sich dieser vereinzelt gebliebenen Entscheidung nicht anzuschließen.

Es ist wohl richtig, daß die Klägerin nach § 523 ABGB einen aus ihrem Eigentum abgeleiteten Anspruch auf Entfernung der Bauten durch den Beklagten vor dem ordentlichen Gericht geltend machen könnte, wenn sich der Beklagte Rechte, insbesondere eine Servitut, auf ihrem Grundstück anmaßte (dies ist aber nicht der Fall), dem er nicht Gemeingebrauch oder Anliegerrechte seinerseits entgegensetzen könnte, weil diese Gebrauchsrechte durch die Errichtung der Bauten weit überschritten würden, insbesondere, weil eine notwendige Folge seines Verhaltens der Ausschluß anderer vom Gemeingebrauch wäre (vgl SZ 34/49). Die Klägerin könnte einen Anspruch gegen den Beklagten grundsätzlich auch auf eine Servitut ihrerseits am Grundstück des Beklagten stützen oder gegebenenfalls aus einem vertraglichen Unterlassungsanspruch ableiten.

Hingegen berechtigt § 523 ABGB nicht, im Zivilrechtsweg vom Beklagten die Unterlassung oder Beseitigung von Eingriffen in den Gemeingebrauch zu verlangen. Solche Eingriffe können sich zwar vom Eingreifer her gesehen als Anmaßung einer Servitut darstellen; das ändert aber nichts daran, daß bei einer solchen Störung, die den Gemeingebrauch durch andere behindert oder gar unmöglich macht, Abhilfe nur von der zuständigen Verwaltungsbehörde verlangt werden kann.

Die Klägerin macht in ihrem Klagebegehren keinen der oben genannten zivilrechtlichen Ansprüche geltend. Betrachtet man ihr Vorbringen insgesamt, nämlich den behaupteten Sachverhalt und das hieraus abgeleitete Begehren, hat sie ausschließlich Tatsachen behauptet, die ein auf Gemeingebrauch gestütztes Beseitigungs- und Unterlassungsbegehren stützen können. Sie macht nicht einmal vertragliche Benützungsrechte gegenüber der öffentlichen Hand geltend, die vom Beklagten gestört würden. Für ihre hilfsweise behaupteten Anspruchsgrundlagen, nämlich § 523 ABGB, "Nachbarrecht" und "die Straßenverkehrsordnung" fehlt jegliches Tatsachensubstrat, so daß sich eine Prüfung erübrigt, ob und inwieweit diese Gründe einen privatrechtlichen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch gewähren könnten.

Die Klägerin vermochte nicht aufzuzeigen, aus welchem Grund die herrschende Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, als überholt anzusehen wäre. Eine Änderung der Rechtslage, die solche Eingriffe auch im Zivilrechtsweg verfolgbar machen würde, ist nicht zu erkennen. Auch aus dem Nachbarrecht in seiner Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung wäre für die Klägerin nichts zu gewinnen. Es ist nicht verständlich und auch nicht weiter begründet, wie im vorliegenden Fall aus einer Analogie zu § 364a ABGB ein auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machender Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten abgeleitet werden können sollte: Gerade der Ausbau der Parteienstellung im öffentlichen Nachbarrecht, auf den die Klägerin hinweist, spricht gegen das von der Klägerin gebrachte Argument, sie müsse befürchten, "ohnmächtig" der Verwaltungsbehörde gegenüber zu stehen, wenn diese gegen den Beklagten, der durch seine Vorgangsweise seinen Gemeingebrauch am öffentlichen Gut bei weitem überschreitet und dadurch andere am Gemeingebrauch der Benützung des öffentlichen Weges hindert, nicht einschreitet. Diese Befürchtung rechtfertigt nicht die Eröffnung eines nicht zustehenden Rechtszuges vor den ordentlichen Gerichten - so wie es auch umgekehrt nicht der Fall wäre -; die Klägerin muß vielmehr ihre Interessen an der nur auf Gemeingebrauch gestützten Benützung des Weges durch volle Ausnützung der ihr im öffentlichen Nachbarrecht zustehenden Möglichkeiten insbesondere im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens verfolgen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.

Rechtssätze
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