JudikaturJustiz8Ob49/16p

8Ob49/16p – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei M* W*, vertreten durch Dr. Stefan Gloss, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei und den Gegner der gefährdeten Partei G* W*, vertreten durch Mag. Elisabeth Freilinger Gößler, Rechtsanwältin in Wilhelmsburg, wegen einstweiligem Unterhalt, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei und des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 6. April 2016, GZ 23 R 142/16d 12, mit dem die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts St. Pölten vom 17. März 2016, GZ 2 C 72/15s 8, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der beklagten Partei und dem Gegner der gefährdeten Partei die mit 280,54 EUR (darin enthalten 46,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung und die mit 539,64 EUR (darin enthalten 55,94 EUR USt und 204 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Streitteile haben am 24. 4. 1976 geheiratet. Ihr letzter gemeinsamer Wohnsitz befand sich (seit 1982) im ursprünglichen Elternhaus der beklagten Partei und des Gegners der gefährdeten Partei (kurz: des Beklagten). Der Ehe entstammen zwei bereits volljährige Söhne. Im Jahr 1990 verließ der Beklagte die Ehewohnung und zog in das Erdgeschoß des Hauses zu seiner Mutter, wo er allerdings die sanitären Anlagen nicht benützen durfte. Die eheliche Gemeinschaft wurde vom Antragsgegner grundlos und eigenmächtig aufgehoben. Die Ehe war seit diesem Zeitpunkt unheilbar zerrüttet. Im Jahr 2001 zog die Klägerin aus der Ehewohnung aus und übersiedelte mit dem jüngeren Sohn aus schulischen Gründen nach Wien.

Die Klägerin bezieht eine Alterspension in Höhe von monatlich 1.128 EUR netto inklusive Sonderzahlungen, die Alterspension des Beklagten beläuft sich auf monatlich 1.966 EUR netto inklusive Sonderzahlungen.

Das vom (hier) Beklagten eingeleitete Scheidungsverfahren ist nach wie vor anhängig. Im vorliegenden Verfahren brachte die Klägerin am 26. 11. 2015 die Unterhaltsklage ein. Gleichzeitig begehrte sie den Zuspruch eines einstweiligen Unterhalts. In dieser Hinsicht begehrte sie, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr ab 1. 12. 2015 bis zur Rechtskraft des Unterhaltsverfahrens einen vorläufigen monatlichen Unterhalt in Höhe von 200 EUR zu zahlen, wobei die bis zur Rechtskraft des Beschlusses fällig gewordenen Beträge sofort und die in Hinkunft fällig werdenden Unterhaltsbeträge am 1. eines jeden Monats im Vorhinein zu leisten sind. Sie finde das Scheidungsbegehren des (hier Beklagten) als nicht gerechtfertigt. Allerdings sei die Unterhaltsfrage zu erörtern. Beide Ehegatten erhielten ein Pensionseinkommen. Da der Beklagte als Pensionist keine berufsbedingten oder existenznotwendigen Ausgaben mehr habe, gehe sie vom „Halbteilungsgrundsatz“ aus.

Der Beklagte entgegnete, dass die Klägerin im August/September 2000 grundlos und eigenmächtig aus der Ehewohnung ausgezogen sei. Ab diesem Zeitpunkt habe sie den Unterhaltsanspruch verwirkt. Außerdem seien beide in der Lage, für sich selbst aufzukommen. Das Unterhaltsbegehren sei als grob unbillig und missbräuchlich anzusehen.

Das Erstgericht gab dem Begehren auf einstweiligen Unterhalt in Höhe von 110 EUR monatlich statt. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Nach § 94 ABGB müssten die Ehegatten nach ihren Kräften und gemäß der Gestaltung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse gemeinsam beitragen. Der Orientierungswert für den Unterhaltsergänzungsanspruch des schlechter verdienenden Ehegatten errechne sich aus 40 % des Familieneinkommens abzüglich des Eigeneinkommens. Davon ausgehend errechne sich der monatliche Unterhaltsanspruch der Klägerin mit 110 EUR. Die Klägerin habe den Unterhaltsanspruch nicht verwirkt.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge und sprach ihr den begehrten einstweiligen Unterhalt in Höhe von monatlich 200 EUR zur Gänze zu. Im Anlassfall sei vom „Halbteilungsgrundsatz“, also von der im Verhältnis 1:1 vorzunehmenden Teilung des Gesamtfamilieneinkommens, auszugehen. Mit Beendigung des Erwerbslebens sei der – zur Begründung der Ausgangsquote bei unterschiedlichem Einkommen von 40 % herangezogene – „Rekreationsbonus“ nicht mehr argumentierbar. Es lohne sich auch ein Blick über die Grenze. Das deutsche Eherecht sehe im Fall der Scheidung den „Versorgungsausgleich“ vor. Dies bedeute, dass in der Ehezeit Rentenansprüche zwischen den Ehepartnern im Sinn einer Halbteilung aufgeteilt würden. Der Ausgleich finde damit direkt im Weg der sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche bzw der Renten und nicht erst im Umweg über den Unterhaltsanspruch statt. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweiche.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten, der auf eine Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Klägerin, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

1. Die besondere Regelungsverfügung nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO setzt die Verletzung der Unterhaltspflicht voraus (RIS Justiz RS0114824; vgl auch RS0005261). Im Provisorialverfahren sind Unterhaltsanspruch und Unterhaltsverletzung zu bescheinigen.

2. In der Rechtsprechung ist gesichert, dass Gegenstand der in Rede stehenden Regelungsverfügung nicht bloß der notwendige Unterhalt, sondern der einstweilige angemessene Unterhalt ist. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt zur gegenteiligen Lehrmeinung von König (Einstweilige Verfügungen 4 Rz 4/7 und 4/16; vgl auch Rz 4/10) Stellung genommen und diese abgelehnt (1 Ob 235/11g; 7 Ob 226/11b). Unterhaltsansprüche (hier auf der Grundlage nach § 94 ABGB) werden somit im Haupt und im Provisorialverfahren nach denselben materiell rechtlichen Grundlagen bemessen (10 Ob 7/14y). Dementsprechend wird auch bei Festsetzung des einstweiligen Unterhalts auf die in der Rechtsprechung (vor allem für durchschnittliche Verhältnisse) entwickelte Prozentsatzmethode zurückgegriffen.

3.1 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass bei beiderseitigen Einkünften dem weniger verdienenden Ehegatten 40 % des Familieneinkommens abzüglich seines Eigeneinkommens zustehen (RIS Justiz RS0012492; RS0009722). Dies gilt grundsätzlich auch bei überdurchschnittlich hohem Einkommen des besser verdienenden Ehegatten. Diese Grundsätze gelten auch für Ehegatten, die Pensionseinkünfte erzielen (SZ 50/108; SZ 52/6; vgl auch RIS Justiz RS0009749).

3.2 Die Klägerin verweist in ihrer Revisionsrekursbeantwortung neuerlich auf die Entscheidung „7 Ob 18/13k“. Diese Entscheidung existiert nicht. Die Entscheidung 7 Ob 18/13t betrifft den Abschluss eines Fremdwährungskredits zur Finanzierung einer Pensionsversicherung als Tilgungsträger.

Sollte die Klägerin die Entscheidung 7 Ob 80/13k meinen, so resultiert daraus gerade nicht der von ihr herangezogene „Halbteilungsgrundsatz“. Vielmehr wurde auch in dieser Entscheidung ausgesprochen, dass der Unterhaltsanspruch des (schuldlos geschiedenen) ebenfalls verdienenden Ehegatten grundsätzlich 40 % des gemeinsamen Einkommens abzüglich des Eigeneinkommens beträgt. In den Fällen, in denen die Berücksichtigung des Einkommens des Unterhaltsberechtigten dazu führen würde, dass der Unterhaltspflichtige mehr als 33 % des Einkommens des Verpflichteten zu zahlen hätte, habe das Einkommen des Berechtigten außer Betracht zu bleiben. Es solle nicht ein mathematisch exakter Prozentsatz der Unterhaltsbemessungsgrundlage als Unterhalt errechnet werden, die Prozentsätze dienten – als Orientierungshilfe für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen – jedoch ungeachtet der Pauschalierung dazu, vergleichbare Fälle annähernd gleich zu behandeln.

Im Übrigen betraf die zitierte Entscheidung extrem unterschiedlich hohe Einkommen der beiden Ehegatten. Dazu gelangte der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis, dass die dortige Klägerin Anspruch auf Teilnahme am weit überdurchschnittlichen Einkommen des Beklagten nach den allgemeinen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen habe, und zwar unabhängig davon, wie hoch dieses Einkommen sei.

3.3 In der Literatur finden sich Stimmen, die die von der Rechtsprechung für den Ehegattenunterhalt herangezogenen Prozentsätze als zu niedrig kritisieren und für einen gleich hohen Anteil der Ehegatten am Familieneinkommen eintreten. Nach Stabentheiner (in Rummel 3 § 94 Rz 6) sollte dem haushaltsführenden Ehegatten (ohne Eigeneinkommen) grundsätzlich eine Quote von etwa 40 % zukommen. Im Fall beiderseitiger Erwerbstätigkeit sollte nach Stabentheiner dem minder verdienenden Ehegatten grundsätzlich eine Anspruchsquote von 50 % zustehen. Für eine halbteilige Partizipationsquote sprechen sich auch Lackner (RZ 1992, 62 und RZ 1999, 194), Kerschner (RZ 1995, 272) und Aicher (in Ostheim 107 f und 111) aus. Diese Quote beziehen sie allerdings nicht auf das Familieneinkommen, sondern nur auf jenen Teil des Einkommens, der zur Deckung des ehelichen Aufwands gewidmet ist bzw dem regelmäßigen ehelichen Konsum der Ehegatten dient. Dies wird vor allem damit begründet, dass der Unterhaltsanspruch nicht zu einer Vermögensbildung führen solle (vgl auch Schwimann/Ferrari in Schwimann/Kodek 4 § 94 ABGB, Rz 7). Für den Halbteilungsgrundsatz treten schließlich auch Buchwalder (Unterhalt 164 und 247) und Sagerer Foric (Glosse zu 7 Ob 80/13k JBl 2013, 713) ein.

3.4 Demgegenüber wird die Ausgangsquote im Ausmaß von 40 % vor allen von Schwimann (in Schwimann 2 § 94 ABGB, Rz 12) vertreten (vgl auch Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , EheG, § 94 ABGB Rz 136 f). Dies wird vor allem damit begründet, dass die Unterhaltsquoten von 33 % bzw 40 % im statistischen Durchschnitt von einer Basisbeteiligung von 50 % ausgingen, bei der die durchschnittlich geringere Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und der Umstand berücksichtigt seien, dass weitere Unterhaltspflichten nicht in absoluter Höhe, sondern nur durch weitaus geringere Prozentabzüge abgerechnet würden, was nur bei einer unter 50 % liegenden Ausgangsquote gerechtfertigt sei. Außerdem solle der Verpflichtete einen Leistungsanreiz haben, der auch im Interesse des Berechtigten liege und durch höhere Ausgangsquoten beeinträchtigt wäre.

4.1 Das vom Rekursgericht ins Treffen geführte Argument, der „Rekreationsbonus“ sei das einzige Begründungselement zur Rechtfertigung der 40% Quote, weshalb bei einem Pensionseinkommen kein Grund bestehe, daran festzuhalten, erweist sich als nicht stichhaltig. Der Begriff des „Rekreationsbonus“ stammt ursprünglich aus dem Schrifttum (vgl Schwimann in Schwimann 2 § 94 Rz 12). Richtig ist, dass dieses Begründungselement vereinzelt auch in Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs herangezogen wurde. Diese Entscheidungen beziehen sich aber auf Fälle eines überdurchschnittlich hohen Einkommens des besser verdienenden Ehegatten (vgl RIS Justiz RS0111994; 1 Ob 288/98d; 9 Ob 14/13v; 7 Ob 80/13k).

4.2 Tragendes Begründungselement für die 40% Quote am Familieneinkommen (abzüglich des Eigeneinkommens) bei (unterschiedlich hohen) beiderseitigen Einkünften ist nicht der „Rekreationsbonus“. Vielmehr ist entscheidend, dass dem Gesetz ein bestimmtes System für die Berechnung des Unterhaltsanspruchs nicht zu entnehmen ist. Der Oberste Gerichtshof kann deshalb auch nicht allgemein verbindliche Prozentsätze für die Unterhaltsbemessung festlegen. Solche Werte sollen bei der konkreten Berechnung eines Unterhaltsanspruchs nur die Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle gewährleisten. Prozentsätze zur Berechnung des Ehegattenunterhalts haben daher bloß den Charakter einer Orientierungshilfe (RIS Justiz RS0012492). Nach den Kriterien der Einzelfallgerechtigkeit, insbesondere bei atypischer Sachlage, ist eine Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls angebracht (1 Ob 288/98d; 1 Ob 108/01s).

Durch die Leistung des Unterhaltsbeitrags soll der Unterhaltsberechtigte an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen angemessen teilhaben können. Diese Verhältnisse bestimmen sich nach dem Lebensstandard der Ehegatten bzw dem Stil ihrer Lebensführung. Entscheidend ist somit, dass beiden Ehegatten die Deckung der ihren Lebensverhältnissen entsprechenden angemessenen Bedürfnisse möglich sein soll. Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass der Unterhaltspflichtige nicht mehr leisten muss, als seiner Leistungsfähigkeit entspricht. Zudem soll der Unterhaltsanspruch jedenfalls nicht primär der Vermögensbildung dienen.

Diesen Anforderungen kann mit der in der Judikatur etablierten Prozentsatzmethode je nach Einzelfall in angemessener Weise Rechnung getragen werden. Die Überlegungen des Rekursgerichts sind demgegenüber nicht geeignet, um ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung und eine andere Ausgangsquote bzw Richtquote zu rechtfertigen. Bei dem vom Rekursgericht angestellten Blick über die Grenze handelt es sich um keinen systematischen Begründungsschritt, dies umso mehr, als die Rechtslage in Deutschland mit jener in Österreich nicht übereinstimmt und es sich um unterschiedliche Rechtssysteme handelt (vgl 7 Ob 80/13k).

4.3 Insgesamt sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, von seiner bisherigen Judikatur abzugehen. Die Entscheidung des Rekursgerichts hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht stand. Damit war in Stattgebung des Rekurses des Beklagten die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wiederherzustellen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin ist im Rekursverfahren und im Revisionsrekursverfahren unterlegen. In diesem Fall liegt ein vom Hauptverfahren losgelöster Zwischenstreit vor, in dem die Klägerin (Gefährdete) nach den Bestimmungen der ZPO zum Kostenersatz verpflichtet ist.

Rechtssätze
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