JudikaturJustiz7Ob61/01y

7Ob61/01y – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. März 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Rainer Kurbos, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Rolf Gabron, Rechtsanwalt in Spittal a.d. Drau, wegen S 228.366,-- (sA), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 24. Oktober 2000, GZ 4 R 164/00w-29, womit der Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom 18. Juli 2000, GZ 26 Cg 27/98m-26, "mit der Maßgabe bestätigt" wurde, dass der Wiedereinsetzungsantrag der beklagten Partei anstatt ab-zurückgewiesen werde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies den am 17. 7. 2000 zur Post gegebenen Antrag der beklagten Partei auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen sein klagsstattgebendes Urteil vom 17. 3. 2000 ab. Ob das - der beklagten Partei zuzurechnende - Verschulden des Beklagtenvertreters an der Versäumung als grobes angesehen werden müsse, hänge davon ab, wie lange schon und wie zuverlässig die konkrete Mitarbeiterin bisher gearbeitet habe. Es stelle ein grobes Verschulden der Partei oder ihres Vertreters dar, wenn derartige Fehlerquellen schon früher passiert seien. Dass im vorliegenden Fall der Fehler der Kanzleileiterin und Ehefrau des Beklagtenvertreters zum ersten Mal unterlaufen wäre, sei nicht einmal behauptet worden, sodass im Zweifel von einem groben Verschulden auszugehen gewesen sei.

Das Rekursgericht "bestätigte" den Beschluss des Erstgerichtes "mit der Maßgabe", dass es den Wiedereinsetzungsantrag der beklagten Partei anstatt ab-zurückwies. Ob ein Ereignis iSd § 146 Abs 1 ZPO die rechtzeitige Vornahme der Berufung verhinderte, in welchem Ausmaß die Kanzleileiterin ein Verschulden treffe und ob dieses der Partei zugerechnet werden könne, müsse dahingestellt bleiben, weil der Wiedereinsetzungsantrag verspätet sei. Nach § 148 Abs 2 ZPO sei der Wiedereinsetzungsantrag innerhalb von 14 Tagen ab jenem Tag zu stellen, an welchem das Hindernis weggefallen sei. Habe das Hindernis in einem Irrtum bestanden, beginne die Frist nicht mit dessen tatsächlichem Wegfall, sondern etwa bereits dann, wenn dem Rechtsmittelwerber bei Bearbeitung des Rechtsmittels die Verspätung hätte auffallen müssen. Dem Beklagtenvertreter hätte bereits bei Verfassung der Berufung, die mit 26. 4. 2000, dem Tag des Ablaufs der Frist für die Einbringung der Berufung, datiert sei, klar werden müssen, dass die Berufungsfrist an diesem Tage endete und eine Postaufgabe am folgenden Tag zu ihrer Zurückweisung wegen Verspätung führen würde. Die Vernachlässigung einer Handlungspflicht - die innerhalb der Notfrist des § 148 Abs 2 ZPO ab Wegfall des Hindernisses vorzunehmende Antragstellung auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wäre nicht nur tunlich, sondern jedenfalls geboten gewesen - könne nicht als minderer Grad eines Versehens dahin angesehen werden, dass das Hindernis (der Irrtum) nicht bereits früher weggefallen sei. Ein Hindernis, das die Versäumnis verursachte, sei dann weggefallen (§ 148 Abs 2 ZPO), wenn der Partei selbst unter Berücksichtigung der persönlichen Möglichkeiten unter Bedachtnahme auf die durch § 147 Abs 3 ZPO zum Ausdruck gebrachte Handlungspflicht zugemutet werden könne, die Prozesshandlung nachzuholen. Der Lauf der Frist beginne nicht zwingend erst mit der Aufklärung des Irrtums, sondern bereits dann, wenn die mögliche Aufklärung des Irrtums nicht nur wegen eines minderen Grades des Versehens unterblieben sei. Da den Beklagtenvertreter bereits ab dem 27. 4. 2000 eine Handlungspflicht getroffen und er nicht bis zur Zustellung des die Berufung zurückweisenden Beschlusses am 3. 7. 2000 zuwarten habe dürfen, sei der Wiedereinsetzungsantrag vom 17. 7. 2000 verspätet.

Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Über Antrag der beklagten Partei gemäß § 528 Abs 2a ZPO änderte es seinen Ausspruch aber dahin ab, dass es den ordentlichen Revisionsrekurs nach § 528 Abs 1 ZPO doch für zulässig erklärte. Zur Frage, "ob eine bestehende verwandtschaftliche Beziehung zu einer als verlässlich bekannten Kanzleikraft (Ehefrau) nicht derart strenge Anforderungen an die gebotene Handlungspflicht eines Rechtsanwaltes mit Bezug auf eine Fristversäumnis zulässt, wie dies in der Entscheidung des Rekursgerichtes zum Ausdruck kommt", bestehe keine Rechtsprechung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der beklagten Partei unterliegt zwar nicht dem absoluten Rechtsmittelausschluss nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO, weil er keine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes anficht. Eine solche ist weder dann gegeben, wenn die erste Instanz den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig zurückweist, das Rekursgericht jedoch den Antrag aus sachlichen Gründen abweist (EvBl 1965/368 = RZ 1965, 101; 6 Ob 213/00t ua), noch dann, wenn die erste Instanz den Wiedereinsetzungsantrag aus sachlichen Gründen abweist und das Rekursgericht den Antrag etwa - wie hier - wegen Verspätung zurückweist (EvBl 1971/182; 6 Ob 1525/92; 10 Ob 1505/94 ua). Eine "Maßgabebestätigung" ist nur dann eine Konformatsentscheidung, wenn die vom Beschluss des Erstgerichtes abweichende Fassung - anders als hier - nur einer Verdeutlichung der Entscheidung des Erstgerichtes dient, ohne dass damit der Inhalt dieser Entscheidung und ihrer Rechtskraftwirkungen gegenüber den Parteien und Beteiligten geändert wird (RZ 1972, 185; 4 Ob 101/91; 6 Ob 1525/92 uva). Das Rechtsmittel der Beklagten ist jedoch entgegen dem, den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichtes mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Die Entscheidung des Rekursgerichtes folgt der stRsp (RIS-Justiz RS0036621), wonach ein Hindernis iSd § 146 ZPO jedenfalls dann weggefallen ist, wenn der Partei selbst unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Möglichkeiten unter Bedachtnahme auf die im § 147 Abs 3 ZPO zum Ausdruck gebrachte Handlungspflicht zugemutet werden kann, die Prozesshandlung nachzuholen. Es entspricht auch gesicherter Judikatur, dass der Lauf der Frist nicht zwingend erst mit der Aufklärung des Irrtums, sondern bereits dann beginnt, wenn die mögliche Aufklärung des Irrtums nicht nur wegen eines minderen Grades des Versehens unterblieben ist (RZ 1991, 172/54 = AnwBl 1991, 110 mwN; 10 Ob 1505/94; 9 Ob 179/98h; 9 ObA 9/00i; RIS-Justiz RS0036608).

Ob den Beklagtenvertreter bereits (spätestens) ab dem 26. 4. 2000 (Datierung der als verspätet zurückgewiesenen Berufungsschrift) eine derartige Handlungspflicht traf und er nicht bis zur Zustellung des die Berufung zurückweisenden Beschlusses am 3. 7. 2000 zuwarten durfte, betrifft nur den nach den tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilenden Einzelfall und stellt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO dar (vgl 6 Ob 1525/92; 10 Ob 1505/94).

Inwieweit der Umstand, dass ein besonderes Vertrauensverhältnis des Beklagtenvertreters zu seiner Kanzleileiterin und Ehefrau bestand, hinsichtlich der Frage des Auffallenmüssens des Irrtums der Kanzleileiterin bei Verfassung der Berufung bedeutsam sein soll, hat die Revisionsrekurswerberin nicht dargetan und ist auch nicht aktenkundig. Die vom Rekursgericht als iSd § 528 Abs 1 ZPO erheblich angesehene Frage stellt sich daher hier gar nicht. Die Anrufung des Obersten Gerichtshofes ist aber nach § 528 Abs 1 ZPO (wie nach § 502 Abs 1 ZPO) nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung der dort genannten Rechtsfragen abhängt; die angeschnittene Rechtsfrage muss also präjudiziell sein (vgl 7 Ob 210/99d uva).

Ob schließlich der Beklagtenvertreter die Berufung, wie nun im Revisionsrekurs neuerungsweise angedeutet wird, etwa schon einen oder einige Tage vor dem 26. 4. 2000 verfasst (konzipiert hat), ist ohne Bedeutung, weil ihm der Irrtum seiner Kanzleileiterin dann eben noch früher auffallen hätte müssen (vgl 10 Ob 1505/94).

Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

Rechtssätze
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