JudikaturJustiz7Ob41/23i

7Ob41/23i – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. März 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Unterbringungssache der Kranken R* H*, geboren am * 1963, *, vertreten durch den Verein VertretungsNetz- Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, *, (Patientenanwältin Mag. M* H*), vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in Wien, Abteilungsleiter Prim. Dr. F* B*, wegen Zulässigkeit einer besonderen Heilbehandlung (§ 36 UbG), über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 9. Februar 2023, GZ 20 R 20/23z 26 (richtig: 20 R 22/23v 25), womit der Beschluss des Bezirksgerichts Eisenstadt vom 30. Jänner 2023, GZ 18 UB 1/23y 15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird als unzulässig zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Kranke wurde am 30. 12. 2022 unfreiwillig auf der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Krankenhauses * untergebracht. Die Unterbringung wurde gemäß § 26 Abs 1 UbG mit Beschluss vom 16. 1. 2023 bis 27. 2. 2023 für zulässig erklärt.

[2] Der Abteilungsleiter beantragte am 23. 1. 2023 die gerichtliche Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung iSd § 36 Abs 3 UbG durch Verabreichung einer Depotmedikation in Form von Xeplion Depot 150 mg und 100 mg Boosterung am Tag 8 nach der Erstverabreichung, weitere vierwöchige Depotabgabe nach Spiegelkontrolle und regelmäßiger EKG Kontrolle.

[3] Das Erstgericht genehmigte die beantragte besondere Heilbehandlung.

[4] Das Rekursgericht gab dem gegen den Genehmigungsbeschluss erhobenen Rekurs des Vereins keine Folge.

[5] Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Vereins ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1.1 Auch für Rechtsmittel im Außerstreitverfahren gilt die Voraussetzung des Rechtsschutzinteresses (RS0006598). Das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn der Entscheidung nur mehr theoretisch abstrakte Bedeutung zukäme, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanz ist, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen (RS0002495). Die Beschwer muss zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels (hier 1. 3. 2023) vorliegen und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen, andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770).

[7] 1.2 Im vorliegenden Fall ist die Rechtsmittellegitimation des Vereins in Ansehung einer besonderen Heilbehandlung zu beurteilen, deren Genehmigung in einem Unterbringungsverfahren beantragt wurde, das am 10. 2. 2023 und damit vor Erhebung des Revisionsrekurses beendet worden ist und die besondere Heilbehandlung ungeachtet der erstinstanzlichen Genehmigung infolge Rechtsmittelerhebung gegen den Genehmigungsbeschluss nicht durchgeführt wurde.

[8] 2.1 Zu einem identen Sachverhalt hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 3 Ob 142/10v (RS0126250) bereits mit ausführlicher Begründung dahin Stellung genommen: In Fällen, in denen mit Gerichtsbeschluss das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit berührt wird, hat der davon in seinen Rechten Beeinträchtigte auch noch nach Aufhebung der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen weiterhin ein rechtliches Interesse an der Feststellung, ob die Freiheitsbeschränkung zu Recht erfolgte. Die vom Staat in den §§ 35 bis 37 UbG gewährten Rechtsschutzeinrichtungen sind im Lichte der Bestimmungen der Art 3 und 13 MRK dahin auszulegen, dass derjenige, der behauptet in dem in Art 3 MRK festgelegten Recht auf Achtung der Menschenwürde verletzt zu sein, auch noch nach Beendigung der gegen ihn gesetzten Maßnahmen – also auch nach der Aufhebung der freiheitsbeschränkenden Unterbringung – ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat, ob die an ihm vorgenommene Behandlung zu Recht erfolgte. Die gerichtliche Kontrolle ärztlicher Behandlungen ohne oder gegen den Willen des untergebrachten Kranken hat auch noch stattzufinden, wenn die Unterbringung zwischenzeitig beendet worden ist. Das Rechtsmittelinteresse dauert daher auch noch nach Beendigung der Unterbringung und Behandlung fort. Hier geht es aber nicht um die (nachträgliche) Beurteilung der Unterbringung oder eines sonstigen Eingriffs in die körperliche Integrität, der bereits stattgefunden hat, noch andauert oder dessen weitere oder neuerliche Zulässigkeit für den Kranken auch nachträglich noch von Bedeutung sein kann, sondern um eine ursprünglich vorgesehene, aber nie durchgeführte Heilbehandlung. Ob ihre Durchführung rechtmäßig gewesen wäre oder nicht, ist von rein theoretischer abstrakter Bedeutung, zumal sie tatsächlich nicht durchgeführt wurde und das Unterbringungsverfahren, in dem sie geplant war, mittlerweile beendet ist. Die Zulässigkeitsbeurteilung ist auch für eine allfällig in der Zukunft stattfindende neuerliche Unterbringung der Kranken ohne Bedeutung, weil in einem neuen Unterbringungsverfahren die besondere Heilbehandlung neuerlich genehmigt werden müsste. In diesem Fall wären die Voraussetzungen für die Genehmigung nach der dann gegebenen Sachlage neu zu beurteilen, eine (nachträgliche) Beurteilung der Sachlage zu einem früheren Zeitpunkt in einem bereits abgeschlossenen Unterbringungsverfahren hätte für das zukünftige Genehmigungsverfahren keine Auswirkung.

[9] 2.2 Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Soweit der Verein unter Verweis auf Kopetzki (zB in Grundriss des Unterbringungsrechts 3 Rz 760 f) argumentiert, bereits die Genehmigung durch das Erstgericht sei als Grundrechtseingriff zu werten und löse einen Rechtsschutzanspruch nach Art 13 MRK aus, weil aufgrund des gerichtlichen Genehmigungsaktes während aufrechter Unterbringung jederzeit eine „Vollstreckung“ im Sinn einer tatsächlichen Durchführung der Zwangsbehandlung drohe, überzeugt dies nicht:

[10] 2.3 Zum einen kommt dem in der Tagsatzung, also unmittelbar nach der Verkündung der gerichtlichen Entscheidung, angemeldeten Rekurs gegen die gerichtliche Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung ex lege (§ 38 Abs 2 UbG) aufschiebende Wirkung zu, sofern das Gericht diese nicht (ausnahmsweise) aberkennt. Zum anderen tritt nach § 43 Abs 1 AußStrG stets Vollstreckbarkeit, Verbindlichkeit der Feststellung oder Rechtsgestaltung erst mit der Rechtskraft eines Beschlusses ein, denn das Gericht kann lediglich nach § 44 Abs 1 AußStrG einem Beschluss vorläufige Verbindlichkeit zuerkennen. Damit unterscheidet sich die Regelung des § 38 Abs 2 UbG von jener des Außerstreitgesetzes nur durch die zwingend angeordnete Verkündung (6 Ob 62/10a).

[11] 2.4 Hier meldete der Verein unverzüglich nach Verkündung des Genehmigungsbeschlusses Rechtsmittel an, dem die aufschiebende Wirkung weder aberkannt wurde noch wurde den Entscheidungen der Vorinstanzen die vorläufige Verbindlichkeit zuerkannt. Damit war die Genehmigung schwebend unwirksam (6 Ob 62/10a), sodass die Kranke auch nicht mit der Vollstreckung des Genehmigungsbeschlusses bedroht war.

[12] 3. Es ist daher vom Fehlen des Rechtsschutzinteresses des Vereins für die Revisionsrekurserhebung auszugehen, weshalb dieser zurückzuweisen ist.