JudikaturJustiz7Ob35/23g

7Ob35/23g – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. April 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers J*, vertreten durch Mag. Stefan Geisler, Mag. Markus Gredler, Rechtsanwälte in Zell am Ziller, gegen die Antragsgegnerin C*, vertreten durch Dr. Simon Brüggl, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wegen Ersetzung einer Zustimmung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 5. Jänner 2023, GZ 3 R 178/22f-22, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 29. Juni 2022, GZ 2 Nc 12/21b-18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] D ie Streitteile sind je zur Hälfte Mite igentümer einer Liegenschaft, die vom Antragsteller zum Zweck der Milchwirtschaft (Melkalm) zur Zeit alleine verwendet wird. Auf dieser Alm befindet sich ein Stall; eine früher bewirtschaftete Almhütte wurde nach einem Steinschlag nicht wieder errichtet. Zwischen den Miteigentümern wurde keine Benützungsregelung getroffen.

[2] Die Alm ist über eine Mautstraße erreichbar. Ein Stromanschluss an das öffentliche Stromnetz ist nicht vorhanden. Das Wirtschaftsgebäude (Melkstand und Milchtechnik) muss mit eine m Zapfwellengenerator betrieben werden, der von einem dieselbetriebenen Traktor versorgt w ird . D er Antragsteller möchte deshalb die Alpe an das öffentliche Stromnetz anschließen lassen. Dafür muss ein Stromkabel mit einem Durchmesser von ca 4 cm in einer Tiefe von 80 cm bis 1 m entlang einer Trasse verlegt werden, die ca 650 m über das Grundstück der Parteien führt.

[3] Die Leitung würde im Eigentum de s die Stromversorgung errichtenden Unternehmens bleiben; a m Ende der Zuleitung ist die Anbringung einer Trafostation mit einem Sockelmaß von 1,80 m x 1,20 m und eines Verteilers notwendig, was die Errichtung einer Fundamentplatte mit dem Maß 1,80 m x 1,20 m und einer Stärke von ca 30 cm erforderlich macht.

[4] Eine vorläufige Kostenschätzung beläuft sich auf 128.311 EUR; es liegt eine unverbindliche Förderzusage des Landes Tirol im Ausmaß von ca 40 % vor.

[5] Eine sichere Stromversorgung auf der Melkalm ist unter anderem auch zur Erfüllung der Hygieneanforderungen und der laufenden Milchkühlung notwendig. Die Stromversorgung mittels Leitungen stellt dabei die sicherste Versorgungsmethode dar. Beim Betrieb von eigenen Kraftwerken ist eine dauerhafte und umfassende Kontrolle und Absicherung von Gefahrenstellen notwendig; beim Betrieb von Dieselaggregaten ist die Umweltverschmutzung und die Lärmbelastung zu berücksichtigen.

[6] Der Antragsteller begehrt die Ersetzung der Zustimmung der Antragsgegnerin zur Stromerschließung der Liegenschaft. Der Anschluss an das Stromnetz stelle eine notwendige und zweckmäßige wie auch zeitgemäße Bewirtschaftung der gegenständlichen Liegenschaft dar, die lediglich zum Vorteil der Miteigentümer sei. Dennoch stimme die Antragsgegnerin der Maßnahme nicht zu. Der Antragsteller habe auch unpräjudiziell angeboten, die Kosten der Aufschließung alleine zu übernehmen.

[7] Die Antragsgegnerin wendete – soweit im Revisionsrekursverfahren von Interesse – ein, es handle sich um keine Verwaltungs-, sondern eine Verfügungshandlung, eine solche könne nicht im Außerstreitverfahren ersetzt werden. Die Maßnahme sei im Übrigen auch nicht erforderlich.

[8] Das Erstgericht wies den Antrag ab, weil die begehrte Maßnahme aufgrund des damit verbundenen Sub st anzeingriffs eine Verfügungshandlung darstelle; eine solche könne nicht durch einen Beschluss des Außerstreitrichters ersetzt werden.

[9] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige. Es erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig, weil Umstände des Einzelfalls zu bewerten gewesen seien.

[10] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers, der sich gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen wendet, es handle sich bei der begehrten Maßnahme um eine Verfügungshandlung, die keiner Ersetzung der Zustimmung im Außerstreitverfahren zugänglich sei. Er beantragt die Abänderung des Beschlusses im Sinn einer Stattgabe des Antrags; in eventu stellt er einen Aufhebungsantrag.

[11] Die Antragsgegnerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.

[12] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil den Vorinstanzen eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist im Sinne seines Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Anders als bei Verwaltungshandlungen kann die fehlende Zustimmung eines Teilhabers im Fall von Änderungen tatsächlicher und rechtlicher Natur, die § 828 ABGB zu unterstellen sind, nicht durch einen Beschluss des Außerstreitrichters ersetzt werden, weil derartige Änderungen die Substanz der Gemeinschafts- oder Anteilsrechte betreffen und deshalb einem richterlichen Eingriff entzogen sind ( RS0117159 ). Die Rechtmäßigkeit einer Substanzveränderung setzt eine einhellige Willensbildung der Miteigentümer voraus ( RS0117159 [T2]; RS0013205 ). Damit ist hier die Unterscheidung zwischen Verfügungen im Sinne des § 828 ABGB und Maßnahmen der (ordentlichen oder außerordentlichen) Verwaltung maßgebend, weil nur Letztere durch richterlichen Beschluss genehmigungsfähig sind.

[14] 2. Verwaltungshandlungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein gemeinschaftliches Vorgehen erfordern, weil es um Interessen aller Gemeinschafter geht, während die Abgrenzung von Verfügungen nach den Auswirkungen der Geschäftsführungsakte auf das gemeinschaftliche Gut und damit auf die Anteile der Miteigentümer vorzunehmen ist. Verwaltungshandlungen zielen darauf ab, gemeinschaftliche Pflichten zu erfüllen oder gemeinschaftliche Interessen wahrzunehmen. Zur Verwaltung zählt insbesondere die Erhaltung und Verbesserung der Sache oder das Ziehen von Früchten aus der Sache – jeweils vorausgesetzt, diese Maßnahmen kommen allen Miteigentümern anteilig zugute (vgl auch Klausberger in Klang 3 § 828 ABGB Rz 30). Die rein eigennützige Verbauung oder sonstige Veränderung allgemeiner Teile der Liegenschaft durch einen der Miteigentümer stellt daher keine Maßnahme der Verwaltung der gemeinsamen Liegenschaft dar ( RS0109188 [T12, T13]) .

[15] 3. Zu den Verfügungen zählen Maßnahmen, die solche Auswirkungen auf die gemeinsame Sache haben, dass sie sich im gemeinsamen Recht und/oder den Anteilsrechten der Teilhaber niederschlagen, wie beispielsweise die Veräußerung der gemeinsamen Sache oder die Einräumung einer Dienstbarkeit an der gemeinsamen Sache als Maßnahmen rechtlicher Natur oder etwa der gänzliche Abriss, die Vernichtung des im Miteigentum stehenden Gebäudes als Maßnahme tatsächlicher Natur. Der bloße Umstand, dass eine Maßnahme die Substanz der gemeinsamen Sache betrifft, reicht für eine Qualifikation als Verfügung im Sinne des § 828 ABGB noch nicht aus, könnte sie als solche doch auch in der Verwaltung der Sache begründet sein. Insofern wird mit dem Begriff des Eingriffs in die „Substanz“ im Sinne des § 828 ABGB auch weniger die Veränderung des Gegenstands (Sache) als vielmehr eine Veränderung des Wesenskerns des Gemeinschaftsrechts angesprochen ( 9 Ob 18/17p mwN).

[16] 4.1. Die hier vom Antragsteller geplante Maßnahme betrifft im Wesentlichen gemeinschaftliche Interessen bei der Nutzung und Erhaltung des Gemeinschaftsguts, wovon im Grundsatz auch die Vorinstanzen ausgegangen sind. Daran vermag es – entgegen der Ansicht der Vorinstanzen – nichts zu ändern, dass der Antragsteller die gegenständliche Alm derzeit faktisch alleine nutzt, stünde einer Mitbenutzung durch die Antragsgegnerin doch keine Benutzungsregelung entgegen. Mit der geplanten Aufschließung werden daher nicht nur Partikularinteressen des Antragstellers verfolgt, weil diese Aufschließung der gemeinschaftlichen Sache zugute kommt.

[17] 4.2. Die faktische Substanzbeeinträchtigung durch das in der Erde geführte Stromkabel und die Fundamentplatte ist von überschaubarem Ausmaß; einhergehend mit einer Verbesserungsmaßnahme für das gemeinschaftliche Gut führt sie nicht dazu, dass die geplante Stromerschließung deshalb eine Verfügungshandlung wäre.

4.3. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten:

[18] Die vom Antragsteller geplante Maßnahme der Stromerschließung ist als Verwaltungsmaßnahme zu beurteilen.

[19] 5. Der Beschluss des Außerstreitrichters gemäß § 835 ABGB ist eine im Wesentlichen von Billigkeitserwägungen getragene Ermessensentscheidung ( RS0013650 [T2] ). Zu prüfen ist, ob die geplante Veränderung vom Standpunkt der Gesamtheit der Miteigentümer aus offenbar vorteilhaft, bedenklich oder nachteilig ist, sodass sie bei Abwägung der Gesamtinteressen zu unterbleiben hätte. Bei der Prüfung der Nachteiligkeit einer von der Mehrheit beabsichtigten Maßnahme kommt es nicht nur auf die finanziellen Interessen an. Es sind die gesamten Umstände des Falls zu berücksichtigen ( RS0013703 ; RS0013690 ). In die Abwägung der Gesamtinteressen der Eigentumsgemeinschaft ist auch die subjektive Lage der einzelnen Teilhaber, also deren persönliche und familiäre Verhältnisse und Bedürfnisse angemessen miteinzubeziehen. Das folgt schon aus der innerhalb eines Gemeinschaftsverhältnisses bestehenden Treuepflicht, die auch die Rücksichtnahme auf die Interessen der übrigen Teilhaber erfordert ( RS0013701 ; RS0013703 [T2]; RS0013690).

[20] 5.1. Für die vorzunehmende Gesamtabwägung fehlen hier Feststellungen zu den konkret auf die Beteiligten zukommenden Kosten sowie den für sie jeweils aus der Maßnahme resultierenden Vorteilen und deren Verhältnis zueinander . Das ist im Rahmen der Interessenabwägung der Beteiligten zu berücksichtigen. Auf der Kostenseite steht derzeit nur der Inhalt einer Kostenschätzung fest, wobei im Rahmen dieses Angebots festgehalten ist, welche Leistungen bauseits zu erbringen sind. Wie hoch die Kosten dieser zusätzlichen Leistungen sein werden, steht nicht fest. Es fehlt weiters eine Feststellung dazu, wie die Kostentragung zwischen den beiden Miteigentümern verbindlich geregelt wird; aufgrund des nur unpräjudiziellen Angebots des Antragstellers zur Kostentragung können mögliche Nachteile für die Antragsgegnerin nicht abschließend beurteilt werden. Auf der Nutzenseite fehlen Feststellungen zu den zu erwartenden Vorteilen der Maßnahme – etwa in Bezug auf eine allfällige Wertsteigerung – insbesondere für die Antragsgegnerin, die nach den Feststellungen derzeit die Alm nicht benutzt.

[21] Zu all dem wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren nach Erörterung mit den Streitteilen Feststellungen zu treffen haben.

[22] In Stattgebung des berechtigten Revisionsrekurses war dem Erstgericht daher die inhaltliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

[23] 6. Der Kostenvorbehalt beruht darauf, dass noch keine die Sache zur Gänze erledigende Entscheidung im Sinn des § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG vorliegt (vgl RS0123011).

Rechtssätze
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