JudikaturJustiz7Ob26/15x

7Ob26/15x – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Mai 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr.

Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Unterbringungssache des Kranken H***** R*****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Patienten-anwältin Mag. S***** M*****), *****, dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Abteilungsleiter Univ. Prof. Dr. F***** L*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 11. November 2014, GZ 35 R 33/14x 38, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 21. Juli 2014, GZ 28 Ub 112/13b-35, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Kranke war auf Grund eines organischen Psychosyndroms nach einer Hernien-Operation am 31. 3. 2013 bis zu seinem Tod am 7. 4. 2013 untergebracht. Die beim Kranken neben der psychiatrischen Behandlung vorgenommene Behandlung mit Thrombo ASS, die bei Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung im Sinn eines Thrombozyten-Aggregations-Hemmers erforderlich ist, war medizinisch indiziert und an sich lege artis. Zusätzlich wäre noch die Medikation mit einem niedermolekularen Heparin (Marcumar) medizinisch unbedingt erforderlich gewesen, um das beim Kranken eindeutig bestehende Thrombose-Risiko zu senken, dies insbesondere auch unter Berücksichtigung der postoperativen Risiken. Ob der Tod des Kranken bei entsprechender Anwendung des Medikaments verhindert hätte werden können, kann nicht festgestellt werden; es wäre jedoch zu einer deutlichen Risikoreduktion gekommen.

Das Erstgericht wies den nach dem Tod des Kranken erhobenen Antrag des Vereins, die ärztliche Behandlung in Form einer Verabreichung von Thrombo ASS ohne zusätzliche Verabreichung eines niedermolekularen Heparins für unzulässig zu erklären, ab. Die nachträgliche Prüfung der Zulässigkeit der Heilbehandlung sei auf die (fehlende) Eignung der gewählten Behandlungsmethode beschränkt. Die Behandlung mit Thrombo ASS an sich sei lege artis gewesen. Der Nichteinsatz des zusätzlich unbedingt erforderlichen niedermolekularen Heparins sei hingegen im Unterbringungsverfahren nicht zu überprüfen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei. Nach dem UbG sei nur die Eignung einer Heilbehandlung, die - wie im vorliegenden Fall weder eine psychiatrische Behandlung noch eine Behandlung der psychiatrischen Anlasskrankheit sei, zu überprüfen, nicht aber ob ein „Zuwenig“ an Heilbehandlung gesetzt wurde.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vereins mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Abteilungsleiter hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1. Vorweg ist festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Tod des Kranken unabhängig davon, ob (ausdrücklich) ein Zusammenhang zwischen der Unterbringung und dem Tod behauptet wird, nicht zum Erlöschen der Antrags- und Rechtsmittelbefugnis des Vereins führt (7 Ob 20/15i; RIS Justiz RS0075885 [T6, T7]). Damit sind die Vorinstanzen zutreffend von einer Antragsberechtigung des Vereins nach dem Tod des Kranken ausgegangen.

2. Der Verein vertritt in seinem Revisionsrekurs weiterhin die Rechtsansicht, dass die Heilbehandlung in ihrer Gesamtheit geprüft hätte werden müssen. Dazu ist Folgendes auszuführen:

2.1. Zur Rechtslage:

Die Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker, die in eine Krankenanstalt aufgenommen werden, sind besonders zu schützen. Die Menschenwürde psychisch Kranker ist unter allen Umständen zu achten und zu wahren (§ 1 Abs 1 UbG). Der Kranke darf nur nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft ärztlich behandelt werden. Die Behandlung ist nur insoweit zulässig, als sie zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis steht (§ 35 Abs 1 UbG). Soweit der Kranke einsichts- und urteilsfähig ist, darf er nicht gegen seinen Willen behandelt werden; eine medizinische Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist (besondere Heilbehandlung), darf nur mit seiner schriftlichen Zustimmung durchgeführt werden (§ 36 Abs 1 UbG). Ist der Kranke nicht einsichts- und urteilsfähig und hat er keinen Erziehungsberechtigten, Sachwalter oder Vorsorgebevoll-mächtigten, so hat auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters das Gericht über die Zulässigkeit der Behandlung unverzüglich zu entscheiden. Eine besondere Heilbehandlung bedarf der Genehmigung des Gerichts (§ 36 Abs 3 UbG). Auf Antrag des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht nachträglich über die Zulässigkeit der Unterbringung, der Beschränkung der Bewegungsfreiheit, der Einschränkung des Verkehrs mit der Außenwelt, der Beschränkung eines sonstigen Rechts oder der ärztlichen Behandlung zu entscheiden, wenn die Unterbringung bereits vor der Entscheidung des Gerichts nach § 20 UbG aufgehoben oder die Beschränkung, Einschränkung oder Behandlung bereits beendet wurde (§ 38a Abs 1 UbG).

2.2. Der Kranke war während der Dauer der gesamten Unterbringung verwirrt und nicht paktfähig. Damit fehlte ihm die Einsichtsfähigkeit zur Einwilligung in die hier in Form einer Medikation vorgenommenen Heilbehandlung.

Nach § 36 Abs 1 UbG idF UbG-Novelle 2010, BGBl I 2010/18, ist eine besondere Heilbehandlung eine medizinische Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist. Damit wurde der bislang unbestimmte Begriff der „besonderen Heilbehandlung“ (vgl RIS-Justiz RS0076093) mit der aus dem Zivilrecht bekannten ausführlicheren Umschreibung der „schwerwiegenden Behandlungen“ gleichgesetzt ( Kopetzki , Grundriss des Unterbringungsrechts³ Rz 632). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte nur eine terminologische Anpassung erfolgen (vgl ErläutRV 601 BlgNR 24. GP, 15). Daraus folgt, dass sich am bisherigen Verständnis der „besonderen Heilbehandlung“ nichts geändert hat ( Kopetzki aaO). Demgemäß kann zur Abgrenzung einer „besonderen“ von einer „einfachen“ Heilbehandlung an die bisherige Rechtsprechung angeknüpft werden, wonach nur Behandlungen, die die körperliche Integrität des Kranken in besonderer Weise beeinträchtigen, wie etwa „Elektroschocks“, als „besondere Heilbehandlung“ anzusehen sind (RIS-Justiz RS0076093). Eine Medikation zur Reduzierung des Thrombose-Risikos fällt mangels einer damit verbundenen besonderen Eingriffsintensität nicht unter den Begriff der „besonderen Heilbehandlung“.

2.3.1. Nach der Rechtsprechung unterliegt grundsätzlich jede Heilbehandlung, die an einem untergebrachten, nicht einsichtsfähigen und (in der Frage seiner Zustimmung zur Behandlung) nicht vertretenen Kranken vorgenommen wird, der gerichtlichen Kontrolle nach den §§ 35 ff UbG (RIS-Justiz RS0123594), ohne dass es erforderlich ist, dass eine psychiatrische Heilbehandlung oder eine Behandlung der psychiatrischen Anlasskrankheit vorliegt (3 Ob 263/07h). Die Prüfungsbefugnis des Unterbringungsgerichts ist bei der „einfachen“ Heilbehandlung auf die Beurteilung der Fragen beschränkt, ob ein psychisch Kranker in einer Anstalt untergebracht werden darf, ob er in seiner räumlichen Bewegungsfreiheit oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden darf und inwieweit eine medizinische Heilbehandlung zulässig ist. Dem Gericht steht infolge taxativer Normierung der Entscheidungsbefugnisse im UbG weder die Überprüfung aller Vollzugsmodalitäten (RIS-Justiz RS0113151) noch die Prüfung und Feststellung der Unzulässigkeit einer bestimmten einzelnen medizinischen Maßnahme zu (3 Ob 263/07h = insofern RIS-Justiz RS0113151 [T1]).

Eine Heilbehandlung ist nur insoweit zulässig, als sie zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis steht (3 Ob 263/07h mwN). Abwägungskriterien für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Behandlung sind die Dringlichkeit der Behandlung sowie die Intensität, Art und Dauer des Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht. Unter die Verhältnismäßigkeitsprüfung fällt insbesondere auch die Frage, ob ein gelinderes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks zur Verfügung gestanden wäre (RIS Justiz RS0123596). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung zu 3 Ob 263/07h (insofern = RIS-Justiz RS0123595) die Auffassung vertreten, dass die nachträgliche Prüfung der Zulässigkeit der Heilbehandlung auf die fehlende Eignung der gewählten Behandlungsmethode als solche beschränkt ist, wenn weder psychiatrische Behandlungen noch Behandlungen der psychiatrischen Anlasskrankheit vom Unterbringungsgericht im Verfahren nach den §§ 35 ff UbG zu überprüfen sind. Ob dann im konkreten Fall ein „Zuwenig“ an nicht-psychiatrischen Behandlungen vorlag, ist nicht im dazu nicht zuständigen Unterbringungsverfahren, sondern ausschließlich in einem allfälligen Arzthaftungsprozess zu klären.

2.3.2. Gegen diese Einschränkung der Prüfungsbefugnis wurde vorgebracht, dass das UbG derartige Differenzierungen nicht kenne ( Kopetzki aaO Rz 730, Pkt 6.); insbesondere unter Berücksichtigung der durch die UbG Novelle 2010 eingeführten Generalklausel des § 34a UbG folge eine umfassende Prüfungskompetenz in Bezug auf Heilbehandlungen ( Kopetzki , Die UbG-Novelle 2010, RdM 2011/60, 76).

Im Revisionsrekurs wird ausgeführt, der unterbliebene Behandlungsschritt könne nur zusammen mit der tatsächlich durchgeführten Behandlung als Einheit geprüft werden.

2.3.3. Diese Argumente sind nicht geeignet, ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung zu bewirken.

2.3.4. Durch die Generalklausel des § 34a UbG (Beschränkung sonstiger Rechte) durch die UbG-Novelle 2010 trat keine hier beachtliche Änderung der Gesetzeslage ein, soll doch diese Bestimmung nach dem Willen des Gesetzgebers nur einen „Auffangtatbestand“ für die nicht schon in den §§ 33, 34 und 35 ff UbG geregelten Rechte darstellen (ErläutRV 601 BlgNR 24. GP, 14). Die Einschränkung der Prüfungsbefugnis hinsichtlich der die psychische Beeinträchtigung nicht betreffenden, Heilbehandlungen ist auch systemkonform, besteht doch insofern kein Unterschied zu einer nicht untergebrachten Person, die ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt. Es geht nicht um die Abwendung unterbringungsspezifischer Defizite. Nur jene Behandlungsmaßnahmen, die mit der psychischen Beeinträchtigung einhergehen, die Grund für die Unterbringung sind und damit ein mit der Unterbringung verbundenes spezifisches Risiko verwirklichen, erfordern wegen des damit verbundenen Zwangscharakters aus grundrechtlichen Erwägungen eine umfassende Prüfung. Eine generelle Verpflichtung zur Überprüfung von jeglichen (behaupteten) Behandlungsfehlern würde hingegen den Rahmen des Unterbringungsverfahrens sprengen.

2.3.5. Auch die Revisionsausführungen zum Grundrechtsschutz nach den Art 2 und 3 MRK (Recht auf Leben, Verbot der Folter), zum daran anknüpfenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine wirksame Beschwerde nach Art 13 MRK und zur Verpflichtung zur verfassungskonformen Auslegung des in § 1 Abs 1 UbG verbrieften Persönlichkeits- und Würdeschutzes führen zu keiner anderen Beurteilung. Mit den genannten Bestimmungen wird nämlich im Fall des hoheitlichen Freiheitsentzugs das Recht auf erforderliche medizinische Betreuung in dem Sinn sichergestellt, dass diese nicht vorenthalten oder ungebührlich verzögert werden darf (vgl Kopetzki in Korinek/Holoubek , Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 2 EMRK Rz 77 mwN). Ein solcher Umstand wird im Revisionsrekurs nicht behauptet, der Kranke wurde von einem fachkundigen Arzt behandelt. Es liegt ein „bloßer“ Behandlungsfehler durch Unterlassung der Verabreichung einer zusätzlichen Medikation vor, wie er ganz unabhängig von den Umständen der Unterbringung passieren kann. Bei ärztlichen Kunstfehlern wird den grundrechtlichen Verpflichtungen jedoch schon dann genüge getan, wenn der Staat durch allgemeine Regelungen sicherstellt, dass Ärzte ausreichend sachkundig sind und das Leben der Patienten geschützt wird. Außerdem muss eine wirksame Justiz zur Verfügung stehen, um die Todesursache festzustellen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Bei Fahrlässigkeit von Ärzten oder Pflegepersonal reicht ein Anspruch auf angemessenen Schadenersatz, der vor den Zivilgerichten durchgesetzt werden kann ( Meyer-Ladewig , EMRK³ Art 2 Rn 8 und 15 mwN). Dass das österreichische Recht diesen Anforderungen nicht genügen würde, wird im Revisionsrekurs ohnehin nicht in Zweifel gezogen.

2.3.6. Der vom Revisionsrekurs geäußerten Befürchtung, eine notwendige Behandlung eines Kranken würde im Zweifel unterlassen werden, ist schon dadurch die Grundlage entzogen, dass eine fachkundige ärztliche - wenn auch fehlerhafte - Behandlung stattfand.

3. Dem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Rechtssätze
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