JudikaturJustiz7Ob135/04k

7Ob135/04k – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Verlassenschaftssache Prof. Mag. Irmtraud P*****, über den Revisionsrekurs der Einschreiterin Sieglinde L*****, vertreten durch Dr. Götz-Sebastian Hök, Rechtsanwalt in D-14050 Berlin, Eschenallee 22, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Februar 2004, GZ 48 R 121/03d-52, womit infolge Rekurses der genannten Einschreiterin der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 22. Oktober 2003, GZ 7 A 261/02a-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden mit der Maßgabe bestätigt, dass die gegenständliche Aufforderung zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten (§ 6 EuRAG) den Rechtsanwalt der Einschreiterin Dr. Götz-Sebastian Hök, Berlin, selbst betrifft.

Text

Begründung:

Die am 1. 7. 2002 verstorbene Erblasserin brachte in ihrem Testament vom 11. 9. 2001 den Erben ihren Wunsch zur Kenntnis, der Lebensgefährtin ihres Bruders, Siglinde L***** (im Folgenden Einschreiterin genannt) in ihren beiden (näher bezeichneten) Häusern ein "lebenslängliches, unentgeltliches Wohnrecht" einzuräumen, wobei sie ausdrücklich festhielt, dass dies "ein Wunsch und keine letztwillige Anordnung" sei.

Die in Balingen, Deutschland, wohnhafte Einschreiterin wird von dem deutschen Rechtsanwalt Dr. Götz-Sebastian Hök, Berlin, vertreten. Dieser hat über Aufforderung der Erbenmachthaberin unter Vorlage seiner schriftlichen Bevollmächtigung erklärt, das "Vermächtnis" anzunehmen und dessen Sicherstellung begehrt.

Mit dem nur insoweit angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht ua der außerhalb des österreichischen Bundesgebietes wohnenden Einschreiterin gemäß § 10 ZustG aufgetragen, binnen 14 Tagen nach Zustellung des Beschlusses für das gegenständliche Verfahren einen in Österreich wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. Das von der Einschreiterin angerufene Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss der ersten Instanz. Der Rekurs sei, weil ein Auftrag nach § 10 ZustG nicht unter die Rechtsmittelbeschränkung des § 87 Abs 2 ZPO falle, und die Einschreiterin (auch wenn nicht ersichtlich sei, warum sie als Legatarin behandelt werde) durch den Auftrag grundsätzlich beschwert sei, zwar zulässig; er sei aber nicht berechtigt:

§ 10 ZustG verstoße entgegen der Meinung der Einschreiterin nicht gegen den Erwägungsgrund Nr 8 der Europäischen Zustellungsverordnung (Verordnung EG 1348/2000). Die darin genannte Beschränkung der Möglichkeit, die Zustellung von Schriftstücken zu verweigern, beziehe sich nämlich eindeutig nur auf eine Weigerung der ersuchten ausländischen Behörden. Die Verpflichtung zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten finde sich auch im EU-Recht selbst, insbesondere in Art 38 § 2 der Verfahrensordnung des EuGH (Amtsblatt Nr C 193 vom 14. 8. 2003, S 0001 - 0039).

Der Auftrag an die Partei, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland namhaft zu machen, werde auch nicht dadurch hinfällig, dass die Partei einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung im betreffenden Verfahren beauftragt habe. Gemäß § 6 EuRAG hätten nämlich europäische Rechtsanwälte - sofern von ihnen nicht ohnehin ein (österreichischer) Einvernehmensrechtsanwalt namhaft zu machen sei - einen im Inland wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen, widrigens § 10 ZustG sinngemäß anzuwenden sei. § 6 EuRAG verstoße ebenfalls nicht gegen den im EU-Recht verankerten Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs in der Europäischen Gemeinschaft und insbesondere auch nicht gegen die Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 2. 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufes in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde sowie die Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. 3. 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte. Die beiden Richtlinien sollten zwar das Grundprinzip des freien Dienstleistungsverkehrs für rechtsanwaltliche Tätigkeiten fördern, doch ergebe sich aus zahlreichen Bestimmungen des sekundären Gemeinschaftsrechtes, nicht zuletzt auch aus den genannten beiden Richtlinien eindeutig, dass das ordnungsgemäße Funktionieren der Rechtspflege an sich ebenfalls ein besonderes Ziel der Europäischen Gemeinschaft sei, zu dessen Erreichung die Namhaftmachung von Zustellbevollmächtigten am Gerichtssitz - wie bereits erwähnt - auch nach Gemeinschaftsrecht selbst durchaus für zulässig erachtet werde. Ob der auf § 6 EuRAG iVm § 10 ZustG gestützte Auftrag formell an den bevollmächtigten Rechtsanwalt oder - wie hier - direkt an die Partei gerichtet sei, könne wohl keinen Unterschied machen, weil der Anwalt, außer in Beobachtung standesrechtlicher Ordnungsvorschriften, stets im Namen der von ihm vertretenen Partei handle.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zugelassen werde, weil zur vorliegenden Rechtsfrage noch keine oberstgerichtliche Judikatur bestehe.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Vertreters der Einschreiterin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist mangels oberstgerichtlicher Judikatur zu § 6 EuRAG zwar zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Hat eine Partei für einen Rechtsstreit Prozessvollmacht erteilt, so haben gemäß § 93 Abs 1 ZPO bis zur Aufhebung der Prozessvollmacht alle diesen Rechtsstreit betreffenden Zustellungen an den namhaft gemachten Bevollmächtigten zu geschehen. Zustellungen dürfen nur an den Prozessbevollmächtigten erfolgen, eine Zustellung an die Partei wäre wirkungslos (RdW 1985, 371; 8 ObA 237/00m, EvBl 2001, 850/195). Nach stRsp ist § 93 ZPO auch im Verfahren Außerstreitsachen anzuwenden (EvBl 1964/329; NZ 1967, 77; EFSlg 34.838; 1 Ob 632/95 uva; Stumvoll in Fasching/Konecny2 II/2 Rz 4 zu § 93; Gitschthaler in Rechberger, ZPO2 Rz 6 zu § 93 mwN aus der Rsp).

Handelt es sich beim bevollmächtigten Rechtsanwalt - wie im vorliegenden Fall - um einen sog dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt, finden die Bestimmungen des Bundesgesetzes über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwälten in Österreich, BGBl I Nr 27/2000 (EuRAG) Anwendung, das nach seinem § 1 ua die Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs und die Niederlassung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich durch Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten regelt, die berechtigt sind, als Rechtsanwalt beruflich tätig zu sein (europäische Rechtsanwälte). Gemäß § 2 EuRAG dürfen europäische Rechtsanwälte in Österreich vorübergehend rechtsanwaltliche Tätigkeiten wie ein in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragener Rechtsanwalt erbringen, wobei sie jedoch den sich aus den §§ 3 ff EuRAG ergebenden Beschränkungen unterliegen (dienstleistende europäische Rechtsanwälte). Gemäß § 6 EuRAG haben dienstleistende europäische Rechtsanwälte in gerichtlichen und behördlichen Verfahren bei ihrer ersten Verfahrenshandlung einen im Inland wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. Wurde kein Zustellungsbevollmächtigter namhaft gemacht, so gilt in den in § 5 Abs 1 EuRAG angeführten Verfahren (also in Verfahren, in denen sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen oder ein Verteidiger beigezogen werden muss) der Einvernehmensrechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigter. In allen anderen Fällen ist in sinngemäßer Anwendung des § 10 ZustG, BGBl Nr 200/1982, vorzugehen und die Zustellung nach erfolgloser Aufforderung an den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt durch Hinterlegung beim Gericht oder bei der Behörde vorzunehmen.

Die gegenständliche (zwar an die Einschreiterin persönlich gerichtete, wie bereits vom Rekursgericht erkannt, tatsächlich aber deren Rechtsanwalt betreffende) Aufforderung zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten stützt sich auf diese Bestimmungen des EuRAG. Der Revisionsrekurswerber erklärt zwar, das Rechtsmittel - formal richtig - "namens und in Vollmacht" der Einschreiterin zu erheben, nimmt aber nicht auf § 93 ZPO Bezug, sondern bringt gegen die gegenständliche Aufforderung nur Argumente vor, die sich auf § 10 ZustG und § 6 EuRAG - insoweit also auf ihn persönlich - beziehen. Er macht im Wesentlichen geltend, beide genannten österreichischen Gesetzesbestimmungen seien gemeinschaftsrechtswidrig. Während § 10 ZustG gegen den Erwägungsgrund Nr 8 der Europäischen ZustVO (Verordnung EG 1348/2000) verstoße, verletze § 6 EuRAG die innereuropäische Dienstleistungsfreiheit, weil essentielle Rechtfertigungsgründe für das Bestehen auf der Benennung eines österreichischen Zustellungsbevollmächtigten nicht erkennbar seien, zumal ein in Österreich eingetragener Rechtsanwalt nicht zwangsläufig auch in Österreich praktizieren müsse. Für das ordnungsgemäße Funktionieren der Rechtspflege sei es angesichts der erleichterten Zustellungsmöglichkeiten auf Grund der europäischen Zustellungsverordnung nicht erforderlich, dass ein österreichischer Bevollmächtigter benannt werde.

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

Die einleitenden Erwägungen zur Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates der Europäischen Union vom 29. 5. 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Europäische ZustellVO) weisen in ihrem Punkt 8 darauf hin, dass zum Zwecke der Gewährleistung der Wirksamkeit dieser Verordnung die Möglichkeit, die Zustellung von Schriftstücken zu verweigern, auf Ausnahmefälle beschränkt sei. Wie bereits das Rekursgericht zutreffend dazu ausgeführt hat, bezieht sich diese Erwägung auf eine Weigerung der "von den Mitgliedstaaten benannten örtlichen Stellen", also auf die mit der Zustellung betrauten ausländischen Behörden. Richtig hat das Rekursgericht auch darauf hingewiesen, dass das Institut des Zustellungsbevollmächtigten dem EU-Recht keineswegs fremd ist. Eine vom Revisionsrekurswerber behauptete Diskriminierung von Ausländern durch § 10 ZustG ist auch schon deshalb nicht zu erkennen, weil diese Bestimmung ja gleichermaßen die Zustellung an Österreicher betrifft, die sich nicht nur vorübergehend im Ausland aufhalten. Zustellungen im Ausland sind erfahrungsgemäß oft aufwändig, erfordern bisweilen die Einschaltung mehrerer Behörden und sind selbst im benachbarten Ausland häufig mit Verzögerungen und Schwierigkeiten verbunden, die nicht selten einen monatelangen Verfahrensstillstand im Gefolge haben. Selbst bei sorgfältiger Terminplanung führt das Ausbleiben von Zustellnachweisen zu Zufallsergebnissen; auch wenn der Rechtshilfeverkehr mit manchen Staaten völlig reibungslos abläuft, können Verzögerungen immer wieder vorkommen. Durch die steigende Mobilität nehmen auch die Auslandsaufenthalte von Beteiligten zu. § 10 ZustG trägt diesen Umständen dadurch Rechnung, dass das Entscheidungsorgan einen Verfahrensbeteiligten, durch dessen längeren Auslandsaufenthalt Zustellungen im Ausland nötig werden, die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten auftragen kann. Wird dieser Auftrag nicht befolgt, erfolgen weitere Zustellungen durch Hinterlegung bei der (Zustell )Behörde. Damit wird auch möglichen Versuchen des Empfängers begegnet, sich weiteren Zustellungen zu entziehen (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny2 Anh § 87 ZPO [§ 10 ZustG] Rz 2). § 10 ZustG verfolgt also die Tendenz, mit einem - im weiteren Sinn - "ausländischen Verfahrensbeteiligten" tunlichst über einen "inländischen Zustellungsbevollmächtigten" zu verkehren (vgl RZ 1995/67). Da dies aus den erwähnten Gründen sachlich gerechtfertigt erscheint, bestehen auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht dagegen keine Bedenken.

Auch die hier bereits wiedergegebenen Bestimmungen des § 6 EuRAG erscheinen entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers durchaus richtlinienkonform (Zib in Fasching/Konecny2 II/1 §§ 31, 32 ZPO Rz 107). So hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 10. 7. 1991, Kommission/Französische Republik C-294/89, Slg 1991, I-3591 ausgesprochen, dass das Ziel eines zügigen Verfahrensablaufes unter Wahrung seines kontradiktorischen Charakters dadurch erreicht werden könne, dass dem dienstleistenden (europäischen) Anwalt die Verpflichtung auferlegt werde, den Anwalt, mit dem das Einvernehmen besteht, als Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, an den das angerufene Gericht Zustellungen wirksam vornehmen könne. Da das Ziel einer zügigen Verfahrensdurchführung gleichermaßen auch in Causen ohne Anwaltszwang anzustreben ist, können gegen die Aufforderung zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung auch in diesen Fällen keine Bedenken bestehen. Den Argumenten des Revisionsrekurses, dadurch würden ausländische Anwälte gegenüber österreichischen schlechter behandelt; für Tätigkeiten ohne Anwaltszwang dürfe kein Einvernehmen mit einem inländischen Anwalt vorgeschrieben werden, ist entgegenzuhalten, dass Zustellungsbevollmächtigte keineswegs nur Anwälte sein können, sondern dafür jede natürliche eigenberechtigte Person mit Hauptwohnsitz im Inland und nunmehr auch juristische Personen mit Vertretern mit Hauptwohnsitz im Inland in Betracht kommen (vgl Gitschthaler aaO § 87 ZPO [§§ 8a, 9 ZustG] Rz 1). Die mit der Regelung des § 6 EuRAG verbundene gewisse Erschwerung der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung liegt im Allgemeininteresse eines raschen und reibungslosen Funktionierens der österreichischen Rechtspflege und erscheint auch verhältnismäßig (vgl Gitschthaler aaO Rz 5). Da die Ungleichbehandlung eines europäischen und eines österreichischen Rechtsanwaltes im Rahmen des § 6 EuRAG sachlich gerechtfertigt erscheint, bedeutet die nach dieser Bestimmung vorzunehmende Differenzierung keine gemäß Art 12 EG verbotene Diskriminierung des dienstleistenden europäischen Anwaltes. Damit erweisen sich auch alle Einwände des Revisionsrekurses gegen § 6 EuRAG als nicht stichhältig. Der Oberste Gerichtshof sieht sich insbesondere im Hinblick auf die zitierte Entscheidung des EuGH zur Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH nicht veranlasst. Der Revisionsrekurs muss erfolglos bleiben. Da, wie bereits erwähnt, § 6 EuRAG nicht den Mandanten, sondern den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt selbst betrifft, war eine entsprechende Maßgabebestätigung vorzunehmen.

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