JudikaturJustiz6Ob76/03z

6Ob76/03z – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Mai 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der Wiederaufnahmsklägerin Silvia O*****, vertreten durch Mag. Andreas Germann, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagte Partei V***** Gesellschaft mbH, ***** wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 8 Cg 162/02d des Landesgerichtes Feldkirch, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Wiederaufnahmsklägerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 14. Jänner 2003, GZ 5 R 43/02s 7, womit über den Rekurs der Wiederaufnahmsklägerin der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 29. November 2002, GZ 8 Cg 298/02d 2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Wiederaufnahmsklägerin war mit Versäumungsurteil vom 12. 7. 2002 zur Zahlung von 82.963,74 EUR verurteilt worden. Sie hatte nach den Klagebehauptungen eine Garantieerklärung für Verpflichtungen ihres Lebensgefährten aus einem Leasingvertrag abgegeben. Die Zustellung der Klage und die Ladung zur ersten Tagsatzung sowie das Versäumungsurteil waren jeweils durch Hinterlegung zugestellt worden. Die Schriftstücke wurden von der Wiederaufnahmsklägerin nicht behoben.

Mit der am 25. 11. 2002 beim Erstgericht eingebrachten Wiederaufnahmsklage begehrt die Wiederaufnahmsklägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie habe erst am 28. 10. 2002 davon Kenntnis erlangt, dass ihr Lebensgefährte ihre Unterschrift auf der Garantievereinbarung gefälscht habe. Er habe die Hinterlegungsanzeigen und die Mitteilung des Zustellers, beim zweiten Zustellversuch anwesend zu sein, unterdrückt. Die Klägerin habe deshalb erst nach Rechtskraft des Versäumungsurteils von dem gegen sie geführten Prozess Kenntnis erlangt. Der Wiederaufnahmsklage wurde eine schriftliche Erklärung des Lebensgefährten beigelegt, wonach er die Unterschrift der Frau auf dem Leasingvertrag gefälscht habe.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage im Vorprüfungsverfahren zurück, weil sich schon aus den Klagebehauptungen ein Verschulden der Wiederaufnahmsklägerin ergebe (§ 530 Abs 2 ZPO). Ihr Verschulden liege darin, dass sie weder die Klage samt Ladung zur ersten Tagsatzung noch das Versäumungsurteil behoben habe. Im Falle der Behebung der Schriftstücke hätte sie vom behaupteten Vertragsverhältnis Kenntnis erlangt und die Möglichkeit gehabt, Einwendungen zu machen und Beweise anzubieten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Wiederaufnahmsklägerin nicht Folge. Ein ihr anzulastendes Verschulden ergebe sich bereits aus den Tatsachenbehauptungen in der Klage. Dieses Verschulden erblickt das Rekursgericht allerdings im Umstand, dass die Wiederaufnahmsklägerin keinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der ersten Tagsatzung bzw gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil gestellt habe. Bei einer erfolgreichen Wiedereinsetzung hätte sie im Vorprozess die behauptete Garantievereinbarung bestreiten und ein Beweisanbot stellen können.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Beurteilung eines Verstoßes gegen die prozessuale Diligenzpflicht sei eine Frage des Einzelfalls.

Mit ihrem Revisionsrekurs beantragt die Wiederaufnahmsklägerin die Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen und Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage.

Rechtliche Beurteilung

Da die Wiederaufnahmsklage von den Vorinstanzen aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde, ist der Revisionsrekurs nicht jedenfalls unzulässig (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO; 7 Ob 268/98g = JBl 2000, 193). Das Rechtsmittelverfahren ist einseitig, weil die Klage vor Eintritt der Streitanhängigkeit zurückgewiesen worden war (§ 521a Abs 1 Z 3 ZPO). Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig und berechtigt.

Auch gegen echte Versäumungsurteile (§§ 396 und 398 ZPO) ist die Einbringung einer Wiederaufnahmsklage zulässig (RIS Justiz RS0044421; RS0040934; 7 Ob 268/98g).

Die Schlüssigkeit jeder Klage, also auch diejenige einer Wiederaufnahmsklage, ist ausschließlich nach den Klagebehauptungen zu beurteilen. Eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage schon im Vorverfahren wegen Verschuldens des Klägers im Sinne des § 530 Abs 2 ZPO ist nur dann möglich, wenn sich dieses Verschulden bereits aus den als richtig angenommenen Tatsachenbehauptungen der Klage ergibt (RS0044558). Die Rechtsmeinung des Erstgerichtes, die Wiederaufnahmsklägerin hätte im Vorverfahren die hinterlegten Gerichtsstücke beheben müssen, geht am Klagevorbringen vorbei, dass die Klägerin ohne eigenes Verschulden von den Hinterlegungen keine Kenntnis hatte. Nicht zu teilen ist aber auch die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, das ein Verschulden der Klägerin in der Unterlassung eines Wiedereinsetzungsantrags erblickte und deshalb die Zurückweisung der Klage wegen Verletzung prozessualer Diligenzpflichten (dazu RIS Justiz RS0044354; 10 Ob 73/01k uva) bestätigte.

Die Wiederaufnahmsklägerin stützt ihre Klage auf eine Urkundenfälschung, allenfalls auch auf Urkundenunterdrückung (hinsichtlich der Hinterlegungsanzeigen), ohne sich (anders als der Wiederaufnahmskläger in der zitierten Vorentscheidung 7 Ob 268/98g) auf einen bestimmten Wiederaufnahmsgrund festzulegen. In Frage kommen also die Wiederaufnahmsgründe des § 530 Abs 1 Z 1, 3 und 7 ZPO.

Der Wiederaufnahmsgrund nach der Z 1 scheidet nach der Entscheidungsbegründung in 7 Ob 268/98g deshalb aus, weil nicht die Urkunde (der Leasingvertrag), sondern die Klagebehauptungen für die Erlassung des klagestattgebenden Versäumungsurteils kausal waren (diesbezüglich zustimmend Fuchs, JBl 2000, 197).

Diese Erwägung kann allenfalls auch beim Wiederaufnahmsgrund nach der Z 3 angestellt werden, dies aber nur hinsichtlich des Leasingvertrages, nicht hinsichtlich der behaupteten Unterdrückung der Hinterlegungsanzeigen. Hier setzt das Gesetz allerdings voraus, dass die gerichtlich strafbare Handlung, mit der die Entscheidung erwirkt wurde, vom Vertreter der Partei, vom Gegner oder dessen Vertreter gesetzt wurde. Demnach wäre zu prüfen, ob der Lebensgefährte der Wiederaufnahmsklägerin, der berechtigt war, das Versäumungsurteil im Rahmen einer Ersatzzustellung nach § 16 ZustG entgegenzunehmen, ein solcher Vertreter der Partei ist. Beim angeführten Wiederaufnahmsgrund nach der Z 3 liegt das mangelnde Verschulden des Wiederaufnahmsklägers auf der Hand und es wird demgemäß dieses Erfordernis im § 530 Abs 2 ZPO auch nicht angeführt. Eine nähere Befassung mit diesem Wiederaufnahmsgrund ist aber entbehrlich, wenn auch beim Wiederaufnahmsgrund der Kenntnis neuer Tatsachen und Beweismittel (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO) nach den Klagebehauptungen von keinem Verschulden der Klägerin auszugehen ist.

Die Wiederaufnahmsklage ist nicht dazu bestimmt, dass die Parteien von ihnen in der Prozessführung begangene Fehler beheben (RIS Justiz RS0044354). Die Gesetzesbestimmung über das Verschulden (§ 530 Abs 2 ZPO) stellt auf den Schluss der mündlichen Verhandlung ab. Bis dahin hatte die Wiederaufnahmsklägerin aber noch keine Gelegenheit, den ihr erst später bekannt gewordenen Sachverhalt geltend zu machen. Die Unterlassung eines Wiedereinsetzungsantrages (oder eines Widerspruchs nach § 397a ZPO) fällt demnach in den Zeitraum danach und kann daher nicht ohne weiteres als Verschulden im Sinne des § 530 Abs 2 ZPO qualifiziert werden.

Das Gesetz stellt dem mit einem echten Versäumungsurteil verurteilten Beklagten verschiedene Rechtsbehelfe zur Verfügung, nämlich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, den Widerspruch, die Berufung (etwa wegen Nichtigkeit des Zustellvorganges), die Nichtigkeitsklage und die Wiederaufnahmsklage. Fasching (in FS Baur [1981]) plädiert offenbar dann für eine zulässige Kumulierung der Rechtsbehelfe, wenn sie nicht vom Gesetz ausgeschlossen wird (vgl aaO 395) und meint in seinem Lehrbuch (ZPR2 Rz 1394) im Anschluss an die Ausführung, dass gegen echte Versäumungsurteile die Wiederaufnahmsklage, gestützt auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, zulässig ist, dass "außerdem" (also kumulativ) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig ist, ohne diese Meinung allerdings näher zu begründen. Sprung (Konkurrenz von Rechtsbehelfen [1966]) verweist in seinen allgemeinen Ausführungen zunächst darauf, dass das Gesetz selbst nur ganz selten eine Konkurrenz von Rechtsbehelfen zulässt oder ausschließt (aaO 38 f), sodass die Frage der kumulativen oder alternativen Anwendbarkeit in jedem Einzelfall zu prüfen sei. Bei überschneidenden Anwendungsbereichen sei das Verhältnis der Spezialität zu prüfen, ferner seien die Fragen des Rechtsschutzbedürfnisses (Beschwer) und der Prozessökonomie zu untersuchen.

Die Prüfung nach diesen Kriterien führt zur Zulässigkeit einer Wiederaufnahmsklage auch dann, wenn die Partei die Möglichkeit hätte, mit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ebenfalls die Fortsetzung des Vorprozesses zu erreichen:

Mit der Wiedereinsetzung kann die Versäumung von Prozesshandlungen umfänglich weiter beseitigt werden als mit der Wiederaufnahmsklage, die im Fall des Wiederaufnahmsgrundes nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO nur die Nachholung einer bestimmten Prozesshandlung (neues Tatsachenvorbringen oder Beweisanbot) bewirkt und das Verfahren in der Hauptsache auf den Anfechtungsgrund beschränkt (§ 540 Abs 2 ZPO). Beide Rechtsbehelfe sind jeweils kein Unterfall des anderen, sondern verschiedene Rechtsinstitute, wofür schon die unterschiedlichen Fristen (§ 148 Abs 2 ZPO; § 534 Abs 1 ZPO) und die unterschiedlich geregelte Verschuldensform (die Wiedereinsetzung kann auch bei einem minderen Grad des Versehens bewilligt werden) sprechen. Prozessökonomie und Rechtsschutzinteresse sprechen für die kumulative Anwendbarkeit der beiden Rechtsbehelfe. Die Wiedereinsetzung geht steht stets auf Kosten des Antragstellers (§ 154 ZPO). Im Wiederaufnahmsprozess hat der obsiegende Kläger Anspruch auf Kostenersatz. Der Wiedereinsetzungsantrag ist überdies für die Partei wegen der kürzeren Frist ungünstiger. Die Ansicht, dass die Wiederaufnahmsklage grundsätzlich ausgeschlossen sei, wenn ein Wiedereinsetzungsantrag zur Verfügung steht, führt daher zu einer Minderung des Rechtsschutzes. Zusätzlich ist zu bedenken, dass eine Partei grundsätzlich auf einen Rechtsbehelf auch verzichten (etwa auf den Widerspruch gegen das Versäumungsurteil) und einen anderen ergreifen kann (Wiedereinsetzung oder Nichtigkeitsberufung). Es ist aus den Gründen des Rechtsschutzes nicht einzusehen, warum dies im Verhältnis zur Wiederaufnahmsklage anders sein sollte. Das Ergebnis wird noch deutlicher, wenn man den Sachverhalt gegenüber dem vorliegenden geringfügig dahin verändert, dass die Wiederaufnahmsklägerin zwar gegen das Versäumungsurteil erfolgreich mit Wiedereinsetzungsantrag vorgehen hätte können, dies aber unterließ, weil sie sich mangels tauglicher Beweismittel noch keine Chancen für ein Obsiegen ausrechnete (etwa weil sie nicht mehr wusste, ob sie den Leasingvertrag unterschrieben hatte). Wenn sie nun nach Ablauf der 14 tägigen Wiedereinsetzungsfrist von der gefälschten Urkunde Kenntnis erlangt hätte, müsste die Wiederaufnahmsklage wohl als zulässig erachtet werden; der Wiederaufnahmsklägerin könnte kein Verschulden angelastet werden, weil sie keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hatte. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Wiedereinsetzungsantrages muss in der Beurteilung der Partei verbleiben.

Geht man zusammenfassend davon aus, dass die vorliegende Wiederaufnahmsklage auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützt ist und die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess geltend zu machen (§ 530 Abs 2 ZPO), unabhängig von einem allfälligen Verfahren auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgen kann, ist bei der gegebenen Sachlage in der Unterlassung eines Wiedereinsetzungsantrages nicht schon ein Verschulden der Klägerin zu erblicken. Insoweit standen ihr im vorliegenden Fall die Rechtsbehelfe des Wiedereinsetzungsantrags und der Wiederaufnahmsklage kumulativ zur Verfügung. Eine Zurückweisung dieser Klage im Vorprüfungsverfahren war daher nicht angezeigt.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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