JudikaturJustiz6Ob571/77

6Ob571/77 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Mai 1977

Kopf

SZ 50/71

Spruch

§ 22 Abs. 2 AußStrG - Wenn eine Verlassenschaft in Österreich abzuhandeln ist, sind die materiellrechtlichen Ansprüche der Beteiligten ausschließlich nach österreichischem Recht zu beurteilen, und zwar auch dann, wenn erbrechtliche Ansprüche im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden. Dazu gehört auch die Beurteilung der Vorfrage, ob ein späteres Testament ein entgegenstehendes früheres aufhebt

Die Bestimmungen des Haager Testamentsübereinkommens (BGBl. 295/1963) bieten hierfür keinen Anhaltspunkt, weil sie nur die Frage der anzuwendenden Form letztwilliger Verfügungen und Widerrufserklärungen, nicht aber die Beurteilung materiellrechtlicher Wirkungen regeln. Die Vorschrift des § 22 AußStrG bezieht sich zwar auf Verlassenschaften von Ausländern, die darin enthaltene Anordnung der Anwendung österreichischen Rechtes muß aber umsomehr für die Abhandlung von Nachlässen nach Inländern gelten

OGH 23. Mai 1977, 6 Ob 571/77 (OLG Graz 3 R 202/76; LG f. ZRS Graz 13 Cg 168/75)

Text

Der in Düsseldorf verstorbene österreichische Staatsangehörige Dipl.-Ing. Edgar T lebte seit 1952 ständig in der BRD. Er war zweimal verheiratet. Seiner ersten (geschiedenen) Ehe entstammen die beiden Kläger; seiner zweiten (zur Zeit seines Todes aufrechten) Ehe mit der Beklagten entstammt die noch minderjährige Tochter A.

Das Verlassenschaftsverfahren nach Dipl.-Ing. Edgar T - er hinterließ in Österreich unbewegliches und in der BRD bewegliches Vermögen - ist zu 20 A 150/72 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz anhängig. In diesem Verlassenschaftsverfahren gaben die beiden Kläger und die minderjährige Alexandra T auf Grund des Testamentes vom 19. März 1972 die bedingte Erbserklärung zu je einem Viertel des Nachlasses ab; die Beklagte gab auf Grund des gemeinschaftlichen Testamentes vom 26. Juni 1966 die bedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß ab. Das Abhandlungsgericht nahm diese Erbserklärung an und teilte im Sinne des § 125 AußStrG die Klägerrolle den beiden Klägern und der minderjährigen Alexandra T zu.

Mit der vorliegenden Erbrechtsklage begehrten die Kläger die Feststellung, daß ihnen auf Grund des Testamentes vom 19. März 1972 das gesetzliche Erbrecht zu je einem Viertel des Nachlasses nach ihrem Vater zustehe. Sie stützten dieses Begehren darauf, daß durch das Testament vom 19. März 1972 das gemeinschaftliche Testament vom 26. Juni 1966, auf das sich die Beklagte stützte, widerrufen worden sei.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete im wesentlichen ein, daß es sich bei der letztwilligen Verfügung vom 19. März 1972 um kein Testament handle, weil sie keine Erbseinsetzung enthalte. Im übrigen habe durch diese letztwillige Verfügung das gemeinschaftliche Testament vom 26. Juni 1966 nicht wirksam widerrufen werden können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es führte in rechtlicher Beziehung aus, daß das gemeinschaftliche Testament vom 26. Juni 1966 dem innerstaatlichen Recht des Ortes entspreche, an dem der Erblasser letztwillig verfügt habe, nämlich den Bestimmungen des § 2267 BGB bzw. des § 28 des deutschen Testamentsgesetzes. Danach genüge es, wenn einer der Ehegatten das Testament in der dort vorgeschriebenen Form errichte und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichne. Nicht gültig sei dieses gemeinschaftliche Testament zumindest für den Erblasser nach den Vorschriften des österreichischen Rechtes; danach müsse bei einem wechselseitigen Testament der Ehegatten jeder Ehegatte seine Verfügungen eigenhändig auf der gemeinschaftlichen Urkunde niederschreiben und unterschreiben. Durch die Bestimmungen der Art. 1 und 4 des Übereinkommens über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht, welchem die Republik Österreich mit Wirkung ab 5. Jänner 1964 (BGBl. 295/1963) und die BRD mit Wirkung ab 1. Jänner 1966 (BGBl. 62/1966) beigetreten sei, sei dieses nur nach deutschem Recht gültige gemeinschaftliche Testament vom 26. Juni 1966 auch für die österreichische Rechtsordnung gültig und müßte vom inländischen Abhandlungsgericht als seiner Form nach gültige letztwillige Verfügung behandelt werden.

Das allographe Testament vom 19. März 1972 sei vom Erblasser vor drei fähigen Zeugen drei Wochen vor seinem Tod in Düsseldorf unterfertigt worden und sei nach österreichischem Testamentsrecht (§ 579 ABGB) voll gültig. Nach deutschem Recht sei es als den früheren wechselbezüglichen Anordnungen widersprechende und den anderen Teil beeinträchtigende einseitige Verfügung nicht geeignet, die wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testamentes vom 26. Juni 1966 zu widerrufen. Ein solcher Widerruf müßte gemäß §§ 2270 und 2271 BGB zu Lebzeiten der Ehegatten nach den für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschriften des § 2296 BGB erfolgen, und zwar derart, daß die Erklärung gegenüber dem anderen Testator in gerichtlich oder notariell beurkundeter Form - seit 1. Jänner 1972 nur in notariell beurkundeter Form - zu erfolgen habe. Dies sei unbestritten nicht geschehen.

Wie aber das nach deutschem Recht gültige gemeinschaftliche Testament vom 26. Juni 1966 durch Art. 1 und 4 des Haager Testamentsübereinkommens für die österreichische Rechtsordnung Gültigkeit erlangt habe und der Abhandlung zugrunde gelegt werden müsse, ebenso müsse auch das nach österreichischem Recht gültige Testament vom 19. März 1972 gemäß Art. 2 dieses Übereinkommens für die deutsche Rechtsordnung Gültigkeit erlangen und daher ohne Einhaltung der strengen Vorschriften der §§ 2271 und 2296 BGB den zumindest stillschweigenden Widerruf des gemeinschaftlichen Testamentes vom 26. Juni 1966 bewirken. Nach österreichischem Recht (§ 1248 ABGB) sei aber ein gemeinschaftliches (wechselseitiges) Testament jederzeit frei widerruflich.

Da somit das frühere Testament vom 26. Juni 1966 durch das sechs Jahre später errichtete Testament vom 19. März 1972 als widerrufen anzusehen sei (§ 713 ABGB), stelle sich das Testament vom 19. März 1972 als der allein gültige Erbrechtstitel dar.

Der Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß kein Zweifel darüber bestehe, daß dem am 26. Juni 1966 errichteten gemeinschaftlichen Testament im Hinblick auf Art. 1 und 4 des Haager Testamentsübereinkommens auch für den österreichischen Rechtsbereich Gültigkeit zuzuerkennen sei; auch die Gültigkeit des allographen Testamentes vom 19. März 1972 bilde keinen Streitpunkt. Zu lösen bleibe nur das Problem eines möglichen Widerrufes des gemeinschaftlichen Testamentes vom 26. Juni 1966. Nach deutschem Recht könne eingemeinschaftliches Testament zu Lebzeiten der Ehegatten nur durch Erklärung gegenüber dem Mittestator in notariell (bis 31. Dezember 1969 auch in gerichtlich) beurkundeter Form widerrufen werden (§§ 2270, 2271, 2296 BGB). Daraus folge jedoch nicht, daß der Widerruf in einem Fall, auf den das Haager Testamentsübereinkommen Anwendung finde, nicht auch auf andere Weise vorgenommen werden könne.

Dabei müsse von der Überlegung ausgegangen werden, daß nach österreichischem Recht grundsätzlich ein früheres durch ein späteres gültiges Testament widerrufen werden könne (§ 713 ABGB), wovon auch ein wechselseitiges Testament im Sinne des § 1248 ABGB keine Ausnahme bilde, das gleichfalls jederzeit frei widerruflich sei. Art. 2 Abs. 1 des Haager Testamentsübereinkommens normiere ausdrücklich, daß sein Art. 1 auch auf letztwillige Verfügungen anzuwenden sei, durch die eine frühere letztwillige Verfügung widerrufen werde. Dies bedeute nichts anderes, als daß das Testament vom 19. März 1972 nach deutschem Recht Gültigkeit erlangt habe und daher zufolge seines Inhaltes ein wirksames Instrument des vom Erblasser zweifelsfrei beabsichtigten Widerrufes des gemeinschaftlichen Testamentes vom 26. Juni 1966 darstelle.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wenn die Beklagte in ihrer Revision ausführt, daß dem Testament vom 26. Juni 1966 die Wirkung eines Erbvertrages zukomme, dann übersieht sie zunächst, daß sie ihre Erbserklärung nicht auf Grund eines Erbvertrages, sondern auf Grund eines Testamentes abgegeben hat. Im übrigen unterscheiden sich sowohl nach österreichischem als auch nach deutschem Recht Testament und Erbvertrag durch die Eingehung einer vertraglichen Verbindlichkeit (siehe dazu Weiß in Klang[2] V, 892; Palandt, BGB[36], 1700). Daß aber in der letztwilligen Verfügung vom 26. Juni 1966 die Errichter eine wechselseitige vertragliche Verbindlichkeit eingegangen wären, ergibt sich weder aus dem Inhalt dieser Urkunde noch wurde dies von der Beklagten im Verfahren erster Instanz behauptet.

Was nun die Frage der Gültigkeit der beiden letztwilligen Verfügungen vom 26. Juni 1966 und vom 19. März 1972 anlangt, so ergibt sich, daß das Testament vom 26. Juni 1966 zumindest den Formvorschriften des deutschen Rechtes entsprach. Es handelt sich dabei um ein gemeinschaftliches Testament von Ehegatten im Sinne des § 2265 BGB zu dessen Errichtung es gemäß § 2267 BGB (früher S. 28 Abs. 2 TestG, DRGBl. 1938 I, S. 973) genügt, wenn einer der Ehegatten das Testament in der im § 2247 BGB vorgeschriebenen Form errichtet und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet (siehe dazu Palandt a. a. O., 1917). Diese Formvoraussetzungen wurden im vorliegenden Fall erfüllt.

Die letztwillige Verfügung vom 19. März 1972 entspricht zumindest den Formvorschriften des österreichischen Rechtes, nämlich den im § 579 ABGB normierten Formvorschriften für eine allographe letztwillige Verfügung. Inhaltlich handelt es sich dabei um kein Kodizill, sondern um ein Testament, weil der Erblasser ausdrücklich anordnete, daß abgesehen von dem dem Erstkläger bestimmten Vorausvermächtnis die gesetzliche Erbfolge nach österreichischem Recht eintreten sollte. Damit wurden aber sowohl die Person der eingesetzten Erben als auch die Quote ihres ihnen bestimmten Erbteiles ausreichend und eindeutig bestimmt.

Nach den Vorschriften des Art. 1 des Haager Testamentsübereinkommens (in Österreich in Kraft getreten am 5. Jänner 1964, BGBl. 295/1963, in der BRD in Kraft getreten am 1. Jänner 1966, BGBl. 62/1966) ist daraus abzuleiten, daß beide Testamente für den österreichischen Rechtsbereich als formgültig anzusehen sind, und zwar das vom 26. Juni 1966 jedenfalls deshalb, weil es dem Recht des Ortes, an dem der Erblasser letztwillig verfügt hat, entspricht (Art. 1 lit. a des Übereinkommens), das vom 19. März 1972 jedenfalls deshalb, weil es dem innerstaatlichen Recht des Staates entspricht, dessen Staatszugehörigkeit der Erblasser im Zeitpunkt, in dem er letztwillig verfügte und zudem auch im Zeitpunkt seines Todes besessen hat (Art. 1 lit. b des Übereinkommens).

Für die Lösung der Frage aber, ob das erste Testament durch das zweite widerrufen wurde, bieten die Bestimmungen des Haager Testamentsübereinkommens keinen Anhaltspunkt (so schon die in der Verlassenschaftssache nach Dipl.-Ing. Edgar T ergangene Entscheidung 2 Ob 95, 96/75). Dies deshalb, weil in diesem Übereinkommen nur Anknüpfungspunkte normiert werden, nach denen die Form letztwilliger Verfügungen (Art. 1) und von Widerrufserklärungen (Art. 2) zu beurteilen ist. Das Übereinkommen regelt also nur die Frage der anzuwendenden Form, nicht aber die Beurteilung materiellrechtlicher Wirkungen (siehe dazu Hoyer, Bemerkungen zum Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht vom 5. Oktober 1961, NotZ 1963, 67 ff., insbesonders 68; Scheucher, Das Haager Testamentsübereinkommen, ZfRV 1964, 216 ff.). Ein ausdrücklicher Widerruf einer letztwilligen Anordnung, dessen erforderliche Form nach den Bestimmungen des Übereinkommens beurteilt werden müßte, liegt hier gar nicht vor. Strittig ist nur die Frage, ob das zweite Testament des Erblassers vom 19. März 1972 die Wirkung hatte, das erste Testament aufzuheben, oder ob ihm diese Wirkung nicht zukam und vielmehr das erste Testament als unwiderrufen und gültig angesehen werden muß. Dies hat aber mit der Form dieser letztwilligen Verfügungen nichts zu tun und es versagen daher die im Haager Testamentsübereinkommen normierten Anknüpfungspunkte, die nur für die Beurteilung der Form letztwilliger Verfügungen maßgebend sind.

Die Frage, inwieweit ein späteres Testament ein früheres beeinflußt, ist vielmehr eine Frage des materiellen Rechtes. Es ist daher zu untersuchen, nach welchem Recht diese Frage nach den Vorschriften des österreichischen Internationalen Privatrechtes zu lösen ist. Daß die Bestimmungen des Haager Testamentsübereinkommens für die Lösung dieser materiellrechtlichen Frage keine Anknüpfungspunkte geben, wurde bereits oben ausgeführt.

Ist ein österreichisches Gericht zur Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung zuständig, so hat es nach § 22 Satz 2 AußStrG "die Beurteilung der Rechte aller Beteiligten nach den hierländischen Gesetzen zu pflegen." Diese Bestimmung kann nur so verstanden werden, daß dann, wenn eine Verlassenschaft in Österreich abzuhandeln ist, die materiellrechtlichen Ansprüche der Beteiligten ausschließlich nach österreichischem Recht zu beurteilen sind, und zwar auch dann, wenn erbrechtliche Ansprüche im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden. Nach diesem Recht ist dann auch die Frage zu beurteilen, wer in welchem Ausmaß testamentarischer Erbe ist; dazu gehört die Beurteilung der Vorfrage, ob ein späteres Testament ein entgegenstehendes früheres aufhebt. Die Vorschrift des § 22 AußStrG bezieht sich expressis verbis auf Verlassenschaften von Ausländern. Um so mehr muß aber die in dieser Gesetzesstelle enthaltene Anordnung der Anwendung österreichischen Rechtes für die Abhandlung von Nachlässen von Inländern gelten (EvBl. 1957/9). Im vorliegenden Fall ist im Sinne des § 21 AußStrG die Verlassenschaftsabhandlung über das Vermögen des Erblassers, der österreichischer Staatsangehöriger war, beim Bezirksgericht für ZRS Graz anhängig; sie bezieht sich auf sein in Österreich befindliches unbewegliches Vermögen und sein (nur) in der BRD befindliches bewegliches Vermögen. Daraus folgt, daß die Erbansprüche der Streitteile nach österreichischem Recht beurteilt werden müssen (siehe dazu Walker, IPR[5], 975; Walker - Verdroß - Droßberg, Satter in Klang[2] I/1, 260; Ehrenzweig, System[2] I/1, 119; Schwind, Handbuch des ÖIPR, 254 f.; EvBl. 73/1957; JBl. 1961, 289; EvBl. 54/1964 u. a.).

Es ist also die Frage inwieweit durch die Errichtung des Testamentes vom 19. März 1972 die Gültigkeit des Testamentes vom 26. Juni 1966 beeinflußt wurde, nicht, wie die Beklagte vermeint, nach den Bestimmungen des deutschen Rechtes, sondern nach den österreichischen Gesetzen zu beurteilen.

Gemäß § 713 ABGB wird ein früheres Testament durch ein späteres gültiges Testament aufgehoben, sofern der Erblasser in dem letzteren nicht deutlich zu erkennen gibt, daß das frühere ganz oder zum Teil bestehen solle. Derartige Anordnungen des Erblassers wurden im vorliegenden Fall im späteren Testament nicht getroffen. Die Bestimmungen der §§ 713 ff. ABGB gelten auch für wechselseitige Testamente von Ehegatten (Weiß in Klang[2] V, 897).

Daraus folgt für den vorliegenden Fall, daß nach den Bestimmungen des hier anzuwendenden österreichischen Rechtes die Errichtung des gültigen Testamentes vom 19. März 1972 durch den Erblasser zur Folge hatte, daß damit seine letztwillige Anordnung im wechselseitigen Testament vom 26. Juni 1966 aufgehoben wurde. Mit Recht berufen sich daher die Kläger als Titel zum Erbrecht auf das Testament vom 19. März 1972, während das wechselseitige Testament vom 26. Juni 1966 keinen gültigen Erbrechtstitel für die Beklagte mehr abgeben kann.

Rechtssätze
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