JudikaturJustiz6Ob261/01b

6Ob261/01b – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer und Dr. Siegfried Sieghartsleitner, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagten Parteien

1. Andrea B*****, vertreten durch Dr. Manfred Pochendorfer, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, und 2. R***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Michael Gärtner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Räumung und Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 26. März 2001, GZ 3 R 32/01y-23, womit über die Berufung der zweitbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 30. November 2000, GZ 5 Cg 48/00m-17, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat der zweitbeklagten Partei die mit 24.139,80 S (darin 4.023,30 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Erstbeklagte war Eigentümerin von zwei Liegenschaften mit einem Wohnhaus und einer Tischlereiwerkstätte. Die klagende Bank hatte ihr Kredite von rund 7 Mio S eingeräumt, die auf den Liegenschaften hypothekarisch sichergestellt wurden. Am 4. 8. 1999 wurde die von einer anderen Gläubigerin beantragte Zwangsversteigerung der Liegenschaften bewilligt und im Grundbuch angemerkt. Die Klägerin trat dem Zwangsversteigerungsverfahren am 10. 12. 1999 bei. Im Februar 2000 vermietete die Liegenschaftseigentümerin und Verpflichtete des Zwangsversteigerungsverfahrens das Bauwerk um einen monatlichen Mietzins von 15.000 S zuzüglich 20 % Umsatzsteuer an die zweitbeklagte Gesellschaft. Die Vertragspartner vereinbarten, dass das Mietverhältnis mindestens fünf Jahre dauern sollte und dass die Mieterin die desolaten Wohn- und Werkstatträume auf eigene Kosten instandsetzen müsse. Auf Anfrage der Klägerin teilte die Mieterin mit, dass sie das Mietobjekt nicht aufgeben werde.

Mit der am 3. 5. 2000 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Auflösung des zwischen den beklagten Parteien geschlossenen Mietvertrages. Mit ihrem Eventualbegehren strebte sie die Verpflichtung der Zweitbeklagten an, die Beeinträchtigung der Pfandrechte der Klägerin durch die Geltendmachung eines Bestandrechtes gegenüber einem Ersteher der Liegenschaften zu unterlassen. Mit einem zweiten Eventualbegehren wurde die Feststellung der Unwirksamkeit des Mietvertrages gegenüber der Klägerin und die Duldung der Zwangsversteigerung der Liegenschaft ohne Geltendmachung des Bestandrechtes begehrt. Der Mietvertrag sei nur geschlossen worden, um die Kreditgeberin zu schädigen und die Versteigerung der Liegenschaft zu vereiteln. Mit dem Mietvertrag werde die Verwertung der Liegenschaft unmöglich gemacht. Die Vertragsparteien hätten gegen § 458 ABGB verstoßen. Die Zweitbeklagte habe von den Verbindlichkeiten der Erstbeklagten und vom anhängigen Exekutionsverfahren gewusst. Der vereinbarte Mietzins sei unangemessen niedrig.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Mietzins sei nicht unangemessen niedrig. Die Mieterin habe sich zu großzügigen Sanierungsmaßnahmen verpflichtet. Die Zweitbeklagte bestritt eine Schädigungsabsicht. Sie sei über eine Zwangsversteigerung nicht informiert gewesen. Bei Übergabe sei das Mietobjekt in einem nahezu unbenutzbaren und unbewohnbaren Zustand gewesen. Zur Sanierung sei 1 Mio S an Material und Arbeit aufgewendet worden.

Die Klägerin ergänzte ihr Vorbringen dahin, dass die Zweitbeklagte verpflichtet gewesen sei, im Grundbuch Nachschau zu halten. Am 21. 7. 2000 erfolgte die Versteigerung der Liegenschaften. Die Klägerin erhielt den Zuschlag um das Meistbot von 3,610.000 S. In der Tagsatzung vom 26. 9. 2000 änderte die Klägerin ihr gegen die Zweitbeklagte gerichtetes Hauptbegehren dahin ab, dass die Räumung der Liegenschaft begehrt werde. Das erste Eventualbegehren wurde aufrecht erhalten, das zweite auf Kostenersatz eingeschränkt. Das Erstgericht gab dem auf Kosten eingeschränkten Begehren gegen die Erstbeklagte und dem geänderten Hauptbegehren gegen die Zweitbeklagte statt. Über den schon wiedergegebenen Sachverhalt hinaus ist von den Feststellungen des Erstgerichtes noch hervorzuheben, dass die Zweitbeklagte vor Abschluss des Mietvertrages über das anhängige Zwangsversteigerungsverfahren nicht informiert gewesen sei und sich nicht über den Grundbuchsstand kundig gemacht habe. Die Zweitbeklagte habe an Material zur Sanierung der Werkstätte und der darüber liegenden Wohnung in der Zeit von März bis Mai 2000 rund 870.000 S investiert. Es seien Arbeitsleistungen des Geschäftsführers, dessen Vaters, dessen Lebensgefährtin und verschiedener Bekannter geleistet worden. Das Erstgericht führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, dass der Zweitbeklagten zwar kein Vorsatz, aber doch eine grobe Fahrlässigkeit infolge der Nichteinholung von Auskünften über die finanzielle Situation der Liegenschaftseigentümerin vorzuwerfen sei. Sie hätte Einsicht ins Grundbuch nehmen müssen. Die langfristige Vermietung der Liegenschaft bewirke eine Pfandwertverminderung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Zweitbeklagten (die Entscheidung über die Kostenersatzverpflichtung der Erstbeklagten wurde rechtskräftig) statt und wies das auf Räumung gerichtete Hauptbegehren und die beiden Eventualbegehren zur Gänze ab. Es beurteilte den schon wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich im Wesentlichen dahin, dass das Pfandrecht der Klägerin durch die Veräußerung der Pfandsache im Zwangsversteigerungsverfahren erloschen sei. Nach dem Zuschlag bilde der Erlös das Befriedigungsobjekt für die Pfandgläubiger. Ihr Recht auf Befriedigung aus dem Pfand habe sich in den Anspruch auf rangmäßige Beteiligung am Kaufschilling verwandelt. Die Klägerin sei daher nicht Hypothekargläubigerin, sondern nur Ersteherin. Als solche sei sie an den von der Erstbeklagten abgeschlossenen Mietvertrag mit der Zweitbeklagten gebunden. Der Ersteher sei Rechtsnachfolger des Vermieters. § 138 Abs 2 EO idF der EO-Novelle 2000 sei hier noch nicht anzuwenden. Nach der maßgeblichen Rechtslage vor der EO-Novelle gelte der Grundsatz, dass Mietverträge des Verpflichteten, die er nach Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens abgeschlossen habe, nicht schon allein deshalb unwirksam seien. Ein durch den Abschluss des Mietvertrags geschädigter Pfandgläubiger könne bei Vorliegen eines Verschuldens eine Devastationsklage auf § 458 ABGB stützen. Eine Ausdehnung der Klagebefugnis auf den Ersteher komme nur in Frage, wenn er vor dem Zuschlag in Unkenntnis des Mietvertrages gewesen sei. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Der auf § 934 ABGB gestützte Einwand der Verkürzung über die Hälfte sei nicht berechtigt. Der vereinbarte Mietzins liege nicht unter der Hälfte eines angemessenen Mietentgeltes. Wenn im Exekutionsverfahren ein erzielbarer monatlicher Mietzins von 35.650 S netto veranschlagt worden sei, so müssten hier zusätzlich zum vereinbarten Mietzins noch Instandhaltungskosten von jährlich 80.000 S netto und das "Leerstehwagnis" von 5.300 S monatlich berücksichtigt werden. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob es bei der Ersteigerung einer Liegenschaft durch einen Pfandgläubiger zu einer Vereinigung der Rechtsstellung von Eigentümer und Pfandgläubiger komme und der Ersteher deshalb weiterhin zur Einbringung einer Devastationsklage berechtigt sei. Dafür könnte allenfalls § 138 EO idgF Anhaltspunkte bieten.

Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin die Abänderung dahin, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde. Die Zweitbeklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Auf die vom Berufungsgericht für wesentlich erachtete Rechtsfrage, ob dem Ersteher einer Liegenschaft, der gleichzeitig Pfandgläubiger war und nach dem Zuschlag wegen nur teilweiser Befriedigung Gläubiger einer forderungsbekleideten Hypothek an eigener Sache wurde (§§ 469 f ABGB), in unmittelbarer oder analoger Anwendung des § 458 ABGB die Pfandverschlechterungsklage zusteht, kommt es dann nicht an, wenn auch ein Pfandgläubiger den bekämpften Mietvertrag wegen Gutgläubigkeit des Mieters nicht anfechten könnte. Diese Frage ist schon nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes zu bejahen. Die vom Berufungsgericht aus dem Zwangsversteigerungsakt zusätzlich getroffenen Feststellungen über die von der Mieterin übernommenen Instandhaltungskosten und ein "Leerstehwagnis" sind nicht entscheidungswesentlich.

§ 138 Abs 2 EO idgF der EO-Novelle 2000, BGBl I 200/59, bestimmt, dass ab der Anmerkung der Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens Rechtshandlungen des Verpflichteten, die die in Exekution gezogene Liegenschaft betreffen und die nicht zur ordentlichen Verwaltung gehören, den Gläubigern und dem Ersteher gegenüber unwirksam sind. Unstrittig ist, dass diese Gesetzesbestimmung auf den vorliegenden Fall noch nicht anzuwenden ist. Nach der alten Rechtslage macht nicht schon allein die Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens danach vom Verpflichteten abgeschlossene Mietverträge unwirksam (EvBl 1984/119; SZ 59/206; 3 Ob 572/92 = ecolex 1993, 236 = ÖBA 1993, 665 = MietSlg XLIV/60; Angst in Angst EO Rz 6 zu § 138 mwN). Gegen das Rechtsgeschäft kann ein Pfandgläubiger allerdings mit der Devastationsklage nach § 458 ABGB vorgehen, die nach allgemein vertretener Ansicht ein Anwendungsfall der aus § 523 ABGB abgeleiteten actio negatoria ist (vgl Hinteregger, Rechte des Pfandgläubigers bei Entwertung der Pfandliegenschaft durch Vermietung, ÖBA 2001, 448 [450] mwN). Einem Ersteher wurde dieses Recht jedenfalls dann nicht zuerkannt, wenn ihm der Mietvertrag vor der Zuschlagserteilung bekannt war (SZ 61/126; 8 Ob 170/99d). Der Erfolg der Pfandverschlechterungsklage, mit der die Räumung, also die Beseitigung der Beeinträchtigung eines absoluten Rechts, angestrebt wird, hängt von einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten des Mieters ab. Wenn diesem - wie hier - die wirtschaftliche Situation und insbesondere das schon eingeleitete Zwangsversteigerungsverfahren unbekannt war, kann der Beseitigungsanspruch nur auf eine Verletzung der Erkundigungspflicht gestützt werden. Dazu vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein Mieter vor dem Vertragsabschluss grundsätzlich zu einer Grundbuchseinsicht nicht verpflichtet ist, es sei denn, es soll ein Mietvertrag über ein üblicherweise nicht vermietetes Objekt oder zu unüblichen und für den Mieter besonders günstigen Mietkonditionen vereinbart werden (8 Ob 254/99g = JBl 2000, 508 = ÖBA 2001, 483; 9 Ob 189/00k). Der erste Fall liegt hier nicht vor. Dass die Tischlerei bisher nicht vermietet worden war, ist nicht auf Eigenschaften des Mietobjekts, sondern auf den Umstand zurückzuführen, dass die Liegenschaftseigentümerin selbst das Unternehmen betrieb. Nach den Feststellungen kann aber auch nicht von "gravierenden Abweichungen" (8 Ob 254/99g) von üblichen Mietverträgen über ein Mietobjekt, in dem ein Unternehmen betrieben werden soll, die Rede sein. Die Revisionswerberin geht ausschließlich vom vereinbarten monatlichen Zins von 15.000 S im Vergleich zum erzielbaren angemessenen Zins von 30.000 S (jeweils exklusive Umsatzsteuer) aus und vernachlässigt dabei die von ihr nicht bekämpfte weitere Feststellung, dass die Mieterin die dem Vermieter obliegende Instandsetzung des Mietobjekts (§§ 1096 f ABGB) übernommen und zur Sanierung der Werkstätte und der Wohnung schon bisher 870.000 S allein an Materialkosten aufgewendet und die Reparaturarbeiten selbst geleistet hat. Bei der gebotenen Berücksichtigung dieser Instandsetzungspflichten der Mieterin durfte diese die Mietkonditionen als nicht unüblich ansehen und von einer Grundbuchseinsicht Abstand nehmen. Die Frage des Verschuldens des Mieters wegen Erkennbarkeit einer durch den Abschluss eines Mietvertrags bewirkten Pfandwertminderung ist eine von den Umständen des Einzelfalls in einem gewissen Spielraum abhängige und zu lösende Rechtsfrage, der nur bei einer gegen die Rechtssicherheit verstoßenden rechtlichen Fehlbeurteilung erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommen könnte (vgl 1 Ob 62/01a). Eine solche Fehlbeurteilung vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Rechtssätze
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