JudikaturJustiz6Ob190/22t

6Ob190/22t – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L* AG, *, Schweiz, vertreten durch Gottgeisl Leinsmer Rechtsanwälte OG in Wien, wider die beklagte Partei E* Ltd, *, Malta, vertreten durch DLA Piper Weiss Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 34.625 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. Juli 2022, GZ 2 R 99/22z 16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 15. April 2022, GZ 2 Cg 19/22w 11, aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Beklagte hat ihren Sitz auf Malta. Sie bietet auf ihrer Website Online Glücksspiele auch in Österreich an, verfügt jedoch hier nicht über eine gültige Glücksspiellizenz. Ein Spieler trat seine Ansprüche auf Rückforderung der durch seine Teilnahme an solchen Glücksspielen entstandenen Verluste an die Klägerin, eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz, ab.

[2] Das Erstgericht verwarf die von der Beklagten erhobene Einrede der internationalen Unzuständigkeit und gab der Klage statt.

[3] Das Gericht zweiter Instanz sprach aus, dass das angerufene Erstgericht international unzuständig sei und wies die Klage unter Aufhebung des Verfahrens einschließlich des Ersturteils als nichtig zurück. Es erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht mit der Frage der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte für „Glücksspielklagen“ auseinandersetzen habe müssen, denen ein in Österreich erlittener Verlust eines Spielers zugrunde liegt, dessen Ansprüche aber vor Klagseinbringung an eine gewinnorientierte Klägerin mit Sitz in der Schweiz zediert wurden.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs ist mangels Beschwer nicht zulässig:

[5] 1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer – also ein Anfechtungsinteresse – voraus, weil es nicht Sache von Rechtsmittelgerichten ist, rein theoretische Fragen zu lösen (RS0002495). Die Beschwer muss auch noch zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel fortbestehen, sonst ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770).

[6] 2. Die Beklagte teilt das Ergebnis der Beurteilung des Berufungsgerichts ausdrücklich und führt im Revisionsrekurs aus, dieses sei „richtigerweise zur Ansicht gelangt, dass die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte zur Behandlung der eingebrachten Klage fehlte“. Sie bemängelt lediglich dessen Begründung. Es habe das Berufungsgericht seine Entscheidung zu Unrecht auf die mit dem Spieler geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung gestützt. Bei richtiger Beurteilung hätte es zu dem Schluss kommen müssen, dass der Erfüllungsort in Malta gelegen und die internationale Zuständigkeit daher aufgrund von Art 7 Nr 1 lit b EuGVVO verneinen müssen.

[7] 3.1. Die Beklagte erkennt selbst, dass ihrem Rechtsmittel angesichts dieser von ihr gewünschten (bloß) anderen Abstützung des selben Ergebnisses (der Zurückweisung der Klage) und des selben Zurückweisungsgrundes (fehlende internationale Zuständigkeit) lediglich auf eine andere Bestimmung der EuGVVO die Beschwer fehlt. Sie bemüht sich zwar, in ihrem Revisionsrekurs eine (angeblich) dennoch gegebene Beschwer darzulegen, kann aber mit ihren teils widersprüchlichen Ausführungen in dieser für die Behandlung des Rechtsmittels allein wesentlichen Frage nicht überzeugen:

[8] 3.2. Die formelle Beschwer der Beklagten soll sich aus dem von ihr gestellten Berufungsantrag (der Abänderung in eine Klagsabweisung) ableiten. Sie will damit den im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Antrag auf Zurückweisung der Klage in ihrer Berufungsschrift gar nicht aufrecht erhalten haben.

[9] Dies ist schon vor dem Hintergrund unverständlich, dass sie selbst an anderer Stelle des Rechtsmittels ausführt, es sei zwar der Spruch des Berufungsgerichts für sich betrachtet richtig; es werde dieser ausdrücklich nicht bekämpft. Der damit zum Ausdruck gebrachte Wunsch nach Aufrechterhaltung des Spruchs des Berufungsgerichts „für sich“ lässt sich wiederum nicht mit ihren Rechtsmittelanträgen im Revisionsrekurs in Einklang bringen. So strebt sie (dennoch) die Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts infolge Nichtigkeit und die Zurückverweisung an dieses zur neuerlichen Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund, in eventu an das Erstgericht, in eventu die Abänderung in eine Klagszurückweisung „zur Gänze“ mangels internationaler Zuständigkeit, in eventu die Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht, an.

[10] Sie behauptet, das Berufungsgericht habe mit seiner Entscheidung eine Verfahrenslage geschaffen, die hinter dem von ihr angestrebten Rechtsschutzziel, der endgültigen Sacherledigung, bleibe, strebt aber selbst gleichzeitig (nicht die Abweisung, sondern) die (bereits erfolgte) Zurückweisung der Klage aus demselben Grund, basierend bloß auf einer anderen Bestimmung der EuGVVO, an. Damit – folgte man ihrer Ansicht – wiederholte das Berufungsgericht aber bloß den ihm vorgeworfenen Fehler; es bliebe mit seiner Entscheidung dann (wiederum) „hinter“ der „endgültigen Sacherledigung“.

[11] Die Beklagte hat nicht nur in ihrem Einspruch den Einwand der internationalen Unzuständigkeit erhoben, sondern (nach dessen Verneinung durch das Erstgericht) dieser Frage in der Berufung breiten Raum (und umfänglich mehr als allen anderen Fragen) gewidmet. Sie hat im Anschluss an ihre Argumentation zur fehlenden internationalen Zuständigkeit ausgeführt, dass die Klage bereits a limine oder spätestens auf ihren Einwand hin „zurückzuweisen bzw kostenpflichtig abzuweisen gewesen“ wäre, und im Rahmen ihrer Ausführungen zur fehlenden sachlichen Zuständigkeit den Vorwurf erhoben, das Erstgericht hätte die Klage zurückweisen müssen.

[12] Wenn angesichts dessen das Berufungsgericht der Berufung entnahm, dass die Beklagte tatsächlich die Zurückweisung der Klage anstrebt, ist ihm damit weder eine Nichtigkeit unterlaufen noch begegnet dies sonst Bedenken, zumal ganz allgemein zugunsten des Rechtsmittelwerbers gilt, dass unrichtige Bezeichnungen der dem Gesetz entsprechenden Behandlung nicht entgegenstehen (und zwar weder in Ansehung der Benennung des Rechtsmittels [RS0036258] noch der richtigen oder vollständigen Bezeichnung der Rechtsmittelgründe [RS0041851]), sofern die Rechtsmittelausführungen nur die Beschwerdegründe deutlich erkennen lassen. Auch hinsichtlich des Berufungsantrags obliegt es nämlich der im Einzelfall (RS0042235 [T9]) vom Rechtsmittelgericht vorzunehmenden Auslegung, welche Entscheidung der Berufungswerber anstrebt (RS0042235 [T4, T6]).

[13] 3.3. Inwiefern aus dem Grund der unterbliebenen Sacherledigung eine „materielle und wirkungsbezogene Beschwer“ der Beklagten folgen sollte, obwohl sie selbst die Zurückweisung der Klage (weiter )verfolgt(e), bleibt schon aus diesem Grund unklar. Auch liegt die Gefahr einer erneuten Inanspruchnahme wegen einer angeblich mit dem „Urteilsspruch“ verbundenen „Diskrepanz“ nicht vor. Das Berufungsgericht änderte den Beschluss über die Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede dahin ab, dass es aussprach, es sei das angerufene Erstgericht international unzuständig. Wenn es die Entscheidung des Erstgerichts (insgesamt) dahin „abänderte“, dass es die Klage aus diesem Grund zurückwies und sowohl im Spruch („unter Aufhebung des Verfahrens einschließlich des Urteils als nichtig“) als auch in der Begründung darlegte, dass das dem (Erst-)Urteil vorangegangene Verfahren und das Urteil selbst als Folge der Zurückweisung als nichtig aufzuheben waren, ist der Beschluss nicht mit Zweideutigkeit behaftet.

[14] Es ist daher (auch) das behauptete Vorliegen materieller (oder wirkungsbezogener) Beschwer zu verneinen, wurde die Klage doch aus einem – im Übrigen von der Beklagten selbst nicht nur in zweiter, sondern auch noch in dritter Instanz als entscheidungswesentlich verfochtenen – Grund (der fehlenden internationalen Zuständigkeit endgültig) zurückgewiesen, welcher der neuerlichen Einbringung einer gleichlautenden Klage entgegensteht (RS0041758 [T16]).