JudikaturJustiz5Ob239/08w

5Ob239/08w – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. November 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. Roch als weitere Richter in der außerstreitigen Mietrechtssache der Antragstellerin L***** GmbH, *****, vertreten durch Lattenmayer, Luks Enzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin G***** KG, *****, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens GZ ***** Msch ***** des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 8. August 2008, GZ 38 R 107/08d 7, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm§ 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

In einem 2002 eingeleiteten außerstreitigen Mietrechtsverfahren begehrte die Gesamtrechtsvorgängerin der Antragstellerin als Vermieterin die Feststellung des angemessenen Hauptmietzinses für das Mietobjekt der Antragsgegnerin. Aufgrund des Todes der beiden Kommanditisten der Antragsgegnerin sei die Vermieterin nach Einantwortung der Verlassenschaft zur Mietzinsanhebung nach § 12a MRG berechtigt. Der Tod sei der Antragstellerin weder angezeigt worden noch aus dem Firmenbuch bekannt gewesen. Die Antragsgegnerin wendete Verfristung ein. Der Antrag wurde rechtskräftig als verfristet abgewiesen, weil das Schreiben vom 15. 2. 1996 mit der Benachrichtigung von den Todesfällen der damaligen Hauseigentümerin im März oder April 1996 zugegangen sei.

In dem auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO analog gestützten, beim Erstgericht am 5. 12. 2007 überreichten Wiederaufnahmeantrag bringt die Antragstellerin vor, die Aussage des im wiederaufzunehmenden Verfahren vernommenen Zeugen über die persönliche Abgabe des Schreibens vom 15. 2. 1996 in der Posteinlaufstelle der damaligen Vermieterin, einer VersicherungsAG, sei unmöglich und falsch. Die Antragstellerin habe in einem gegen diese frühere Hauseigentümerin geführten Schadenersatzprozess aufgrund eines Lageplans erfahren, dass sich die Posteinlaufstelle nicht an dem vom Zeugen angegebenen Ort befinde und auch nicht für das Publikum zugänglich gewesen sei. Dieser Lageplan sei zwar von der Gegenseite in der Verhandlung vom 12. 9. 2007 vorgelegt und als Beilage 6 bezeichnet worden, er sei jedoch lediglich bei Befragung des - auch in dem Schadenersatzprozess vernommenen - Zeugen vorgehalten und danach dem Parteienvertreter zur Vervielfältigung und Vorlage in der nächsten Verhandlung zurückgestellt worden. Erst in der nächsten Verhandlung am 7. 11. 2007 habe die Antragstellerin vom Inhalt des Lageplans Kenntnis erlangt.

Das Erstgericht wies den Antrag ohne Anberaumung einer Tagsatzung zurück.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Die Bestimmungen der §§ 72 ff AußStrG neu (BGBl I 2003/111) über das Abänderungsverfahren sind nach § 203 Abs 8 AußStrG neu nur dann anzuwenden, wenn das Datum der Entscheidung erster Instanz, deren Abänderung beantragt wird, nach dem 31. 12. 2004 liegt. Dies trifft hier nicht zu; der erstinstanzliche Sachbeschluss ist am 26. 2. 2004 ergangen.

Nach der höchstgerichtlichen Judikatur sind zumindest in den „echten Streitsachen" des früheren außerstreitigen Verfahrens die Bestimmungen der ZPO über die Wiederaufnahmsklage analog anzuwenden (5 Ob 284/00a; 5 Ob 131/00b; 5 Ob 14/02h; 5 Ob 7/04x).

2. Nach § 538 Abs 1 ZPO hat das Gericht vor Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung über die Wiederaufnahmsklage zu prüfen, ob ein tauglicher Wiederaufnahmegrund geltend gemacht wird und die Frist zur Einberaumung der Wiederaufnahmsklage eingehalten wurde. Verneint es diese Voraussetzungen, ist die Wiederaufnahmsklage mit Beschluss zurückzuweisen (Vorprüfungsverfahren). In diesem Stadium ist idR nicht darüber zu entscheiden, ob der Wiederaufnahmekläger ohne sein Verschulden nicht im Stande war, das neue Beweismittel bereits im Vorprozess geltend zu machen ( Klauser/Kodek ZPO [2006] § 538 ZPO E 19). Nur wenn jedes Vorbringen dazu fehlt oder sich das Verschulden bereits aus den Behauptungen des Wiederaufnahmeklägers ergibt, ist die Klage sofort zurückzuweisen ( Klauser/Kodek aaO E 20f).

Entsprechend der analog anzuwendenden Bestimmung des § 538 ZPO hat das Erstgericht hier den Wiederaufnahmsantrag vor Anberaumung einer Verhandlung deshalb zurückgewiesen, weil der Wiederaufnahmsantrag verfristet sei und kein Vorbringen dazu enthalte, welche Gründe die Antragstellerin gehindert hätten, den Lageplan bereits im Vorprozess vorzulegen. Die Zustellung des Wiederaufnahmsantrags an die Antragsgegnerin vor Beschlussfassung ändert nichts daran, dass die Entscheidung eindeutig noch im Stadium des Vorprüfungsverfahrens ergangen ist. Der im Revisionsrekurs erhobene Vorwurf eines in der Zivilprozessordnung nicht vorgesehenen „Zwischenverfahrens" ist damit nicht gerechtfertigt.

3. Die vierwöchige Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO beginnt dann, wenn der Wiederaufnahmskläger die neuen Beweismittel soweit kennt, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren prüfen kann (RIS Justiz RS0044635). Die Kenntnis des mit Prozessvollmacht ausgestatteten Parteienvertreters von neuen Beweismitteln im Sinn des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO ist der Partei zuzurechnen; die Frist zur Einbringung der Wiederaufnahmsklage wird dadurch in Lauf gesetzt (RIS Justiz RS0044635 [T2]; Kodek in Rechberger 3 § 534 ZPO Rz 5). Die Frist für die Einbringung einer Wiederaufnahmsklage beginnt aber jedenfalls nicht erst dann, wenn der Wiederaufnahmskläger schon weiß, dass das Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu abweichenden und eine günstigere Entscheidung bewirkenden Tatsachenfeststellungen führen wird (3 Ob 72/08x).

Im konkreten Fall wurde nach den Behauptungen im Wiederaufnahmsantrag jenem Zeugen, dessen Aussage im wiederaufzunehmenden Verfahren von entscheidender Bedeutung war, in einem anderen Prozess, an dem die Antragstellerin beteiligt war, der Lageplan der Räumlichkeiten jenes Unternehmens vorgelegt, bei dem der Zeuge die schriftliche Benachrichtigung vom 15. 2. 1996 abgegeben haben soll. Der Zeuge soll daraufhin seine Aussage dahin korrigiert haben, dass er das Schreiben doch beim Portier (also nicht in der Einlaufstelle) abgegeben hätte. Damit stand fest, um was für eine Urkunde es sich handelt, welchen Inhalt sie hat und welche Bedeutung ihr für die Wertung der im Vorprozess getätigten Aussage des Zeugen zukommt. Wenn auch in der Regel die bloße Kenntnis des Vorhandenseins einer Urkunde noch nicht zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage bei sonstiger Verfristung verpflichtet (RIS Justiz RS0044646), so begründet es im konkreten Fall keine auffallende Fehlbeurteilung, wenn die Vorinstanzen den fristauslösenden Moment bereits mit der Vorlage des Lageplans in der Verhandlung vom 12. 9. 2007 und der daraufhin erfolgten Korrektur einer für die Beweiswürdigung relevanten Zeugenaussagen angenommen haben.

4. Ist der Wiederaufnahmeantrag verfristet, ist die im Revisionsrekurs der Antragstellerin behandelte Frage, ob die Antragstellerin in ihrem Wiederaufnahmeantrag ein ausreichendes Vorbringen zum fehlenden Verschulden an der unterlassenen Geltendmachung des neuen Beweismittels im wiederaufzunehmenden Verfahren erstattet hat (S 4 letzter Absatz des Revisionsrekurses) nicht mehr relevant.

Rechtssätze
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