JudikaturJustiz5Ob2/19h

5Ob2/19h – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. April 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. Mag. A*****, 2. E*****, beide vertreten durch Dr. Andreas Huber, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Klaus Voithofer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Beseitigung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. Oktober 2018, GZ 13 R 134/18y 39, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Juni 2018, GZ 59 Cg 7/16g 35, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.463,02 EUR (darin enthalten 243,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Parteien sind Miteigentümer der Liegenschaft EZ *****. Mit den Miteigentumsanteilen der beklagten Partei ist unter anderem Wohnungseigentum an einem Objekt verbunden, das nach dem Wohnungseigentumsvertrag als Büro gewidmet war. Ab etwa der Mitte des Jahres 2015 vermietete die beklagte Partei dieses Wohnungseigentumsobjekt an einen Verein, der darin einen Kindergarten mit zwei Gruppen betreibt. Zum Zweck des Betriebs des Kindergartens ließ die beklagte Partei diverse Umbauarbeiten durchführen.

Die Kläger begehrten von der beklagten Partei die Beseitigung der Umbauarbeiten und es zu unterlassen, ihr Objekt entgegen der Widmung zu anderen als Bürozwecken, insbesondere zum Betrieb einer Kindergartengruppe zu nutzen oder einem Dritten zu diesem Zweck zu überlassen.

Mit Sachbeschluss vom 30. 7. 2017 genehmigte das Außerstreitgericht die Widmungsänderung des Objekts der beklagten Partei von Büro auf „Büro, jedenfalls auch Kinderbetreuung“ sowie die bereits erfolgten Umbauarbeiten. Dieser Sachbeschluss erwuchs nach dem in der Tagsatzung vom 18. 12. 2017 verkündeten Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz in Rechtskraft.

Das Berufungsgericht änderte das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichts ab und wies das Klagebegehren ab. Ergebe sich während des Rechtsmittelverfahrens eine Rechtsänderung, sei ein Verbot bzw Gebot an der neuen Rechtslage zu messen. Die Entscheidung des Außerstreitgerichts gemäß § 16 Abs 2 WEG habe rechtsgestaltenden Charakter und schaffe daher mit ihrer Rechtskraft eine neue Rechtslage. Danach erweise sich das im Unterlassungsbegehren umschriebene Verhalten der beklagten Partei nicht (mehr) als verboten. Auch die Wiederherstellung des früheren und Beseitigung des derzeitigen Zustands könne der beklagten Partei nicht mehr aufgetragen werden, weil der vorhandene Zustand nicht mehr rechtswidrig sei.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil – soweit überblickbar – oberstgerichtliche Judikatur zur Frage fehle, ob eine nach Schluss der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung rechtskräftig gewordene, rechtsgestaltende Entscheidung bei Beurteilung eines Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs nach § 523 ABGB im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei beantwortete Revision der Kläger ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig

, weil zu der vom Berufungsgericht als bedeutsam erachteten Rechtsfrage bereits Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0112769 [T9, T11, T12]):

1.1 Mit der Frage, in welchem Verfahrensstadium die Bindungswirkung geltend gemacht werden kann, hat sich der Oberste Gerichtshof zuletzt in der Entscheidung zu 4 Ob 88/18x (= RS0132136) ausführlich auseinandergesetzt, in der es

die

Bindungswirkung einer nach Art 33 Abs 1 EuGVVO 2001 (Art 36 Abs 1 EuGVVO 2012) anzuerkennenden ausländischen Entscheidung auf der Grundlage des anwendbaren österreichischen Rechts zu beurteilen galt. Danach ist die Rechtskraft einer anderen Entscheidung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (§§ 230 Abs 3, 411 Abs 2 ZPO). Da der Verstoß gegen die Rechtskraft einen in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen zu beachtenden Nichtigkeitsgrund bildet (RS0039968; RS0074226), müssen auch die Rechtsmittelinstanzen die Rechtskraft einer Entscheidung berücksichtigen, wenn diese während des Rechtsmittelverfahrens eingetreten ist.

1.2 Es wurde auch schon ausgesprochen, dass Strafurteile in einem zivilprozessualen Rechtsmittelverfahren nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, auch wenn ihre Bindungswirkung erst nach Schluss der mündlichen Streitverhandlung in erster Instanz eingetreten ist (6 Ob 21/13a; 7 Ob 8/15z).

2. Für die Berücksichtigung der Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung des Außerstreitgerichts im Rechtsmittelverfahren über eine Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB kommen diese Grundsätze ebenfalls zum Tragen. Die Bindungswirkung ist Ausfluss der materiellen Rechtskraft und unterliegt daher nicht dem Neuerungsverbot, weil es nicht um die Berücksichtigung einer neuen Tatsache oder eines neuen Beweismittels geht. Dass der in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 (iVm § 16 Abs 2) WEG ergangenen Entscheidung rechtsgestaltende Wirkung zukommt (vgl dazu RS0083156 [T4]; Würth / Zingher / Kovanyi , Miet- und Wohnrecht²³ § 16 WEG Rz 15), führt zu keiner anderen Beurteilung.

3. Die von den Klägern zur Darlegung ihres Rechtsstandpunkts herangezogenen Rechtssätze betreffen nicht die Bindungswirkung von rechtskräftigen Entscheidungen. Einer weiteren Begründung bedarf es daher nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf

§§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung darauf

hingewiesen, dass das Rechtsmittel der Kläger nicht zulässig ist. Ihr sind daher die Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Rechtssätze
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