JudikaturJustiz5Ob188/23t

5Ob188/23t – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Gerhard Ebenbichler, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner I*, vertreten durch Dr. Martin Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Beweissicherung, über den (richtig) Rekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 12. September 2023, GZ 19 R 51/23w 28, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 17. Juli 2023, GZ 7 Nc 5/23s 14, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsgegner hat die Kosten seines Rekurses und die Antragstellerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen (§ 388 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

[1] Die Antragstellerin führt gegen einen Werkunternehmer, der im Zeitraum 2013/2014 in ihrem Betriebsgebäude Bodenfliesen verlegte, einen Gewährleistungs- und Schadenersatzprozess. Dort wurde der Antragsgegner zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt.

[2] Nach der Übermittlung von Befund und Gutachten über die im Prozess geltend gemachten Mängel des Fliesenbodens beantragte die Antragstellerin beim Erstgericht die Sicherung des gegenwärtigen Zustands der verlegten Fliesen durch Befundaufnahme eines (anderen) Sachverständigen unter Durchführung eines Augenscheins. Der Antragsgegner habe schuldhaft ein unrichtiges Gutachten erstattet und der Antragstellerin für daraus resultierende Schäden zu haften. Die Antragstellerin beabsichtige einen fachgerechten Austausch der schlecht verlegten Fliesen und sie habe daher ein Interesse an der Feststellung des gegenwärtigen Zustands.

[3] Das Erstgericht bewilligte diesen Antrag mit Beschluss vom 15. Juni 2023 und bestellte einen gerichtlichen Sachverständigen „zur Sicherung des Beweises über das Vorhandensein der von der Antragstellerin [...] behaupteten Mängel“.

[4] Mit Bezugnahme auf ein E-Mail des im Beweissicherungsverfahren beauftragten Sachverständigen beantragte die Antragstellerin, dem Fliesenleger (= Beklagter im Zivilprozess) die Vorlage einer Urkunde (eines Datenblatts über die im Betriebsgebäude verlegten Fliesen) aufzutragen. Der Sachverständige habe auf unterschiedliche Bezeichnungen des Fliesenprodukts auf einer Abbildung während der Verlegearbeiten einerseits und auf einer Bestätigung des Unternehmens vom Juli 2014 andererseits hingewiesen. Bei dem Datenblatt der verlegten Fliesen handle es sich um eine „gemeinsame Urkunde“ im Sinn des § 304 Abs 2 ZPO.

[5] Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Im Beweissicherungsverfahren komme ein Vorlageauftrag nach § 308 ZPO schon mangels Verweises in § 388 Abs 1 ZPO auf diese Bestimmung nicht in Betracht.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin dagegen Folge, hob den Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über den Vorlageantrag nach Verfahrensergänzung auf.

[7] Zwar sei im Beweissicherungsverfahren der Urkundenbeweis nicht vorgesehen, allerdings habe die Antragstellerin nicht die Sicherung einer Urkunde sondern die Vornahme eines Augenscheins und Befundaufnahme durch den Sachverständigen beantragt. Der fehlende Verweis auf den Urkundenbeweis in den Bestimmungen über die Beweissicherung stehe daher der Erlassung eines Vorlageauftrags nicht entgegen. Einen Dritten treffe eine Vorlagepflicht nur, wenn er zivilrechtlich zur Herausgabe der Urkunde verpflichtet oder die Urkunde eine für ihn und den Beweisführer gemeinschaftliche im Sinn des § 304 Abs 2 ZPO sei. Es bestehe kein Zweifel daran, dass das Datenblatt über die im Betriebsgebäude verlegten Fliesen eine „gemeinsame Urkunde“ der Antragstellerin und des Dritten (Werkunternehmers) sei. Nach § 308 Abs 2 ZPO sei allerdings über den Vorlageantrag erst nach Anhörung des Gegners und des Dritten zu entscheiden. Das Erstgericht habe vor seiner Beschlussfassung weder dem Antragsgegner noch dem Dritten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, weshalb die Entscheidung schon aus diesem Grund aufzuheben sei. Darüber hinaus setze ein Vorlageauftrag voraus, dass die Urkunde ein erhebliches Beweismittel sei, was hier ebenfalls noch zu prüfen sei, weil sich der vom (zweiten) Sachverständigen aufgezeigte (scheinbare) Widerspruch in der Bezeichnung des Fliesenprodukts möglicherweise auch ohne die Vorlage des Datenblatts durch den Dritten auflösen lasse (Bezeichnung der Herstellerin auf dem Foto und Name des konkreten Produkts, das diese Herstellerin anbiete, auf der Bestätigung).

[8] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines Vorlageauftrags gemäß § 308 Abs 1 ZPO im Beweissicherungsverfahren fehle.

[9] Gegen den Beschluss des Rekursgerichts wendet sich der „Revisionsrekurs“ ( Rekurs ) des Antragsgegners mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[10] Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Rekurs ist zur Klarstellung zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

[12] 1.1 Ein Nachholen des – hier fehlenden – Bewertungsausspruchs ist nach ständiger Rechtsprechung entbehrlich, wenn das Rekursgericht gemäß § 527 Abs 2 ZPO die Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof ausgesprochen hat und dabei seinerseits die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 528 ZPO (auch die des § 528 Abs 2 Z 1 ZPO) zu beachten hatte (vgl RIS Justiz RS0042390).

[13] 1.2 Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin hat ihr Begehren mit 35.000 EUR bewertet und das Rekursgericht diese Bewertung nicht in Zweifel gezogen. Damit ist es erkennbar von einem 5.000 EUR übersteigenden Wert des Entscheidungsgegenstands ausgegangen, eine Ergänzung des Ausspruchs erübrigt sich.

[14] 2.1 Die Sicherung von Beweisen ist in den §§ 384 ff ZPO geregelt. Mit ihr soll die künftige Verwertung der Beweisergebnisse außerhalb eines Erkenntnisverfahrens gesichert werden, um einem drohenden Beweisverlust oder der erschwerten Benutzung eines Beweismittels vorzubeugen. § 384 Abs 2 ZPO lässt die Beweissicherung auch dann zu, wenn der gegenwärtige Zustand einer Sache festgestellt werden soll und der Antragsteller ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung hat. Hauptanwendungsfall der Beweissicherung nach den §§ 384 ff ZPO ist das selbständige Beweissicherungsverfahren, das vor Einleitung eines Hauptverfahrens durchgeführt wird. Da die Ergebnisse des Beweissicherungsverfahrens mithelfen, zivilrechtliche Positionen vorab zu klären, trägt die Beweissicherung auch prozessvermeidende Komponenten in sich ( Rassi in Fasching / Konecny 3 III/1 § 384 Rz 2 mwN). Aus den Angaben des Antragstellers muss sich lediglich ein zivilrechtlicher Anspruch ableiten lassen, zu dessen Durchsetzung, Abwehr oder Sicherung eine Beweissicherung nötig ist (9 Ob 3/16f = RS0130711).

[15] 2.2 Nach dem Wortlaut des § 388 Abs 1 ZPO hat die Beweisaufnahme im Verfahren über die Beweissicherung nur nach den Bestimmungen über Zeugen-, Sachverständigen- und Augenscheinsbeweis zu erfolgen. Während eine Analogie für die Parteienvernehmung in der Literatur befürwortet wird ( Rassi in Fasching / Konecny 3 III/1 § 384 Rz 18; Rechberger / Klicka in Rechberger / Klicka , ZPO 5 § 384 Rz 5 mwN), ist die Möglichkeit einer analogen Anwendung auch des Urkundenbeweises im Beweissicherungsverfahren umstritten ( Rassi in Fasching / Konecny 3 III/1 § 384 Rz 19 mwN).

[16] 3. Beschlüsse, mit denen Dritte zur Urkundenvorlage verpflichtet werden, sind § 308 ZPO zu unterstellen und daher – ebenso wie die Abweisung eines Editionsantrags – uneingeschränkt selbstständig anfechtbar (§ 319 ZPO e contrario; Kodek in Fasching / Konecny 3 III/1 § 308 ZPO Rz 15).

[17] 4.1 Hier betrifft das Beweissicherungverfahren die Feststellung des derzeitigen Zustands des Fliesenbodens im Betrieb der Antragstellerin. Der Beweissicherungsantrag dient der Sicherung von Beweisen für eine allfällige Geltendmachung künftiger Ansprüche der Antragstellerin gegen den im Rechtsstreit gegen den Fliesenleger bestellten Sachverständigen als Antragsgegner (für dessen – nach Meinung der Antragstellerin – fehlerhafte Gutachtens-erstattung).

[18] 4.2 Wie erwähnt, sieht § 388 Abs 1 ZPO in seinem Verweis auf die für das Beweissicherungsverfahren anzuwendenden Bestimmungen diejenigen über den Urkundenbeweis nicht vor. Der hier zu beurteilende Vorlageauftrag betrifft aber – wie das Rekursgericht zutreffend erkannte – keine im Rahmen der Beweissicherung sicherzustellende Urkunde, sondern der Antrag zielt auf eine Mitwirkung des Dritten (Werkunternehmers) an der Befundaufnahme durch den Sachverständigen im Beweissicherungsverfahren (über den tatsächlichen Zustand des Fliesenbodens) ab. Die Frage der Zulässigkeit einer generellen analogen Anwendung der Bestimmungen über den Urkundenbeweis im Beweissicherungsverfahren stellt sich daher im vorliegenden Fall nicht. Dass aber die Verfahrensbestimmung des § 308 ZPO über den Auftrag an einen Dritten zur Vorlage einer Urkunde auch im Beweissicherungsverfahren heranzuziehen ist, wenn diese Urkunde im Zusammenhang mit der Befundaufnahme des Sachverständigen steht und für diese von Bedeutung ist, ist nicht in Zweifel zu ziehen.

[19] 4.3 Der Werkunternehmer, dem die Vorlage der Urkunde (Datenblatt über die Fliesen) aufgetragen werden soll, ist im Beweissicherungsverfahren „Dritter“ im Sinn des § 308 ZPO. Die Abweisung des Antrags, ihn zur Vorlage der Urkunde zu verpflichten, war daher mit Rekurs bekämpfbar.

[20] 4.4 Die vom Antragsgegner in seinem Rechtsmittel als unzulässig erachtete Anwendung der Bestimmung des § 308 ZPO durch das Rekursgericht ist in der hier vorliegenden Konstellation nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner argumentiert, eine Inaugenscheinnahme des Datenblatts als Urkunde sei nur für die Erstellung eines Gutachtens, nicht aber für die hier vom Gericht in Auftrag gegebene Befundaufnahme von Bedeutung. Der angefochtenen Entscheidung lässt sich jedoch ein Auftrag an den Sachverständigen zur Erstattung eines Gutachtens in keiner Weise entnehmen. Entgegen der Rechtsansicht des Rekurswerbers dient die beantragte Urkundenvorlage hier nicht deren Sicherstellung.

Zum Kostenausspruch:

[21] 5.1 Der Antragsteller hat gemäß § 388 Abs 3 erster Satz ZPO unbeschadet eines Ersatzanspruchs alle Kosten des Beweissicherungsverfahrens zunächst selbst zu tragen. Das gilt auch für allfällige Rekurse und Rekursbeantwortungen im Rahmen der Beweissicherung ( Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.409 mwN). Die (notwendigen) Kosten des Antragsgegners für seine Beteiligung an der Beweisaufnahme im Beweissicherungsverfahren sind ihm gemäß § 388 Abs 3 zweiter Satz ZPO „unbeschadet der Entscheidung in der Hauptsache“ zu ersetzen. Für solche Kosten des Antragsgegners hingegen, die nicht im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der Befundaufnahme stehen, insbesondere sämtliche in einem Zwischenstreit aufgelaufenen Kosten, hat er im Beweissicherungsverfahren selbst nach der überwiegenden Rechtsprechung (noch) keinen Kostenersatzanspruch; diese sind in die Gesamtkostennote aufzunehmen und erfolgsabhängig zuzusprechen ( Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.409 mwN; RS0036022 [T1]; aA Rassi in Fasching / Konecny 3 III/1, § 388 ZPO Rz 16).

[22] 5.2 In Anwendung der Bestimmung des § 388 Abs 3 ZPO hat daher der Antragsgegner die Kosten seines erfolglosen Rekurses (vorläufig) selbst zu tragen, ebenso die Antragstellerin die Kosten ihrer Rekursbeantwortung.

Rechtssätze
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