JudikaturJustiz4Ob91/16k

4Ob91/16k – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der Kläger 1. O***** E*****, 2. S***** E*****, vertreten durch Mag. Birgit Hermann Kraft und andere Rechtsanwälte in Kufstein, gegen den Beklagten J***** H*****, vertreten durch Dr. Maximilian Ellinger und andere Rechtsanwälte in Kufstein, wegen Rechnungslegung, über den Rekurs des Beklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 29. Jänner 2016 GZ 2 R 314/15p 14, womit aus Anlass der Berufung des Beklagten das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 28. September 2015, GZ 4 C 237/15x 10, als nichtig aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Nichtigerklärungs und Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zurückverwiesen und diesem die Fortsetzung des Berufungsverfahrens aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Beklagte ist Eigentümer eines Hauses, das aufgrund einer nach 1945 erteilten Baubewilligung errichtet wurde. Er vermietete den Klägern einen in diesem Haus gelegene Wohnung.

Die Kläger machten die Legung einer gesetzmäßigen Betriebs und Heizkostenabrechnung geltend. Das Teilbegehren hinsichtlich Aufschlüsselung des Verwaltungshonorars wurde in der Verhandlung vor dem Erstgericht auf Kosten eingeschränkt.

Der Beklagte berief sich darauf, ohnehin ordnungsgemäß Abrechnung gelegt zu haben.

Das Erstgericht „überwies“ das Begehren hinsichtlich Heizkosten und Warmwasserkosten an die zuständige Gerichtsabteilung, weil darüber das Gericht im außerstreitigen Verfahren zuständig sei. Dem eingeschränkten Klagebegehren gab es statt. In seiner rechtlichen Beurteilung ging es übereinstimmend mit den Parteien davon aus, dass das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis nicht in den Anwendungsbereich des MRG falle.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung des Beklagten das Urteil des Erstgerichts und das diesem nach Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes vorangegangene erstinstanzliche Verfahren als nichtig auf. Die Klage sei in einem außerstreitigen Antrag iSd § 40a JN umzudeuten, über den das – ebenfalls zuständige – Erstgericht im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden haben werde. Es sei nicht richtig, dass das Mietverhältnis nicht in den Anwendungsbereich des MRG falle. Die Tatsache allein, dass der Mietgegenstand in einem Gebäude gelegen sei, das aufgrund einer nach dem 8. 5. 1945 erteilten Baubewilligung errichtet worden sei, reiche noch nicht aus, das Mietverhältnis der Teilausnahme des § 1 Abs 4 MRG zu unterstellen. Neben der genannten Baubewilligung sei auch erforderlich, dass der Mietgegenstand im Wohnungseigentum stehe. Dies sei nicht festgestellt und wie sich aus dem offenen Grundbuch ergebe, sei dies auch tatsächlich nicht der Fall, vielmehr sei der Beklagte Alleineigentümer der Liegenschaft. Es sei daher von einem zur Gänze dem MRG unterliegenden Mietverhältnis auszugehen und der eingeschlagene Rechtsweg somit unzulässig. Nach § 37 Abs 1 Z 1 (gemeint: Z 11) MRG habe über Rechnungslegungsanträge das Bezirksgericht im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden. Die Wahl einer unrichtigen Verfahrensart führe zur Nichtigerklärung des durchgeführten Verfahrens, von der lediglich die verfahrenseinleitende Prozesshandlung nicht erfasst werde.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung des Beklagten aufzutragen.

Die Kläger haben keine Rekursbeantwortung erstattet. Sie stellten vielmehr einen Antrag auf Überweisung in das Außerstreitverfahren.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Rekurs ist zulässig.

1.1. Hat sich das Erstgericht – wie hier – mit der Frage der Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs in seiner Entscheidung nicht auseinandergesetzt, ist der Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem das Ersturteil als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur Entscheidung in das außerstreitige Verfahren überwiesen wurde, nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO auch ohne Zulassungsausspruch mit (Voll )Rekurs an den Obersten Gerichtshof anfechtbar (5 Ob 28/12x; 4 Ob 75/13b; 5 Ob 186/13h; 1 Ob 173/13t). Hingegen sind übereinstimmende Beschlüsse über die Überweisung in das außerstreitige Verfahren nach nunmehr überwiegender Rechtsprechung gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nur dann anfechtbar, wenn mit der Überweisung in die andere Verfahrensart auch eine Veränderung der Anspruchsgrundlagen verbunden wäre (2 Ob 309/03k; 3 Ob 32/14y).

1.2. Der im entscheidenden Punkt übereinstimmende Wortlaut der genannten Bestimmungen – Anfechtung nur, wenn „die Klage […] ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde“ – spricht zwar für die Gleichbehandlung der beiden Fallgestaltungen (1 Ob 2386/96f, 9 Ob 52/01i). Nach Auffassung des hier erkennenden Senats kann die Rechtsprechung zu § 519 Abs 1 Z 1 ZPO (Zulässigkeit des Vollrekurses) aber auch dann aufrecht erhalten werden, wenn (auch) jene zu § 528 Abs 2 Z 2 ZPO (Maßgeblichkeit der „Anspruchsgrundlagen“) zutreffen sollte: Denn mit einer Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ist zwingend eine Vernichtung von Verfahrensaufwand verbunden (Nichtigerklärung des Urteils samt vorangegangenem Streitverfahren), während bei der Bestätigung eines Überweisungsbeschlusses (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO) im Regelfall noch kein Verfahren in der Hauptsache geführt wurde. Dieser Unterschied rechtfertigt die umfassende Anfechtbarkeit eines vom Berufungsgericht gefassten Überweisungsbeschlusses auch dann, wenn damit kein „Wechsel der Anspruchsgrundlagen“ verbunden ist. Dass zwischen den beiden Fallgestaltungen auch nach der Wertung des Gesetzes differenziert werden kann, ergibt sich im Übrigen daraus, dass der Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO anders als der Revisionsrekurs nach § 528 ZPO auch ohne Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig ist. Auch der Gesetzgeber nimmt daher an, dass die Anfechtung eines Beschlusses nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO leichter möglich sein soll als jene eines bestätigenden Beschlusses nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO.

2. Der Rekurs ist auch berechtigt.

2.1. Der Rekurswerber macht geltend, beide Teile seien in erster Instanz übereinstimmend davon ausgegangen, dass es sich um eine Betriebskostenabrechnung außerhalb des MRG handle. Das Erstgericht habe mit den Parteien nicht erörtert, dass dies nicht der Fall sein könnte. Tatsächlich sei das Mietobjekt nämlich aufgrund einer nach dem 30. 6. 1953 erteilten Baubewilligung ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel neu errichtet worden, sodass der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG vorliege. Das Berufungsgericht hätte den Streitteilen seine Rechtsansicht kundtun und ihnen Gelegenheit geben müssen, seine überraschende Rechtsansicht durch entsprechendes Vorbringen und Beweisanbote zu entkräften. Das Berufungsverfahren sei daher mangelhaft.

2.2. Die Anwendung des MRG auf bestimmte Räume kann durch Parteienvereinbarung nicht ausgeschlossen werden (RIS Justiz RS0069393). Fällt ein Rechtsverhältnis in den Geltungsbereich des § 1 Abs 1 MRG, so besteht eine Vermutung für die Anwendbarkeit des MRG, die nur durch den Nachweis eines konkreten Ausnahmetatbestands (§ 1 Abs 2 bis 4 MRG) widerlegt werden kann (RIS Justiz RS0069235). Dies gilt aber nicht, wenn sowohl die Parteien als auch die Gerichte gleichsam stillschweigend vom Vorliegen eines Ausnahmetatbestands ausgingen (RIS Justiz RS0069235 [T2]).

2.3. Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RIS Justiz RS0037300). Dies war aber hier der Fall: Beide Parteien haben übereinstimmend vorgebracht, dass es sich um eine Betriebskostenabrechnung außerhalb des MRG handle (wenngleich der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG nicht ausdrücklich angesprochen wurde): Die Kläger brachten in der Klage vor, dass es sich um einen Neubau handle, der nicht dem MRG unterliege, und der Beklagte brachte in der Verhandlung vor dem Erstgericht vor, die gegenständliche Betriebskostenabrechnung liege außerhalb des Anwendungsbereichs des MRG. Eine Erörterung dieser – vom Erstgericht implizit übernommenen – Rechtsansicht fand nicht statt. Das Berufungsgericht hätte daher seine gegenteilige – für die Parteien überraschende – Rechtsansicht mit den Parteien erörtern und diesen die Gelegenheit geben müssen, sich dazu zu äußern bzw Beweisanbote zu legen, bevor es ohne hinreichende Tatsachengrundlagen bzw Vorbringen „im Zweifel“ die Vollanwendbarkeit des MRG bejahte.

2.4. In einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a ZPO hat der Rechtsmittelwerber darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte. Solches Vorbringen verstößt nicht gegen das Neuerungsverbot, weil es noch nicht als Prozessvorbringen zu werten ist; der Rechtsmittelwerber muss aber dartun, dass der Verfahrensmangel erheblich ist, sich also auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken kann; dies kann er nur durch Anführung jenes Vorbringens, das er, über die relevante Rechtsansicht informiert, erstattet hätte (RIS Justiz RS0037095).

Hier sind die Ausführungen des Rekurswerbers dahin zu verstehen, dass er bei Offenlegung der Rechtsansicht des Berufungsgerichts (noch) näher zu § 1 Abs 4 Z 1 MRG Stellung genommen hätte.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist daher wegen Verfahrensmangels aufzuheben. Das Berufungsgericht wird im zweiten Rechtsgang nach Durchführung der oben genannten Erörterungen und allenfalls Beweisaufnahmen zunächst die anzuwendende Verfahrensart zu klären haben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.