JudikaturJustiz4Ob77/16a

4Ob77/16a – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Mai 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** Y*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloss und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei H***** Y*****, vertreten durch THUM WEINREICH SCHWARZ CHYBA REITER Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Unterhalt, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 13. Jänner 2016, GZ 23 R 553/15v 57, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 24. November 2015, GZ 2 C 18/14y 51, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die seit 1996 zwischen den Streitteilen bestehende Ehe wurde mit am 2. 12. 2014 in Rechtskraft erwachsenen Urteil aus gleichteiligem Verschulden geschieden. Der Ehe entstammen keine gemeinsamen Kinder. Die Klägerin brachte in die Ehe ihre 1993 geborene Tochter Natalie ein, die der Beklagte in der Ehe wie seine leibliche Tochter behandelte. Weil die Klägerin davon ausging, dass sie der Beklagte mit einer anderen Frau betrügt, nahm sie für eine kurze Zeit eine außereheliche Beziehung mit dem Vater ihrer Tochter auf und wurde von ihm neuerlich schwanger. Die Klägerin verschwieg dem Beklagten, dass der 2000 geborene Elias aus dieser Affäre stammte und nicht der Sohn des Beklagten ist. 2004 hatte der Beklagte kurzfristig eine ehewidrige Beziehung, aus der ein außereheliches Kind entstammt. Wenige Monate nach der Geburt seiner Tochter gestand er der Klägerin seine Vaterschaft zu diesem Mädchen, was die Klägerin nicht zum Anlass nahm, den Beklagten ihrerseits über den wahren Vater von Elias aufzuklären. Sie betrachtete die Ehe nicht als zerrüttet und wollte daran festhalten. Seit 2010/2011 hat der Beklagte eine weitere noch aufrechte sexuelle Beziehung mit seiner Mitarbeiterin. Im November 2012 schöpfte der Beklagte Verdacht, dass er nicht der Vater von Elias sei, was sich im April 2013 durch ein Privatgutachten bestätigte. Im gleichen Jahr zog er aus der Ehewohnung aus.

Die Klägerin begehrte gemäß § 94 ABGB einen monatlichen Unterhalt für den Zeitraum Mai bis Dezember 2014 im Ausmaß von 800 EUR, sowie nach § 68 EheG einen monatlichen Unterhalt ab 1. 1. 2015 in der Höhe von 365,30 EUR als Differenz zwischen der Mindestsicherung und ihrem Einkommen (Arbeitslosengeld).

Der Beklagte wandte im Wesentlichen Verwirkung des Unterhaltsanspruchs ein.

Das Erstgericht sprach der Klägerin für die Zeit der Ehe den nach § 94 ABGB begehrten Unterhalt zum Teil zu, nämlich im Ausmaß von 506 EUR (bis 31. 8. 2014) bzw ab 1. 9. 2014 von 176 EUR (bis 31. 12. 2014). Es wies das nach § 94 ABGB gestellte Mehrbegehren ab. Den auf § 68 EheG gestützten Anspruch auf nachehelichen Unterhalt wies es zur Gänze ab. Das Erstgericht zog für den Unterhaltsanspruch bei aufrechter Ehe als Bemessungsgrundlage das Einkommen des Beklagten als Unternehmer (Alleingesellschafter einer GmbH) ohne Berücksichtigung der möglichen Gewinnausschüttungen heran und verneinte die Unterhaltsverwirkung. Daran knüpfte es auch beim Unterhaltsanspruch nach § 68 EheG an, berücksichtigte allerdings den Umstand, dass die Klägerin den Beklagten nicht über ihre ehewidrige Beziehung und den wahren Vater ihres zweiten Kindes aufgeklärt habe, im Rahmen des Billigkeitsunterhalts dahin, dass ihr deshalb kein nachehelicher Unterhalt gemäß § 68 EheG zustehe.

Das Berufungsgericht änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, dass es den monatlichen Unterhalt für die Zeit der Ehe mit 800 EUR (bis 31. 8. 2014) bzw ab 1. 9. 2014 mit 503 EUR (bis 31. 12. 2014) festsetzte, das entsprechende Mehrbegehren abwies und dem auf § 68 EheG gestützten Begehren zur Gänze stattgab. Das Berufungsgericht verneinte eine Verwirkung des geltend gemachten Unterhaltsanspruchs. Der Ehebruch der Klägerin könne wegen Verjährung (§ 57 Abs 2 EheG) nicht mehr zur Verwirkung herangezogen werden. Dem Teilaspekt des Verschweigens der Vaterschaft komme kein so großes Gewicht zu, dass dies zu einer Verwirkung führe, zumal es bei der Verwirkung des Unterhaltsanspruchs auf die Gesamtbetrachtung des Verhaltens beider Streitteile und nicht auf das isolierte Betrachten eines einzigen Verwirkungstatbestands ankomme. Bei der Bemessung des ehelichen Unterhalts seien auch die dem Unternehmen nicht entnommenen Gewinne zu berücksichtigen, weil der hier behauptungs- und beweislastpflichtige Beklagte keine unternehmerischen Gründe für die Nichtausschüttung der Gewinne behauptet habe. Der Klägerin stehe für die Zeit nach der Scheidung der begehrte Unterhalt nach § 68 EheG zu. Die dort normierten Billigkeitserwägungen beträfen den Unterhaltsbedarf einer der Ehegatten bzw die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des anderen Ehegatten und nicht die im Scheidungsverfahren bereits geklärten Aspekte des Verschuldens an der Scheidung. Der Höhe nach halte sich der geltend gemachte Unterhaltsanspruch im Mittel zwischen den von Rechtsprechung und Literatur angeführten Orientierungsgrößen, weshalb er antragsgemäß zuzuerkennen sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es der Klarstellung durch das Höchstgericht bedürfe, ob sich der Billigkeitsunterhalt nach § 68 EheG am Unterhaltsexistenzminimum oder am Ausgleichszulagenrichtsatz zu orientieren habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten , die auf eine vollständige Abweisung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1.Verschweigen der wahren Vaterschaft

1.1 Mit seinen knappen Ausführungen kann der Beklagte seinen Vorwurf, das Berufungsgericht sei mit seiner Beurteilung von der ständigen Rechtsprechung abgewichen, argumentativ nicht begründen. Der bloße Umstand, dass nach dem kurzen Rechtssatz einer (zweitinstanzlichen) Entscheidung das Unterschieben eines Kindes und die damit verbundene Veranlassung zur Leistung von Naturalunterhalt rechtsmissbräuchlich ist (LGZ Wien EFSlg 95.237), kann die Ansicht des Beklagten nicht stützen, ein derartiges Verhalten eines der Ehepartner habe unter allen Umständen zwingend die Verwirkung des eigenen Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB zur Folge.

1.2 Bei der Beurteilung der Frage des Gewichtes der einem Ehepartner zur Last gelegten Eheverfehlungen und ihrer Eignung, ein Erlöschen des Unterhaltsanspruchs herbeizuführen, darf nämlich das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden (9 Ob 32/04b; 7 Ob 211/07s; 6 Ob 186/09k). Ob so schwerwiegende Eheverfehlungen vorliegen, dass ein Ehepartner seinen Anspruch auf Unterhalt verliert, ist nach den Umständen des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0047080; RS0005529) nicht isoliert, sondern „im Lichte der Gesamtsituation“ ( Koch in KBB 4 § 94 ABGB Rz 21) zu beurteilen.

1.3 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass dem Verschweigen der Vaterschaft unter Berücksichtigung des „Gesamtkontextes dieser Ehe“, die auch entscheidend davon geprägt war, dass der Beklagte ehewidrige Beziehungen einging und während der Ehe Vater eines außerehelichen Kind wurde, kein so hohes Gewicht zukommen kann, dass dies zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führen würde, ist vertretbar.

1.4 Das Berufungsurteil widerspricht damit auch nicht der in der Revision zitierten Entscheidung 1 Ob 171/02g (= JBl 2004, 45), wird doch auch dort ausdrücklich vertreten, dass nicht jede schwere Eheverfehlung die Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens bedeutet, der Anspruch vielmehr nur in besonders krassen Fällen erlischt, wobei stets die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind und das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden darf.

1.5 Auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Verfehlungen während der Ehe für den nachehelichen Unterhaltsanspruch nach § 68 EheG unerheblich sind, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung (8 Ob 63/02a; RIS-Justiz RS0057526 [T2]) und bedarf keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung. Eine allfällige Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 68 EheG wegen Handlungen nach der Scheidung (§ 74 EheG; vgl 10 Ob 35/02y) war nicht Gegenstand des Verfahrens.

2. Unterlassene Gewinnausschüttung

2.1 Auch mit seinem lapidaren Hinweis, die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach seinem Einkommen auch die nicht entnommenen Gewinne zuzurechnen sind, „erscheinen verfehlt“, zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

2.2 Der Rechtsmittelwerber muss zumindest eine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO, von deren Lösung die Sachentscheidung abhängt, aufzeigen. Dabei genügt es nicht, die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts mit bloßen „Leerformeln“ oder pauschal – daher der Sache nach begründungslos – zu bekämpfen. Eine solche Rechtsrüge ist einer nicht erhobenen gleichzuhalten und kann keine Überprüfung der im angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsansicht bewirken (RIS-Justiz RS0043654 [insb T1, T6, T7, T11, T12]).

3. Höhe des Unterhaltsanspruchs nach § 68 EheG

3.1 Schließlich begründet auch die zugesprochene Höhe des auf § 68 EheG gestützten nachehelichen Unterhaltsanspruchs keine erhebliche Rechtsfrage. Der vom Berufungsgericht auf eine behauptete Divergenz in der jüngeren Rechtsprechung zu § 68 EheG gestützte Zulässigkeitsausspruch findet in der Revision keinen argumentativen Niederschlag. Unabhängig davon, ob das Gericht zweiter Instanz zu Recht ausgesprochen hat, dass die Revision zulässig sei, ist das Rechtsmittel trotz des Ausspruchs der Zulässigkeit durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen, wenn der Revisionswerber nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RIS-Justiz RS0048272 [insb T1]; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 11).

3.2 Davon abgesehen hält sich die Höhe des vom Zweitgericht nach Billigkeit bemessenen Unterhaltsbeitrags im Rahmen der Rechtsprechung, die sich beim Unterhaltsbedarf am Ausgleichszulagenrichtsatz orientiert (RIS-Justiz RS0126871; RS0109823; jüngst 10 Ob 16/14x). Der Hinweis in der Revision auf 6 Ob 242/10x kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen, weil auch der dortigen Klägerin Unterhalt in Höhe des jeweiligen Ausgleichszulagenrichtsatzes zugesprochen wurde und ein darüber hinausgehendes (auf das hohe Einkommen des Unterhaltspflichtigen gestütztes) Mehrbegehren unter Hinweis auf die jüngere Rechtsprechung abgewiesen wurde, wonach der Ausgleichszulagenrichtsatz den Unterhaltsanspruch nach § 68 EheG begrenzt.

3.3 Lediglich in einem obiter dictum wurde in 6 Ob 242/10x die Rechtsansicht von Gitschthaler als „insoweit folgerichtig“ beurteilt, dass dem Unterhaltsberechtigten nach § 68 EheG ein Anspruch höchstens in der Höhe des Unterhaltsexistenzminimums nach § 292a EO zustehen könne. Ein bloßes obiter dictum bewirkt aber noch keine Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042672).

3.4 Zudem kann der Oberste Gerichtshof die Regeln der Unterhaltsbemessung nicht derart in ein System verdichten, dass sich eine Tabelle für jeden möglichen Anspruchsfall ergibt, zumal schon eine gesetzliche Grundlage für die Anwendung eines bestimmten Berechnungssystems fehlt; er kann vielmehr in Fragen der Unterhaltsbemessung nur aussprechen, auf welche Umstände es ankommt (RIS Justiz RS0047419).

3.5 Diese Grundsätze gelten auch für Unterhaltsansprüche nach § 68 EheG (6 Ob 242/10x), zumal diese Bestimmung von Billigkeitserwägungen geprägt ist und besonders niedrige Einkommensverhältnisse des Berechtigten voraussetzt. Gerade in einem niedrigen Einkommensbereich ist eine billige Lösung schwer zu erreichen, wenn die Gerichte sich strikt an starre Grenzwerte halten müssten, was im Gesetz auch gar nicht vorgesehen ist (vgl 10 Ob 16/14x zur nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls sich ergebenden Bandbreite bei § 68 EheG; allgemein: RIS-Justiz RS0108755).

4. Insgesamt gelingt es dem Beklagten nicht, mit seinen Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen. Die Bemessungsgrundlage beträgt gemäß § 9 Abs 3 RATG die einfache Jahresleistung, hier 365,30 EUR x 12 = 4.383,60 EUR ( Obermair , Kostenhandbuch² Rz 755). Die (erkennbar) nach § 7 Abs 1 RATG vom Erstgericht vorgenommene Bewertung des Streitgegenstands umfasste auch das ursprünglich erhobene (und nach § 56 JN zu bewertende) Rechnungslegungsbegehren, das aber nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist. Für die drittinstanzliche Kostenentscheidung ist somit auf diesen Bewertungsbeschluss nicht Bedacht zu nehmen, zumal bei dem im Revisionsverfahren ausschließlich relevanten Unterhaltszahlungsbegehren keine Bewertung der Parteien und damit auch keine gerichtliche Streitwertfestlegung nach § 7 Abs 1 RATG (arg „§§ 56 oder 59 der JN“) in Betracht kommt.

Rechtssätze
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