JudikaturJustiz4Ob176/12d

4Ob176/12d – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. E***** D*****, vertreten durch Winkler Reich Rohrwig Illedits Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. C***** R*****, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in Maria Enzersdorf, wegen Unterlassung (Streitwert: 7.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 12. Juli 2012, GZ 18 R 210/11b 82, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 9. August 2011, GZ 3 C 611/05g 77, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrte im Kern, den Beklagten schuldig zu erkennen es zu unterlassen, einen von den Pflanzen seiner Liegenschaft ausgehenden, ortsunüblichen Entzug von Licht und Luft von ihrer Liegenschaft zu unterlassen; sie bewertete ihr Begehren mit 7.000 EUR. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers mit seinem nach dem 30. 6. 2009 gefassten Urteil (Art 16 Abs 4 Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I Nr 52/2009) nicht Folge; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands orientiere sich an der Bewertung durch die Klägerin, von der abzugehen keine Veranlassung bestehe.

Die gegen dieses Urteil erhobene „außerordentliche Revision“ des Beklagten, ersichtlich gerichtet an den Obersten Gerichtshof, mit dem (Haupt )Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer Klagsabweisung und dem Eventualantrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs durch das Berufungsgericht (§ 508 Abs 1 ZPO) legte das Erstgericht unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vor. Diese Vorgangsweise widerspricht der geltenden Rechtslage:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann jedoch eine Partei gemäß § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach der Zustellung des Berufungserkenntnisses den beim Erstgericht (§ 508 Abs 2 erster Satz ZPO) einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss die Gründe dafür anführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird.

Im vorliegenden Fall übersteigt der Gegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, 30.000 EUR nicht. Zwar hat der Rechtsmittelwerber das Rechtsmittel rechtzeitig beim Erstgericht eingebracht und darin auch ausgeführt, es sei deshalb von einem 30.000 EUR übersteigenden Streitwert auszugehen, weil allein der erste Baumschnitt nach einem eingeholten Kostenvoranschlag 15.550 EUR koste und der Baumschnitt infolge der dadurch bewirkten freien Sicht der Nachbarn eine erhebliche Wertminderung des Grundstücks zur Folge habe. Seine Auffassung, das Berufungsgericht habe sein gebundenes Ermessen bei der Bewertung des Entscheidungsgegenstands überschritten und ihn willkürlich und unzulässig zu gering angesetzt, weshalb der Oberste Gerichtshof an diesen Bewertungsausspruch nicht gebunden sei, teilt der Senat allerdings nicht.

Da der Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts nicht in Geld bestand, war er nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO zu bewerten. Der Oberste Gerichtshof ist an diesen Ausspruch gebunden, wenn keine zwingenden Bewertungsvorschriften verletzt wurden und auch keine offenkundige Unterbewertung vorliegt (RIS Justiz RS0042515, RS0042450, RS0109332 ua). Eine im Ermessensbereich vorgenommene Bewertung entzieht sich einer Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof (RIS Justiz RS0042437 [T8]).

Im Anlassfall ist die Bewertungsvorschrift des § 60 Abs 2 JN nicht anwendbar, weil es nicht um die Liegenschaft als solche geht (vgl RIS Justiz RS0053191, RS0046509); andere zwingende Bewertungsvorschriften kommen nicht in Betracht. Eine den Obersten Gerichtshof nicht bindende offenbare Unterbewertung durch das Berufungsgericht (vgl RIS Justiz RS0109332) liegt nicht vor, berücksichtigt man den objektiven Wert der vom Rechtsstreit betroffenen vier ca 16 m hohen Bäume, die zu kürzen oder allenfalls ganz zu entfernen und durch eine alternative Bepflanzung zu ersetzen sind: Dass die notwendigen Maßnahmen Kosten von offenkundig über 30.000 EUR zur Folge haben, ist nach der Aktenlage keineswegs offensichtlich.

Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage ist der Rechtsmittelschriftsatz daher zunächst im Sinne seines Eventualantrags dem Berufungsgericht vorzulegen. Im Streitwertbereich des § 502 Abs 3 ZPO sind nämlich Rechtsmittel gegen Entscheidungen, gegen die nach dem Ausspruch der zweiten Instanz die ordentliche Revision nicht zulässig ist, nur dem Gericht zweiter Instanz, nicht aber dem Obersten Gerichtshof vorzulegen (§ 508 ZPO); dieser darf über das Rechtsmittel nämlich nur und erst entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RIS Justiz RS0109623).

Das Rechtsmittel wird demnach im Sinne seines Eventualantrags dem Berufungsgericht vorzulegen sein. Ob die im Schriftsatz enthaltenen Ausführungen, wonach die Revision zulässig sei, den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RIS Justiz RS0109623 [T5], RS0109501 [T12]).

Aus diesen Erwägungen ist der Akt dem Erstgericht zurückzustellen.

Rechtssätze
6