JudikaturJustiz4Ob102/22m

4Ob102/22m – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Hon. Prof. PD Dr. Rassi sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* L*, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. A* W*, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 264.202,26 EUR und Feststellung (Streitwert 60.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. April 2022, GZ 16 R 173/21k 55, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die klagende Partei ist transsexuell und wurde als Mann geboren. Seit 2010 bemühte sie sich um eine geschlechtsangleichende Operation, die ursprünglich bei einem bestimmten Krankenhaus in Wien hätte vorgenommen werden sollen. Zwischen der Klägerin und dem Krankenhaus bestanden zahlreiche Meinungsverschiedenheiten vor allem über die notwendige Vorbereitung zum Transgender-Eingriff. Um ihren Operationswunsch durchzusetzen, erhob die Klägerin Klagen gegen die Wiener Gebietskrankenkasse und auch gegen eine Oberärztin des Krankenhauses sowie mannigfaltige Beschwerden bei Schlichtungseinrichtungen und der Ombudsstelle des Krankenhauses. Dabei machte sie vor allem Diskriminierung geltend. Mangels guter Arzt-Patienten-Beziehung lehnte die Oberärztin Behandlungen der Klägerin ab.

[2] Damit im Zusammenhang mit ihrer Operation „etwas weitergeht und über ihren Fall auch in den Medien berichtet wird“, nahm die Klägerin im Dezember 2015 Kontakt mit der beklagten Rechtsanwältin auf. Die Beklagte wurde im Jänner 2016 beauftragt, die gewünschte Operation mit dem Krankenhaus zu erwirken. Die Beklagte wurde von der Klägerin dabei weder über die Schlichtungsverfahren, ihre Klage gegen eine Ärztin, noch über den Inhalt eines (in einem anderen von der Klägerin eingeleiteten Prozess eingeholten) Gutachtens informiert, das der Klägerin „eine Persönlichkeitsstörung und querulatorisches Verhalten“ attestierte.

[3] Die Beklagte schritt in weiterer Folge als Rechtsvertreterin der Klägerin beim Krankenhaus ein und forderte von jenem Arzt, der in der transsexuellen Ambulanz eine Hormonbehandlung bei der Klägerin durchführte, die Freigabe der Operation zur Geschlechtsumwandlung. In der Antwort des Krankenhauses vom Mai 2016 wurde mit Blick auf die bisherigen Gerichtsverfahren festgehalten, dass gegen eine geschlechtsangleichende Operation kein Einwand bestehe. Allerdings lehnte der behandelnde und ein weiterer Arzt wegen dieser anwaltlichen Intervention die (weitere) Behandlung der Klägerin ab. Die Klägerin wurde auf externe Experten verwiesen.

[4] Im Auftrag der Klägerin forderte die Beklagte das Krankenhaus im September 2016 zur Korrektur bestimmter Formulierungen im Schreiben vom Mai 2016 auf, die die Klägerin als abwertend empfand. Das wurde vom Abteilungsleiter abgelehnt, der auch bekanntgab, dass es in seiner Abteilung keine Mitarbeiter geben würde, die zur Behandlung der Klägerin bereit seien. Der Abteilungsleiter erklärte der Beklagten, dass die Klägerin in einem anderen Spital behandelt werden könnte.

[5] Im Herbst 2016 besprachen die Streitteile mögliche Schadenersatzansprüche der Klägerin wegen der Verzögerung bzw Verweigerung ihrer Operation. Die Beklagte wies unter anderem darauf hin, dass ein Schadenersatzanspruch ein rechtswidriges Verfahren auf Seiten des Krankenhauses voraussetze. Ein solches liege nicht in einer auf das fehlende Vertrauensverhältnis gestützten Ablehnung des Operationswunsches.

[6] Die Beklagte forderte im November 2016 von der Klägerin detaillierte Informationen über die bisherigen Abläufe und wies sie auch darauf hin, dass eine alternative Operationsmöglichkeit bei einem anderen Spital einen Schadenersatzanspruch verhindern könne. Sie klärte die Klägerin über die Gefahr der Verjährung, das Kostenrisiko und die Möglichkeit der Verfahrenshilfe auf.

[7] Als die Klägerin im Zuge dieser Besprechung erstmals über ein Schlichtungsverfahren bei einer Stelle zur Bekämpfung von Diskriminierung berichtete, besprachen die Streitteile einen möglichen auf das Wiener Antidiskriminierungsgesetz gestützten Schadenersatzanspruch. Die Beklagte legte dar, dass sie eine Diskriminierung nach diesem Gesetz nicht erkennen könne. Für den von der Klägerin herangezogenen Sachverhalt sei dieses Gesetz nicht geschaffen worden. Für die Einbringung einer solchen Klage stehe die Beklagte nicht zur Verfügung. Die Klägerin verlangte darauf von der Beklagten, dass diese gegenüber dem Krankenhaus auf der Operation beharren sollte, eine konkrete Schadenersatzforderung solle die Beklagte nicht stellen.

[8] Im Dezember 2016 wiederholte das Krankenhaus die Weigerung, die Klägerin zu behandeln und verwies auf das fehlende Vertrauensverhältnis. Die Klägerin wurde aber darüber informiert, dass für sie die Universitätsklinik in Innsbruck in Betracht kommen könne. Nachdem die Klägerin daraufhin von der Beklagten die Erhebung einer Klage „gegen das [Krankenhaus] *“ verlangte, forderte diese weitere Informationen und Unterlagen sowie einen Gesprächstermin. Dem kam die Klägerin nicht nach.

[9] Erst mit Mail vom 6. 3. 2017 meldete sich die Klägerin und „warnte“ die Beklagte, dass (mit Blick auf Bestätigung der Antidiskriminierungsstelle vom 14. 12. 2016) eine Klage nach § 4a Abs 5 Wiener Antidiskriminierungsgesetz in wenigen Tagen verjähren würde.

[10] Die Beklagte legte der Klägerin in ihrer Antwortmail am 8. 3. 2017 wiederum ausführlich dar, dass die Grundlagen für einen (allgemeinen) Schadenersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach ungeklärt seien und es auch mit Blick auf das Kostenrisiko unverantwortlich sei, eine Klage einzubringen, ohne die notwendigen Fragen abgeklärt zu haben. Mit einer Klage nach dem Wiener Antidiskriminierungsgesetz sei sie nicht beauftragt worden. Sie werde eine solche Klage nicht einbringen; es stehe der Klägerin frei, sich an einen anderen Rechtsanwalt zu wenden.

[11] Nachdem die Klägerin in weiteren Schreiben auf die Einbringung einer Klage nach dem Wiener Antidiskriminierungsgesetz bestand, jedoch keine weiteren Informationen zu einer angeblichen Diskriminierung oder Unterlagen anschloss, kündigte die Beklagte das Vollmachtsverhältnis mit Schreiben vom 15. 3. 2017 aufgrund mangelnden Vertrauens und fehlender Mitarbeit auf.

[12] Die erforderlichen Operationen wurden letztendlich 2018/2019 in einem anderen Spital durchgeführt.

[13] Die durch den nunmehrigen Klagsvertreter vertretene Klägerin brachte im Mai 2019 eine Klage (ua) gegen den Spitalsträger auf Zahlung (von Schmerzengeld und Verdienstentgang) und Feststellung ein. Die Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Dieser Entscheidung liegt zugrunde, dass die Weigerung der weiteren Behandlung der Klägerin durch das Krankenhaus nicht rechtswidrig war.

[14] Die Klägerin begehrt 264.202,26 EUR als Schadenersatz bzw Rückzahlung des Honorars wegen schlechter anwaltlicher Beratung und Vertretung sowie die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden. Die Beklagte sei dem Auftrag, eine Klage gegen den Spitalsträger wegen verzögerter bzw diskriminierender Behandlung einzubringen, pflichtwidrig nicht nachgekommen. Bei Erfüllung des Klagsauftrags hätte die Klägerin den Prozess mit hoher Wahrscheinlichkeit gewonnen.

[15] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.

[16] In ihrer gegen das Berufungsurteil gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

[17] 1. Sinn und Zweck des Vertrags zwischen Rechtsanwalt und Mandanten liegen darin, dem Mandanten zur bestmöglichen Rechtsdurchsetzung oder Rechtsverteidigung zu verhelfen. Darüber hinaus soll der Mandant vor Nachteilen geschützt werden. Dieser Schutzzweck erschöpft sich aber im Zusammenhang mit der Einleitung und der Führung eines Rechtsstreits nicht nur im Rechtsstreit selbst, sondern umfasst auch die Vermeidung von Nachteilen, die vorhersehbar mit der Führung und insbesondere mit dem Verlust des Prozesses verbunden sein können ( RS0112203 [T9]). Das gebietet auch die Aufklärung des Mandanten, wenn eine Prozessführung aussichtslos erscheint ( RS0112203 [T9]). Der Anwalt als Rechtsvertreter hat grundsätzlich die Aufgabe, den an ihn herangetragenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht zu prüfen und die nach der Rechtsordnung erforderlichen Schritte zur Verwirklichung des ihm bekannten Geschäftszwecks zu unternehmen ( RS0026566 [T1]). Der Anwalt ist zwar nicht verpflichtet, die Richtigkeit der ihm von seinem Klienten erteilten Informationen in Zweifel zu ziehen, solange er keine erheblichen Anhaltspunkte für ihre Unrichtigkeit hat ( RS0026566 [T3]). Der Rechtsanwalt muss aber auch bestrebt sein, den Mandanten zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts zu befragen, weil keineswegs erwartet werden darf, dass der juristische Laie die relevanten Umstände von sich aus mitteilt ( RS0026566 [T2]; RS0038682 [T1]). Der Rechtsanwalt darf sich daher nicht mit dem Vortrag des Klienten begnügen, sondern muss durch dessen Befragung die Tatsachengrundlagen klären und ergänzen (8 Ob 136/18k mwN). Ein Rechtsanwalt kann zu einer Prozessführung nicht verpflichtet werden, wenn er nach gewissenhafter, pflichtgemäßer Prüfung der Sachlage und Rechtslage die Prozessführung als aussichtslos erkennen muss ( RS0055931 ; RS0072330 ; RS0072002 ).

[18] 2.1. Im Anlassfall hat sich die Beklagte ua deshalb geweigert, eine auf das Wiener Antidiskriminierungsgesetz gestützte Schadenersatzklage für die Klägerin einzubringen, weil für sie kein die Klägerin diskriminierendes Verhalten von Ärzten des Krankenhauses erkennbar war. Der Klägerin wurde von der Beklagten mehr als drei Monate vor dem von der Klägerin selbst angenommenen Ablauf der Verjährungsfrist nach § 4a Abs 5 Wiener Antidiskriminierungsgesetz deutlich kommuniziert, dass die als aussichtslos qualifizierte Klage von der Beklagten nicht eingebracht werde.

[19] 2.2. Die Einschätzung der Beklagten deckt sich mit dem später gegen den Spitalsträger geführten Prozess, in dem das Verhalten der Ärzte als nicht rechtswidrig qualifiziert wurde.

[20] 2.3. Auch die Vorinstanzen sind vertretbar davon ausgegangen, dass von der Klägerin während des aufrechten Mandatsverhältnisses gegenüber der Beklagten nicht aufgezeigt worden sei, dass die Ärzte die Klägerin diskriminiert hätten. Im Anlassfall ist neben der vertretbar angenommen Aussichtslosigkeit der Klage auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin der Beklagten wichtige Informationen über die bisherigen Auseinandersetzungen ebenso vorenthielt wie die Vorlage von Unterlagen, die einen (auf Diskriminierung wegen Geschlechtsidentität geltend gemachten) Schadenersatzanspruch allenfalls stützen könnten.

[21] 2.4. Die Klägerin versucht die Argumentation der Vorinstanzen, dass ihre geplante (auf das Wiener Antidiskriminierungsgesetz gestützte) Prozessführung aussichtslos gewesen wäre, mit dem Hinweis auf die Beweiserleichterung des § 5 Wiener Antidiskriminierungsgesetz zu entkräften. Dabei wird jedoch ausgeblendet, dass eine (vermeintlich) benachteiligte Person eine Verletzung des Verbotes der Diskriminierung nach § 2 leg cit glaubhaft machen muss, um in den Genuss der Beweiserleichterung zu kommen.

[22] Nach § 2 leg cit ist eine Diskriminierung oder Belästigung von natürlichen Personen aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität und des Geschlechts, insbesondere auch aufgrund von Schwangerschaft und Elternschaft verboten. In Betracht kommt hier allenfalls eine Diskriminierung wegen Geschlechtsidentität.

[23] (Auch) Im Rechtsmittel wird aber nicht ansatzweise nachvollziehbar aufgezeigt, dass die Ärzte des Krankenhauses die Operation bzw die weitere Behandlung der Klägerin wegen ihrer Geschlechtsidentität oder aus anderen diskriminierenden Gründen verweigert haben, sodass auch die Beweiserleichterung die Aussichtslosigkeit der geplanten Prozessführung nicht widerlegen kann.

[24] 2.5. Auch das Argument der Klägerin, dass eine Klagsführung gegen den Spitalsträger deshalb durchaus erfolgversprechend gewesen wäre, weil „ bei jedem Gerichtsverfahren auch die Möglichkeit besteht, die Angelegenheit vergleichsweise zu bereinigen“, zeigt keine korrekturbedürftige Fehlentscheidung auf. Schließt man sich nämlich der Rechtsmeinung der Klägerin an, hätte ein Rechtsanwalt (wegen des potentiellen Erfolgs über einen Prozessvergleich) die Aussichtslosigkeit eines Verfahrens nie zu beachten, was aber der gesicherten Rechtsprechung zur aussichtslosen Prozessführung widerspricht ( RS0038710 und RS0038663 [kein Entlohnungsanspruch des Rechtsanwalts]; RS0026249 [Haftung des Rechtsanwalts]; RS0056010 [Standeswidrigkeit]; RS0038682 [Aufklärungspflicht]; RS0055931 und RS0072330 [keine Pflicht zur Prozessführung]).

[25] 3. Dass die Vorinstanzen aufgrund der aufgezeigten Umstände ein rechtswidriges und schadenskausales Handeln der Beklagten bzw einen Rückforderungsanspruch des Honorars für die auftragsgemäß erbrachten Leistungen verneint haben, findet Deckung in der aufgezeigten Rechtsprechung und bedarf daher keiner Korrektur.

[26] 4. Die Ausführungen der Klägerin zur Verjährungsfrage werfen schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil die Frage der drohenden Verjährung bei einer beabsichtigten aussichtslosen Prozessführung nicht relevant ist. Die Vorinstanzen haben die Aussichtslosigkeit jedenfalls vertretbar bejaht. Für die Rechtsstellung der Klägerin macht es keinen Unterschied, ob ihre Klage gegen den Spitalsträger als unbegründet (bzw unschlüssig) oder (auch) wegen Verjährung abgewiesen worden wäre.

[27] 5. Es bedarf im Anlassfall auch keiner Klärung der Frage, inwieweit ein Rechtsanwalt in einem aufrechten Mandatsverhältnis verpflichtet ist, Aufträge seines Mandanten entgegenzunehmen, die der Rechtsansicht des Anwalts entgegenstehen. Vorliegend ging es nicht bloß um Aufträge, die mit der Rechtsansicht der Beklagten im Widerspruch standen, sondern um eine aussichtslose Klagsführung, die die Beklagte auch aufgrund der ihr vorenthaltenen Informationen und Unterlagen ablehnen durfte.

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